Craig Murray legt nach und nennt die „Nowitschok-Story“ eine Neuauflage des Schwindels über irakische Massenvernichtungswaffen

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Bereits gestern griffen wir in unserem Artikel „Die Salisbury Tales – was verschweigen Medien und Politik im Falle des vergifteten russischen Doppelagenten?“ die Schilderungen des ehemaligen britischen Botschafters Craig Murray[*] auf, der sich in seinem mittlerweile in den sozialen Medien weit verbreiteten Artikel „Russian to Judgement“ qualifiziert kritisch zur „offiziellen Version“ der Ereignisse in Salisbury äußerte. Gestern legte Murray mit einem zweiten Artikel zum Thema nach, in dem er anhand von offiziellen Dokumenten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) belegt, dass die offizielle britische Version gar nicht stimmen kann. Unser Kollege WM hat den Artikel von Craig Murray für die NachDenkSeiten aus dem Englischen übersetzt.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Nowitschok-Story ist im Grunde eine Neuauflage des Schwindels über irakische Massenvernichtungswaffen

Kürzlich, im Jahre 2016, hat Dr. Robin Black, der Leiter des Aufklärungslaboratoriums von Großbritanniens einziger Anlage für chemische Waffen in Porton Down, ein früherer Kollege von Dr. David Kelly (Anm. d. Red.: Kelly war der Chemiewaffenexperte und Whistleblower, der die Geheimdienstlüge über die irakischen Massenvernichtungswaffen ans Licht brachte und dann unter seltsamen Umständen ums Leben kam), in einem renommierten Wissenschaftsjournal einen Artikel veröffentlicht, in dem er sagt, der Beweis für die Existenz von Nowitschoks sei dürftig und ihre Zusammensetzung unbekannt.

In den letzten Jahren gab es oft Spekulationen darüber, dass in den frühen 70er Jahren als Teil des sogenannten Foliant Programms eine vierte Generation von Nervengasen, Nowitschoks (newcomer), in Russland entwickelt wurde, dies mit dem Ziel, einen Kampfstoff zu finden, der defensive Gegenmaßnahmen unterlaufen würde. Informationen über diese chemischen Verbindungen waren in der Öffentlichkeit sehr spärlich, die meisten kamen von einem russischen Dissidenten und Militärchemiker mit dem Namen Vil Mirzayanov. Es wurde jedoch nie eine unabhängige Bestätigung über Struktur oder Eigenschaften von solchen chemischen Verbindungen veröffentlicht.

aus: Robin Black. (2016) Entwicklung, vergangene Anwendungen und Eigenschaften von chemischen Kampfstoffen. Royal Society of Chemistry

Dennoch behauptet jetzt die britische Regierung, eine Substanz aus dem Stegreif identifizieren zu können, die ihr eigenes Forschungszentrum für biologische Waffen niemals zuvor gesehen hat und deren Existenz ungesichert ist. Schlimmer noch: sie behauptet nicht nur, diese Substanz identifizieren zu können, sondern auch nachweisen zu können, wo diese hergekommen sei. Wenn man sich Dr. Blacks Publikation vor Augen hält, dann ist es offensichtlich, dass dies nicht wahr sein kann.

Die internationalen Experten für chemische Waffen teilen Dr. Blacks Auffassung. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) ist eine Abteilung der UN, die in Den Haag angesiedelt ist. Hier der Bericht ihrer Wissenschaftsabteilung aus dem Jahre 2013, die aus US-amerikanischen, französischen, deutschen und russischen Vertretern zusammengesetzt war und deren Gremium Dr. Black (Großbritannien) vertrat:

(Der wissenschaftliche Beirat) betont, dass die Begriffsbestimmung über giftige Chemikalien in dem Abkommen alle potenziellen chemischen Verbindungen einschließt, die als Chemiewaffen benutzt werden könnten. Was neue giftige Verbindungen anbelangt, die nicht im chemischen Verzeichnis aufgelistet sind, die aber dennoch ein Risiko für das Abkommen sein könnten, weist der wissenschaftliche Beirat auf die „Nowitschoks“ hin. Der Name „Nowitschoks“ wird in einer Veröffentlichung von einem früheren sowjetischen Wissenschaftler benutzt, der berichtet hat, nach einer neuen Klasse von Nervengiften zu forschen, die als binäre chemische Waffen angewendet werden könnten. Der wissenschaftliche Beirat möchte hiermit feststellen, dass er nicht über ausreichende Informationen verfügt, um sich über die Existenz oder die Eigenschaften von „Nowitschoks“ äußern zu können. (OPCW, 2013)

OPCW: Bericht des wissenschaftlichen Beirats über Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie für die dritte Berichtskonferenz, 27. März 2013

Die OPCW war in der Tat so skeptisch über die Existenz von „Nowitschoks“, dass sie beschloss, mit dem Einverständnis der USA und Großbritanniens, weder sie noch deren angebliche Vorläufer auf ihre Verbotsliste zu setzen. Kurzum, die breite Gemeinschaft der Wissenschaftler nahm an, dass Mirayanov zwar an „Nowitschoks“ arbeitete, zweifelte aber an seinem Erfolg.

Angesichts der Tatsache, dass die OPCW den Standpunkt eingenommen hatte, dass die Existenz von „Nowitschoks“ zweifelhaft sei, wäre es jetzt ungemein wichtig, dass Großbritannien der OPCW eine Probe davon zukommen lassen würde, wenn man denn eine solche überhaupt hat. Denn Großbritannien hat einen bindenden Vertrag mit der OPCW, dies zu tun. Russland seinerseits hat unbestätigten Meldungen (Anm. d. Red.: Die Anfrage ist mittlerweile bestätigt) zu Folge einen Antrag an die OPCW gerichtet, dass Großbritannien eine Probe des Materials aus Salisbury einreichen solle, damit sie international untersucht werden könne.

Aber Großbritannien weigert sich.

Warum?

Ein weiterer Teil der Anschuldigungen von May ist der, dass „Nowitschoks“ nur in bestimmten militärischen Einrichtungen hergestellt werden können. Aber das ist nachweislich nicht wahr. Wenn es die „Nowitschoks“ denn wirklich gibt, so wurden sie vorgeblich so gestaltet, dass sie mühelos in jeder chemischen Werkstatt hergestellt werden können – das war ein Hauptaspekt davon. Der einzige reelle Beweis für die Existenz von Nowitschoks war die Aussage des früheren sowjetischen Wissenschaftlers Mirzayanov. Und der schrieb:

Man sollte nicht vergessen, dass die chemischen Verbindungen der Vorläufer von A-232 oder ihre binäre Variante Nowitschok-5 gewöhnliche Organophosphate sind, die in gewerblichen chemischen Fabriken hergestellt werden können, die auch solche Produkte wie Dünger und Pestizide herstellen.

Vil S. Mirzayanov, „Enthüllungen über den sowjetisch/russischen Chemiewaffenkomplex: Die Sicht eines Insiders“, in Amy E. Smithson, Dr. Vil s. Mirzayanov, Gen Lajoie und Michael Krepon, Chemiewaffen Vernichtung in Russland: Probleme und Aussichten, Stimson Report N° 17, Oktober 1995, Seite 21

Es ist wissenschaftlich gesehen unmöglich für Porton Down, in der Lage gewesen zu sein, auf russisches Nowitschok zu schließen, wenn es niemals eine russische Probe davon besessen hat, um sie damit vergleichen zu können. Sie mögen eine Probe gefunden haben, die identisch mit einer Formel von Mirzayanov ist, aber da dieser die Formel bereits vor zwanzig Jahren veröffentlicht hatte, ist das kein Beweis für ihre russische Herkunft. Wenn Porton Down sie synthetisch herstellen kann, so können das außer den Russen noch viele andere auch.

Und schlussendlich: Mirzayanov ist ein usbekischer Name und das Nowitschok-Programm, sollte es denn existiert haben, lief zwar in der Sowjetunion, aber weit entfernt vom heutigen Russland, in Nukus, im heutigen Usbekistan. Ich habe die Chemiewaffenfabrik in Nukus selber besucht. Sie war abgebaut und sicher, alle Vorräte waren zerstört und die Gerätschaft war, meiner Erinnerung nach in der Zeit, wo ich dort Botschafter war, von der amerikanischen Regierung beseitigt worden. Es gab in Wirklichkeit niemals einen Beweis für die Existenz von „Nowitschok“ im heutigen Russland.

Zusammenfassend:

  1. Porton Down hat in seinen Veröffentlichungen bestätigt, niemals irgendwelche russischen „Nowitschoks“ gesehen zu haben. Die britische Regierung hat keine Informationen, die einem „Fingerabdruck“ gleichkommen würden, wie z.B. Verunreinigungen, nach denen diese Substanz eindeutig Russland zugeordnet werden könnte.
  2. Bis heute waren weder Porton Down noch die weltweiten Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) von der Existenz von „Nowitschoks“ überzeugt.
  3. Das Vereinigte Königreich weigert sich, der OPCW eine Probe zur Verfügung zu stellen
  4. „Nowitschoks“ wurde hauptsächlich entwickelt, um auf Basis von herkömmlichen Bestandteilen in jedem wissenschaftlichen Labor hergestellt werden zu können. Die Amerikaner haben die Einrichtung, die sie angeblich entwickelt hat, studiert und abgerissen. Es entspricht nicht der Wahrheit, dass nur die Russen sie hergestellt haben könnten, wenn jeder das konnte.
  5. Das „Nowitschok“-Programm war in Usbekistan angesiedelt und nicht in Russland. Sein Vermächtnis wurde nicht an die Russen, sondern an die Amerikaner zu Zeiten ihrer Allianz mit Karimov weitervererbt.

Mit großem Dank an die Quellen, die zu diesem Zeitpunkt hier noch nicht genannt werden können.


[«*] Craig Murray ist ehemaliger Karrierediplomat im britischen Außenministerium. Seinen letzten Posten als Botschafter in Usbekistan musste Murray 2004 räumen, nachdem er sich kritisch zu den Menschenrechtsverletzungen des im Westen sehr beliebten usbekischen Diktators Karimov geäußert hatte. Seitdem bloggt Murray auf craigmurray.org.uk.