Der Knüppel gegen die Sowjetunion

Der Knüppel gegen die Sowjetunion

Der Knüppel gegen die Sowjetunion

Ein Artikel von Hartmut Sommerschuh

Der ersten Atombombentest und Trumans Befehl zum Abwurf auf Japan erfolgten nicht ohne Grund während der Potsdamer Konferenz. Von Hartmut Sommerschuh

Das Gleis für den gepanzerten Sonderzug war extra noch von Berlin bis Potsdam auf das sowjetische Spurmaß verbreitert worden. Zu tief saß in Stalin die Angst nach dem Flug zur Konferenz in Teheran Ende November 1943. Als die Maschine in Luftlöchern immer wieder absackte. Sein Geheimdienstchef Lawrentij P. Berija hatte deshalb für die 1923 km lange Strecke ab Moskau in der Operation „Palme“ eine sichere Bahnfahrt organisieren lassen. Mit Salon-, Schlaf- und Garagenwagen, begleitenden Panzerzügen und Wachmannschaften entlang der ganzen Strecke.

Auf Marschall Schukows Vorschlag hin war die in Berlin geplante Konferenz wegen der Zerstörungen nach Potsdam verlagert wurden. Ins Schloss Cecilienhof. Die Quartiere ins unversehrte Babelsberger Villenviertel am Griebnitzsee. Vorzubereiten hatte alles die sowjetische Seite, auch Häuser für die Delegationen zu beschlagnahmen.

Als Stalin am 17. Juli 1945 gegen 11 Uhr, zwei Tage zu spät, ganz entspannt, ankam und in einem der mitgebrachten Autos durch Babelsberg fuhr, wartete Harry S. Truman in seiner Villa. Am Vortag hatte er nicht nur eine Tour zum zerstörten Reichstag gemacht. Abends zeigte ihm sein Kriegsminister Henry S. Stimson ein erfreuliches Telegramm; „Heute morgen operiert [..] Resultate ..übertreffen Erwartungen.“

Bei einem Test in der Wüste von New Mexico war am Morgen die erste amerikanische Atombombe erfolgreich explodiert. Wegen Mangel an reinem Uran 235 mit Plutonium. Konventioneller Sprengstoff, elektrisch gezündet, hatte durch den Druck seiner Explosion eine Kettenreaktion ausgelöst. Keiner der Wissenschaftler um den leitenden Physiker Robert Oppenheimer hatte vorher eine Vorstellung davon, was wirklich passiert.

Als Stalin um 12 Uhr wie vereinbart im „Haus Erlenkamp“ („Little White House) bei Truman durch die Tür trat, ließ der nichts davon ahnen. Sie schüttelten freundlich die Hände, aßen zu Mittag, machten Fotos im Hof. Dann bezog Stalin sein Quartier am anderen Ende der Straße. Nachmittags, bei der ersten Plenarsitzung in Cecilienhof, besprachen sie die künftige Tagesordnung, die Situation in China. Stalin erklärte, dass er ab 15. August in den Krieg gegen Japan eintreten will. Dafür auch Truppen aus dem Berliner Raum losschickt.

Diese „Verwicklung“ und eventuelle Gebietsaufteilungen in Asien mit den Russen wollte Truman ganz und gar nicht. Er hoffte auf einen alleinigen Sieg über Japan mit der neuen Bombe. Sah in ihr auch einen großen Trumpf gegenüber Stalin, aber sagte immer noch kein Wort über den erfolgreichen Test.

Nach der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Strassmann Ende 1938 war in den USA zunächst nur schleppend an einer militärischen Nutzung geforscht worden. Doch am 2. August 1939 hatte Albert Einstein den amerikanischen Präsidenten Roosevelt in einem Brief vor einer möglichen deutschen Atombombe gewarnt.

Unter der Tarnbezeichnung „Manhattan Engineer District“ begann ab 1941 ein riesiges militärisches Atomforschungsprojekt, für das bis 1945 150.000 Menschen arbeiteten. Die militärische Leitung hatte General Leslie R. Groves, die wissenschaftliche der Physiker J. Robert Oppenheimer. Experten aus Europa, wie Niels Bohr oder der wegen seiner jüdischen Frau früh in die USA emigrierte italienische Kernphysiker Enrico Fermi, trugen sehr zum Erfolg bei.

In Deutschland hatte sich im Frühjahr 1939 nicht nur der Uranverein für eine friedliche Nutzung gegründet, sondern tatsächlich auch das Oberkommando des Heeres zu einem Forschungsprogramm entschlossen. Angestachelt vom Hamburger Forscher Paul Harteck und Kollegen, die von einem völlig neuen starken Sprengstoff sprachen.

Die Werksleitung der „Auerwerke“ in Oranienburg ließ für dieses „Uranprojekt“ sofort unter ihrem Forschungsleiter Nikolaus Riehl eine Produktionsanlage für Uranoxid, später auch für das Schmelzen von metallischem Uran, bauen. Schon Ende 1940 standen 240 Kilogramm in hochreiner Form für Versuche bereit.

Zum Forschungsverbund gehörten die Kaiser-Wilhelm-Institute, Siemens, AEG und die Reichspost. An verschiedenen Orten entstanden primitive Versuchsreaktoren. In Gottow südlich von Berlin unter dem Kernphysiker Kurt Diebner, in Berlin-Dahlem unter Werner Heisenberg und im Institut für Physikalische Chemie der Uni Hamburg unter Paul Harteck.

Am Potsdamer Konferenzort überlegte Präsident Harry S. Truman, wann er Stalin von der erfolgreichen ungeheuren Explosion erzählt. Ihr Lichtblitz, ihr 12 Kilometer hoher Pilz und ihre Detonationswucht hatten alle theoretischen Überlegungen um ein Vielfaches übertroffen.

Doch Truman wollte sich erst mit Winston Churchill beraten. Bis zum Tod von Präsident Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 war er als Vizepräsident aus der Kriegsplanung weitgehend herausgehalten worden, hatte nichts über das streng geheime „Manhattan-Projekt“ zur Entwicklung der ersten Atombombe erfahren. Musste nun aber plötzlich entscheiden. Bis zum längst geplanten Abwurf einer Bombe auf Japan waren es nur noch wenige Wochen.

Bereits am 28. Mai hatte der „Zielausschuss“ zum dritten und letzten Mal getagt und je nach Wetterlage Kyoto, Hiroshima, Kokura und Niigata als Ziele ausgewählt. Die Flugzeuge waren umgebaut, aus dem Luftkrieg über Deutschland erfahrene Piloten hatten erfolgreiche Trainingsflüge absolviert.

Ein Angriff mit Soldaten auf die Inseln Japans, das nicht kapitulieren wollte, hätte noch einmal tausende Opfer gekostet. Truman war entschlossen, die Bombe einzusetzen. Und er hoffte, damit auch „die Russen gefügiger zu machen“.

Wenn die Bombe explodiert, was ich denke , geschehen wird, so werde ich zweifellos einen Knüppel gegen diese Burschen haben.“

Das Villenviertel in Babelsberg war für die drei Delegationen mit Schlagbäumen in Sektoren eingeteilt. Man besuchte sich gegenseitig. Am 18. Juli traf sich Truman allein mit Churchill zum Mittagessen. Er erzählte ihm vom erfolgreichen Versuch in der Wüste von New Mexico und notierte abends in sein Tagebuch:

„Wir beschlossen, Stalin davon zu erzählen. […] Ich glaube, die Japaner werden aufgeben, bevor Russland eingreift. Ich bin sicher, dass sie es tun werden, wenn Manhattan [die Bombe] über ihrem Heimatland erscheint. Ich werde Stalin zu gegebener Zeit darüber informieren.“

Am 24. Juli abends war es dann so weit. Beiläufig erzählte Truman Stalin, dass ihnen eine gewaltige Explosion gelungen sei. Doch entspannt, wie Stalin auf dem Potsdamer Bahnhof ausgestiegen war, reagierte er darauf, spielte den Gleichgültigen. Truman schrieb ins Tagebuch:

Der russische Premier zeigte kein besonderes Interesse. Er sagte nur, dass er darüber erfreut sei und hoffe, dass wir guten Gebrauch davon im Kampf gegen die Japaner machen würden.“

Am folgenden Tag, dem 25. Juli, ordnete Truman von seiner Villa aus die schnellstmögliche Bereitstellung der Atomwaffen für den Einsatz über Japan an. Die erste „Spezialbombe“ sollte bis zum 3. August vorbereitet werden. Danach auch die zweite abgeworfen werden. Allerdings überließ er dafür dem im Pazifik zuständigen Generalstab der U.S. Strategic Air Forces unter Oberbefehlshaber General Carl A. Spaatz den endgültigen Einsatzbefehl und die Zielauswahl.

Schon in den ersten Konferenztagen hatte Stalin, den Truman als „verdammt schlau“ beschrieb, gesagt, „er wolle im Frieden mit den USA zusammenarbeiten, so wie wir im Krieg zusammengearbeitet hätten, aber es wäre schwieriger.“

Der Grund lag auf der Hand, das Drängen der USA nach Vorherrschaft.

Längst wusste Stalin vom amerikanischen Atomprojekt, von den ALSOS-Agenten, die auf Befehl Leslie Groves nach der Landung in der Normandie deutsche Wissenschaftler aufspürten, nach Uranerz-Vorräten suchten. Und er wusste, warum die 6. US Air Force am 15. März 1945 die Uran produzierenden Auerwerke in Oranienburg zerstört hatten, kurz bevor die Rote Armee eintraf. Längst war ein Wettlauf eröffnet, der zum wichtigsten Teil des Kalten Krieges wurde.

Nach diesem Luft-Angriff auf eine Stadt, die im längst vereinbarten sowjetischen Sektor lag, hatte Geheimdienstchef Berija wichtige Kernphysiker in Militäruniformen nach Deutschland geschickt. Mit der einrückenden sowjetischen Armee fanden sie Mitte Mai in den Auerwerken noch Patente, Dokumente, Laborausrüstungen, dazu auch in Karga, Zechlin und Thüringen 330 Tonnen verschiedener Uranverbindungen und sieben Tonnen metallisches Uran.

Bereits seit dem 12. April hatten sich die Amerikaner heimlich in einer Blitzaktion aus Staßfurt, ebenso künftiges sowjetisches Gebiet, über 1.000 Tonnen dort lagerndes Uranerz geholt. Und Ende April in einem Bierkeller in Haigerloch, Baden-Württemberg, den Versuchsreaktor von Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker demontiert.

Zwei russischen Physikprofessoren mit dem Dienstgrad „Oberst“ gelang es wiederum, von den Amerikanern unbemerkt, auch den Oranienburger Forschungschef Nikolaus Riehl zu finden. Anfang Juni 1945 war er schon mit seiner Familie und 100 weiteren Wissenschaftlern, darunter auch Manfred von Ardenne, in die Sowjetunion gebracht worden.

Unter der Leitung von Nikolaus Riehl hatte 70 km südlich von Moskau im „Elektrostahl-Werk Nr. 12“ der Bau einer neuen Produktionsanlage für Uran begonnen. Gründe für Stalins Gelassenheit.

Die Potsdamer Konferenz endete am 2. August 1945. Inzwischen hatte nach der Wahlniederlage der Konservativen Partei Clement Attlee als neuer Premier Winston Churchill in Potsdam abgelöst. Im Abschlussprotokoll stand:

„Präsident Truman, Generalissimus Stalin und Premierminister Attlee verlassen diese Konferenz, […] mit der verstärkten Überzeugung, daß ihre Regierungen und Völker, zusammen mit anderen Vereinten Nationen, die Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens sichern werden.“

Am 6. August 1945 fiel die Uranbombe auf Hiroshima. Und am 9. August „Fat Man“, eine im Trinity-Test erprobte Plutoniumbombe, auf Nagasaki. Über 200.000 Menschen starben. Sofort oder in den Jahren danach.

Wenige Tage nach den Abwürfen bestellte Stalin alle Experten des staatlichen Verteidigungskomitees und der sowjetischen Atomforschung zu sich:

Hiroshima hat die Welt verändert. Das Gleichgewicht ist gestört. Baut die Bombe – sie wird eine große Gefahr von uns abwenden.“

Im Dezember 1946 wurde der experimentelle Atomreaktor F1 am Stadtrand von Moskau zum ersten Mal „kritisch“, am 29. August 1949 die erste sowjetische Atombombe gezündet.

ENDE

Zum Autor: Hartmut Sommerschuh lebt als Autor in Potsdam. Von November 1989 bis 2016 war er verantwortlicher Redakteur der Umweltsendereihe OZON im Fernsehen der DDR, von ORB und RBB.

Titelbild: Alones / Shutterstock

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!