Während die verheerenden Folgen der Sanktionen gegen Syrien lange Zeit ignoriert oder geleugnet wurden, bedeutete der Sturz der Assad-Regierung, dass es plötzlich politisch opportun war, zuzugeben, was viele schon die ganze Zeit wussten. Die Funktion von Sanktionen ist es, den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu befördern. Das ist kein Kollateralschaden, es ist der Mechanismus des Drucks. Sanktionen sind eine Waffe der wirtschaftlichen Kriegsführung. Es ist längst an der Zeit, sie als solche zu behandeln. Von Michael Galant und Eleonora Piergallini.
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Am 30. Juni unterzeichnete Präsident Donald Trump ein Dekret, das die meisten US-Sanktionen gegen Syrien aufhebt. Mit diesem Schritt, der noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen wäre, löste er ein Versprechen ein, das er im Mai auf einem Investitionsforum in Riad gegeben hatte. Vor einem Publikum aus hauptsächlich saudischen Geschäftsleuten erklärte er: „Die Sanktionen waren brutal und lähmend.“ Ihre Aufhebung werde „Syrien die Chance geben, groß zu werden“.
Die Bedeutung dieser Aussage liegt nicht nur in der Erleichterung, die sie dem syrischen Volk bringen wird. Sie offenbart auch eine implizite, aber selten zugegebene Wahrheit: Sanktionen werden oft als eine zurückhaltende, friedliche Alternative zum Krieg dargestellt, real haben sie dem syrischen Volk aber die ganze Zeit über schwer geschadet.
Das Ausmaß der wirtschaftlichen Zerstörung Syriens kann kaum geleugnet werden. Die Größe der syrischen Wirtschaft hat sich zwischen 2010 und 2021 mehr als halbiert. Etwa 70 Prozent der Syrer leben in Armut und die Hälfte der Bevölkerung in Ernährungsunsicherheit.
Die Befürworter behaupten meist, dass die Sanktionen nicht für zivile Schäden verantwortlich sind. „Die heutigen Maßnahmen zielen darauf ab, das mörderische Assad-Regime zur Rechenschaft zu ziehen. Sie richten sich nicht gegen das syrische Volk“, lautet eine typische Mitteilung des Weißen Hauses zur Verhängung neuer Sanktionen im Jahr 2020.
Das Europäische Parlament behauptet in ähnlicher Weise, dass seine Sanktionen gegen Syrien „so angelegt wurden, dass sie nur minimale Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung haben“.
Es ist natürlich schwierig, genau zu bestimmen, wie viel von Syriens wirtschaftlichem Zusammenbruch auf den Bürgerkrieg und Assads Regierung zurückzuführen ist und wie viel auf die Sanktionen des Westens.
Es gibt jedoch überwältigende Beweise dafür, dass weitreichende Wirtschaftssanktionen der Zivilbevölkerung immensen Schaden zufügen: Sie verlangsamen das Wirtschaftswachstum, erschweren den Zugang zu Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten und tragen letztlich zu einem Massensterben bei. In einigen Fällen sind die Auswirkungen von Sanktionen mit denen von Krieg vergleichbar.
Insbesondere die Sanktionen gegen Syrien haben die humanitären Bemühungen behindert, die Inflation bei Lebensmitteln angeheizt und zum Kollaps des Gesundheitswesens des Landes geführt.
Während diese Auswirkungen lange Zeit ignoriert oder geleugnet wurden, bedeutete der Sturz der Assad-Regierung, dass es plötzlich politisch opportun war, zuzugeben, was viele schon die ganze Zeit wussten.
Zwei Mitglieder des US-Kongresses, die sich vor dem Sturz Assads für Sanktionen eingesetzt hatten, haben seitdem argumentiert, dass eine Lockerung der Sanktionen „die Stabilisierung, den Wiederaufbau, internationale Investitionen [und] die humanitäre Erholung“ erleichtern und den „Zugang zu Wirtschaft und Finanzen für einfache Syrer“ verbessern würde.
Nach Trumps Ankündigung erklärte sein Außenminister Rubio, dass die Aufhebung der Sanktionen „die Bereitstellung von Elektrizität, Energie, Wasser und sanitären Einrichtungen erleichtern und eine effektivere humanitäre Reaktion in ganz Syrien ermöglichen würde“.
Bei einer Anhörung im Senat sagte er weiter, dass „die Nationen in der Region Hilfe leisten wollen, ihnen helfen wollen und es nicht können, weil sie Angst vor unseren Sanktionen haben“.
Rubio führt hier aus, wie die US-Sanktionen als eine Form der wirtschaftlichen Belagerung funktionieren: Sie behindern humanitäre Hilfe und isolieren sanktionierte Länder effektiv von wirtschaftlicher und diplomatischer Zusammenarbeit mit anderen Nationen.
Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Dorothy Shea, erklärte letzten Monat:
„Die Beendigung der US-Sanktionen gegen Syrien wird dem Land eine Chance auf Erfolg geben.“
Es ist schwierig, solche Stellungnahmen mit der Behauptung unter einen Hut zu bringen, Sanktionen würden der Zivilbevölkerung nicht schaden. Wenn die Aufhebung der Sanktionen der Zivilbevölkerung zugutekommt, dann muss ihre Verhängung Schaden verursacht haben.
Das schmutzige Geheimnis der Sanktionspolitik ist, dass diese Schäden beabsichtigt sind. Die Funktion von Sanktionen ist es, den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu befördern. Das ist kein Kollateralschaden, es ist der Mechanismus des Drucks.
Vereinzelt haben die politischen Entscheidungsträger dies auch zugegeben.
In einem Memo des Außenministeriums aus der Anfangszeit des Embargos gegen Kuba wurde vorgeschlagen, „Kuba Geld und Lieferungen zu verweigern, um Geld und die Lieferung von Versorgungsgütern zu verweigern, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen.“
Auf die Frage nach der Wirksamkeit der Sanktionen der Trump-Administration gegen den Iran sagte der damalige Außenminister Mike Pompeo: „Die Dinge sind für das iranische Volk viel schlimmer geworden, und wir sind überzeugt, dass es sich erheben und das Verhalten des Regimes ändern wird.“
Ähnlich zustimmend äußerte er sich über das Leiden der venezolanischen Bevölkerung unter den US-Sanktionen – eine Auffassung, die auch Trump teilte, der später hämisch sagte: „Als ich aus dem Amt schied, stand Venezuela kurz vor dem Zusammenbruch. Wir hätten es übernommen.“
Während Trumps Regierungsvertreter besonders offen gewesen sind, verweisen Politiker beider Parteien regelmäßig auf makroökonomische Faktoren wie das BIP, die Ölproduktion, die Devisenreserven, die Währungsstabilität und die Kosten für Lebensmittel – Faktoren, die sich direkt auf das Wohlergehen der gesamten Bevölkerung auswirken – als Maßstab für den „Erfolg“ der Sanktionen.
Der Kongressabgeordnete Jim McGovern, ein Kritiker vieler US-Sanktionen, bemerkte einmal:
„Wirtschaftlicher Schmerz ist das Mittel, mit dem die Sanktionen wirken sollen.“
Aber es gibt einen Grund dafür, dass nur wenige zugeben wollen, wie die Sanktionen in Wirklichkeit funktionieren: weil dies ein Eingeständnis wäre, gegen internationales Recht zu verstoßen.
Wie Dutzende von juristischen Organisationen und mehr als 200 Anwälte im vergangenen Jahr in einem Brief geschrieben haben, stellt die gezielte Bestrafung von Zivilisten durch Sanktionen eine kollektive Bestrafung dar, die gegen das humanitäre Völkerrecht und die UN-Charta verstößt.
Die schwersten Sanktionen gegen Syrien werden nach und nach aufgehoben. Das ist eine gute Nachricht.
Aber die Begründungen für ihre Aufhebung sind Eingeständnisse dessen, was Kritiker aus der Zivilgesellschaft und Forscher seit Langem vorbringen: Sanktionen töten dieselben Menschen, die ihre Befürworter angeblich schützen wollen. Syrien dient zwar als Fallstudie, aber das gilt überall dort, wo es umfassende Wirtschaftssanktionen gibt, von Kuba über Venezuela bis zum Iran.
Wenn Sanktionen vom Leiden der Zivilbevölkerung abhängen, um zu funktionieren, sind sie kein diplomatisches Instrument – sie sind eine Waffe der wirtschaftlichen Kriegsführung. Es ist längst an der Zeit, sie als solche zu behandeln.
Übersetzung: Marta Andujo
Über die Autoren: Michael Galant und Eleonora Piergallini sind Mitarbeiter des Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington. Selbstverständnis: „Faktenbasierte, datengestützte Forschung und Analyse, um die demokratische Debatte über wichtige Themen, die das Leben der Menschen beeinflussen, voranzubringen.“
Der Beitrag ist zuerst auf Englisch bei Responsible Statecraft erschienen.
Titelbild: Shutterstock / Novikov Aleksey