Die Bundesregierung will der Wohnungskrise Paroli bieten, mit dem „Bau-Turbo“. Die Devise: Weg mit der Bürokratie, her mit dem Bagger! Allerdings setzt der die Schaufel genau da an, wo schon viel zu viel gebuddelt wurde – bei kleinteiligen, teuren Immobilien im urbanen Speckgürtel, wovon die breite Bevölkerung nichts hat. Massentaugliche, bezahlbare und ökologisch zukunftsweisende innerstädtische Projekte geraten damit noch weiter ins Hintertreffen. Das macht den Normalverdiener ärmer und freut den Vonovia-Boss. Von Ralf Wurzbacher.
Union und SPD wollen bauen, bauen und nochmal bauen. Das tut bitter not. Die Ampelregierung hat schließlich ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Von den geplant 400.000 neuen Wohnungen jährlich schaffte sie 2022 und 2023 jeweils knapp unter 300.000 und 2024 etwas mehr als 250.000. Setzen, sechs! Aber zum Nachsitzen ist jetzt die schwarz-rote Koalition verdonnert. Denn versagt auch sie, könnte es mit dem gesellschaftlichen Frieden im Land bald vorbei sein. Weil die Nachfrage nach und das Angebot an Wohnraum stetig auseinanderstreben, haben die Preise längst die Schmerzgrenze überschritten. Zum Beispiel muss ein Student in München für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft im Mittel 800 Euro pro Monat hinblättern, im bundesweiten Schnitt sind es 493 Euro.
Unter den Bedingungen chronischer Raumknappheit ist Wohnen längst zu einer sozialen Frage geworden. Immer mehr Menschen hausen im Elendsfünftel. Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands müssen 20 Prozent und nicht wie gemäß offizieller Lesart 15 Prozent der Bevölkerung als arm angesehen werden, da sich selbst Normalverdiener bei den verbreitet obszönen Mieten immer häufiger schlichtweg arm wohnen. Und dann gibt es noch diejenigen, die völlig raus sind. Ein vor zwei Wochen vorgelegter Statistikbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) beziffert die Obdachlosigkeit in Deutschland mit über 531.000, bei steigender Tendenz und hoher Dunkelziffer.
Krise wird verschärft
Was es also vor allem braucht, ist bezahlbarer Wohnraum für die Masse – vorneweg da, wo es am engsten zugeht, in größeren und Großstädten, Metropolen und Ballungsgebieten. Aber wofür und wo will die Regierung in naher Zukunft die Maurerkelle schwingen? Antwort: Auf der grünen Wiese und vornehmlich zwecks Errichtung kleinteiliger Immobilien wie Einfamilienhäusern. Das ist kein Witz! Sondern eine Gesetzesinitiative. Die heißt „Bau-Turbo“, soll noch im Herbst beschlossen werden und hat bereits die erste Lesung im Bundestag hinter sich. Am kommenden Mittwoch steigt zum Thema im Parlament eine Anhörung von Sachverständigen, von denen mindestens zwei reichlich Dampf ablassen werden: Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK), und Judith Nurmann von den Architects for Future Deutschland. Beide Organisationen sind Teil eines Viererbündnisses, dem noch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sowie der Paritätische Gesamtverband angehören und das schon einmal vor zehn Tagen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz auf den Putz gehauen hat. Überschrift der Veranstaltung: „Bau-Turbo droht Wohnungskrise zu verschärfen“.
Das klingt nicht gut und ist es auch nicht. Der „Bau-Turbo“ soll das Bauen beschleunigen, und zwar, in Relation zur üblichen Verfahrensdauer, auf Lichtgeschwindigkeit. Statt einer Planungszeit von durchschnittlich fünf Jahren sollen die Bagger nach zwei Monaten anrücken, verspricht Bundesbauministerin Verena Hubertz. Überhaupt ist das der Lieblingssatz der SPD-Politikerin: „Die Bagger müssen wieder rollen.“
Lobbyisten am Werk
Aber wo rollen sie denn hin? Wäre es wirklich nach ihr gegangen, dann wohl dahin, wo der Bedarf tatsächlich am größten ist, sprich in „Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt“. So stand es in ihrem ersten Gesetzentwurf. In der in die parlamentarische Beratung gegangenen Fassung ist diese Beschränkung aufgehoben und die Anwendbarkeit erweitert auf den sogenannten Außenbereich. Laut Ursprungsversion sollte die Wirkung des Regelwerks zudem auf Objekte mit „mindestens sechs Wohneinheiten“ begrenzt werden. Das Ziel: möglichst viele Menschen unterbringen. Auch dieser Passus fiel der Ressortabstimmung zum Opfer. Ergo könnten auf dieser Grundlage auch eifrig Einfamilienhäuser an Stadträndern und auf dem platten Land hingeklotzt werden. Und weil das für Immobilien- und Bauwirtschaft sehr lukrativ ist, droht auch genau das zu passieren, mit der Folge ungebremster Zersiedlung und Versiegelung. Welche Lobbyisten waren da wohl am Werk?
„Mit Bauen, Bauen, Bauen ohne Sinn“ sei der Welt nicht geholfen, hatte Barbara Metz, DUH-Bundesgeschäftsführerin, bei besagtem Pressetermin moniert. Massiver Neubau produziere enorme Mengen grauer Emissionen, jede zusätzliche Tonne verschärfe die Klimakrise. Kommunen brauchten deshalb „klare Vorgaben für Grünanteile, Entsiegelung, Hitzeschutz und wassersensible Maßnahmen, damit Städte lebenswert bleiben und nicht zu Hitzeinseln werden“. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, beklagte speziell die soziale Unwucht der Pläne. „Alle Geschwindigkeit nützt nichts, wenn in die falsche Richtung gefahren wird“, mahnte er. Statt „Vorfahrt für guten und erschwinglichen Wohnraum“ zu ermöglichen, setze die Initiative einseitig auf die Schaffung von teuren und Luxusimmobilien.
Kommunen nochmal klammer
Mit „Bau-Turbo“ ist der neugefasste Paragraph 246e als Teil des Entwurfs für eine „kleine“ Novelle des Baugesetzbuches (BauGB) gemeint, die das Bundeskabinett im Juni verabschiedet hatte. Im Kern geht es um eine bis Ende 2030 wirksame Lockerung von bau- und planungsrechtlichen Vorschriften im Rahmen einer „Experimentierklausel“. Zum Instrumentarium gehören beispielsweise kürzere Genehmigungsfristen oder der Wegfall von kommunalen Bebauungsplänen. Die Kritiker fürchten bei dem Tempo „Baupolitik mit der Brechstange“ und vermerken dazu: „Keine Entscheidungsfiktion – Planung braucht Qualität.“
Wobei es gar nicht ausgemacht ist, dass bei grünem Licht gleich die Maurer antanzen. „Besonders kritisch“ sieht die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen sodann auch das Fehlen eines verpflichtenden Baugebots. „Dadurch werden Baurechte geschaffen, ohne dass die Realisierung gesichert ist.“ Gerade in Verbindung mit der Möglichkeit, „auch Einfamilienhäuser ohne Mindestwohnungszahl zu errichten, führe dies zu einer Aufwertung von Flächen, die der Allgemeinheit und den Kommunen keinen Nutzen bringt“, schrieb der Verband in einer Mitteilung von Anfang Juli. Fazit: kein „Bau-Turbo“, sondern ein „Vermögens-Turbo“, für Gutbetuchte, versteht sich, nicht für die klammen Städte und Gemeinden. Im Gegenteil provoziere das Gesetz „steigende Infrastrukturkosten“, die die Kommunen bei der Schuldenbremse langfristig nicht werden zahlen können“.
Umbauturbo
Nach Auskunft von Elisabeth Broermann von den Architects for Future gibt es schon heute statistisch mehr Einfamilienhäuser als Familien. Insofern wäre Deutschland im Prinzip „fertig gebaut“. Bloß sei eben der bestehende Wohnraum nicht gerecht verteilt beziehungsweise viel davon für viele nicht bezahlbar. Schnelle Abhilfe verspricht für sie ein „Umbauturbo“, der genau dort ansetzt, wo die Probleme am drängendsten sind, in den Städten. Leerstehende Gebäude, ungenutzte Dachflächen und zu große Wohnungen ließen sich in wenigen Monaten umfunktionieren – „günstiger, klimafreundlicher und ohne neue Flächen zu versiegeln“. Broermann ist überzeugt: „Wir können es uns nicht mehr leisten, so weiter zu bauen, als gäbe es kein Morgen.“
Bloß hat die Regierung für kreative Lösungen offenbar nichts übrig. Man stelle sich vor, in Berlin entstünden relativ zügig und mit geringem Aufwand Zehntausende neue Wohneinheiten. Wem gefiele das bestimmt nicht? Den großen Immobilieneignern, die sich am grassierenden Mangel eine goldene Nase verdienen. Was erst, wenn in der ganzen Republik schlummernde Potenziale wachgeküsst würden? Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Wohnen (ARGE // eV) hat vor drei Jahren in einer Studie ermittelt, wie viel Wohnraum sich aus dem vorhandenen Bestand erschließen ließe. Ergebnis: „Bis ca. 4,34 Millionen Wohnungen“. Die Mittel der Wahl: Aufstockungen auf ältere „Wohngebäude“, „von Büro- und Verwaltungsgebäuden“, „auf Einkaufsmärkten oder Parkhäusern“, dazu „Umbau und Umnutzung von Büro-, Verwaltungs- und Nichtwohngebäuden“.
Glücksfall für Profiteure
„Fläche ist eine endliche Ressource – wer sie verbraucht, schafft Flächenkonkurrenz, verdrängt Landwirtschaft und Natur und gefährdet unsere Zukunftsfähigkeit“, findet die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Andrea Gebhard. Gute Planung bedeute: „Innenentwicklung vor Zersiedelung, bezahlbarer Wohnraum statt Renditeprojekte, und Qualität statt Schnellschüsse um jeden Preis.“ Das Verbändebündnis appelliert mit Nachdruck an die Abgeordneten des Parlaments, den „Bau-Turbo“ in seiner jetzigen Form zu stoppen oder grundlegend auf die Höhe der Zeit zu bringen. Ein Positionspapier listet die Notwendigkeiten auf: Begrenzung auf angespannte Wohnungsmärkte und den Innenbereich, also innerhalb der bestehenden Ortsgrenzen, Neubau nur von Mehrfamilienhäusern (sechs Wohneinheiten aufwärts) sowie eine verbindliche Quote von mindestens 50,1 Prozent für dauerhaft bezahlbaren Mietwohnungsbau.
Und was sagt die Bauministerin? „Mutige Kommunen können jetzt aufstocken, nachverdichten und im Außenbereich bauen und haben ein starkes Instrument in ihrer Hand.“ Mutig wäre es gewesen, der Immobilienlobby zu widerstehen. Wie Cicero (hinter Bezahlschranke) am Donnerstag schrieb, ist Hubertz für ihre Partei „ein Glücksfall“. Das gilt für noch andere. Gleichentags erteilte das Handelsblatt Vonovia-Vorstandschef Rolf Buch das Wort: „Wir stehen vor einem langen stabilen Aufstieg der Immobilienwerte.“
Danke, Verena!
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