Auf dem Portal „Der Westen“ der Funke-Mediengruppe ist von einem „Blitz-Angriff“ Russlands die Rede – eine Propagandaanalyse

Auf dem Portal „Der Westen“ der Funke-Mediengruppe ist von einem „Blitz-Angriff“ Russlands die Rede – eine Propagandaanalyse

Auf dem Portal „Der Westen“ der Funke-Mediengruppe ist von einem „Blitz-Angriff“ Russlands die Rede – eine Propagandaanalyse

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Blitz-Angriff auf die EU? Insider schlagen Alarm“ und „Putin hat nur engen Zeitkorridor“ – mit dieser Schlagzeile tritt das Portal „Der Westen“ an seine Leserschaft heran. Ein Stück Propaganda in Reinform: Substanzlos, inhaltlich und journalistisch entkernt, aber dafür alarmistisch, manipulativ und propagandistisch kontaminiert. Eine Kurzanalyse. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Journalismus braucht Fakten. Je ungeheuerlicher der Vorwurf, je fester hat das journalistische Fundament zu sein. Wie wir alle wissen: Der Graben zwischen Anspruch und Realität ist im Journalismus unserer Zeit kaum noch zu überbrücken. Gerade was die „Berichterstattung“ zu Russland angeht, bleibt der Journalismus auf der Strecke. Die Stimmungsmache gegen Russland ist allgegenwärtig. Und nun ist da das Portal „Der Westen“, das zur Funke-Mediengruppe gehört – eine der größten Mediengruppen Deutschlands mit einem Jahresumsatz 2024 von über einer Milliarde Euro.

Dort ist im Ressort Politik ein „Beitrag“ unter folgender Überschrift erschienen: „Blitz-Angriff auf die EU? Insider schlagen Alarm: ‚Putin hat nur engen Zeitkorridor‘“

Es gilt, sich die Ungeheuerlichkeit dieser Schlagzeile vor Augen zu führen. Das hier als realistisch betrachtete Szenario wäre nichts anderes als der Beginn des 3. Weltkriegs. Ein „Blitz-Angriff“ (wir denken an: „Blitzkrieg“…) Russlands auf die EU? Also auf Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien?

Das wäre der realgewordene Kriegsalbtraum. Europa – wenn nicht weite Teile der Welt – würde aller Voraussicht nach bei einem heißen Krieg mit Russland in den Abgrund stürzen. „Blitz-Angriff“? Wie sollte ein solcher ablaufen? Bei der gewaltigen militärischen Kampfkraft, die die NATO-Staaten aufbringen können, liegt die Vermutung nahe, dass hier kein Angriff Russlands mit konventionellen Waffen gemeint sein kann. Es müsste um einen Nuklearangriff gehen. Ein atomarer „Enthauptungsschlag“?

Diese Überlegungen sind in Anbetracht der Schlagzeile angebracht. Anzumerken gilt: In den wenigen Zeilen, die unter der reißerischen Überschrift zu finden sind, erfolgt keinerlei Präzisierung, was an dieser Stelle konkret mit „Blitz-Angriff“ gemeint ist – womit wir beim Kern des Problems angelangt sind.

Hier ist die Rede davon, dass ein Angriff Russlands auf die EU – womöglich sogar Deutschland – im Raum steht. Dieser Angriff könnte als „Blitz-Angriff“, also auf eine besonders schnelle, das heißt hier: geradezu heimtückische Weise erfolgen. Blitzschnell, heimtückisch bedeutet: Wir, die Bevölkerung, drohen, von dem hinterhältigen Angriff überrascht zu werden. Und das kann bedeuten: Wehrlosigkeit, Tod, Leid. Mit anderen Worten: Die Überschrift erzeugt Angst.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stimmt der Aussagegehalt der Überschrift oder er stimmt nicht. Wenn er stimmt, dann hat der Journalismus zu „liefern“, das heißt: Er muss seine Überschrift auf ein tragfähiges Fundament stellen. Es braucht an dieser Stelle harte Fakten. Liefert ein Medium an dieser Stelle nichts Substanzielles, was die gewählte Überschrift stützt, ist das aus journalistischer Sicht verwerflich, ja: unverantwortlich. Denn: Diese Überschrift ist dazu geeignet, das friedliche Zusammenleben zwischen EU-Bürgern bzw. Deutschen und Russen zu zerstören. Wenn „Russland“ einen „Blitz-Angriff“ auf „uns“ plant, dann werden – logischerweise – Russen diesen Angriff ausführen. Das heißt: Unsere russischen Mitbürger hier, aber auch generell die Russen in ihrem Land, können oder gar müssten quasi als Feinde betrachtet werden.

Wir erkennen, was hier passiert: Die Überschrift schürt massiv Stimmung gegen ein Land und letztlich gegen eine Gruppe von Menschen – die Russen. Sie sät Misstrauen. Sie sät Angst. Sie ist destruktiv. Dass der Aussagegehalt der Überschrift etwas durch ein Fragezeichen abgeschwächt ist, ist kaum der Rede wert. Zwar braucht die journalistische Frage nicht so viel Substanz wie eine reine Aussage, aber: Auch die journalistische Frage kann nicht gänzlich ohne Substanz auskommen. Auch für sie gilt: Je weitreichender sie ist, umso fester muss ihre Grundlage sein.

Wo also ist nun die Substanz, die eine derartige Aussage samt ihrer Implikationen rechtfertigt? Unter der Überschrift des von Redakteur Marcel Görmann verfassten Beitrags ist Folgendes zu lesen:

Insider warnen eindringlich: Hat die NATO nicht mehr so viel Zeit für die Aufrüstung? Putin könnte es eilig haben mit einem Krieg.“

Hier nimmt der Redakteur, wie schon in der Überschrift, erneut Bezug auf „Insider“. Insider? Wer soll das sein? Insider – diese stammen woher? Aus dem Kreise der NATO? Der Bundesregierung? Der CIA? Und: Der Begriff wird hier in seiner Pluralform verwendet. Also mehrere Personen (Akteure?) „warnen“. Nun liegt die Verknappung und liegen Informationsdefizite in Überschriften oder dem Teaser in der Natur der Sache. Überschriften und Teaser sind kurz, prägnant – „informationelle Reibungsverluste“ sind normal. Das Informationsfeuerwerk ist von daher im Haupttext zu erwarten. Sie wissen schon: Namen, Daten, Fakten. Wer? Was? Wo? Wie? Wann? Kurzum: Journalismus eben.

Um es vorweg zu nehmen: Der Beitrag erfüllt die journalistischen Ansprüche nicht. Oder genauer: Unter dem „Beitrag“, der sich nicht einmal als Artikel bezeichnen lässt, folgen insgesamt fünf Zeilen. Das heißt: Wir sprechen hier allenfalls vom Umfang einer Meldung. Und trotzdem nimmt alleine die Überschrift auf dem Computerbildschirm fast den gesamten Raum ein. Ganz so, als ob ein Riesenartikel folgen würde. Beim Leser entsteht bei diesem Präsentationsmodus schnell der Eindruck, dass die Größe der Überschrift in gewisser Weise mit der „Größe“ der gelieferten Fakten im Einklang steht.

Dem ist nicht so. Werfen wir nochmal einen Blick auf den Teaser:

Hat die NATO nicht mehr so viel Zeit für die Aufrüstung? Putin könnte es eilig haben mit einem Krieg.“

Wie schon in der Überschrift taucht auch hier ein Fragezeichen auf. Der Redaktion möchte man sagen: Wie wäre es, wenn bei einem Thema mit einer solchen Reichweite keine Fragen gestellt, sondern Antworten gegeben würden? Ist das zu viel verlangt? An die Unbestimmtheit in der Frage knüpft dann auch der Konjunktiv in Form des Verbs „können“ an. Putin könnte es eilig haben – ja, Putin könnte aber auch auf der Toilette sitzen. So genau weiß man das offensichtlich nicht.

Nun zum Text:

Kommt es zum großen Krieg zwischen Russland und der NATO? Bislang ist man von einer ernsten Gefahr erst Ende dieses Jahrzehnts ausgegangen. Doch nun gibt es neue Warnungen. Putin hat aktuell militärisch die Nase vorne, die Europäer müssen sich erst für einen Krieg rüsten. Wird er diese Chance nutzen?

In den Zeilen fällt die Entsubjektivierung auf, das heißt: Weder tauchen hier nun namentlich „die Insider“ auf, noch andere Personen, die konkret mit ihrem Namen für bestimmte Aussagen einstehen. Das Vage, das Unbestimmte setzt sich fort. Da findet das Wörtchen „es“ Verwendung in der Frage, ob „es zum großen Krieg kommt“. Da erfährt der Leser, dass „es“ neue Warnungen gibt. Stephen Kings „ES“ – es scheint zu leben.

Da lässt der Verfasser das Indefinitpronomen „man“ – ja, wie soll man es sagen? – „sprechen“: „Bislang ist man von einer ernsten Gefahr ausgegangen“ – so, ist „man“ das? Wer ist denn hier „man“? Könnte „man“ journalistisch dieses Wörtchen „man“ bitte „einordnen“? Stehen hinter „man“ Interessen? Auch hier gilt es wohl zu sagen: „Man“ weiß es nicht.

Am Schluss des Beitrags findet sich erneut eine Frage: „Wird er (Putin) diese Chance nutzen?“ Wie wäre es, wenn man als Journalist mal bei Putin, im Kreml oder wenigstens bei der Russischen Botschaft in Deutschland nachfragen würde, anstatt angstschürende, manipulative Fragen zu verbreiten?

Unter der letzten Zeile des Beitrags folgt eine weitere Überschrift: Fotostrecke: Greift Putin früher an? „Die nächsten Jahre sind die gefährlichsten“.

Das ist etwas verwirrend. Der erste Eindruck vermittelt eher, dass hier nun ein neuer, eigener Beitrag erfolgt. Aber dieser Teil soll wohl Bestandteil des Beitrags sein. Als Leser hat man nun also auch noch die Bilderstrecke anzuklicken. Acht Bilder folgen. Die erste Abbildung ist ein Bild von Putin (wie immer: Ein ausgewähltes Bild, auf dem Putin wenig sympathisch blickt…). Der Text zu dem Bild lautet:

Bislang warnten Insider davor, dass Russland Ende dieses Jahrzehnts, also 2029, und nach Beendigung des Ukraine-Krieges, einen Angriff auf die EU-Staaten im Baltikum wagen könnte. Doch nun gibt es neue Prognosen. Haben Deutschland, die EU und die NATO gar nicht mehr so viel Zeit?

Noch immer erfolgt hier nichts Substanzielles. Stattdessen: Eine Wiederholung der Aussagen aus der Überschrift, des Teasers und des Grundtextes. Erinnert sei daran: Ein Grundelement der Propaganda ist die Wiederholung propagandistischer Botschaften, von Halbwahrheiten, Lügen, Verdrehungen usw.

Zu Bild 2. Dort ist Donald Tusk zu sehen, der Regierungschef Polens. Zu dem Bild heißt es:

Dabei bezieht sich Regierungschef Tusk auf eine Einschätzung des NATO-Oberbefehlshabers Alexus Grynkewich, der das ähnlich sieht.

Hier nun tauchen zum ersten Mal Namen auf. Sind damit nun „die Insider“ gemeint? „Man“ weiß es nicht. Jedenfalls: Auf die Einschätzungen des polnischen Ministerpräsidenten (wir alle kennen die Haltung der polnischen Regierung zu Russland …) und des NATO-Oberbefehlshabers einen journalistischen Beitrag dieser Art aufbauen? Ganz ohne Perspektivierung? Kritische Gegenstimmen? Das kann man machen. Das hat aber mit Journalismus nichts mehr zu tun.

Zu Bild 3. Wieder ist Tusk zu sehen:

So drängt Polens Ministerpräsident Donald Tusk zur Eile bei den militärischen Vorbereitungen. Schon bis 2027 soll sich der Westen auf einen großen Konflikt mit Russland wappnen. Diesen Zeitpunkt nannte der Politiker bei einer Bürgerversammlung, berichtet die Nachrichtenagentur.

All das ist bekannt. Nur: Wo ist das Substanzielle?

Zu Bild 4.

Auch der deutsche Militärexperte Sönke Neitzel drängt auf eine schnellere Aufrüstung der Bundeswehr. Im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ sagte Neitzel: „Die nächsten drei Jahre sind die gefährlichsten.“

Auch die Positionierung Neitzels ist öffentlich bekannt. Er gilt als Hardliner der Russlandpolitik. Gibt es nur diese Expertenmeinung? Oder gibt es auch noch andere Meinungen? Ja, die gibt es. In dem Beitrag von „Der Westen“ kommen sie nicht vor.

Auf den Bildern 5-8 folgen nochmal Neitzel, nochmal Putin, dann ein Bild von Xi Jinping zusammen mit Putin und schließlich Boris Pistorius. Um es abzukürzen: An keinem der Bildtexte findet sich Substanzielles.

Fazit: Dieser Beitrag darf als ein Stück Propaganda in Reinform betrachtet werden. Der ungeheuerliche Aussagegehalt der Überschrift wird nicht durch harte Fakten untermauert. Überschrift und Beitrag stimulieren Angst, sind manipulativ. Eine perspektivierende Einordnung durch Aussagen von Experten, die die Situation anders einschätzen oder fundamental widersprechen, ist nicht zu finden. Die propagandistischen Stilmittel der Wiederholung der inhaltlichen Unbestimmtheit manipulieren die Leserschaft und helfen dabei, das Feindbild Russland (Russen) aufzubauen.

Das Problem ist dabei gar nicht so sehr ein einzelner Beitrag. Das Problem: Beiträge, die ähnlich aufgezogen sind, gibt es zuhauf. Gerade hat der Stern einen Beitrag unter der Überschrift „Szenario: So könnte Russland Deutschland angreifen“ veröffentlicht. Eine Antwort – geschweige denn eine fundierte Antwort –, warum Russland überhaupt einen Krieg mit der NATO anfangen sollte, findet sich auch darin nicht.

Titelbild: Kastoluza / Shutterstock

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