Spannend wie ein Krimi – elementar für die Aufarbeitung der Pandemiepolitik: „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts“

Spannend wie ein Krimi – elementar für die Aufarbeitung der Pandemiepolitik: „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts“

Spannend wie ein Krimi – elementar für die Aufarbeitung der Pandemiepolitik: „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts“

Volker Rekittke
Ein Artikel von Volker Rekittke

Geheime Treffen in der Lobby eines Berliner Hotels, ein USB-Stick mit vertraulichem, brisantem Material aus dem Innern des Robert Koch-Instituts, die Übernachtung im anonymen Hotelzimmer am Vorabend einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz – zugleich der zähe juristische Kampf eines kleinen, aber feinen Online-Magazins gegen die wichtigste staatliche Behörde in der Corona-Pandemie: Das ist der Stoff für eine klassische David-vs.-Goliath-Story. Von Volker Rekittke.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Geschichte der zunächst vor Gericht in Teilen freigeklagten, aber zunächst von Behördenseite vielfach geschwärzten, dann über einen behördeninternen Whistleblower vollständig geleakten RKI-Protokolle liest sich wie ein Krimi. Es ist zugleich ein Lehrstück über die elementare Bedeutung von unabhängigen, investigativ arbeitenden und in alle Richtungen kritisch hinschauenden Medien für eine funktionierende Demokratie. Dass jeder Bürger und jede Journalistin heute auf gut 4.000 ungeschwärzte Protokoll-Seiten des Covid-19-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts (kurz: RKI-Protokolle) zugreifen, diese herunterladen und darin recherchieren kann, das verdanken wir nicht den mit reichlich Gebührengeld ausgestatteten Recherche-Teams von ARD und ZDF, ebenso wenig wie einstigen journalistischen Schlachtrössern von Spiegel bis Zeit („Leitmedien“), wir verdanken diese vielmehr einer Handvoll Journalisten, die ihren Job noch ernst nehmen, darunter: Multipolar-Herausgeber (und Kläger gegen das RKI) Paul Schreyer sowie den freien Journalisten Aya Velázquez und Bastian Barucker. Und natürlich einem (oder einer) mutigen Mitarbeiter/in des RKI, der oder die jene RKI-Protokolle der Jahre 2020-2023 sowie umfangreiches Zusatzmaterial an Velázquez übermittelte.

Barucker ist auch Herausgeber des Sammelbands „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts“, das jetzt erschienen ist und in dem auf 250 Seiten über diesen in Deutschland (zumindest in dieser Größenordnung) bislang einmaligen Leak eines mutigen Whistleblowers berichtet wird. Ein wichtiges Buch, das zum richtigen Zeitpunkt kommt – und das die Forderung nach einer wirklichen Aufarbeitung der politischen Entscheidungen während der Pandemie und der teils gravierenden Folgen für Millionen Menschen unterstreicht. Nicht nur die vielen Impfgeschädigten warten darauf.

Einige Kapitel im Buch wurden schon veröffentlicht – etwa bei Cicero, Berliner Zeitung, Welt oder auf Blogs und Internetseiten. Für das Buch wurden all diese Artikel überarbeitet und aktualisiert, andere Kapitel kamen neu hinzu. Sie alle beleuchten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven die RKI-Protokolle sowie tausende Seiten Zusatzmaterial: juristisch, medizinisch, parlamentarisch, medien- und gesellschaftspolitisch, …

„Das RKI, das zeigen die RKI-Protokolle in vielen Details, saß in der Corona-Zeit nicht etwa am Steuer, sondern es ließ sich lenken und vor den Karren spannen: von der Politik, von internationalen Organisationen“, schreibt Paul Schreyer: „Nach außen hin aber wurde der Eindruck erweckt, die Politik folge den Experten der eigenen Fachbehörde.“ Das ist keine Petitesse, war doch die „wissenschaftliche Expertise“ des RKI („follow the science!“) Grundlage nicht nur von so weitreichenden politischen Entscheidungen wie Lockdowns, Schulschließungen, einrichtungsbezogener Impfpflicht, 2G/3G-Regeln, sondern auch von (höchst)richterlichen Urteilen über eben jene „Corona-Maßnahmen“. Auch jene Gerichte, die die fast fließbandmäßigen Ablehnungen von Versorgungsansprüchen Impfgeschädigter durch die Ämter überprüfen sollen, berufen sich immer noch auf das RKI, ebenso wie auf seine Schwesterbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Dabei sind beide Institute dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt und diesem weisungsgebunden. Das PEI übrigens verortet immer noch – unerklärlicher Geburtenrückgang hin, mysteriöse Übersterblichkeit her – „kein Risikosignal“ bei den mRNA-Impfstoffen. Und weit und breit kaum ein Journalist in Leit- und sonstigen (öffentlich-rechtlichen) Qualitätsmedien, der darüber wenigstens ins Grübeln kommt.

Jenes Versagen des Journalismus von Tagesschau bis Spiegel beleuchtet Ruth Schneeberger, bis Anfang 2025 Ressortleiterin Gesundheit bei der Berliner Zeitung. Warum biedern sich Journalisten immer noch „so an die Politik und an längst widerlegte Experten an?“, fragt sie – wo es doch der Job der Medienvertreter wäre, „als vierte Gewalt die Entscheidungsträger zu kontrollieren und kritisch zu hinterfragen, anstatt wie eine PR-Abteilung für die Regierenden zu fungieren“. Kein Wunder, dass der kritische, die Mächtigen in Staat und Wirtschaft kontrollierende good old journalism seit einigen Jahren in Form von neuen Online-Medien bemerkenswerte Erfolge erzielt, während ARD, ZDF und etliche klassische Printprodukte schmerzhafte Reichweitenverluste verzeichnen, etwa die ARD von 54 Prozent (2019) auf nur noch 39 Prozent (2025). Weitere Buchbeiträge kommen von den Journalisten Philippe Debionne (Nordkurier) und Elke Bodderas (Welt), die – wie Schneeberger – in den Pandemiejahren nicht vergessen haben, dass eine Recherche mit einer Pressemitteilung von RKI oder PEI nicht endet, sondern dass sie da erst anfängt.

Zu Wort kommt auch der FDP-Politiker und ehemalige Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki, der sich als einer der wenigen Abgeordneten tief in die RKI-Files eingelesen hat. Ihm fielen Protokolleinträge vom 9. und 25. Februar 2022 auf, da war die sehr viel mildere Omikron-Variante längst vorherrschend, die Pandemie ging in ihr endemisches Stadium über. Dennoch lehnte das von Karl Lauterbach (SPD) geführte Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine Herunterstufung des Risikos von „sehr hoch“ auf „hoch“ ab. Kubicki sieht Bezüge zur Anfang April 2022 im Bundestag anstehenden (und vor allem von SPD und Grünen gewollten) allgemeinen Impfpflicht: Das RKI habe „auf Drängen des BMG den öffentlichen Pandemiedruck künstlich hochgehalten“, so Kubicki, der es für einen Skandal hält, „dass politische Entscheidungen von einer solchen Tragweite derart aus einem Ministerium beeinflusst werden“.

Aya Velázquez begibt sich in einem Extra-Kapitel auf die Spur der mysteriösen interministeriellen „AG Impfpflicht“, in der das RKI im Winter 2021/22 die von Karl Lauterbach gepushte allgemeine Impfpflicht argumentativ unterstützen sollte. Die Bundesregierung bestätigte Anfang 2025 auf eine Parlamentarische Anfrage die Existenz der AG – doch existiert angeblich kein einziges Protokoll und auch kein Mail-Verkehr dazu.

Oliver Hirsch und Kai Kisielinski beschäftigen sich mit jenem Eintrag aus den RKI-Protokollen vom 18. Januar 2021: „Keine fachliche Grundlage zur Empfehlung FFP2-Maske für die Bevölkerung vorhanden, daher Warnung vor unerwünschten Nebenwirkungen hinzufügen.“ Bekanntermaßen wurde Deutschland ab 2021 mit – völlig überteuert von Jens Spahn eingekauften – FFP2-Masken regelrecht überschwemmt. Doch wer bekam je eine arbeitsmedizinische Einweisung zum Masken-Tragen? Das RKI thematisierte mögliche Gesundheitsschäden ja nicht ohne Grund: Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin empfiehlt für eine FFP2-Maske ohne Ausatemventil „eine Gebrauchsdauer von 75 Minuten und eine Erholungsdauer von 30 Minuten“. Schließlich führe der Atemwiderstand beim Ein- und Ausatmen „zu einer Beanspruchung der Atmung und des Herz-Kreislauf-Systems“, so die Arbeitsschutz-Behörde. Das wusste man auch beim RKI, wie aus dem Protokoll vom 2. November 2020 hervorgeht: „[FFP2-Masken] sind nur für die unmittelbare, medizinische Arbeit vor Ort und für einen begrenzten Zeitraum gedacht (nach 75 Minuten Tragen sollte eine 30-minütige Pause eingelegt werden).“ Thematisiert wird im Buchkapitel auch, dass unter jenen Masken hohe Kohlendioxid-Konzentrationen entstehen, die bei längerem Tragen toxisch wirken können. Wer erinnert sich nicht an eigene Atembeschwerden, an die Kinder und Jugendlichen in den Schulen, an das Klinik- und Altenpflegepersonal, die viele Stunden am Stück FFP2-Masken tragen mussten?

Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler widmet sich in einem Kapitel der „Bundesnotbremse“ vor dem Bundesverfassungsgericht, dessen Richter kurz zuvor vom Merkel-Kabinett zum Dinner im Kanzleramt eingeladen worden waren, die Rechtsanwälte Franziska Meyer-Hesselbarth und Sebastian Lucenti den (bislang weitgehend verpassten) Möglichkeiten von Gerichten, zu einer Neubewertung staatlicher Corona-Maßnahmen zu gelangen, und Sabine C. Stebel den teils schweren und anhaltenden Nebenwirkungen der Corona-„Impfung“.

Eins der bedrückendsten Kapitel, von Bastian Barucker, betrifft den staatlichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Die waren weder Pandemietreiber noch besonders durch Corona gefährdet, wie auch das RKI wusste: „Kinder haben ein, im Vgl. zu anderen Atemwegserkrankungen, geringes Risiko für schwere Krankheitsverläufe“ (30. Juni 2021). Dennoch mussten sie viele Stunden am Tag unter FFP2-Masken, wochen- und monatelang unter geschlossenen Sport- und Spielplätzen, unter den längsten Schulschließungen Europas (zusammen mit Polen) und nachfolgend unter anhaltenden psychischen Schäden leiden.

Um grundlegende Fragen nicht etwa zum Staatsverständnis der Bürger, sondern umgekehrt zum paternalistisch-misstrauischen Blick der Politik auf die Staatsbürger geht es schließlich im wichtigen Beitrag von Ethikrat-Mitglied Frauke Rostalski, der Philosophin Svenja Flaßpöhler, der Juristin Elisa Hoven sowie der Schriftstellerin Juli Zeh (die zwei Letztgenannten zugleich Verfassungsrichterinnen in Sachsen und Brandenburg). Deren zentrale Erkenntnis: „In den geleakten Papieren tritt immer wieder ein Menschenbild zutage, das mit der demokratischen Idee vom mündigen Bürger wenig zu tun hat.“ Um die Menschen massenhaft zur Impfung zu bringen, duften Zweifel aus RKI-internen Diskussionen bloß nicht nach außen dringen, etwa, dass die Rede von einer „Pandemie der Ungeimpften“ in den Protokollen als „fachlich nicht korrekt“ eingestuft wird, dann aber der Kotau der Wissenschaft vor der Politik offenbar wird: „Sagt Minister bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst, kann eher nicht korrigiert werden.“

Auch vor dem Hintergrund, dass sich die Mehrheit des Bundestages immer noch gegen einen Corona-Untersuchungsausschuss sperrt und stattdessen gerade eine zahnlose Enquete-Kommission eingesetzt hat und sich an Jens Spahns Maskendeals abarbeitet: Dieses Buch sollte Pflichtlektüre für jeden Abgeordneten in einem deutschen Parlament werden – und Journalisten wie Richtern zumindest dringend zum intensiven Studium empfohlen werden. Vielleicht traut sich der eine oder die andere danach, selbst einen Blick in die RKI-Protokolle zu werfen (keine Angst vor den 4.000 Seiten: die PDFs können ziemlich einfach nach Stichworten durchsucht werden) – damit diese endlich angemessen in der Berichterstattung und der Urteilsfindung vor Gericht berücksichtigt werden. Dem Frieden im seit der Pandemie tief gespaltenen Land würde es dienen.

Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts, von Bastian Barucker (Hrsg.), 2025 , Softcover mit Klappen: 252 Seiten, 22,90 €, Massel Verlag, ISBN: 9783948576219

Buchpremiere „Vereinnahmte Wissenschaft“ und Podiumsdiskussion über die Bedeutung der RKI-Protokolle bei der Aufarbeitung der Corona-Politik am Mittwoch, 16. Juli, 19:30 Uhr im „Babylon“ in Berlin (mit Bastian Barucker, Aya Velàzquez, der CDU-Bundestagsabgeordneten Saskia Ludwig und Volker Boehme-Neßler, Professor für öffentliches Recht).

Titelbild: Screenshot Buchcover