Assange-Archiv dokumentiert Wirksamkeit des Protests

Assange-Archiv dokumentiert Wirksamkeit des Protests

Assange-Archiv dokumentiert Wirksamkeit des Protests

Ein Artikel von Moritz Müller

Seit einiger Zeit entsteht in Dessau das Julian Assange Archiv. In Zusammenarbeit mit Wikileaks-Gründer Julian Assange und seinem Team werden dort Artefakte gesammelt, die mit seinem Weg vom gefeierten Enthüllungsjournalisten über das Botschaftsasyl und Hochsicherheitsgefängnis zurück in die Freiheit zusammenhängen. Eine zentrale Rolle im Archiv spielt die Protestbewegung, die mithalf, ihn vor einem Lebensende in einem US-Gefängnis zu bewahren. Von Moritz Müller.

Hinter dem Archiv steht ein Verein mit der Vorsitzenden Manja McCade und ihrer Stellvertreterin Carmen Goeddaeus.

Eine sehr kurze Führung durch die Geschichte von Julian Assange

Vor fast genau 19 Jahren, am 4. Oktober 2006, wurde die Enthüllungsplattform Wikileaks von Julian Assange und einigen Weggefährten gegründet. Die Plattform ist so gestaltet, dass man dort anonym Dokumente hochladen kann. Wikileaks publizierte Material über Banken und andere Unternehmen, Regierungen, Korruption, Kriegshandlungen und Verbrechen.

Es wurden Einsatzregeln der US-Armee veröffentlicht und Dokumente über das militärische Vorgehen im Irak und Afghanistan. Das von Wikileaks so betitelte Video „Collateral Murder“ zeigt die Ermordung von zwölf Zivilisten in Bagdad durch die Besatzungen zweier US-Militärhubschrauber. Die US-Armee hatte die Existenz des Videos jahrelang geleugnet. Wikileaks-Redakteur Kristinn Hrafnsson reiste nach Bagdad, um das Video zu verifizieren. Wikileaks berichtete der Weltöffentlichkeit Details über das Gefangenenlager Guantánamo, in dem die Gefangenen Jahre bis Jahrzehnte verbringen, ohne verurteilt worden zu sein.

Julian Assange und Wikileaks wurden als Helden der Pressefreiheit gefeiert und mit Medienpreisen überhäuft. Es setzte aber auch sehr schnell eine unbarmherzige Verfolgung ein. Kreditkartenfirmen sperrten Wikileaks-Konten und entzogen dem Projekt somit die tagtägliche Finanzierung.

Im August 2010 reiste Julian Assange nach Schweden, wo ihm zwei Frauen, bei denen er zu Gast war, dort strafbares sexuelles Fehlverhalten vorwarfen bzw. die Polizei dies so interpretierte. Eine Staatsanwältin stellte die Untersuchungen nach einigen Tagen ein, und ein paar Tage darauf nahm eine andere das Verfahren auf Anregung eines sozialdemokratischen Politikers wieder auf.

Diese Staatsanwältin erlaubte Julian Assange die Ausreise aus Schweden, um dann, als er sich in London befand, einen internationalen Haftbefehl auszustellen und seine Auslieferung nach Schweden zu fordern. Nicht nur Julian Assange fürchtete eine Finte der schwedischen und der US-Behörden, und es folgte ein eineinhalbjähriges juristisches Tauziehen, welches während Julian Assanges Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London weiterging. Der damalige UN-Sonderbeauftragte für Folter Nils Melzer schrieb 2019:

„Seither haben sowohl Schweden als auch Großbritannien alles getan, um zu verhindern, dass sich Assange diesen Anschuldigungen hätte stellen können, ohne sich gleichzeitig einer Auslieferung an die USA auszusetzen und damit einem Schauprozess sowie lebenslänglicher Gefangenschaft.“

Es kam in dieser Sache nie zu einer Anklage.

Auf engstem Raum verbrachte er fast sieben Jahre in der Botschaft, um dann von der Londoner Polizei mit Genehmigung der ecuadorianischen Regierung verhaftet und in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verschleppt zu werden. Plötzlich zogen die USA eine Anklage der Spionage in 17 Punkten und des Computereinbruchs in einem Fall aus dem Ärmel, nachdem jahrelang geleugnet worden war, dass eine solche Anklage überhaupt existiert.

Von April 2019 bis Juni 2024 wurde der Auslieferungshäftling Julian Assange unter unmenschlichen Bedingungen in Belmarsh festgehalten, während vor Londoner Gerichten in mehreren Instanzen über seine Auslieferung in die USA verhandelt wurde. Ich war an 23 Tagen bei diversen Gerichtsverhandlungen anwesend, und nicht nur ich bekam den Eindruck, dass es sich hier um eine juristische Farce handelte. Julian Assange saß während der Verhandlungen wie ein Gewaltverbrecher hinter Panzerglas oder war gar nicht anwesend.

Am 24. Juni 2024 kam er zum ersten Mal seit dem 7. Dezember 2010 wieder auf freien Fuß, nachdem er eine Vereinbarung mit den ihn verfolgenden US-Justizbehörden eingegangen war. Dies bewahrte ihn vor möglicher lebenslanger Isolationshaft im Gefängnissystem der USA. Im Oktober letzten Jahres bezeichnete die Parlamentarische Versammlung des Europarats Assange nachträglich als politischen Gefangenen.

Mit Beginn der Verfolgung Julian Assanges begann sich eine Protestbewegung zu formieren, die seine Freilassung forderte. Schon bei den Gerichtsverhandlungen um die Auslieferung nach Schweden waren Unterstützer zugegen. Bei den Mahnwachen vor der Botschaft im Londoner Stadtteil Knightsbridge nahm die Zahl der Protestierenden weiter zu. Als Befürchtungen bestanden, dass die britische Polizei entgegen internationalen Gepflogenheiten die Botschaft stürmen würde, gab es dort rund um die Uhr Mahnwachen.

Aus diesen entstand dann über die Jahre eine weltweite Bewegung, die nicht lockerließ – trotz andauernder Rufmordkampagnen, die Assange als frauenfeindlichen Narzissten, als schrecklichen Hausgast in der Botschaft und als Vergewaltiger darstellten. In diesem Artikel finden sich weitere Informationen zu dieser tragischen Geschichte, die glücklicherweise mit Assanges Freilassung endete.

Auch 16 Monate später erholt er sich noch von den körperlichen und psychischen Belastungen dieser Jahre. Es zeugt von großer Widerstandskraft, dass er diese lange Zeit überhaupt überstanden hat.

Leider gibt es weltweit Millionen anderer Menschen, die zu Unrecht ihrer Freiheit beraubt sind.

Das Julian Assange Archiv in Dessau

Die Archivarin Carmen startete Anfang 2020 mit einigen Mitstreitern die FreeAssange-Mahnwachen in Leipzig. Aus den Anfängen mit einem kleinen Transparent und drei, vier Personen entwickelte sich eine beeindruckende Menge von Unterstützern. Nach einer Weile stieß auch Manja McCade dazu, die die Mahnwachen nicht nur in Leipzig mit ihrem „Belmarsh Live“ Projekt bereicherte.

Dabei handelt es sich um einen Anhänger, auf dem die Gefängniszelle von Julian Assange mit ihrer Grundfläche von zwei mal drei Metern nachempfunden ist. Mahnwachende und Passanten können in ihr versuchen, einen Eindruck davon zu bekommen, wie es sich anfühlt, in so einer Zelle 23 Stunden am Tag eingesperrt zu sein.

Auch das Assange Archiv in Dessau wird als Ausstellungsstück eine Zelle beinhalten, die auf- und abgebaut werden kann. Diesmal geschieht das mit Beratung durch Julian Assange, sodass auch das Interieur der Zelle dem entsprechen wird, wie es dort wirklich ausgesehen hat – komplett, ohne Matratze, denn Julian Assange schlief auf einer Yogamatte, über die er auf seinen Rundgängen in der Zelle „wandern“ konnte. Außerdem brauchte er Platz für die zahlreichen Bücher, die seine Unterstützer über den Gefängnisbuchhandel für ihn bestellten. Auch diese Bücher werden zurzeit archiviert.

Manja McCade und Carmen Goeddaeus waren nach Assanges Freilassung an sein Team herangetreten und hatten vom geplanten Archiv berichtet. Nach einigen Gesprächen über das Geplante und einem Besuch von Assanges Vertretern vor Ort in Dessau war man sich einig, dass dies eine gute und realisierenswerte Idee ist. Auf Basis eines Leihvertrags hat das Archiv auch einen Großteil der originalen Möbel aus der Zeit des Botschaftsasyls erhalten, und es ist geplant, diese Möbel im Archiv so aufzustellen, wie sie auch in der Botschaft standen. Interessierte können dieses Archiv nach Terminabsprache besuchen.

Des Weiteren sind alle Briefe – 45.000 bis 50.000 an der Zahl –, die Julian Assange nach Belmarsh geschickt wurden, Teil des Leihvertrags. Ein Teil dieser Briefe ist zwar geöffnet, aber nur von der Gefängnisleitung „gelesen“ und dann Julian Assange vorenthalten worden. Als ich mit Manja McCade sprach, war noch nicht ganz klar, wie mit diesen Briefen vorgegangen werden soll – eine weitere Entscheidung, die mit Julian Assange und Team abgesprochen werden wird. Diese Zusammenarbeit lässt das Vorhaben der Archivgründerinnen sehr authentisch wirken.

Carmen Goeddaeus, quasi die „Chef-Archivarin“, sorgt dafür, dass alles nach den Regeln eines professionellen Archivs aufgenommen und katalogisiert wird.

Es gibt dann auch noch die Briefe, mit denen Julian Assange im zuvor frankierten Rückumschlag geantwortet hat. Die Archivarinnen wären sehr dankbar, wenn die Menschen, die diese Briefe erhalten haben, eine Kopie an das Archiv schicken würden. Auch über praktische Hilfe und finanzielle Unterstützung freuen sie sich.

Das Archiv hat somit einige Standbeine. Man kann sich mit den Enthüllungen von Wikileaks beschäftigen, die uns aufgeklärt haben über die Machenschaften der Machthabenden, die aber auch den Opfern dieser Machenschaften Beweise an die Hand gegeben haben, um sich gegen diese zu wehren.

Außerdem kann man sich dort ein Bild davon machen, wie beengt Julian Assange für über zwölf Jahre leben musste, eben weil er den Mächtigen die Stirn geboten hat und dabei kaum Rücksicht auf seine eigene Situation nahm. Die Enthüllungen über die CIA und Hillary Clintons Machenschaften im Präsidentschaftswahlkampf 2016 fallen in die Zeit des Botschaftsasyls.

Besonders auch aufgrund dieser Veröffentlichungen war Assange durchaus umstritten. Ein zentraler Punkt der US-Anklage war, dass er angeblich Quellen gefährdet habe. Dies haben die USA jedoch nie mit eindeutigen Beweisen untermauert. Assange selbst konnte aus der Haft nichts dazu sagen. Vielleicht kann das Archiv unter anderem dazu dienen, diese Themen zu erhellen, indem man sich offen mit der Materie auseinandersetzt.

Assange musste ständig befürchten, verhaftet oder ausgeliefert zu werden. Er hat überlebt, ohne darüber bitter oder gebrochen zu sein.

Auch das ist inspirierend, genauso wie das nächste Standbein des Archivs, nämlich die Dokumentation der Graswurzelbewegung aus Bürgerinnen und Bürgern weltweit. Diese Menschen haben jahrelang nicht lockergelassen, standen bei Wind und Wetter auf der Straße, vor der Botschaft, vor dem Gefängnis, in deutschen Innenstädten und vor dem Australia House in London, um die australische Regierung an ihre Pflichten gegenüber ihrem Bürger Assange zu erinnern.

Vor allem dieser Teil soll die Besucher anregen, nicht den Mut zu verlieren, und daran erinnern, dass in diesem Fall gewaltfreier Protest und Druck von der Straße zum Ziel geführt hat. Der Archiv-Verein ist offen für Besuche von Schulklassen, damit Schülerinnen und Schüler aus der Nähe sehen können, dass es etwas bringen kann, sich für seine Ideale einzusetzen.

Manja McCade erzählte mir auch vom Wunsch des Archiv-Teams, dass Menschen von ihren Begegnungen auf den Mahnwachen berichten und andere Menschen an diesen Anekdoten teilhaben lassen. Sie erzählte mir selbst von einem Liebespaar, dass sich auf der Berliner Mahnwache kennengelernt und dann später geheiratet hat.

Von meinen Besuchen in London gäbe es auch einiges an zwischenmenschlichen Geschichten zu berichten. Ich habe in dieser Zeit einige großartige, engagierte Menschen getroffen. Es gab allerdings auch Meinungsverschiedenheiten und inkompatible Persönlichkeiten. Über den Umgang mit Covid und die Einschätzung der Maßnahmen hatte sich die dortige Unterstützergemeinde zeitweise auch gespalten.

Das Archiv befindet sich gut gesichert in einem Lagerhaus. Derzeit laufen dort die Sichtung und Katalogisierung des Materials. Wer meint, auch noch Dinge oder Informationen zu haben, die zum Archiv passen, ist eingeladen, diese dem Archiv zukommen zu lassen, seien es Originale oder Kopien.

Für den kommenden Sommer ist dann die erste große Ausstellung in der Dessauer Innenstadt geplant – hoffentlich auch im Beisein einiger der Akteure dieser bemerkenswerten Geschichte. Die Räumlichkeiten dafür sollen noch gefunden werden. Dort werden dann das Zimmer in der ecuadorianischen Botschaft und auch Julian Assanges Gefängniszelle in Belmarsh nachgebaut sein. Ein weiterer Raum wird der sogenannte „Aktionsraum“ sein, in dem die Aktionen der Unterstützer dokumentiert werden sollen. Es gab Konzerte, Menschenketten, Demonstrationen, Kunstaktionen, Mahnwachen und vieles mehr. Außerdem ist ein „Reflexionsraum“ geplant, in dem die Besucher ihre Eindrücke verarbeiten können. Das Archiv soll dazu ermutigen, diese Eindrücke in das tägliche (politische) Leben einzubinden. Für diesen künstlerisch-kreativen Teil zeichnet hauptsächlich Manja McCade verantwortlich.

Im Gegensatz zu dem derzeitigen Lager, in dem man sich für einen Besuch anmelden muss, wird die Ausstellung im Sommer geregelte Öffnungszeiten haben, sodass Interessierte einfach vorbeikommen können. Nächstes Jahr wird in Dessau auch das hundertjährige Bestehen des Bauhauses gefeiert, deshalb lohnt sich eine Reise dorthin umso mehr.

Es ist bewundernswert, dass es den Archivarinnen gelungen ist, diese weltweit einzigartige Sammlung nach Dessau zu holen.

Die Webseite des Archivs können Sie hier besuchen. Dort finden sich auch Informationen darüber, wie man das Archiv unterstützen kann, wie man Fördermitglied im Verein wird, und weitere Details zur Zielsetzung des Vereins, wie es zur Gründung kam und wer noch an diesem Projekt mitwirkt.

Titelbild: MMC/Assange Archiv