In Syrien werden wieder Fahnen geschwenkt. Freudenschüsse hallen durch die Städte – tanzende Menschen lachen in die Kameras internationaler Medien, schwenken Fahnen und klatschen in die Hände. Mehr als zehn Jahre haben die Syrer darauf gewartet, dass die Sanktionen gegen ihr Land aufgehoben werden, und nun ist es endlich so weit. Von Karin Leukefeld.
Außenpolitik à la Trump
US-Präsident Donald Trump hat bei einem Besuch in Saudi-Arabien zugesagt, dass das sogenannte „Caesar-Gesetz“ aufgehoben werde soll, das – zusammen mit den einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen der Europäischen Union – Syrien und seiner Ökonomie die Luft abgeschnürt hat. Der saudische Kronprinz Mohamed Bin Salman und auch der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan hätten ihn darum gebeten, erklärte Trump in der saudischen Hauptstadt Riad am 13. Mai. Syrien habe eine Chance verdient, die US-Sanktionen – über das „Caesar-Gesetz“ hinaus seit 49 Jahren in Kraft – würden aufgehoben.
Kurz vor seiner Abreise aus Riad (in das Golfemirat Katar) traf sich der US-Präsident im Beisein des saudischen Kronprinzen Mohamed Bin Salman und einem Dolmetscher mit Ahmed al-Sharaa, dem Interims-„Präsidenten“, der nach dem Sturz von Bashar al-Assad Anfang Dezember 2024 die Macht übernahm. Bei einem Treffen mit Unternehmern in Katar am nächsten Tag zeigte Trump sich von dem Mann beeindruckt, wie der US-Nachrichtensender CNN berichtete:
„Ich habe den neuen Führer von Syrien getroffen. Er hat eine starke Vergangenheit. Ich denke, er wird großartig sein, und wir werden sehen. Er ist ein starker Mann und ich denke, er ist gut, warten wir ab, was passiert. Wir werden ihm eine Chance geben, indem wir die Sanktionen aufheben.“
Am Rande des NATO-Außenministertreffens in Antalya traf US-Außenminister Marco Rubio am Donnerstag mit dem syrischen Interims-„Außenminister“ Asaad al Shaibani zusammen, und beide stellten sich mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan vor den internationalen Kameras auf. Rubio und Al Shaibani hätten darüber gesprochen, wie die US-Sanktionen im Detail aufgehoben werden sollten, berichteten Medien.
Beide stimmten überein, dass Damaskus und Washington die Beziehung stärken und eine strategische Partnerschaft aufbauen sollten.
Für alle Beteiligten schien vergessen, dass sowohl Al Sharaa als auch Al Shaibani eine dschihadistische Vergangenheit in Syrien in der Nusra-Front, der Al-Qaida-Vertretung in Syrien, haben. Sie und ihre Organisationen, einschließlich Hay’at Tahrir al-Sham – die Allianz zur Befreiung der Levante –, stehen auf internationalen Terrorlisten und unter Sanktionen. Das Gleiche gilt für andere Mitglieder der Interims-„Regierung“. Weder Al Sharaa noch ein anderes Mitglied der Interims-„Regierung“ wurde in einem demokratischen Wahlprozess gewählt.
Große Erwartungen
Das syrische Pfund (SYP) machte einen enormen Sprung und stieg gegenüber dem US-Dollar um 27 Prozent von 12.500 auf 8.000 SYP an. Vor der syrischen Zentralbank bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die Geld abheben wollten.
Die Erwartungen sind groß, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung vermutlich nur wenig darüber weiß, dass der Prozess zur Aufhebung der Sanktionen eine lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Die „Caesar-Sanktionen“ sind ein US-Gesetz, das aufgehoben werden muss. Bis es dazu kommt, durchläuft ein entsprechender Antrag eine Reihe bürokratischer Debatten und Entscheidungen. Schließlich muss die Entscheidung an internationale Banken und Finanzeinrichtungen übermittelt werden, die wiederum Klauseln, die Geschäfte und Investitionen mit Syrien verbieten, aufheben müssen.
„Die Menschen denken, wenn Donald Trump sagt, die Sanktionen werden aufgehoben, leben wir am nächsten Tag im Schlaraffenland. Sie denken, Geldscheine hängen an den Bäumen und jeder wird sofort wieder Arbeit finden und kann Geld verdienen“, seufzt JB in einem Telefongespräch mit der Autorin. Sein Neffe sei 21 und habe ihn gefragt, was denn die Aufhebung der US-Sanktionen nun bedeute. „Ich habe ihm gesagt, dass uns früher alles genommen wurde, ohne dass wir zugestimmt haben. Zukünftig wird man uns alles abnehmen mit unserer Erlaubnis.“ Er hoffe nur, dass wenigstens etwas für sie, für die einfachen Leute, übrig gelassen werde: „Wenn Assad uns früher zehn Prozent gelassen hat, wäre ich schon zufrieden, die neuen Machthaber werden uns 15 Prozent lassen.“
Arabische Golfstaaten
In den arabischen Golfstaaten wurde die Ankündigung des US-Präsidenten, die Sanktionen aufzuheben, mit Genugtuung aufgenommen. Anwesende des US-amerikanisch-saudischen Investment-Forums in Riad, wo Trump sprach, quittierten die Ansage mit Freudenrufen, wie Beobachter berichteten.
Der katarische Ministerpräsident Sheikh Mohammed bin Abdulrahman bin Jassim Al-Thani sagte gegenüber CNN, die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben sei „ein Schritt in die richtige Richtung“.
Das Außenministerium der Vereinigten Arabischen Emirate teilte mit, man unterstütze Saudi-Arabien und Syrien und hoffe, dass die Ankündigung der US-Administration zu einer „Erholung der Wirtschaft“ beitragen, Entwicklung fördern und Syrien „Stabilität bringen“ werde. Die Vereinigten Arabischen Emirate bekräftigten ihre Entschlossenheit, „Sicherheit und Wachstum für Syrien“ zu unterstützen.
Seit Jahren, spätestens aber nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023, bemühen sich die arabischen Golfstaaten um die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien, weil sie mit Investitionen im Wiederaufbau im Wohn- und Industriebereich und bei der Förderung (Ausbeutung) der wichtigen Rohstoffe Syriens viel Geld verdienen können.
Doch sowohl die Europäische Union als auch die USA waren nicht bereit, ihre einseitigen Strafmaßnahmen gegen Syrien aufzuheben, solange Bashar al Assad im Präsidentenpalast war. Das änderte sich nicht nach dem Erdbeben. Lockerungen, die damals versprochen wurden, machten sich im Alltag bei der Bevölkerung und bei der Arbeit von Hilfsorganisationen nicht bemerkbar. Nun ist Bashar al-Assad fort, und der Westen ist einen Pakt mit den als Terroristen gelisteten Gründern der Nusra-Front, al-Qaida in Syrien und Hay’at Tahrir al Sham eingegangen. Die Türkei und die arabischen Golfstaaten kooperieren mit diesen seit Beginn des syrischen Krieges.
Nach Angaben der Weltbank (WB) ist die syrische Wirtschaft aufgrund von Krieg und Sanktionen zwischen 2011 und 2023 um 85 Prozent geschrumpft. Die Kosten des Wiederaufbaus werden auf bis zu 400 Milliarden US-Dollar geschätzt. Nach UN-Angaben leben mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Armut. Vor dem Krieg, 2010, war Syrien von der Weltbank als fünftstärkste Ökonomie der arabischen Staaten eingestuft worden.
Israel außen vor
Was für die arabischen Golfstaaten in Syrien ein großer Gewinn werden dürfte, ist für Israel wie ein Schlag ins Gesicht, analysiert man im benachbarten Libanon.
Trump habe die Politik im Mittleren Osten um 180 Grad gewendet und agiere direkt gegen die Forderungen Israels, die Sanktionen gegen Syrien aufrechtzuerhalten. Es gebe einen sehr persönlichen Konflikt zwischen Trump und Netanjahu, analysiert der langjährige Kriegsberichterstatter Mohammad Ballout im Gespräch mit der Autorin. Netanjahu habe direkte Kontakte zu politischen Kreisen des „tiefen Staates“ in den USA, mit denen Israel häufig an der offiziellen US-Administration vorbei agiert habe. Das Verhältnis zwischen Barack Obama und Benjamin Netanjahu sei so schlecht gewesen, dass Netanjahu lange keinen Termin im Weißen Haus erhielt. Während Obama ein Abkommen mit dem Iran über dessen Atomprogramm abschließen wollte, warb Netanjahu für Krieg gegen den Iran. Schließlich gelang es Netanjahu (2015), am Weißen Haus vorbei auf Einladung des Kongresses nach Washington zu kommen. Seine Rede dort wurde mit Standing Ovations quittiert.
Donald Trump wiederum musste kürzlich feststellen, dass der von ihm mit dem Posten des Nationalen Sicherheitsberaters betraute Mike Waltz mit Benjamin Netanjahu geheime Vereinbarungen über einen Krieg gegen Iran getroffen hatte. Trump zog Waltz von dem Posten ab und schickte ihn als UN-Botschafter der USA in den UN-Sicherheitsrat. Seitdem herrscht weitgehend Funkstille zwischen Netanjahu und Trump.
In Syrien will Trump die US-Truppen reduzieren, während Netanjahu die immensen Waffenlieferungen der USA (und Deutschlands) für die Eröffnung immer neuer Fronten in der Region einsetzt. Unmittelbar nach dem Umbruch in Syrien Anfang Dezember 2023 bombardierte Israel Hunderte Mal militärische Anlagen und Stellungen in Syrien und zerstörte die gesamte syrische Verteidigungsstruktur. Israelische Truppen überquerten die von einer UN-Mission kontrollierte Pufferzone auf den syrischen Golanhöhen und nahm Stellung entlang der Grenze vom Hermon Gebirge im Norden bis zum Fluss Yarmuk im Süden. Israel errichtete Militärbasen, besetzte Ortschaften und bot sich den Kurden im Nordosten und den Drusen im Süden Syriens als militärische Schutzmacht an. Netanjahu forderte, den gesamten Süden des Landes zu entmilitarisieren.
Dabei bringt sich Israel in direkte Konkurrenz zur Türkei, die ihren Einfluss in Syrien ebenfalls ausdehnen will. Die Stadt Aleppo hat die Türkei weitgehend unter eigene Kontrolle gebracht. Der Versuch, Militärbasen im Zentrum des Landes in der Provinz Homs zu errichten, wurde von Israel mit Luftangriffen verhindert. Die USA vermittelte zwei Gesprächsrunden zwischen der Türkei und Israel – beides enge Partner der USA – in der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer. Ein Ergebnis gab es nicht.
Bei seiner Reise durch die reichen arabischen Golfstaaten ist ein Abstecher von Trump nach Israel (derzeit) nicht eingeplant. Mit der Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien kommt Trump den arabischen Golfstaaten und deren geopolitischen Zielen weit entgegen. Mit den immensen finanziellen Investitions- und Kaufvereinbarungen (von US-Rüstung) haben die arabischen Golfstaaten sich ihren Einfluss in Syrien geradezu erkauft. Trump seinerseits überläßt ihnen im Gegenzug die Kontrolle über Syrien.
Al Sharaa in Bedrängnis
Ob Interims-„Präsident“ Al Sharaa die Chance nutzen kann, bleibt fraglich. In einer Rede an das „großartige syrische Volk“ lobte er den Mut der US-Administration. Die „historische Entscheidung“ werde das Leid des Volkes lindern, dem Land zu Fortschritt verhelfen und Sicherheit für die Region bringen, berichtete die syrische Nachrichtenagentur SANA.
Zwar hat Al Sharaa – mit Hilfe der arabischen Golfstaaten und der Türkei – die Aufhebung der US-Sanktionen erreicht, doch innenpolitisch bleibt seine Position weiter schwach. Er konnte weder den Konflikt mit den Alawiten noch mit den Drusen entspannen, die extremen dschihadistischen und salafistischen Kräfte in der Allianz zur Befreiung Syriens (HTS) waren sowohl an den Massakern im Küstengebiet an den Alawiten als auch an den Morden von Drusen in Sweida, Jaramana und Sehnaya beteiligt. Videoaufnahmen zeigen Kämpfer der Allgemeinen Sicherheit (HTS) mit Abzeichen des IS an ihren Uniformen, die mit dem Schlachtruf „Sunniten, Sunniten, nieder mit den Alawiten“ durch Sehnaya ziehen.
Wirtschaftliche Erholung könnte die Kämpfer möglicherweise auf andere Gedanken bringen, doch wird ein spürbarer Fortschritt noch lange auf sich warten lassen. Die anhaltend schlechte Versorgungslage trägt nicht zu einer Versöhnung bei. Diese wird ohnehin nicht aktiv betrieben. Eine funktionierende Regierung und effektive Regierungsinstitutionen gibt es nicht. Die anhaltende Weigerung des neuen „Regimes“, mit allen Teilen der Gesellschaft zu kooperieren, verschärft gesellschaftliche Spannungen.
Titelbild: Shutterstock / max.ku
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