Die mexikanische Revolution ringt mit ihren Grenzen

Die mexikanische Revolution ringt mit ihren Grenzen

Die mexikanische Revolution ringt mit ihren Grenzen

Ein Artikel von amerika21

Die Regierungspartei Morena „regiert für das Volk, aber nicht mit dem Volk”. Licht und Schatten der Regierungen der vierten Transformation. Präsidentin Claudia Sheinbaum vertieft den sozial-liberalen Ansatz – aber die Kluft zwischen der Elite und der hispanisch-indigenen Mehrheit bleibt intakt. Von Eduardo J. Vior.

Zeitgleich mit der Ankunft des neuen US-Botschafters in Mexiko und im Vorfeld des bevorstehenden Besuchs des US-Außenministers Marco Rubio warfen die geringe Beteiligung an den ersten Direktwahlen zur Besetzung der Hälfte des Justizapparats am 1. Juni sowie die Ermordung von zwei engen Vertrauten der Regierungschefin von Mexiko-Stadt am 20. Mai einen Schatten auf die Idylle, die die Regierung der vierten Transformation (4T) mit der Mehrheit der Bevölkerung erlebt.

Claudia Sheinbaum Pardo vertraut auf die Legitimität, die ihr die Allgegenwart des Staates verleiht, um Mexiko endgültig den Stempel des sozialen Liberalismus aufzudrücken. Doch die Kluft, die die intellektuelle, politische und wirtschaftliche Elite von den 70 Prozent der hispanisch-indigenen und katholischen Bevölkerung trennt, lässt sich nicht mit rationalen Maßnahmen überwinden. Es bedarf vielmehr eines Herzens, das der Elite fehlt.

Ximena Guzmán Cuevas, persönliche Sekretärin der Regierungschefin von Mexiko-Stadt, Clara Brugada, und José Muñoz Vega, Sicherheitsberater von Brugada, wurden am Dienstagmorgen, dem 20. Mai, auf der Straße Calzada de Tlalpán im Viertel Colonia Juárez ermordet. Vier Auftragskiller schossen aus nächster Nähe auf sie und flohen auf ihren Motorrädern in entgegengesetzter Fahrtrichtung.

Das Ereignis hatte sofort erhebliche internationale Auswirkungen. Einen Tag zuvor hatte der neue US-Botschafter Ronald Johnson Präsidentin Claudia Sheinbaum sein Beglaubigungsschreiben überreicht. Johnson war zuvor in El Salvador tätig gewesen, wo er die harte Anti-Kriminalitätspolitik von Präsident Nayib Bukele unterstützte. Kaum im Amt, musste er sich nun beeilen, die Ankunft seines Vorgesetzten, des Außenministers und nationalen Sicherheitsberaters des Weißen Hauses, Marco Rubio, vorzubereiten, der angekündigt hatte, in den darauffolgenden Wochen nach Mexiko zu reisen, um die bilaterale Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit und des Handels zu vertiefen.

Bei dieser Gelegenheit nutzte er seinen Auftritt prompt, um der Presse mitzuteilen, dass die Ermordung der beiden Hauptstadtbeamten zeige, dass in einigen Regionen Mexikos „das organisierte Verbrechen herrscht” und „politische Gewalt eine Realität ist”. Für diese Äußerungen erhielt er am Donnerstag, dem 22. Mai, eine scharfe Rüge von Präsidentin Sheinbaum in ihrer „Mañanera del Pueblo” – der morgendlichen Pressekonferenz.

Der Außenminister, von kubanischer Abstammung, tauschte innerhalb weniger Monate Überzeugungen gegen Macht ein: Er stellte seine Unterstützung für die Ukraine ein, um die Friedensinitiative von Donald Trump voranzutreiben. Ebenfalls in der dritten Maiwoche verlängerte er Chevron die Lizenz zur weiteren Förderung venezolanischen Öls. Dieser Pragmatismus prägt auch sein Verhältnis zu Mexiko: Er verspricht, ein verlässlicher Partner für die Aufrechterhaltung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens zu sein, fordert im Gegenzug aber Anstrengungen vom mexikanischen Staat gegen die Drogenkartelle und gegen die Verbindungen zwischen politischen Führungspersonen und dem organisierten Verbrechen.

Rubio ist sich mit dem US-Präsidenten einig, dass die USA den Krieg gegen den Drogenhandel gewinnen können, weniger jedoch darin, dass dazu eine militärische Intervention im Nachbarland notwendig sei. Der Minister setzt eher auf Zusammenarbeit, und aus seinem Umfeld wird auf die dauerhafte Entsendung von US-Agenten und Militärs nach Mexiko hingewiesen, um dort mit Zustimmung des Senats der Republik verschiedene gemeinsame Einsätze mit dem mexikanischen Verteidigungsministerium durchzuführen. Natürlich spielt die anhaltende Gewalt in Mexiko jenen in die Hände, die – wie Michael Anton, Direktor für Politikplanung im US-Außenministerium und wichtigster außenpolitischer Ideologe der Trump-Administration – eine einseitige militärische Intervention befürworten.

Diese Diskussionen innerhalb der US-Regierung beeinflussen wiederum den Kurs der mexikanischen Regierung, in der eher „zivil orientierte” Kreise aus der Zeit des Ex-Präsidenten Manuel López Obrador (Amlo) einen Großteil ihrer Macht und Einflusspositionen an das mexikanische Verteidigungsministerium abgetreten haben. Die Präsidentin balanciert zwischen beiden Lagern.

Seit 2018 vertreten beide Regierungen der Nationalen Regenerationsbewegung (Morena) konsequent die Auffassung, dass die Bekämpfung des Drogenhandels in der Verantwortung der Generalstaatsanwaltschaft (FGR), der Justiz und der Polizeikräfte liege, die zwar von den Streitkräften unterstützt, jedoch nicht ersetzt werden können.

Darüber hinaus, um die Justiz von mafiösen Strukturen zu säubern, verabschiedete López Obrador eine Justizreform, die die direkte Wahl von Richterinnen und Magistratinnen vorsieht. Diese fand am 1. Juni statt – doch nur 13 Prozent der Wahlberechtigten nahmen teil. Dies gab der Rechten Auftrieb, die Legitimität der neuen Justizbehörden, darunter einer Person indigener Herkunft, in Frage zu stellen.

Der sogenannte „Krieg gegen den Drogenhandel” (2006–2018) hat in der mexikanischen Gesellschaft zahlreiche, bis heute offene Wunden hinterlassen. Zwischen Dezember 2006 und Januar 2022 wurden zwischen 350.000 und 400.000 Menschen sowohl von Kartellen als auch von Polizei und Militär getötet. Der massive Einsatz der Streitkräfte gegen die Kartelle konnte zwar einige Banden zerschlagen, beendete jedoch nicht den Drogenhandel, der weiterhin durch die anhaltende und wachsende Nachfrage jenseits der Nordgrenze befeuert wird. Die Entscheidung für reine Repression wiederum hat staatliche Institutionen wie auch das Militär selbst zutiefst korrumpiert.

Derzeit konzentriert sich der Kampf gegen den Drogenhandel auf den Handel mit Fentanyl – einer hochgradig suchterzeugenden synthetischen Droge, die in den Großstädten der USA verheerende Schäden anrichtet. Als besonders wirksam im Kampf gegen dieses Übel hat sich die Zusammenarbeit mit China erwiesen, insbesondere bei der Kontrolle der Lieferungen von Vorläuferstoffen für die Herstellung nach Mexiko.

Seit Andrés Manuel López Obrador im Jahr 2018 das Präsidentenamt übernommen hat, hat sich der sicherheitspolitische Ansatz grundlegend gewandelt: Unter dem Motto „Umarmungen statt Schüsse” haben die Morena-Regierungen den Einsatz der Streitkräfte teilweise eingeschränkt, die Sicherheitsapparate bereinigt, der Einmischung nordamerikanischer Behörden auf mexikanischem Boden Grenzen gesetzt und sozialpolitischen Maßnahmen zur Wiedergutmachung in besonders gefährdeten Regionen und Bevölkerungsgruppen hohe Priorität eingeräumt. Vor allem haben sie die Korruption energisch bekämpft – ein Verdienst, das ihnen national wie international Anerkennung verschafft.

Das Drama der Verschwundenen bleibt jedoch weiterhin bestehen. Schätzungen zufolge sind seit 2006 mehr als 116.000 Menschen verschwunden. Gewalt, Auseinandersetzungen zwischen Kartellen und die Beteiligung der Sicherheitskräfte an Operationen gegen den Drogenhandel waren dabei ausschlaggebende Faktoren.

Als eine der Reaktionen der mexikanischen Gesellschaft auf die Gewalt hat sich die Bewegung Las Madres Buscadoras (Die suchenden Mütter) herausgebildet. Es handelt sich dabei um Aktivistinnen und Mütter, die nach ihren verschwundenen Kindern suchen und Gerechtigkeit für die gewaltsamen Verschleppungen im Land fordern. Die Bewegung hat landesweit an Stärke gewonnen und vereint heute zahlreiche Organisationen und Kollektive, die nach Wahrheit und Gerechtigkeit in Bezug auf die Verschwundenen streben.

Damit die mexikanische Gesellschaft die Folgen des „Kriegs gegen den Drogenhandel” nach und nach überwinden kann, verfolgt Morena eine Wiedergutmachungspolitik, die auf Transparenz, Gleichheit und der Durchsetzung des Prinzips der sozialen Gerechtigkeit beruht, verankert in der mexikanischen Verfassung von 1917, der ersten Sozialverfassung des 20. Jahrhunderts.

Morena definiert sich als politische Partei und Bewegung, die eine demokratische und friedliche Transformation Mexikos anstrebt – inspiriert vom mexikanischen Humanismus und dem Kampf für soziale Gerechtigkeit. Im Mittelpunkt stehen die Beteiligung der Bevölkerung und das Streben nach einem egalitären, inklusiven und souveränen Mexiko. In der Tradition der Unabhängigkeit von 1821, der Liberalen Reform von 1857 und der Verfassung von 1917 versteht sich Morena als deren Fortsetzung und bezeichnet den gegenwärtigen Reformprozess als „vierte Transformation” (4T).

Ihre Wirtschaftspolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie der Ernährungssouveränität und dem Schutz des Territoriums Vorrang einräumt und auf eine nachhaltige und gerechte bäuerliche Landwirtschaft setzt. Die Ergebnisse zeigen sich auf den Straßen der Hauptstadt: Überall finden sich Märkte und Straßenstände mit frischem Gemüse von hervorragender Qualität – ein Umstand, der die Ernährung der Bevölkerung spürbar verbessert hat.

Die Bundes-, Landes- und Kommunalregierungen von Morena sind bestrebt, einen Staat zu schaffen, der die Rechte vulnerabler Bevölkerungsgruppen schützt, darunter ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Indigene, Frauen und Kinder. In Mexiko ist die finanzielle Unterstützung für Menschen über 65 Jahren in der Verfassung verankert – eine Initiative von Andrés Manuel López Obrador. Claudia Sheinbaum schlug kürzlich vor, das Eintrittsalter für Frauen auf 60 Jahre zu senken. Anfang 2025 wurde die „Rente für das Wohlergehen älterer Menschen” an 12,3 Millionen Anspruchsberechtigte unabhängig von deren Einkommenssituation ausgezahlt. Die Unterstützung beträgt derzeit umgerechnet rund 300 US-Dollar im Zweimonatsrhythmus.

Die Sozialpolitik von Morena folgt einer progressiven Agenda, die soziale Gerechtigkeit und kollektives Wohlergehen anstrebt, mit besonderem Fokus auf den Rechten von Frauen, der LGBTQ+-Gemeinschaft und der indigenen Bevölkerung. Morena hat jedoch nicht auf Steuererhöhungen für Reiche gesetzt, um die soziale Ungleichheit zu verringern, sondern auf Sparmaßnahmen und die Bekämpfung der Korruption.

Jahrzehntelang behielt die damals regierende Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) die nahezu vollständige Kontrolle über die mexikanische Gesellschaft, indem sie sich deren soziale Organisationen einverleibte und für eigene Zwecke nutzbar machte. So waren das Militär, der Unternehmerverband und der Gewerkschaftsdachverband CGTM in die Regierungspartei selbst integriert. Als diese im Jahr 2000 von der Partei der Nationalen Aktion (Partido de Acción Nacional, PAN) abgelöst wurde, ersetzte eine technokratisch-unternehmerische Elite das bisherige Herrschaftsschema. Sie erwies sich jedoch rasch als unfähig, das Land zu regieren, und stürzte es in den „Krieg gegen den Drogenhandel”.

Heute lehnt Morena die kollektive Interessenvertretung ab und sucht stattdessen den direkten Kontakt zu den Menschen und vulnerablen Gruppen, ohne ihnen jedoch eine wirksame politische Teilhabe zu ermöglichen.

Diese Nuance der politischen Ausrichtung von Morena zeigt sich besonders deutlich im Verhältnis zur Gewerkschaftsbewegung. In Mexiko sind rund 3.347 Gewerkschaften registriert, die etwa zehn Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung vertreten. Diese Gewerkschaften – zum Teil nur betrieblich organisiert, also jeweils an ein bestimmtes Unternehmen gebunden – sind in vier große und mehrere kleinere Dachverbände gegliedert, einige sind keinem Verband angeschlossen. Da sich die Gewerkschaften ausschließlich über freiwillige Mitgliedsbeiträge finanzieren, verfügen sie über geringe operative Handlungsspielräume. Der Staat bezieht ihre Vertreter kaum in politische Entscheidungsprozesse ein, die ihre Tätigkeit betreffen, und reduziert ihre Rolle auf die Vertretung beruflicher Belange.

Dieser liberale Ansatz zur Lösung sozialer Probleme hat seine Kosten. Seit Mai 2024, noch während der Amtszeit von AMLO, besteht ein Konflikt zwischen dem Staat und der Coordinadora Nacional de Trabajadores de la Educación (CNTE), der größten gewerkschaftlichen Föderation, die Lehrerinnen und Lehrer im ganzen Land vertritt. Diese Föderation, die sich laut Eigendefinition ihrer Führung mehrheitlich als „linke Volksbewegung” versteht, verfolgt eine bedeutende Forderungsplattform im Rahmen einer radikaldemokratischen Strategie, die Wahlen lediglich als eines von vielen Mitteln betrachtet, mit denen die Bevölkerung eine neue Form basisorientierter und partizipativer Demokratie aufbauen kann.

Diese unterschiedlichen Auffassungen über die Führung von Morena haben den Konflikt verlängert, ihn für die Mehrheit der Bevölkerung kaum nachvollziehbar gemacht und dem ohnehin bereits durch seine geringe Qualität belasteten öffentlichen Schulsystem erheblichen Schaden zugefügt.

Eine am 12. Mai veröffentlichte Meinungsumfrage ergab, dass die Regierung von Claudia Sheinbaum siebeneinhalb Monate nach ihrem Amtsantritt auf eine Zustimmungsrate von 76 Prozent kommt. Die Befragten schätzen ihre transparente, nahbare und engagierte Haltung gegenüber den Problemen der Bevölkerung.

Die Regierung von Morena kann eine beeindruckende Bilanz an Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung vorweisen – ohne ihr jedoch eine andere Rolle einzuräumen als die an der Wahlurne oder gelegentlich bei Aufrufen zur Unterstützung auf dem Zócalo, dem zentralen Platz der Hauptstadt. Dieser Elitismus wurde besonders im Zusammenhang mit der Justizreform deutlich. Morena regiert für das Volk, aber nicht mit dem Volk.

Mitten in einer Gewaltwelle, die kaum nachgelassen hat, verstärkt die katholische Kirche ihre Bemühungen um den Wiederaufbau des Friedens. Im Rahmen des Nationalen Dialogs für den Frieden und mehr als 300 Initiativen im ganzen Land engagieren sich Bischöfe, Priester und Laien in der Ausbildung von Mediatoren, der psychosozialen Betreuung und der Begleitung von Opfern. Dabei gehen sie Risiken ein und setzen auf Hoffnung, obwohl, wie die Kirchenvertreter selbst betonen, „mit dem organisierten Verbrechen kein Dialog möglich ist”.

In Mexiko bezeichnen sich laut offiziellen Daten aus dem Jahr 2020 rund 77,7 Prozent der Bevölkerung als katholisch. Im Vergleich zur Volkszählung von 2010 ist das ein Rückgang um fünf Prozent. 8,1 Prozent der Befragten gaben an, agnostisch zu sein.

Die große Mehrheit der 98 Millionen Katholiken gehört laut soziologischen Erhebungen einer „benachteiligten sozialen Schicht” an und gilt als „äußerst fromme Gemeinde”. Für ausländische Besucher, die das Land mit wachem Blick bereisen, ist die Allgegenwart volkstümlicher Glaubensformen überwältigend. Montagmorgens um 11 Uhr an der Basilika von Guadalupe im Norden der Hauptstadt: Meine Frau und ich wollten das Heiligtum besuchen und dachten, ein Montagvormittag sei ein ruhiger Moment dafür. Wie sehr wir uns geirrt hatten!

Die neue Basilika, die 1976 neben der alten eingeweiht wurde – deren Stabilität durch wiederholte Erdbeben gefährdet ist – hat eine halbkreisförmige Architektur und einen in Abschnitte unterteilten Vorhof. Als wir dort waren, waren drei der vier Abschnitte von Gläubigen gefüllt, die an einer der Messen teilnahmen, die dort tatsächlich stündlich gefeiert werden!

Am Ende verabschiedete der Priester die Gemeinde mit den Rufen: „Es lebe die Jungfrau von Guadalupe!”, „Es lebe Christus, der König!” (dreimal) und „Es lebe Mexiko!” Für alle, die sich ein wenig mit Geschichte auskennen, waren die Anklänge an die Cristero-Bewegung aus Jalisco unübersehbar – jenen katholischen Aufstand, der sich zwischen 1926 und 1929 gegen die säkularen Reformen der postrevolutionären Regierung richtete.

Wenn man nur durch das Landeszentrum reist, begegnen einem überall Feste, Prozessionen, Feiern und religiöse Andachten. Der Katholizismus des mexikanischen Volkes ist allgegenwärtig und tief in Tradition und Geschichte verwurzelt.

Nach der demografischen Katastrophe durch Pest und Epidemien nach der Eroberung ab 1521, bei der Mexiko fast 90 Prozent seiner 20 Millionen Einwohner verlor, wurde das Vizekönigreich Neuspanien als Zentrum der spanischen Macht in Amerika neu aufgebaut. Sein Gold und Silber gelangten nach Manila auf den Philippinen, wo sie gegen Waren aus China – damals das Zentrum der Welt – getauscht wurden. Diese Produkte wurden nach Acapulco transportiert, durchquerten das Land bis Veracruz und wurden von dort nach Spanien verschifft. Im Laufe des 17. Jahrhunderts verlor Spanien jedoch die Kontrolle über den Atlantik an Engländer, Holländer und Franzosen, und viele Jahre lang legte die Flotte weder ab noch kam an. So blieben die chinesischen Produkte in Mexiko, wo sie von der Elite eifrig konsumiert wurden. Zu jener Zeit war Neuspanien bei Weitem reicher als die Metropole und zweifellos das Zentrum des spanischen Reiches.

So entstand eine zahlenmäßig große und komplexe hispanisch-indigene Gesellschaft, die auch die bourbonischen Reformen des 18. Jahrhunderts nicht zu zerschlagen vermochten. Diese Aufgabe übernahm ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Freimaurerei. Die liberalen Reformen ab 1857 und die Mexikanische Revolution ab 1910 richteten sich gegen die Konservativen, aber auch in großem Maße gegen die katholische Kirche. Seit der liberalen Reform von Benito Juárez gilt in Mexiko die strikte Trennung von Kirche und Staat; dieser ist rigoros säkular, konfessionelle Schulen werden streng überwacht, und an öffentlichen Universitäten ist der Unterricht religiöser Fächer untersagt.

Wie lassen sich die Widersprüche erklären zwischen den 76 Prozent Zustimmung für die Präsidentin, dem elitären und individualistischen Ansatz der liberalen Reformen der Morena-Regierung und dem militanten Katholizismus der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung? Es entsteht der Eindruck, dass die mexikanische Bevölkerung nach der Katastrophe des „Kriegs gegen den Drogenhandel” und angesichts der anhaltenden Gewalt den Regierungen der 4T einen Kredit des Vertrauens eingeräumt hat und dass sich diese bewusst sind, ihn zurückzahlen zu müssen. So erklärt sich die Rasanz, mit der sie Reformen in allen politischen Bereichen vorantreiben. Sie sind begierig darauf, die seit 1810 ausstehenden liberalen Versprechen umzusetzen. Dabei werden sie jedoch mit einem Berg von Schulden konfrontiert sein, die sich seit 1521 angehäuft haben.

Eduardo J. Vior analysiert politische Entwicklungen weltweit. Er wurde an der Universität Gießen in Sozialwissenschaften und an der brasilianischen Bundesuniversität von Paraná in Soziologie promoviert.

Übersetzung: Hans Weber, Amerika21.

Titelbild: Shutterstock / Yats