Heute ist es so weit: Bundesweit wollen Schüler gegen die neue Wehrpflicht auf die Straßen gehen. Das ist genau der richtige Schritt. Demokratie lebt vom Protest. Wenn Interessen der Bürger nicht oder nicht mehr ausreichend im Parlament abgebildet werden, ist die eigene Stimme eben öffentlich zu erheben. Dass die Schüler der Republik nun ihr Anliegen auf die Straße tragen, sagt viel aus über die vorherrschende Politik – aber auch über den Journalismus in Deutschland. Mit den richtigen Fragen, gestellt von kritischen Journalisten, wären Schüler erst gar nicht in der Situation, für ihre Interessen demonstrieren zu müssen. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
„Wer soll denn die NATO angreifen?“ Diese Frage stellt eine der Mitinitiatorinnen des „Schulstreiks gegen die Wehrpflicht“ in einem aktuellen Interview mit der Berliner Zeitung. Das ist eine bemerkenswerte Frage. Oftmals sind es die einfachen, scheinbar banalen Fragen, die jemand aus der Mitte der Gesellschaft stellt, die eine enorme Sprengkraft haben. Eine konsequent kritische Beantwortung dieser Frage führt zu einer massiven Erschütterung der von Politik und weiten Teilen des Medienmainstreams verbreiteten Erzählung über die angebliche Bedrohung durch Russland. Ferner führt eine konsequent kritische Beantwortung dieser Frage zu einem Zerfall jener tragenden Säulen, auf die die Politik ihr Vorhaben „Kriegstüchtigkeit“ baut. Bei Lichte betrachtet: Nahezu eine gesamte Medienlandschaft hat die Frage „Wer soll denn die NATO angreifen?“ nie auch nur mit einem Hauch von ernsthafter Kritik gestellt. Wenn Medien die Frage überhaupt gestellt haben, dann in Form eines rhetorischen Stilmittels, das zu der politisch gefälligen Antwort führen sollte, die uns allen bekannt ist: „Natürlich Russland, du Dummerchen!“
Ausgezeichnet, dass Olivia Schmidt die Sinnfrage in dem Interview stellt. Und sehr gut, dass die Berliner Zeitung die Frage in die Überschrift gehoben hat. Indirekt führt die Frage uns nämlich vor Augen, wie groß die journalistische Arbeitsverweigerung im Hinblick auf eine angebliche Bedrohung durch Russland ist. Und sie zeigt, wie weitreichend die Ignoranz von Journalisten und Medien im Land ist.
Weil diese Frage nicht oder nur auf erbärmlich falsche Weise gestellt wurde, müssen nun die Schüler des Landes auf die Straße gehen. Mit Fug und Recht darf gesagt werden: Hätten Journalisten, der Tragweite der Situation angemessen, laut genug „Wer soll denn die NATO angreifen?“ gefragt: Wir würden an dieser Stelle nicht nur die Debatte um die Wehrpflicht nicht führen müssen, nein, die Debatte wäre nicht einmal aufgekommen.
Mit den richtigen Fragen können Journalisten Regierungspolitik aus den Angeln heben. Das ist zwar kein einfaches Unterfangen, aber wenn die Politik die Bundesrepublik auf den Kurs „kriegstüchtig“ trimmen will, dann ist es die Pflicht von Journalisten, die richtigen Fragen deutlich genug zu stellen und sich nicht mit Antworten, die die Intelligenz eines Affen beleidigen, zufrieden zu geben.
„Viele Schüler fühlen sich aktuell in einer Art Ohmachtsituation. Sie haben Angst vor den Entscheidungen der Politik, sie haben Angst vor der Wiedereinführung der Wehrpflicht“, heißt es in dem Interview.
Welche Journalisten und welche Medien bilden die Sorgen, die Ängste und die Haltung der Schüler in diesem Land im Hinblick auf die Wehrpflicht ab? Eben!
Wenn heute die Schüler in 40 Städten der Republik auf die Straßen gehen, sei ihnen gewünscht, dass sie genug Kraft haben, ihre Stimmen so laut es nur geht zu erheben. Bei einem Krieg werden es vor allem junge Menschen sein, die auf dem Schlachtfeld ihr Leben lassen. Hat denn diese Politik und haben denn die Damen und Herren Journalisten überhaupt nichts aus der Vergangenheit gelernt? Kriege entstehen nur dann, wenn sie politisch gewollt sind. Warum zeigen Journalisten der Politik in Sachen Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht die rote Karte? Jetzt machen das die Schüler der Republik.
Hinweis der Redaktion: Hier sind alle Städte aufgeführt, in denen Schüler heute gegen die Wehrpflicht demonstrieren.
Titelbild: schulstreikgegenwehrpflicht.com





