Dorothee Bär will deutsche Frauen auf den Mond und Flugtaxis durch deutsche Lüfte schießen. Nichts davon wird klappen, aber das stört die Raumfahrtministerin nicht. Hauptsache, die Sprüche sitzen, samt Outfit und Frisur. Neuerdings gefällt ihr das Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht mehr, vor allem der Titel stört sie. Da müsse Knackigeres her, zum Beispiel „Stipendiensystem“. Alle mal weghören, empfiehlt Ralf Wurzbacher.
Dorothee Bär mag es gerne ausgefallen. Besser gesagt: Sie fällt gerne auf. Mal tritt sie im Dirndl auf, mal ganz in Leder. Einmal, 2019, bei der Gala zum Deutschen Computerspielpreis, erschien sie im quietschbunten Bondage-Look, wie man das so eher von der Reeperbahn kennt. Unlängst schlug die Bundesforschungsministerin zur Kabinettssitzung mit geblümter Trachtenbluse auf, „so tief dekolletiert, dass manch einer ihrer Kollegen vergessen haben dürfte, worum es in der Ministerrunde eigentlich ging“, wie nachher der Stern festhielt. Der Artikel befasst sich ausgiebig mit dem „Modemut“ der CSU-Politikerin und ihrem Faible fürs „Scheinwerferlicht“, wobei die Autorin das ausdrücklich begrüßt. Bär habe gewiss „einen Spiegel und genügend PR-Berater“, und „anders als ihre Vorgängerinnen nutzt sie das Frausein, um herauszustechen“.
Darum geht es heute in der Politik: den maximalen Effekt. Sätze wie „wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten“ oder die plumpe Parole von der „Zeitenwende“ haben in kürzester Zeit mehr bewegt als alle Parteiprogramme von Union, SPD, FDP und Grünen zusammen. Die 47-jährige Oberfränkin hat die Lektion gelernt und tritt beim Scheppern mit einer Penetranz auf den Plan, wie es vor ihr allenfalls noch Parteifreund Andreas Scheuer beherrscht hatte. Auch der ließ es als Bundesverkehrsminister wiederholt krachen, am lautesten mit seiner verkorksten „Ausländermaut“, die den Steuerzahler mehrere Hundert Millionen Euro gekostet hat. Ganz egal! So wie die Grenzen des guten Geschmacks, die früher einmal gegolten haben mögen. Noch einmal der Stern: „Mit Kleidung aufzufallen, mag lange als unseriös gegolten haben, als oberflächlich und belanglos.“ Wann und warum haben wir diesen Konsens aufgekündigt? Oder haben wir das überhaupt?
Nächste Hängepartie
Nun ließe sich über Extravaganzen von Amts- und Mandatsträgern hinwegsehen, solange sie trotzdem inhaltlich etwas zu bieten beziehungsweise zu sagen haben. Nicht so Bär. Für sie zählt allein die Oberfläche. Jüngstes Beispiel: Als zuständige Ministerin ist ihr immerhin zur Kenntnis gelangt, dass es um die Bundesausbildungsförderung (BAföG) nicht zum Besten steht. Gerade erst kam heraus, dass die Zahl der Geförderten im zurückliegenden Jahr auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2000 eingebrochen ist. Sämtliche sogenannten Reformen der vergangenen vier Jahrzehnte haben nachhaltig an der Substanz der unter Willy Brandt (SPD) eingeführten Sozialleistung genagt, speziell die in Verantwortung von Ressortleitern aus den Reihen der Union.
Ausgerechnet CSU-Frau Bär will das angeblich ändern, weshalb sie für das Wintersemester 2026/27 eine Novelle mit dem Ziel vorbereitet, die staatliche Unterstützung „schneller, digitaler und bekannter“ zu machen. Das alles wäre toll, und noch toller wäre es, sie ließe sich damit nicht so viel Zeit. Denn bis in einem Jahr erodiert das System kräftig weiter. Außerdem soll die BAföG-Reform laut Koalitionsvertrag auch nicht in einem Abwasch, sondern in drei Schritten erfolgen, angefangen mit einer Erhöhung der Wohnpauschale von 380 Euro auf 440 Euro im Herbst 2026, gefolgt von einer Anpassung der Bedarfssätze an das Grundsicherungsniveau (Bürgergeld) in zwei Stufen, zum Wintersemester 2027/28 und zum Wintersemester 2028/29. Das ist angesichts der verbreiteten Armut unter Studierenden eine halbe Ewigkeit, und man wünschte sich von Bär eine Klarstellung, ob sie tatsächlich so eine Hängepartie beherzigt.
„Galgenmännchenwort“
Aber das fällt ihr nicht ein – dafür etwas anderes, nämlich, zunächst einmal das Image der Hilfsleistung aufzupolieren. Denn „Bundesausbildungsförderungsgesetz“, das sei ein „Galgenmännchenwort“, das „nicht total sexy“ klinge, befand sie im Interview mit der ARD. Sie könne sich stattdessen einen neuen Namen vorstellen, weil sie „ganz oft“ erlebe, „dass das jetzt in Studierendenkreisen nicht den besten Ruf hat, was ich sehr schade finde, weil das nichts ist, wofür man sich schämen muss“. Die Wahrheit ist: Nicht den „besten Ruf“ hat das Instrument, weil es zu wenig Ertrag abwirft, mit maximalem Stress zu beantragen ist, die Mittel bisweilen über Monate nicht ausgezahlt werden und es Betroffene in die Schuldenfalle treibt, da es nicht in Gänze als Zuschuss bewilligt wird, sondern zur Hälfte als Darlehen. Für all das müsste sich in der Tat wer „schämen“: diejenigen Politiker, die es so weit haben kommen lassen.
Auch die fesche Doro hat daran ihre Aktie. Unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) fungierte sie vier Jahre lang als Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Spuren hat sie in dem Job offensichtlich nicht hinterlassen, schließlich gilt Deutschland wie ehedem als digitales Entwicklungsland. Dabei hätte sie gerade beim Thema BAföG allerhand wuppen können. Seit zig Jahren reiben sich Bund und Länder vergebens am Aufbau einer flächendeckenden elektronischen Plattform auf, die es erlaubt, bestehende Ansprüche mit wenigen Klicks einzulösen. Von wegen! Stand jetzt lassen sich die Unterlagen zwar digital hochladen. In den BAföG-Ämtern werden diese jedoch „in Ermangelung einer revisionssicheren Dateiablage oder eines E-Aktensystems“ ausgedruckt und händisch bearbeitet. So stapeln sich riesige Papierberge in personell hoffnungslos unterbesetzten Schreibstuben und treiben Mitarbeiter und Studierende in den Wahnsinn, Letztere wegen ausbleibender Überweisungen nicht selten in bittere Existenznöte. In Thüringen warten Leidtragende bis zu einem halben Jahr auf ihren Bescheid.
Wurscht!
Es wäre an Dorothee Bär, diese Missstände schleunigst und ein für alle Mal zu beenden, einschließlich der Umstände, die ein Studium immer mehr zur Armutsfalle haben werden lassen. Den Satz, „dass es nicht am Geldbeutel des Elternhauses scheitern darf, ob man ein Studium in Angriff nimmt oder nicht“, haben so oder ähnlich alle ihre Vorgängerinnen vom Stapel gelassen. Konsequenzen hatte dies ausnahmslos nie, allenfalls derart, dass dem „Geldbeutel des Elternhauses“ noch größerer Stellenwert zugekommen ist. Aber das dürfte für die Tochter aus dem Haus eines CSU-Papas und CSU-Opas mit Bürgermeisterehren, die ihren Werdegang durch die Parteinetzwerke bis hoch auf einen Ministersessel gewiss wohlwollend begleitet haben, doch eher ziemlich wurscht sein, wie man in Bayern sagt.
Jedenfalls ist ihr das augenscheinlich viel weniger wichtig, als einen neuen Begriff für das BAföG zu erfinden, etwa in die Richtung „Stipendiensystem“, so Bär. Wow, das knallt, und klingt fast wie Deutschlandstipendium. Das Programm hatte vor 14 Jahren Annette Schavan (CDU) ausgerollt, um die Privatwirtschaft noch enger mit den Hochschulen zu verkuppeln. Dabei greifen sich Unternehmen „Talente“ an öffentlichen Hochschulen heraus, die hälftig auf ihre und hälftig auf Rechnung des Bundes gefördert werden, um sie so frühzeitig an sich zu binden. Das unausgesprochene Ziel der damaligen Regierung war es, damit das BAföG weiter zu schwächen, was ihr zweifelsohne gelungen ist. So kann es weitergehen.
Kleckern beim Hochschulbau
Aber Bär hat neben absurden Vorschlägen noch weitere Luftnummern im Köcher. Die Hochschulen leiden unter einem immensen Sanierungstau. Die Hamburger Finanzbehörde hat den Bedarf der Hansestadt auf ganz Deutschland hochgerechnet und beziffert diesen mit knapp 141 Milliarden Euro. So viel Geld sei erforderlich, um bis Ende der 2030er-Jahre bundesweit alle Hörsäle, Seminar-, Verwaltungs- und Laborgebäude aus der Baufälligkeit zu befreien oder zu ersetzen. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) veranschlagt nur für die „dringendsten“ Erforderlichkeiten „mindestens 38 Milliarden Euro“. Union und SPD wollen dafür laut Regierungsprogramm aus dem 500-Milliarden-Euro-Schuldenpaket für Infrastruktur schöpfen, in Gestalt einer „Schnellbauinitiative von Bund und Ländern zur Modernisierung, energetischen Sanierung und digitalen Ertüchtigung“.
Und wie viel konnte die Forschungsministerin für das Jahr 2026 gegenüber dem Finanzministerium herausschlagen? 60 Millionen Euro! Und das nicht einmal allein für die Schnellbauinitiative, ein Teil entfällt auf eine Bund-Länder-Initiative Forschungsbau. Die Summe entspricht weniger als einem Sechshundertstel der HRK-Forderung und weniger als einem Zweitausendstel des Gesamtbedarfs. Wie viel mehr daraus in zwölf Jahren wird, auf die das Programm terminiert ist, und was die Bundesländer aus ihrem Anteil am Infrastrukturpaket beitragen, wird sich zeigen müssen. Erfahrungsgemäß werden sie beim Hochschulbau weiter kleckern. Und Bär kleckert mit.
Mrs. Future
Geklotzt wird dagegen mit Sprüchen und wenn mit Geld, dann für zweifelhafte Projekte. Bär versteht sich am allerliebsten als Raumfahrtministerin, und ihr Ressort nennt sie gerne „BM Future“. Bisher allerdings existiert ihre Abteilung Raumfahrt „nur auf dem Papier“, wegen Kompetenzrangeleien mit Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), wie Die Zeit berichtete. Das passt ins Bild. Wenn nicht einmal die nötigen Mitarbeiter beizeiten von einem Haus ins andere umziehen, wie soll das dann erst mit der Frau auf dem Mond klappen, von der Dorothee Bär träumt? Und was wurde aus den deutschen Flugtaxis, deren Einsatz sie 2018 als hauptamtliche Digitaltante fürs Jahr 2025 voraussagte? Alle drei deutschen Entwickler – Lilium, Airbus, Volocopter – stecken mittlerweile in einer ernsten Finanz- und Schaffenskrise, und bis zum Regelbetrieb könnten noch Äonen vergehen.
Zum „Glück“ gibt es bodenständigere Probleme, denen sich die Doro stellt, allen voran dem vermeintlich drohenden Europafeldzug der Russen. Derzeit bereitet sie die Ministerratskonferenz der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) vor, die Ende November im Bremen steigt. Dabei, so heißt es seitens des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), werde über die „Zukunft Europas im All“ entschieden, sprich darüber, wie viel Geld die EU-Regenten für ihre übergeschnappte Aufrüstungssause im luftleeren Raum verblasen wollen.
Bodenlos
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schweben allein für die BRD 35 Milliarden Euro bis 2030 vor. Bär will den Anfang mit einem deutschen ESA-Beitrag von fünf Milliarden Euro machen. „Vielleicht kann man da auch noch mal eine Lösung finden, um noch mal eine Schippe draufzulegen“, sagte sie der ARD. Zwecks „Kriegsertüchtigung“ geht das bestimmt. Die Sache mit dem Erdtrabanten haut dagegen wohl nicht so schnell hin: Selbst die US-amerikanische NASA hängt ihren Plänen einer bemannten Mission um Jahre hinterher, ganz zu schweigen von einer „befrauten“. Dabei schösse man Doro so gerne auf den Mond …
Titelbild: FELIPE TRUEBA/EPA-EFE/Shutterstock