Am 5. Dezember hatten über 55.000 Schüler in mehr als 90 Städten gegen die schrittweise Wiedereinführung der Wehrpflicht durch das sogenannte „Wehrdienstmodernisierungsgesetz“ gestreikt. Selbst die BBC und Politico berichteten darüber. Genützt hat es nichts: Am 5.12.2025 verabschiedete der Bundestag Boris Pistorius’ Gesetz über ein neues Wehrdienstmodell. Am 19.12.2025 stimmte der Bundesrat ebenfalls zu. Haben die Demonstrationen und der Streik der Schüler also nichts gebracht? Und warum haben die Grünen diese Bundesrat-Entscheidung nicht verhindert, obwohl das möglich gewesen wäre?
Ein Artikel von Maike Gosch.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Oft wird als Argument aufgeführt: Es geht ja gar nicht um eine neue Wehrpflicht, sondern nur um einen freiwilligen Wehrdienst. „Sinnstiftend, attraktiv, digital“, wie das Bundesministerium in bester Werbermanier schreibt. Aber den meisten ist klar, dass es sich hierbei um einen ersten Schritt hin zu einer Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht handelt, die aktuell politisch noch nicht durchsetzbar ist. Was die jungen Leute ab dem 1. Januar 2026 erwartet, hatten die NachDenkSeiten hier geschildert:
„In einem ersten Umsetzungsschritt werden künftig alle 18-Jährigen einen Fragebogen von der Bundeswehr erhalten, begonnen wird mit dem Jahrgang 2008. Mit der Einigung wird zunächst weiter auf Freiwilligkeit gesetzt, um mehr Rekruten für die Bundeswehr zu gewinnen. Falls aber die Personalziele verfehlt werden, soll der Bundestag über die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht entscheiden, um junge Männer auch zwangsweise zum Wehrdienst einberufen zu können.“
Am 19.12.2025, einem Freitagnachmittag vor Weihnachten, in einem der letzten Tagesordnungspunkte, erteilte der Bundesrat dann dem Wehrdienstmodernisierungsgesetz die Zustimmung. Der Zeitpunkt war sicher nicht zufällig gewählt. Besser hätte man kaum eine öffentliche Debatte über diese Entscheidung erschweren können. Der Plan ging auch auf: Kaum Berichterstattung, kaum Kritik, aber das Gesetz wird bereits zum 1. Januar 2026 wirksam. Wenn wir alle wieder aus der Feiertagspause auftauchen, werden die Fragebögen an die jungen Männer in unserem Land schon verschickt. So werden Fakten geschaffen.
Sahra Wagenknecht (BSW) kommentierte die Entscheidung auf Facebook folgendermaßen:
„Die Grünen hätten das Wehrdienstgesetz im Bundesrat noch stoppen können. Doch ihre Landesregierungen haben dem Vorhaben von CDU/CSU und SPD zugestimmt. Obwohl sie im Bundestag noch dagegen votierten und laut Parteitagsbeschluss einen verpflichtenden Wehrdienst ablehnen. Wirklich überraschend ist das jedoch nicht, schließlich sind die Grünen längst von der einstigen Friedenspartei zu den größten Kriegsbefürwortern mutiert.“
Trotz ihrer immer noch oft behaupteten friedenspolitischen Programmatik haben die Grünen in ihren Landesregierungen dem Gesetz im Bundesrat zugestimmt, soweit es sich ermitteln lässt.
Es ist erstaunlich schwierig, das genaue Abstimmungsverhalten der Landesregierungen im Bundesrat zu recherchieren – man muss dazu auf den jeweiligen Seiten der Landesregierungen nach verlinkten PDFs suchen. Anders als bei Bundestags-Abstimmungen gibt es keine zentrale Übersicht über das Abstimmungsverhalten. Die Grünen sind aktuell in 8 Bundesländern Teil von Regierungskoalitionen: Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Hessen.
Bremen hat sich – allerdings nur aufgrund der Haltung von die Linke – enthalten, ebenso Brandenburg, dank des BSW, Mecklenburg-Vorpommern (dank der Linken) und Thüringen (wegen BSW).
Trotz Grüner Regierungsbeteiligungen haben die Landesregierungen von Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen dem Gesetz zugestimmt. Für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine öffentlich zugänglichen Angaben zum konkreten Abstimmungsverhalten im Bundesrat auffindbar. Es gibt aber keinerlei Hinweise oder Erklärungen dafür, dass die Grünen dort auf eine Enthaltung gedrängt haben und diese Länder sich bei der Entscheidung enthalten haben.
Jede Landesregierung stimmt im Bundesrat als Einheit ab; eine Enthaltung ist das übliche Mittel, wenn es innerhalb der Koalition keine gemeinsame Linie gibt. Dass die Grünen dies in ihren Landesregierungen nicht forcierten, ist bemerkenswert – sie hätten das Gesetz inhaltlich ablehnen können. Das wollten sie aber offensichtlich nicht.
Warum haben die Grünen in den Regierungskoalitionen der Länder nicht, wie das BSW und die Linke, auf eine solche Enthaltung gedrängt, obwohl die Grünen im Bundestag noch am 5.12.2025 dem Gesetz widersprochen hatten? Dazu konnte ich trotz ausführlicher Recherche, auch auf den Social-Media-Kanälen, keine Erklärung oder Aussage der Grünen auf Landesebene in den entsprechenden Bundesländern finden. Stattdessen wurden Weihnachtsplaylisten gepostet.
Aber es überrascht nicht wirklich. Auf dem letzten Bundesparteitag hatten die Grünen sich bereits für eine verpflichtende Musterung aller jungen Männer ausgesprochen. Der Co-Chef der Grünen Jugend hatte dort zwar gewarnt, „eine verpflichtende Musterung ist nichts anderes als ein erster Schritt hin zu einer Wehrpflicht durch die Hintertür“. Mit dieser Position konnte sich die Grüne Jugend aber auf dem Parteitag nicht durchsetzen. Die Grünen haben also tatsächlich nichts mehr gegen diese schrittweise Wiedereinführung des Wehrdienstes. Sie lehnen zwar formell noch die Einführung einer Wehrpflicht ab, aber gehen bei dieser schrittweisen Einführung mit. Sie sehen die Bedrohungslage nämlich ähnlich wie die Regierungskoalition und halten diese Entwicklung daher für „alternativlos“. Man könnte es das Ende der Grünen als Friedenspartei nennen. Die Transformation, die mit Joschka Fischers Rede zum NATO-Einsatz im Kosovo im Mai 1999 begann, scheint damit vollendet.
Und unsere Schüler und jungen Menschen im Land? „Wehrdienstgegner allein zu Haus“ ist mehr als eine ironische Weihnachtsanspielung. Wie Kevin im Film lassen wir gerade die Jugend in diesem Land viel zu sehr allein. Schüler streiken, protestieren, äußern Angst, Zweifel und Widerspruch – doch Politik und große Teile der Öffentlichkeit sehen weg oder haben sich von den sicherheitspolitischen Narrativen über Bündnistreue und Abschreckungslogik einfangen lassen. Die jungen Leute, die sich der Militarisierung widersetzen, müssen sehen, wie sie alleine klarkommen. Ohne Schutz, ohne ernsthafte Debatte, ohne einflussreiche politische Fürsprecher. Während die Generation der Entscheider uns einredet, das alles sei alternativlos, lernen die Jüngeren gerade, dass sie im Zweifel allein sind. Allein zu Haus. Und gezwungen, sich selbst zu verteidigen – politisch, moralisch und vielleicht bald auch ganz konkret.
Da sollten wir über die Feiertage mal drüber nachdenken.
Titelbild: halfuur / wikicommons – CC BY 3.0
–
Wehrpflicht morgen im Bundesrat: Fallen Grüne und LINKE (mal wieder) um?
Schulstreiks gegen Wehrpflicht: Kommen jetzt die „Fridays for Frieden“?
Die Wehrpflicht – ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert
„Zunächst freiwillig“: Auf den neuen Wehrdienst wird die neue Wehrpflicht folgen






