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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Optimierte Kriegsführung
  2. Bundestag steht stramm
  3. Bürgerversicherung: Warum nicht einfach das österreichische Modell übernehmen?
  4. Vorsicht vor Öffentlich-Privaten Partnerschaften
  5. Finanzermittlungen: Tausende Geldwäsche-Meldungen stauen sich beim Zoll
  6. BAMF-Asylentscheidungen und Asylanträge bis November 2017
  7. Ein dunkles “Geheimnis” an Europas Außengrenze
  8. Kein Grund zum Gratulieren
  9. Die Aufklärungsvereitlung
  10. Nachtzüge: “Wisst ihr eigentlich, was ihr da tut?”
  11. Ein lukratives Geschäft
  12. Hintergrund: Was ist Antisemitismus?
  13. „Führungsversagen“ Eisenbahner und Reisende empört über Chaos bei der Bahn
  14. Koko statt GroKo

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Optimierte Kriegsführung
    Die für die Rüstungsindustrie tätige Unternehmensberatung McKinsey nimmt entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der deutschen Militärpolitik und die Entwicklung der Bundeswehr. Bereits seit etwa fünf Jahren liefert die Agentur die inhaltlichen Vorgaben für die Münchner Sicherheitskonferenz, eine der weltweit wichtigsten militär- und rüstungspolitischen Tagungen. Fast zeitgleich wurde mit Katrin Suder eine vormals leitende McKinsey-Managerin auf den Posten einer Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium berufen. Suder zeichnet sowohl verantwortlich für die Beschaffung von Kriegsgerät als auch für den Aufbau der mit der Kriegsführung im Internet befassten “Digitalen Kräfte” der deutschen Armee. Parallel dazu hat sich ein intensiver Personalaustausch zwischen McKinsey und der Truppe etabliert. So beschäftigt das Beratungsunternehmen mittlerweile etliche Absolventen des Studienganges “International Management”, den die Münchner Bundeswehruniversität anbietet. Es handelt sich ausschließlich um ehemalige Offiziere.
    Quelle: German Foreign Policy

    dazu: Deutsche Waffenindustrie sahnt ab
    Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri legt seinen Jahresbericht vor. Weltweit steigern die Rüstungskonzerne wieder ihre Umsätze.
    Russland plus 3,8, die USA plus vier und Deutschland plus 6,8 Prozent: Deutsche Waffenschmieden sind Spitze im Boomindex der Rüstungskonzerne. Sie haben ihre Umsätze von 2015 auf 2016 erneut gesteigert und übertreffen damit das Plus von 2014 auf 2015 um 0,2 Prozent.
    Quelle: taz

    dazu auch: Die USA – der größte Schurkenstaat der Welt
    2016 haben die Rüstungskonzerne Waffen im Wert von 374,8 Milliarden Dollar verkauft. Die US-Konzerne sind die größten Profiteure. Auf sie entfällt mit 217,2 Milliarden Dollar der größte Teil der weltweiten Waffenverkäufe.
    Wir erinnern uns: Der Waffennarr im Weißen Haus, US-Präsident Donald Trump, hat mit der Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien vor einem halben Jahr einen „Waffendeal“ von 110 Milliarden Dollar abgeschlossen. Saudi-Arabien führt mit Rückendeckung der USA einen mörderischen Krieg im Jemen. Und die USA brauchten und brauchen auch selbst viele Waffen in Afghanistan, in Syrien, im Irak, in Libyen und für andere Konflikte der Welt, in denen sie „Frieden stiften“.
    Die USA nennen Staaten, deren Regierungen ihnen nicht passen, für die sie einen Regierungswechsel planen und wo sie notfalls mit Bomben nachhelfen, Schurkenstaaten. Der größte Schurkenstaat der Welt aber ist die USA.
    Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook

  2. Bundestag steht stramm
    Fünf Auslandseinsätze der Bundeswehr verlängert: Deutsche Truppen bleiben in Syrien, während russische abgezogen werden […]
    Der Deutsche Bundestag beschloss derweil auch eine Verlängerung der Ausbildungsmission für Peschmerga der konservativen kurdischen Regionalregierung im Nordirak. Derzeit sind dort 140 deutsche Soldaten nahe der Metropole Erbil stationiert. Bis zum 30. April verlängert wurden auch der Ausbildungseinsatz in Afghanistan, die Beteiligung der Bundeswehr am internationalen »Stabilisierungseinsatz« in Mali sowie die Mission »Sea Guardian« zur Überwachung des Mittelmeerraums. Letztere fand nicht nur Zustimmung bei den meisten Abgeordneten der Altparteien, sondern auch bei der übergroßen Mehrheit der AfD-Fraktion, die sich davon weniger Migranten erhofft. Linke und Grüne stimmten geschlossen dagegen.
    Quelle: junge Welt

    dazu: Anpassung der Abgeordnetenentschädigung
    Die monatliche Entschädigung der Bundestagsabgeordneten soll nach dem Willen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auch in der laufenden Wahlperiode jährlich zum 1. Juli auf Grundlage der Entwicklung des Nominallohnindexes angepasst werden. Ein entsprechender Antrag der drei Fraktionen (19/236) steht am Mittwoch zur abschließenden Beratung auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums. Danach bleibt das Anpassungsverfahren nach Paragraf 11 (Abgeordnetenentschädigung) Absatz 4 des Abgeordnetengesetzes für die 19. Wahlperiode des Bundestages wirksam.
    Quelle: Deutscher Bundestag

    Anmerkung André Tautenhahn: Fast drei Monate sind seit der Bundestagswahl vergangen. Die ersten Entscheidungen, die der Bundestag trifft, sind also die Verlängerung von Bundeswehreinsätzen und eine Regelung zur automatischen Diätenerhöhung. Was für ein Signal.

  3. Bürgerversicherung: Warum nicht einfach das österreichische Modell übernehmen?
    CSU-Chef Horst Seehofer lehnte die SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung im Spiegel mit der Begründung ab, er sehe nicht, “wie man sie so umsetzen kann, dass sie nicht für große Ungerechtigkeiten sorgt”. In Sozialen Medien empfiehlt man ihm deshalb einen Blick über die Grenze: In Österreich funktioniert ein Bürgerversicherungsmodell nämlich seit langem so zufriedenstellend, dass auch die neue türkis-blaue Koalition bislang keine wesentlichen Änderungswünsche dazu vorgebracht hat.
    In der Alpenrepublik richten sich alle Krankenversicherungsbeiträge nach dem Einkommen, und nicht nach Vorerkrankungen oder dem Alter. Wer unterhalb von 415,72 Euro monatlich verdient, der zahlt den Studenten- und Mindesttarif von etwa 50 Euro. Darüber fallen bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von 4.860 Euro 7,65 Prozent des Einkommens an. Dieser Beitrag beinhaltet sowohl den 3,87-prozentigen Arbeitnehmer- als auch den 3,78-prozentigen Arbeitgeberanteil. Österreichische Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen also nur etwa die Hälfte dessen, was in Deutschland für die Krankenversicherung anfällt.
    Dass die Beiträge so viel niedriger sein können als in der Bundesrepublik, deutet darauf hin, dass das österreichische System (in dem eine Gebiets- oder Berufskrankenkasse zugewiesen wird) effizienter ist als das deutsche mit Hunderten von gesetzlichen und privaten Kassen. Ob sich diese größere Effizienz über ein “System mit mehr als 100 gesetzlichen und privaten Bürgerversicherungen” erreichen lassen wird, das der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gestern ins Spiel brachte, ist fraglich.
    Durch die nur halb so hohen Beitragsforderungen kommen in Österreich auch Selbständige, die den Arbeitgeberanteil (ebenso wie in Deutschland) selbst übernehmen müssen, seltener in Zahlungsschwierigkeiten. Rentner zahlen keinen Arbeitgeberanteil, sondern 5,1 Prozent ihrer Bezüge. Lassen sich Ehepartner und Lebensgefährten mitversichern, steigt der Beitrag um 3,4 Prozentpunkte; mitversicherte Kinder kosten dagegen nichts extra.
    Quelle: Telepolis
  4. Vorsicht vor Öffentlich-Privaten Partnerschaften
    Seit Ende der 90er Jahre greifen immer mehr Länder auf öffentlich-private Partnerschaften zurück. Damit will man in Gesundheit, Bildung, Verkehr oder Infrastruktur dem langjährigen Nachholbedarf begegnen.
    Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPPs) sind im Wesentlichen langfristige Verträge mit gewinnorientieren Unternehmen zur Produktion öffentlicher Güter, deren wirtschaftlicher Erfolg durch staatliche Garantien abgesichert ist. Sie ermöglichen es dem privaten Sektor, große Infrastrukturprojekte oder Dienstleistungen zu übernehmen (und manchmal auch zu betreiben). Projekte also, die traditionell im Verantwortungsbereich des Staates lagen. Darunter fallen z.B. der Bau und der Betrieb von Krankenhäuser, Schulen, Straßen, Eisenbahnen, Sanitäranlagen und der Energie- und Wassersektor. (…)
    Die Alternative bleibt das öffentliche Beschaffungswesen. Mit einer kompetenten Regierung und einem unbestechlichen öffentlichen Dienst hat sich ein effizientes öffentliches Beschaffungswesen im Allgemeinen als weitaus kostengünstiger und effizienter erwiesen als ÖPPs.
    Das Problem: Die internationalen Handels- und Investitionsabkommen untergraben zunehmend die Rechte der Regierungen, solche Alternativen im nationalen Interesse zu verfolgen. Es ist daher wichtig festzustellen, unter welchen Umständen eine Beteiligung von gewinninteressierten Investoren überhaupt sinnvoll ist. Für öffentliche Monopole der Daseinsfürsorge gilt das nicht.
    Quelle: Makroskop
  5. Finanzermittlungen: Tausende Geldwäsche-Meldungen stauen sich beim Zoll
    Innerhalb weniger Monate hat sich nach SPIEGEL-Informationen eine gewaltige Menge von Geldwäsche-Verdachtsanzeigen beim Zoll angestaut. Mehr als 24.000 Meldungen liegen dort auf Halde.
    Eine neue Sondereinheit des Zolls entwickelt sich zunehmend zum Problem. Nach Informationen des SPIEGEL hat die im Juli zum Zoll verlegte Financial Intelligence Unit (FIU) von etwa 29.000 Geldwäsche-Verdachtsanzeigen bislang mehr als 24.000 in der Bearbeitung zurückstellen müssen.
    Wie aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf die Anfrage des linken Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi hervorgeht, übermittelte die FIU erst knapp 4100 Geldwäsche-Verdachtsanzeigen an Polizei, Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden zur weiteren Bearbeitung, knapp 900 weitere Fälle wurden eingestellt.
    “Das ist eine sicherheitspolitische Katastrophe”, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Sebastian Fiedler. “Damit ist die Geldwäschebekämpfung in Deutschland nahezu komplett vor die Wand gefahren worden.” Die Zahlen beschönigten die Situation sogar noch. Unter den Meldungen, die an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden sind, “befinden sich nur wenige Vorgänge mit Substanz”, sagt Fiedler.
    Quelle: Spiegel Online

    dazu: Die Skandalbank
    Seit der Bankenkrise 2008 war die HSBC in unzählige Skandale verwickelt. Egal ob Geldwäsche von Drogeneinnahmen, Steuerbetrug oder Korruption – die Bank schreibt immer wieder Schlagzeilen und kommt jedes Mal mit einem Bußgeld davon, ohne Prozess oder Verurteilung. Der Begriff “Too Big to Jail”, sprich zu groß für eine Gefängnisstrafe, scheint ihr auf den Leib geschrieben zu sein.
    Quelle: arte

  6. BAMF-Asylentscheidungen und Asylanträge bis November 2017
    Dezember 2016 bis November 2017: 659.201 Entscheidungen über Asylanträge, darunter nur noch 45,0 Prozent (296.419) “positive Entscheidungen”. Von den 296.419 “positiven Entscheidungen” in den letzten 12 Monaten entfielen 52,8 Prozent (156.376) auf den eingeschränkten “subsidiären Schutz” und das “Abschiebungsverbot”. In lediglich 47,2 Prozent (140.043) der Fälle („positive Entscheidungen“) wurde vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) die “Rechtsstellung als Flüchtling“ festgestellt. Zwei Jahre zuvor, von Dezember 2014 bis November 2015, entfielen von den 116.655 “positiven Entscheidungen” 96,9 Prozent (112.988) auf die Feststellung der “Rechtsstellung als Flüchtling”.
    Die gesamten BIAJ-Materialien vom 11. Dezember 2017 mit zwei aktualisierten Tabellen (und kurzen Lesehilfen): Download_BIAJ20171211 (PDF: eine Text- und zwei Tabellen-Seiten) (weitere BIAJ-Informationen zum Thema BAMF – Migration, Flüchtlinge, Asyl – hier)
    Quelle: BIAJ
  7. Ein dunkles “Geheimnis” an Europas Außengrenze
    Lesbos ist eine der Inseln, auf denen auch heute noch nahezu täglich neue Flüchtlinge und Immigranten aus der Türkei nach Europa per Schlauchboot übersetzen. Lesbos hat zwei Lager für Flüchtlinge, deren Unterschiede nicht extremer sein könnten. Das Lager Karatepe, welches das beste Lager in gesamt Griechenland ist, und das Lager Moria, gegen das die “Schande von Idomeni” wie ein Erholungscamp wirkt. Es gibt aus der Zeit vor 2015 noch eine kleinere Flüchtlingsherberge, ein ehemaliges Sanatorium, welches weiter abgelegen von der Inselhauptstadt liegt.
    Immigrationsminister Giannis Mouzalas schiebt sämtliche Verantwortung von sich. Wiederholt sucht er die Schuld bei anderen. An dem faktischen Gefangenendasein von Flüchtlingen und Immigranten auf den griechischen Inseln ist seiner Meinung nach die Europäische Union schuld, die einen entsprechenden Passus im Flüchtlingspakt mit der Türkei unterschrieben hat. Die schleppende Bearbeitung der Asylanträge der Ankommenden liegt an mangelnden Geldmitteln und Personalknappheit des griechischen Staats, wird von Seiten des Ministeriums angeführt.
    Quelle: Telepolis
  8. Kein Grund zum Gratulieren
    Vor zehn Jahren unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der EU den »Vertrag von Lissabon«. Ein Rückblick
    Die Entstehungsgeschichte des Lissabon-Vertrags ist zunächst einmal eine Lehrstunde in Sachen europäischer Demokratie. Dass es den Vertrag überhaupt gibt, ist der Tatsache geschuldet, dass die EU-Eliten sich von widerspenstigen Mehrheiten nicht aufhalten lassen. Am 29. Oktober 2004 hatten die Staats- und Regierungschefs der Union in Rom feierlich den »Vertrag über eine Verfassung für Europa« unterzeichnet, der am 1. November 2006 in Kraft treten sollte. Zuvor musste er noch ratifiziert werden, und dazu waren – da es sich nun mal um ein Verfassungsdokument handelte – in einigen Ländern Referenden unumgänglich. Das erste in Spanien ging glatt; beim zweiten in Frankreich krachte es: Die französische Bevölkerung lehnte den Vertrag am 29. Mai 2005 mit 55,7 Prozent ab. Im dritten Referendum in den Niederlanden gab es ein weiteres »Nein«, diesmal sogar mit 61,5 Prozent. Die EU-Verfassung war gescheitert – sollte man meinen. Die Staats- und Regierungschefs verordneten sich erst einmal eine »Reflexionsphase«.
    Das Ergebnis des Nachdenkens: Auf einem EU-Sondergipfel am 25. März 2007 in der deutschen Hauptstadt einigten sie sich in einer »Berliner Erklärung« darauf, die Union »auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen«. Diese entpuppte sich allerdings als eine lediglich minimal abgewandelte Version des gescheiterten EU-Verfassungsentwurfs, die am 13. Dezember als »Vertrag von Lissabon« unterzeichnet wurde. Nun musste der Vertrag ebenfalls in den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Diesmal aber war man gewarnt: Frankreichs Regierung änderte kurzerhand die nationale Verfassung, um ein erneutes Referendum vermeiden zu können. Die Niederlande legten die Ratifikation ohne weitere Umstände in die zuverlässigen Hände ihres Parlaments. Nur in Irland war das nicht möglich. Und prompt gab es dort am 12. Juni 2008 mit 53,5 Prozent »No«-Stimmen eine weitere Schlappe. Also ließ man Irland nachsitzen. Es funktionierte: Nach der erneuten Abstimmung vermeldete Dublin am 2. Oktober 2009 mit 67,1 Prozent ein klares »Yes«.
    Quelle: junge Welt
  9. Die Aufklärungsvereitlung
    In die NSU-Morde waren staatliche Stellen verstrickt. Bundesanwaltschaft und Gerichtssenat erklärten diesen Skandal während des Prozesses in München für irrelevant. Aus dem Schlussvortrag eines Nebenklagevertreters
    Am 6. April 2006 wurde der 21jährige Halit Yozgat im Internetcafé seines Vaters in Kassel erschossen. Die mutmaßlichen Täter waren die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Der Mordfall ist Teil des NSU-Prozesses am Oberlandesgericht München. Am 6. Dezember, dem 395. Verhandlungstag, hielten die Anwälte, die die Familie Yozgat als Nebenkläger vertreten, ihre Schlussvorträge. Wir veröffentlichen an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung das Plädoyer des Rechtsanwalts Alexander Kienzle in einer stark gekürzten Fassung. Auslassungen sind mit eckiger Klammer kenntlich gemacht. (…)
    Angesichts der Tatsache, dass eine Vielzahl von Ämtern seit (spätestens) 1998 und bis in die hiesige Beweisaufnahme hinein nach allem, was wir wissen, dafür Sorge zu tragen versuchten, Anhaltspunkte gerade für die staatliche Mitverantwortung zu vernichten, zu verschleiern oder auf anderem Wege nicht offenlegen zu müssen, musste diese durch das Gericht vorgenommene Verlagerung der Amtsaufklärung auf die Verfahrensbeteiligten offenkundig zu Lasten der auch staatlichen Mitverantwortung gehen. Der Senat wurde damit einer Alternativbedeutung seiner Bezeichnung als »Staatsschutzsenat« gerecht, schützte er doch den Staat vor einer weitergehenden Aufklärung eigener Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit der Mordserie des NSU.
    Quelle: junge Welt
  10. Nachtzüge: “Wisst ihr eigentlich, was ihr da tut?”
    Für die Deutsche Bahn waren Nachtzüge ein ruinöses Geschäft. Die ÖBB haben die Strecken übernommen und rentabel gemacht. […]
    Alles begann im Jahr 2016 mit der Ankündigung der Deutsche Bahn (DB), den Betrieb von Nachtzügen einzustellen. Nach 150 Jahren! Von jährlich 30 Millionen Euro Defizit war die Rede. Ein hoffnungsloser Fall, hieß es in der DB-Zentrale. Die Entscheidung erzürnte viele Kunden. Es hagelte Proteste – vergebens. Da kündigten die ÖBB an, den Nachtzugbetrieb im Nachbarland zu retten. Das warf eine Frage auf, die das Thema Nationalstolz berührt: Was kann die österreichische Staatsbahn besser als die viel größere deutsche? […]
    Die DB hat gerade andere Prioritäten. Es geht um das Reisetempo zwischen Großstädten. So braucht der ICE-Sprinter von München nach Berlin neuerdings kaum vier Stunden. Für ein Angebot, das Kunden nach 20 Uhr bequem zurückbringt, fühlt sich die DB hingegen nicht mehr zuständig. Im Berliner Bahn-Tower sind sie froh, dass sie die Nachtzüge los sind. “Wir schauen staunend zu, wie die Österreicher das nun machen”, heißt es. Mit anderen Worten: Vergelt’s Gott, Wien! Nach einem Jahr mit den neuen Nightjets vermelden die ÖBB: Es läuft. Man habe insgesamt etwa 1,4 Millionen Nachtreisende auf den nunmehr 16 Strecken. Die Züge durch Deutschland seien zu 60 Prozent ausgelastet. Vor allem die Deluxe-Abteile in den Schlafwagen sind oft schon Wochen vorher ausgebucht.
    Quelle: Zeit Online

    dazu: Ein Jahr nach dem Ausstieg der DB: »Die ZEIT« zieht Bilanz
    Leider hat es die Negativpropaganda der DB bis in diesen Artikel geschafft, wenn es heißt, die DB habe »zuletzt ein kümmerliches Prozent« ihres Fernverkehrs-Umsatzes im Nachtgeschäft gemacht. Nein, sondern ein Prozent war der Anteil der Reisenden, und zwar nur derjenigen mit reservierungspflichtigen Plätzen im Schlaf-, Liege-, Ruhesessel- oder Sitzwagen. Da sie im Durchschnitt die 2,5-fache Reiseweite im Vergleich zur ICE- und IC-Kundschaft hatten, erbrachten diese Nachtzugreisenden schon 2,5 % der Beförderungsleistung, die auch bei der DB in Personenkilometern (und nicht in Personen) gemessen wird. Hinzu kamen aber über eine Million Reisende in Sitzwagen ohne Reservierungspflicht, die von der DB als Intercity deklariert wurden. Irreführenderweise hat die DB diese Reisenden immer unterschlagen, wenn es darum ging, gegenüber den Medien Angaben zur Leistung der Nachtzüge zu machen. Diese Nachtzugreisenden – von Pendlern zwischen München und Augsburg bis hin zu 19-Euro-Sparfüchsen zwischen Berlin und Karlsruhe – machten rund ein weiteres Prozent der Reisenden aus. Bei ihnen darf man durchaus dieselbe durchschnittliche Reiseweite unterstellen wie im Tagesverkehr, also erbrachten sie rund ein Prozent der Beförderungsleistung. Damit sind schon 3,5 % Anteil erreicht. Da aber bei Nachtzügen auch noch Bettkarten und Liegekarten bezahlt werden mussten, kann man grob schätzen, dass der Umsatzanteil bei 4 % gelegen haben dürfte.
    Quelle: Nachtzug bleibt

    Anmerkung unserer Leserin M.G.: Da hat man also Milliarden verbuddelt (und sich das Backup für die Sicherheit gespart) – und um das zu finanzieren, hat man den Nachtzug eingestellt. Dieser Zug machte übrigens 2013 noch 1,0 Millionen Euro Gewinn auf der Schiene. Aber im Bahntower war man findig und drückte diesem Zug sage und schreibe 0,7 Millionen Euro Overheadkosten und 0,4 Mio. Euro Abschreibungen auf – prompt zeigte das Ergebnis rote Zahlen.

  11. „Führungsversagen“ Eisenbahner und Reisende empört über Chaos bei der Bahn
    Der Eisenbahner ist außer sich vor Ärger. „Das war absolut blamabel“, sagt er. „Selten habe ich einen Fahrplanwechsel erlebt, der so daneben gegangen ist.“ Am Sonntag wurden nicht einmal 60 Prozent der Fernzugfahrten als pünktlich registriert.
    „Da fallen ein paar Schneeflocken, und schon fallen reihenweise Züge aus. Schweizer und Schweden können darüber nur lachen.“ Noch peinlicher findet er die Probleme mit den ICE-Zügen, die über die neue Schnellfahrstrecke zwischen Berlin und München rasen sollten – aber dann wegen Ausfällen beim Sicherungssystem ETCS umgeleitet wurden und zu spät ans Ziel kamen.
    Es ist eine historische Chance. Auf der Tempo-300-Trasse, die für drei Milliarden Euro in Thüringen und Franken entstanden ist, könnte die Bahn zeigen, was sie kann – mit großer Geschwindigkeit ökologisch korrekt viele Menschen befördern. Doch nicht nur viele Tausend Fahrgäste der Deutschen Bahn (DB), die sich auf den Betriebsstart am zweiten Advent gefreut haben, sind enttäuscht. Auch Eisenbahnern gehen die Ausfälle und Verspätungen, die den Beginn der Fahrplanperiode überschatteten, nahe.
    Quelle: Berliner Zeitung

    dazu auch: Pannen im Sonder-ICE: So erlebten Reisende das Desaster
    Ein PR-Desaster bei der Eröffnung der ICE-Schnellbahnverbindung München-Berlin zeigt, dass es der Deutschen Bahn nicht an Tempo, sondern an Zuverlässigkeit fehlt. Das peinliche Verspätungsprotokoll zum Nachlesen.
    Quelle: Nordbayern

  12. Ein lukratives Geschäft
    Weltweit machen sich private Anbieter im Bildungssystem breit. Warum Gewinnstreben dort nichts verloren hat und das Erreichte verteidigt werden sollte, erklärt New Internationalist-Autorin Hazel Healy.
    In den vergangenen Jahren war eine rasche Zunahme der Aktivitäten des Privatsektors im Bildungsbereich zu verzeichnen. Die AkteurInnen sind unterschiedlich, doch ihre Versprechen sind dieselben: Effizienz, Wahlfreiheit und Wettbewerb, gestützt auf die angebliche Unfähigkeit öffentlicher Bildungssysteme, ein bedarfsgerechtes, qualitätsvolles Angebot bereitzustellen. Privatisierung ist das Mittel der Wahl, um diese Ziele zu erreichen. Mit der weltweiten Zunahme der Einschulungsraten und einem enormen ungedeckten Bildungsbedarf steht das Thema hoch oben auf der politischen Agenda: die Fundamente einer qualitativ hochwertigen, öffentlichen Schulbildung wackeln, doch noch nie war es wichtiger, sie zu verteidigen.
    Die Erscheinungsformen der laufenden neoliberal inspirierten Transformation des Bildungssystems sind vielfältig. Oft werden sie öffentlich nicht beachtet, etwa die Modelle einer privatisierten Schulbildung wie die unabhängigen „Charter Schools“ in den USA und Neuseeland oder die „Friskolor“ (freie Schulen) in Schweden. Australien wiederum hat sein nationales Bewertungsprogramm an den britischen Medienkonzern Pearson ausgelagert – das größte Bildungsunternehmen der Welt mit einem Umsatz von mehr als fünf Mrd. US-Dollar (2016).
    Überall im globalen Süden, in Ländern wie Kenia, den Philippinen oder Ghana, expandieren Privatschulketten, die Schulbildung zum Billigtarif vermarkten. Auch in öffentlichen Schulen ist mit Angeboten wie Digitalem Lernen, Datenverwaltung oder beruflicher Weiterbildung eine schleichende Invasion des Privatsektors zu beobachten.
    Quelle: Südwind Magazin
  13. Hintergrund: Was ist Antisemitismus?
    Die einen klagen über die vermeintliche “Keule” des Antisemitismus-Vorwurfs. Andere meinen, es fehle ein grundlegendes Verständnis davon, was Antisemitismus eigentlich meint. Mithilfe einer Definition versuchen Experten, das Phänomen zu fassen.
    Quelle: Faktenfinder Tagesschau

    Anmerkung JK: Ein absolut dünner Text. Kritik an Israel ist natürlich antisemitisch. Wer die israelische Politik in den Palästinensergebieten als rassistisch bezeichnet, was sie ist, “dämonisiert” Israel. Wie kann man etwas faktenfinder nennen, was nur dazu dient die vorherrschenden Sichtweisen zu bekräftigen? Die Heuchelei des linksliberalen Juste Milieus zeigt sich wieder darin, dass bei den geschilderten antisemitischen Vorfällen in Berlin nicht erwähnt wurde, dass diese wohl unter Beteiligung von Migranten aus arabisch-islamischen Ländern geschahen, dass die Zuwanderung, primär von Menschen aus dem islamisch geprägten Raum neben Frauenfeindlichkeit und Homophobie auch einen verstärkten Antisemitismus mitbringt. Ein Interview mit der Vorstandsvorsitzenden der Denunziationsplattform Amadeu Antonio Stiftung, Kahane, in der diese natürlich unvermeidlich von einem “Querfront-Antisemitismus” fabuliert (Minute 4:44), rundet das ganze ab.

    dazu: Jerusalem-Debatte: Trumps Rede lässt Israelis kalt
    Weltweit demonstrieren Muslime gegen die Entscheidung von US-Präsident Trump, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen. Doch im Land selbst ist das vielen Menschen egal. Sie bewegt etwas anderes. […]
    Beim “Marsch der Schande” protestierten die Menschen gegen ihren “Crime Minister”. Sie schimpften über die angebliche Korruption von Premier Benjamin Netanyahu und seine Versuche, die Ermittlungen der Polizei durch neue Gesetze zu stoppen. “Wir werden so lange weitermachen, bis das aufhört”, sagte ein Demonstrant, der seine kleine Tochter auf den Schultern trug. “Im Gegensatz zu dieser Erklärung in Washington ist das hier relevant für uns”, hieß es von einem der Organisatoren.
    “Den meisten Israelis war Trumps Erklärung ziemlich egal”, sagt Avi Shilon im Gespräch mit dem SPIEGEL. Der Politikwissenschaftler hat Biographien über David Ben-Gurion und Menachem Begin geschrieben, gerade ist sein neues Buch über den Niedergang der israelischen Friedensbewegung auf Hebräisch erschienen. Shilon sagt über die Haltung seiner Landsleute: “Es gab eine gewisse Anspannung, was passieren würde nach der Rede, aber als es dann relativ ruhig blieb, hat das Interesse nachgelassen.” Dass die Entscheidung den Friedensprozess torpedieren könnte, ist in Israel kein Thema, weil Frieden insgesamt kein Thema ist.
    Quelle: Spiegel

  14. Koko statt GroKo
    In der SPD wird angesichts des Widerstandes gegen eine Große Koalition eine für Deutschland ganz neue Form der Regierungszusammenarbeit geprüft. Parteichef Martin Schulz erläuterte nach Teilnehmerangaben in der Fraktionssitzung am Montagabend ein Modell, bei dem nur bestimmte Kernprojekte im Koalitionsvertrag verankert werden. Andere bleiben bewusst offen, damit sie im Bundestag diskutiert und ausverhandelt werden können. Das würde Raum geben zur Profilierung – und zu wechselnden Mehrheiten.
    Ein Sprecher betonte, das sei einer von mehreren denkbaren Wegen. Die Idee einer Kooperationskoalition (»KoKo«) stammt von der Parteilinken. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Wir waren sehr, sehr stark an die Bundesregierung gebunden.« In Teilen der SPD wird der Koalitionsvertrag mit der Union von 2013 heute kritisch gesehen.
    Auf 185 Seiten wurde alles bis ins letzte Detail verhandelt und dann vier Jahre lang in Gesetze gegossen – am Ende war vielen Bürgern nicht klar, wer zum Beispiel für die Durchsetzung des Mindestlohns verantwortlich war. Die SPD fürchtet, wieder als Verlierer aus einer »GroKo« heraus zu gehen. Wenn bestimmte Themen offen bleiben, könnte sie – so das Kalkül – beim Ringen um Projekte deutlicher machen, wer wofür steht und was auf wessen Betreiben durchgesetzt wird, notfalls auch mit anderen Mehrheiten. Als ein Beispiel gilt die gegen die Union durchgesetzte Ehe für alle.
    Quelle: Neues Deutschland

    Anmerkung Christian Reimann: Leider fällt offenbar auch die Parlamentarische Linke innerhalb der SPD auf die Phrase herein, dass die Partei insbesondere bei der letzten Bundestagswahl wegen der GroKo abgestraft worden sei. Wie wäre es denn mal mit einer inhaltlich-programmatischen Neuausrichtung – beispielsweise am Berliner Grundsatzprogramm von 1989 orientiert? Wenn selbst die Parteilinke inhaltlich auf ein “Weiter so” setzen sollte, scheint der Niedergang unvermeidlich, oder? Wer braucht denn eine ehemalige Arbeiterpartei, die nun mehr die Interessen von Konzernen, Reichen und Vermögenden bedient und stets an der Seite der Unionsparteien steht?

    dazu: Merkel verweigert die Arbeit (nicht Schulz)
    GroKo, Koko oder Kokolores? Auf diese absurde Formel bringt unsere Qualitätspresse das erste Sondierungstreffen zwischen SPD, CDU und CSU. Dass es SPD-Kanzlerkandidat Schulz wagt, sich Merkel nicht bedingungslos in die Arme zu werfen, soll als “Beleg” dafür herhalten, dass die Sozis nicht regierungsfähig seien. Dabei sitzen die SPD-Minister immer noch in der geschäftsführenden Regierung und machen ihren Job. Das allerdings kann man von Kanzlerin Merkel gerade nicht wirklich behaupten. Sie will nicht nur keine Regierungserklärung zum EU-Gipfel am Donnerstag abgeben. Sie will beim Euro-Gipfel am Freitag auch keine Festlegung treffen. Das heißt: Sie verweigert die Arbeit!
    Quelle: Lost in Europe