SPD zündet Nebelkerzen zur Informationsfreiheit

Ein Artikel von:
Gaby Weber

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Für alle! Und, ach ja: Gerechtigkeit! Dafür stehen sie allesamt: Die bürgerlichen Parteien, denen wir bei der Wahl unser Kreuzchen geben sollen. Eine jede von ihnen tritt dafür ein; auf eine jeweils eigene, ganz spezielle Art. Eigenartig nur, dass angesichts dieser mannigfachen Bemühungen dennoch nichts freier oder gleicher oder brüderlicher, geschweige denn gerechter geworden ist im Land. Man könnte fast denken, vieles an politischer Rhetorik und Vorhaben diene nicht etwa der Abhilfe bestimmter Zustände, sondern nur der Verschleierung der Ursachen derselben. Da werden dann eben 0815-Gesetze verabschiedet, die populäre Veränderungen „simulieren“ statt realisieren; und da werden Phrasen über Phrasen gedroschen, um den real existierenden Kampf gegen Arme als Kampf gegen Armut auszugeben. Zum Unterschied zwischen politischem Theater und Politik sprach Jens Wernicke mit der Journalistin und Filmemacherin Gaby Weber, die im letzten Jahr den Alternativen Medienpreis erhielt.

Frau Weber, ob Ihrer journalistischen Ethik, auch wirklich die Wahrheit zu recherchieren und hierfür auf die Mächtigen dieser Welt keine besondere Rücksicht zu nehmen, verklagen Sie in trauter Regelmäßigkeit Staaten, Geheimdienste etc., die zwar gerne PR und Desinformation verbreiten, sich hierbei aber nicht gern in die Karten schauen lassen. Warum ist das nötig, sagen Sie? Wir leben doch, wie man uns glauben machen will, in der demokratischsten aller möglichen Welten – verfügen über ein Informationsfreiheitsgesetz und anderes. Da sollten solche Auseinandersetzungen doch gar nicht nötig sein.

Schauen Sie doch mal genauer hin, was in diesen Gesetzen steht. So nimmt das sogenannte Informationsfreiheitsgesetz etwa die Geheimdienste ausdrücklich von ihrer Auskunftspflicht aus – was ich für verfassungswidrig halte, da die Geheimdienste über eine Vielzahl Geheimschutzvorschriften verfügen, eine grundsätzliche Ausnahme in einer Demokratie aber nicht machbar ist. Da gibt es also nichts zu feiern.

Abgesehen davon tun sich deutsche Behörden allerdings schwer, ihrer wenigen, gesetzlichen Pflicht auch nachzukommen, und werden dabei von der Politik unterstützt, die sich selbst ständig von ihren Verpflichtungen zu entbinden versucht. Und dabei scheint der Politik keine Ausrede zu blöd zu sein, um ihre Machenschaften bloß nicht offenzulegen.

Da haben brisante interne Gutachten plötzlich „Urheberrechte“ und sollen geheim bleiben. Ein Regierungsgutachten zur Causa Böhmermann bleibt unter Verschluss, weil dieses Böhmermann schaden könne. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: nach dieser Auffassung wäre eine klare Auskunft ein Verbrechen – nicht aber die Vorverurteilung Merkels wider Böhmermann und die Pressefreiheit.

Und uns wird die Antwort der USA auf die Frage der deutschen Bundesregierung vorenthalten, worin denn eigentlich die Straftaten des Whistleblowers Snowden bestanden haben sollen.

Was genau sind die Defizite unserer „Bürgerrechte auf Transparenz und Information“? Wo hakt es genau?

Wie erwähnt, werden einige Bereiche wie die Dienste grundsätzlich ausgenommen. Wo zum Beispiel liegen die Unterlagen des Bundessicherheitsrates? Das wäre mal eine interessante Frage. Dort liegen zum Beispiel die Unterlagen, was die Gewährung von Exportgenehmigungen von Waffenexporten angeht.

Und: Wie werden in der Praxis Bürger von den Behörden behandelt, wenn sie einen Auskunftsantrag stellen? Wenn sie überhaupt eine Antwort bekommen, dann meist nur eine partielle und wenn sie sich dagegen gerichtlich wehren, müssen sie mit Prozesskosten von mehreren tausend Euro rechnen. Vor allem aber wird uns erst einmal grundsätzlich vorenthalten, was eigentlich da ist.

Ich würde gerne mal wissen, was das Kanzleramt über die Jahrzehnte bei sich sammelt und nicht an das Koblenzer Bundesarchiv abgegeben hat. Da würde ich gerne einen Blick in den aktuellen Aktenbestand werfen. Im Koblenzer Bestand finden Sie aus dem Kanzleramt vielleicht ein paar Gesetze und Zeitungsausschnitte, aber keine Vermerke, Gutachten und andere Interna. Die genau wären aber notwendig, um die Geschichte so schreiben zu können, wie sie jenseits aller Propaganda wirklich war, und um das Agieren der Regierung überprüfen zu können.

Am 1. Juni veranstaltete die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin eine Fachtagung mit dem Titel “Von der Informationsfreiheit zur Transparenzgesetzgebung“. Mit dabei war auch die Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit. Und auch Sie waren als Zuhörerin mit dabei. Freuen Sie sich, dass die SPD nun endlich mit neuen Gesetzen die Informationsfreiheit ausweiten und eine „Transparenzkultur“ etablieren will, wie es im Flyer so schön heißt? Geht es endlich voran…?

Wäre es so, freute mich das. Allerdings machte die Ebert-Stiftung wie so oft wieder mal viel Lärm um nichts – respektive, es sollte eine tolle PR werden, war aber am Ende nur peinliches Politik-Blabla.

Das sah man bereits an der Auswahl der Referenten: Da war zunächst mal die unvermeidbare Andrea Voßhoff, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, eher eine beamtete Bremserin als eine engagierte Streiterin. Ihr Vorgänger, Peter Schaar, hatte sich einen Namen gemacht, weil er seinen Spielraum ausnutzte. Der hätte sicher Interessanteres aus dem Nähkästchen erzählen können. Aber die Dame Voßhoff langweilte mit allgemeinem Statements und der Behauptung, dass es bei uns doch so gut laufe mit der Transparenz.

Dann kamen die Vertreter aus der Politik: der Landesbeauftragte für Datenschutz und die Informationsfreiheit aus dem SPD-regierten Rheinland-Pfalz sowie die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Gähnfaktor hoch drei, man versicherte, man habe sich eifrig bemüht…

Dabei ist das Thema Transparenz zu Zeiten von Massen-Totalüberwachung, NSU-Komplex und anderem doch so wichtig wie nie zuvor. Und hat sich auch rechtlich zuletzt doch das ein oder andere getan…

In der Tat. Aber auch bei diesem Thema hat die FES voll ins Klo gegriffen. Neben den Politikern hat sie ausgerechnet den Anwalt der BILD eingeladen, Christoph Partsch, der über die „Entwicklung der Rechtsprechung“ vortrug.

Hat der nicht 2010 für BILD den BND in Sachen Eichmann-Akten verklagt?

Ja, das war zu dem Zeitpunkt, als ich in dieser Sache vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig bereits gewonnen hatte und die Akten damit deklassifiziert waren. Die Klage, die 2008 begonnen wurde und schließlich in meinem Sinne entschieden wurde, war damals mit einem ziemlichen Risiko verbunden, weil das Informationsfreiheitsgesetz eben die Geheimdienste von der Offenlegungspflicht ausnimmt. Dieses Risiko bin ich damals eingegangen und mein Anwalt, der sehr bekannte Reiner Geulen, stützte sich auf das Bundesarchivgesetz, und wir gewannen den Prozess weitgehend.

Die Bildzeitung, vertreten durch Herrn Partsch, ist also Trittbrett gefahren?

Genau so sehe ich das. Ich habe mich damals auf das Bundesarchivgesetz gestützt, das eine Aktenoffenlegung nach 30 Jahren vorschreibt – auch für die Geheimdienste.

Aber es ist sicher richtig, dass sich die Rechtsprechung in letzter Zeit günstig entwickelt hat – ich vermute, nur deshalb kriegt die Politik ihren Allerwertesten etwas hoch: die sehen, da ist was im Gang, da müssen wir reagieren.

Aber dass sich etwas juristisch verbessert hat, ist nicht vom Himmel gefallen. Da ist zunächst die von mir erstrittene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Außerdem klage ich derzeit erneut gegen den BND und gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz – da geht es um deren Akten zur argentinischen Militärdiktatur in den siebziger Jahren. Wieder stütze ich mich auf das Bundesarchivgesetz und zusätzlich auf das IFG, denn ich finde, die Obergerichte sollen sich einmal mit der Frage befassen, ob die Regelung, wonach das IFG die Geheimdienste von ihrer Auskunftspflicht ausnimmt, verfassungskonform ist.

Die Reaktion des BfV ist nur peinlich. Es behauptete, zu Argentinien überhaupt gar kein einziges Blatt Papier zu besitzen, und der BND hat von den Berichten seines Residenten an der Deutschen Botschaft in Buenos Aires nur ein paar Blatt herausgerückt.

Ich halte das für dumme Ausreden und habe angeboten, selbst zu suchen. Mir ist es wichtig, die kompletten Berichte einsehen zu können. Mein Anwalt, Raphael Thomas, hat daher die Überlassung all dieser Unterlagen sowie der Findmittel – also Register und Inhaltsverzeichnisse – beantragt. Diese Verfahren sind anhängig. Ich denke aber, die Chancen stehen gut.

Vor dem Bundesverfassungsgericht ist Ihr Verfahren gegen das Bundesarchiv anhängig. Und vor kurzem ging durch die Presse, dass die Bundesregierung Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt aufgefordert hat, sein Privatarchiv ans Bundesarchiv zu übergeben. Hat das mit Ihrem Verfahren zu tun?

Ja, in meinem Verfahren geht es um die Unart der Politiker, ihre Dienstakten mit nach Hause zu nehmen, statt sie dem Bundesarchiv zu überlassen. In meinen Augen ist das Diebstahl. Und undemokratisch natürlich auch. Denn diese Akten werden damit der Öffentlichkeit vorenthalten.

Bei mir geht es um die Akten von Hans Globke zum Wiedergutmachungsverfahren mit Israel und die von Hermann Abs zum Londoner Schuldenabkommen – beide aus dem Jahr 1952.

Diese Akten wurden von ihren jeweiligen Erben der Konrad-Adenauer-Stiftung bzw. dem Historischen Institut der Deutschen Bank überreicht, die sie mir entweder nicht oder nur teilweise zeigen wollten.

Das Bundesarchiv hat diese Praktiken über Jahrzehnte hingenommen, da habe ich es wegen Untätigkeit verklagt, und die Sache liegt zur Entscheidung in Karlsruhe.

Ich hoffe auf eine positive Entscheidung der Verfassungsrichter. Sie haben ein Gutachten beim Bundesjustizministerium eingeholt, und mich hat besonders gefreut, dass sich das „Forum Justizgeschichte“ mit einem sogenannten Amicus Curiae-Brief öffentlich in die Debatte eingemischt hat.

Es hätten also, um eine spannende Diskussion bei der Fachtagung zustande zu bringen, interessante Fachleute zur Verfügung gestanden: Anwälte, die die Verfahren mit vollem Risiko durchgezogen haben, Richter und Mitstreiter, die dafür gesorgt haben, dass sich das allgemeine Bewusstsein in der Bevölkerung zum Thema Informationsfreiheit geändert hat.

Referierte denn bei der Konferenz niemand, der von der Basis kommt?

Nein: es waren die Berufspolitiker, der Anwalt der BILD und Sven Berger von der dgif, vor der sich kein Aktenverstecker fürchten muss. Der meinte etwa auf die Frage, warum er die Ausnahmeregelungen des Informationsfreiheitsgesetzes bezüglich der Geheimdienste bisher nicht gerichtlich und verfassungsrechtlich habe überprüfen lassen, nur, dass man dazu zu wenig Personal habe und sich zu geringe Erfolgsaussichten verspräche. Naja, wer‘s glaubt…

Und zum Thema „Transparenzkultur“ hätte ich mir jemanden vom CCC oder von netzpolitik.org gewünscht, die wegen der Veröffentlichung eines harmlosen Papiers vom Bundesamt für Verfassungsschutz wegen Landesverrates angeklagt worden sind und jetzt eine sehr interessante Initiative vorgestellt haben: VerklagDenStaat.de – mit konkreten Handlungsanweisungen und Grundsatzurteilen, wie die Bürger Auskunftsanträge stellen sollen. Das wäre von Interesse, weil Relevanz gewesen!

Ist das denn auf der Tagung alles so widerspruchslos hingenommen worden? Ich meine, dieses Berieselungsprogramm…

Nein, nach den langweilenden Vorträgen vom Podium herab kam es aus dem Publikum ausschließlich zu kritischen Nachfragen, Netzpolitik und andere junge Aktivisten, Bürger aus dem Umweltbereich und andere erzählten, wie sie von den Behörden abgeschifft werden, und sogar der Journalist Saure von der BILD war über die Auskunftspraxis der Behörden empört. Auf diese sehr konkreten Probleme und Fragen gab es aber nur lapidare Antworten. Die Ebert-Stiftung machte hier wirklich alles andere als eine gute Figur.

Was bräuchte es denn, damit wirklich Transparenz und Informationsfreiheit bestünden? Und, unter uns: Sind diese in der gesellschaftlichen Ordnung, in der wir leben, denn überhaupt denkbar?

Das hängt davon ab, wie ernst wir es mit der Demokratie nehmen. Ist Demokratie das Recht, alle vier Jahre irgendwo sein Kreuzchen zu malen und ansonsten den Regierenden ausgeliefert zu sein? Damit meine ich die staatliche Bürokratie, vor allem aber diejenigen, die die Macht in der Hand haben: die wirtschaftliche Macht…

Wie können wir von einer „Transparenzgesellschaft“ reden, während der Verfassungsschutz unter dem Verdacht steht, eine Mörderbande geschützt und gefördert zu haben, während die NSA und die anderen Geheimdienste problemlos in unsere Privatsphären eindringen und die Politik uns ein TTIP zumutet, das sogar Abgeordneten keinen kompletten Einblick gewährt? Da verkommt das hübsche Wort „Transparenz“ zu einer leeren Hülle.

Und, ja, die Friedrich-Ebert-Stiftung wirft offenbar ebenfalls mit Nebelkerzen, damit der Ernst der Lage und die Parteilichkeit der Politik gegen uns Bürgerinnen und Bürger und somit gegen die Demokratie nicht zu offenkundig wird. Ein Trauerspiel…

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Gaby Weber, 1954 in Stuttgart geboren, Magister und Promotion an der FU Berlin, ist seit 1978 hauptberufliche Journalistin, arbeitete zuerst für den stern und ab 1981 für die ARD. Seit 1985 ist sie freiberuflich als Südamerika-Korrespondentin tätig. Ihre Homepage ist gabyweber.com.


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