Am Sonntag, 15. Juni, begeht die Republik zum ersten Mal in ihrer Nachkriegsgeschichte den „Tag der Veteraninnen und Veteranen“. Was darauf zielt, das Militärische wieder in die Mitte der Gesellschaft zur rücken, wird – inzwischen typisch deutsch – im Tarnkleid von „Vielfalt“, „Toleranz“ und „Gemeinschaft“ verschleiert. Die Blut-Schweiß-Tränen-Vorlage aus den USA gerät so zu einem Festival der Heuchelei. Selbst die „Detonators“, die Hausband der Bundeswehr, rocken im Weichspülgang und für die gute Sache: also Brücken bauen und Brunnen buddeln. Einen Eimer, bitte, wünscht sich Ralf Wurzbacher.
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Wollten sich hiesige Kulturschaffende an einer Neuverfilmung von „Rambo“ versuchen, rückte der dem Feind gewiss mit Grundgesetz und Regenbogenbanner zu Leibe. Immer schön politisch korrekt und um keine Peinlichkeit verlegen. Nur wird das mit Silvester Stallone nicht zu machen sein. Ganz egal. Moderne Gehirnwäscher brauchen sowieso keine Muckies, sie packen das Volk mit Gefühl. Ihr Meisterstück in Heuchelei liefern die Spindoktoren der „Zeitenwende“ am 15. Juni ab, wenn in Deutschland der erste Nationale Veteranentag steigt. Das Pendant in den USA, der „Veterans Day“ alljährlich am 11. November, wird schon seit 1954 begangen, wobei sich der Termin im Zuge der Jahrzehnte immer mehr zu einem militaristischen Hochamt entwickelt hat – triefend vor Blut, Schweiß und Tränen.
Und was machen die Deutschen aus der Steilvorlage? Statt Krach, Bumm, Bäng gibt es Friede, Freude, Eierkuchen satt, kredenzt aus der veganen Gulaschkanone. Ein Video der Bundeswehr sprengt alle Grenzen des guten Geschmacks. Darin agiert eine bunte Schar an Leutchen in Uniform nebst irgendwem im Anzug und einem grinsenden Priester, und einer nach dem anderen stellt sich beim Namen vor: Helge, Sonja, Michel, Maik, Alexa, Michael. Anschließend, untermalt mit Tschingderassabum und Camouflage-Ästhetik, erfährt man, wer und was sie noch so sind. Soldaten? Kampfbereit? Lebensmüde? Im Ernstfall Killer? Nein, nichts dergleichen. Wäre ja auch zu wahr. Deshalb: „Wir sind vielfältig“, „wir sind überall“, „wir sind Menschen“ und schließlich: „Wir sind Veteraninnen und Veteranen.“
Dann ist ja gut. Andernfalls hätten die Bürger im Land noch meinen können, die Sache mit der „Kriegsertüchtigung“ und der „Wehrhaftigkeit“ wäre irgendwie bedrohlich, mithin lebensgefährlich, ja apokalyptisch angesichts einer Hochrüstungskampagne der Sorte „übergeschnappt“. Aber nicht doch, und nicht mit dieser Truppe. Die ist durch und durch friedliebend, zeitgemäß, tolerant, voll knuffig. Und nur, wenn es ganz hart auf hart kommt und der Russe anrückt, greift sie zur Waffe, um uns, unsere Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Einfach dufte, der Haufen.
Sprengmeister des Friedens
Wessen Magen da schon rebelliert, muss erst die „Detonators“ erleben. Das ist die Hausband der deutschen Streitkräfte, die seit dem Kosovo-Einsatz 1999 bei Auslandseinsätzen für moralische Erbauung sorgt. Außerdem sind die fünf alternden Kempen „permanent als Botschafter für den bekannten guten Zweck von ‚Lachen Helfen e.V.‘, nämlich Kindern in der Not zu helfen, rockig unterwegs“, wie es auf ihrer Webseite heißt. „Lachen Helfen“ ist eine „Initiative deutscher Soldaten und Polizisten für Kinder in Kriegs- und Krisengebieten“, also so etwas wie das institutionalisierte Narrativ vom deutschen Soldaten, der keine Kriege führt, sondern Brunnen buddelt.
Unterirdisch sind auch die Darbietungen der rockenden Sprengmeister, speziell ihre Eigenkompositionen „Rocken für Lachen Helfen“ und „Recht auf Lachen“. Jedes erdenkliche Klischee wird bedient, keine Plattheit ausgelassen. Kostproben: „Wir bauen Brücken“, „Träume bewahren, ist unsere Mission“ oder: „Wir tragen die Hoffnung, wir tragen die Pflicht, Frieden auf Erden, das ist unsere Sicht.“ Derlei Kitschpathos gibt es jetzt auf der ganz großen Bühne. Ihr Feuerwerk an Dumpfheit dürfen die Barden in Kampfmontur am Sonntag bei der zentralen „Festveranstaltung“ am Berliner Reichstag zünden, kurz nachdem Julia Klöckner ihren Sermon abgelassen haben wird.
Brandmauer? Diesmal nicht …
Die Präsidentin des Deutschen Bundestags und Schirmfrau des „Feiertags“ hat schon vorab per Videobotschaft angesagt, worum es geht. „Wer für die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes alles gibt, der hat mehr als nur wenige Dankesworte verdient“, vielmehr „Unterstützung, Anerkennung und auch Respekt“. Deshalb habe das Parlament den „Veteranentag ins Leben gerufen“. Den sonst üblichen Hinweis, dass dies mit großer Mehrheit (der Anwesenden) erfolgte, verkniff sich die CDU-Frau. Tatsächlich hatten dem fraglichen Antrag von SPD, Union, Grünen und FDP am 25. April 2024 alle Fraktionen bis auf die Gruppe Die Linke zugestimmt, also auch die AfD. Davon indes war ausnahmsweise mal gar keine Rede, woraus folgt: Beim Befeuern kollektiver Kriegsgesinnung lässt man die „Brandmauer nach rechts“ schon mal links liegen.
Gewohnt ambivalent verhielt sich seinerzeit die Linkspartei. Sie enthielt sich der Stimme. Gegen einen Veteranentag habe er prinzipiell nichts, Soldaten verdienten „Respekt, Anerkennung und Würdigung“, erklärte seinerzeit Dietmar Bartsch. Er sorge sich allerdings um eine „atmosphärische Veränderung“ in der Gesellschaft in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ und schlug vor, die Veteranen alternativ „zu einer Bootsfahrt einzuladen“. Mit dem Vorstoß ging er baden, während andere Friedensbewegte „Totalverweigerung“ demonstrierten. Die BSW-Gruppe um Sahra Wagenknecht nahm weder an der Debatte noch an der Abstimmung teil. Überhaupt war das Plenum an diesem Tag bestenfalls mit 20 Prozent Mannschaftsstärke angerückt. Man hätte sich, bei der historischen Tragweite der Entscheidung, ein bisschen mehr Korpsgeist gewünscht …
Schauerliches Erweckungserlebnis
Dafür lassen es die Macher am Sonntag richtig krachen, beziehungsweise menscheln. Bei bundesweit über 130 Veranstaltungen wird alles an Augenwischerei aufgeboten, was das PR-Budget hergibt, um das Bild vom netten „Staatsbürger in Uniform“ in die Köpfe zu hämmern und das Militärische für alle sicht- und spürbar zurück in die „Mitte der Gesellschaft“ zu verschieben. Die „Veteraninnen und Veteranen“ sind dabei bloß nützliche Idioten, das Trojanische Pferd, das dem politisch intendierten Diskurs- und Bewusstseinswandel auf die Sprünge helfen soll. Anders als die aktive Armee sind sie auch zahlenmäßig ein Faktor. „Veteranin oder Veteran sind alle Bürgerinnen und Bürger, die Soldatin oder Soldat der Bundeswehr sind oder waren und ehrenhaft aus dem Dienst ausgeschieden sind“, klärt das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) auf. Insgesamt sollen sie „rund zehn Millionen“ zählen. Würden die übermorgen alle aus ihren Löchern kriechen und auf Straßen und Plätzen Deutschlandflagge zeigen, hätte das fraglos etwas von einem schauerlichen nationalen Erweckungserlebnis.
Zum Zweck der Großmobilmachung und dem, haufenweise Markenbotschafter der „Zeitenwende“ zu gewinnen, setzt die Regierung auf „Materialschlacht“. Im Download-Bereich auf veteranentag.gov.de sind „Partnerpakete“ abrufbar mit allen erdenklichen Vorlagen zur Vervielfältigung: Flyer, Logos, Fahnen, die schwarz-rot-goldene „Veteranenschleife“ zum Anpinnen. Auf dass alle schön uniform aussehen und „Gemeinschaft“ fühlen. Insbesondere junge Menschen will man um- und einfangen. Besorgen soll dies das „Content-Paket für Influencer“ mit Aufforderungen wie: „Bewerben Sie den Veteranentag über Ihre Social-Media-Kanäle“ oder: „Teilen oder liken Sie die Posts der offiziellen Kanäle“. Und obendrauf ein Haufen Geschwätz: „Gemeinsam und solidarisch soll optimistisch nach vorne geblickt werden: Gefeiert werden Gegenwart und Zukunft, nicht die Vergangenheit. Geehrt werden die Menschen, nicht das Militär.“
Dienst am Mutterland
Ob das zieht? In die Kasernen? Bekanntlich will Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Bundeswehr um 60.000 Männer und Frauen verstärken, um die „NATO-Ziele für mehr Abschreckung und Verteidigung“ zu erfüllen. Als Kanonenfutter nimmt er dabei zuvorderst den Nachwuchs ins Visier – zunächst noch mit gutem Zureden, alsbald aber wohl mit Zwang, durch Wiedereinführung der Wehrpflicht. Seit Wochen sucht die deutsche Armee Minderjährige mit personalisierten Postkarten heim (600.000 an der Zahl, Kostenpunkt 340.000 Euro) und wirbt für ihren bundesweiten Rekrutierungsaufriss „Talent Scout 2025“ zum „Tag der Bundeswehr“ am 28. Juni. Gelockt wird mit „VIP-Experience“, „exklusiven Erlebnissen“, „Backstage-Tour“ und „modernster Ausrüstung“ wie Panzern und Nachtsichtgeräten und: „Werde Teil von etwas Großem!“
Für die Kleinsten werden am Sonntag Hüpfburg, Schminken und Kinderbetreuung aufgefahren, auf dass Mami und Papi Zeit haben, sich vom Jugendoffizier zum Dienst am Vaterland (oder Mutterland) breitschlagen zu lassen. Aber es gibt noch so viel mehr zu erleben: „Fahrradtour der Tapferkeit“, „Veteranen Talk“, „Veteranen Open Air“, „Veteranenkegeln“, „Veteranenstammtisch“, „Kranzniederlegung“, „Marsch der Wertschätzung“ und und und. Abgerundet wird das alles durch Grußworte und die Verleihung von Veteranenabzeichen durch Boris Pistorius, den Generalinspekteur der Bundeswehr und den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages auf der Hauptbühne vorm Reichstag um Punkt 18.47 Uhr. Zum Absacken poltert am Ende noch die Bigband der Bundeswehr, bevor Popsänger Laith Al-Deen seine Künste zum Besten gibt mit Stücken wie „Geschichte schreiben“ und „Paket Hoffnung“. Aus dem Refrain: „Und um uns brennt die Welt. Und alles, was noch zählt, ist ‘ne Hand, die einen hält.“ Das passt …
„Naziprepper-Tag“
Bei seiner Rede im Bundestag im Vorjahr am 25. April hatte Dietmar Bartsch von der Linkspartei bemerkt: „Ich will mal vorsichtig voraussagen, dass das auch dazu führen wird, dass es erhebliche Proteste gibt.“ Das klang fast nach Bedauern. Aber er soll recht behalten. Das Antimilitaristische Aktionsnetzwerk innerhalb der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) hat angekündigt, „mit vielfältigen Aktionen den Propagandatag der Militärs als ‚Naziprepper-Tag‘ zu enttarnen“. Geplant ist unter anderem das Kapern von Werbeflächen mit entstellten Bundeswehrplakaten, sogenanntes Adbusting. Auf einem Poster ist zu lesen: „Befehl, Gehorsam, Schikane? Weiß ich nicht Digga …“
Titelbild: © Bundesregierung