Obama sollte den Friedensnobelpreis zurückgeben

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Für seine „außerordentlichen Bemühungen für die Stärkung der internationalen Diplomatie und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern” nimmt Barack Obama am 10. Dezember den Friedensnobelpreis entgegen. Auf die Laudatio darf man spätestens seit gestern gespannt sein. Denn mit seit seiner Ankündigung in der Militärakademie West Point 30.000 zusätzliche Soldaten in den Kampf nach Afghanistan zu schicken, ist dieser Krieg sein Krieg.
Für das Gegenteil von Frieden einen Friedensnobelpreis? Wie wird man in Oslo reagieren? Wird Obama diese Auszeichnung noch annehmen (können)? Wolfgang Lieb

“Wir haben nicht um diesen Kampf gebeten. (…) Als Oberkommandierender habe ich es bestimmt, dass es in unserem vitalen nationalen Interesse ist, zusätzlich 30.000 Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Nach 18 Monaten werden unsere Truppen damit beginnen, nach Hause zu kommen. Wenn ich nicht denken würde, dass die Sicherheit der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Volkes auf dem Spiel stünde, würde ich frohen Mutes jeden einzelnen Soldaten schon morgen nach Hause befehligen (…).
Nein, ich treffe diese Entscheidung nicht leichten Herzens. Ich habe diese Entscheidung getroffen, weil ich überzeugt bin, dass unsere Sicherheit in Afghanistan und Pakistan auf dem Spiel steht. Dies ist das Epizentrum des gewalttätigen Extremismus, wie ihn al-Kaida praktiziert. (…) Die 30.000 zusätzlichen Soldaten, die ich heute ankündige, werden in der ersten Hälfte 2010 entsandt – und damit so schnell wie möglich, damit sie den Aufstand bekämpfen und wichtige Bevölkerungszentren schützen können (…)”
, sagte Obama vor den in West Point versammelten Kadetten.

Obama bemüht also die gleiche Begründung für die Erweiterung des Militäreinsatzes, wie sein Vorgänger George W. Bush vor fast neun Jahren: Die Sicherheit der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Volkes stünden auf dem Spiel. Das hat schon damals nicht gestimmt und das ist heute offenkundidg falsch. Afghanistan sei des „Epizentrum des gewaltigen Extremismus, wie in al-Kaida praktiziert“ sagt Obama, dabei hat doch der Oberkommandierende der Nato in Afghanistan, der amerikanische General Stanley McChristal erst kürzlich erklärt: “Ich habe keine Hinweise darauf, dass al-Qaida derzeit in Afghanistan eine größere Präsenz hat!”

Die amerikanischen Truppen und die Nato kämpfen ausschließlich gegen die aufständischen Stammesführer in Afghanistan, die man im inzwischen eingewöhnten Sprachgebrauch unter dem Begriff „Taliban“ zusammenfasst. Aber haben die Taliban etwas mit dem 11. September 2001, dem Kriegsgrund und dem nachgeschobenen Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages zu tun? Ist jemals von den Taliban ein Angriff auf die USA oder ein anderes Land ausgegangen? Bedrohen diese (Widerstands-)Kämpfer die Sicherheit der Vereinigten Staaten oder irgendeines anderen Landes, also etwa Deutschlands? Kein einziger Afghane war unter den Tätern der Anschläge von 9/11. Wo ist der – und sei es nur an langen Haaren herbeigezogene – völkerrechtliche Kriegsgrund?

Die US-Außenministerin Hillary Clinton hat kürzlich als Grund genannt, dass nach einer Machtübernahme der Taliban al-Kaida zurückkommen könne. Müsste dann aber nicht viel eher Militäreinsätze im ungleich bedrohlicheren Krisen- und Atomwaffenstaat Pakistan oder in Saudi-Arabien, vor allem auch in Somalia, im Jemen oder in Usbekistan befohlen werden, wo die al-Kaida viel aktiver und präsenter ist. Das „Epizentrum“ der al-Kaida ist heute eher das Internet und es sind nicht irgendwelche Ausbildungscamps in abgelegenen Weltgegenden, die Terroristen leben mitten unter uns.

Die Taliban kämpfen gegen ein korruptes, ineffizientes und nunmehr erwiesenermaßen durch Wahlfälschung an der Macht befindliches Regime in Kabul und sie kämpfen zunehmend gegen die Invasoren die Hamid Karzei und seine Clique an der Macht halten. Es gibt sogar einen erkennbaren Zusammenhang zwischen steigenden Truppenzahlen und steigender Unsicherheit im Lande. Diese Erkenntnis ist der Grund, warum etwa das niederländische Parlament mit großer Mehrheit beschloss, den Truppeneinsatz am Hindukusch nicht über das Jahr 2010 zu verlängern; auch die kanadische Regierung will deshalb ihr Kontingent bis 2011 abziehen. Und die Taliban-Kämpfer haben auf die Ankündigung Obamas prompt verstärkten Widerstand angedroht. Jeder Militärschlag, bei dem Unschuldige getötet werden, erzeugt Rache und neuen Terror.

Die Unterdrückung der Frauen, das Verbot für Mädchen in die Schule zu gehen und welche humanistischen Begründungen auch sonst noch angeführt werden, nennt Obama nicht als Begründung für seinen Einsatzbefehl. Das wäre nach dem Völkerrecht auch kein Kriegsgrund und außerdem wäre es scheinheilig: Der großen Mehrheit der Afghanen geht es auch acht Jahre nach ihrer „Befreiung“ schlecht. Die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten in der Welt. Ein Drittel der Menschen hungert. Auf der „Entwicklungstabelle“ der Vereinten Nationen ist das Land zurückgefallen. „Der Westen gibt für den Militäreinsatz in Afghanistan zehnmal mehr aus, als für den zivilen Wiederaufbau. Er zerstört mehr, als er aufbaut“, schreibt Jürgen Todenhöfer im Handelsblatt.

Obama sagt selbst: “Die neue Afghanistan-Strategie wird uns nach einer groben Schätzung 30 Milliarden Dollar Militärausgaben in diesem Jahr kosten…Ich werde mit dem Kongress eng zusammenarbeiten, um diese Finanzierung zu bekommen, während wir an einer Reduzierung des Haushaltsdefizits arbeiten…Als ich das Oval Office bezogen habe, beliefen sich die Kosten auf die Kriege im Irak und in Afghanistan auf eine Billion Dollar …”
Wie hoch ist dagegen die Wiederaufbauhilfe? Hätte man einen Bruchteil dieses Geldes für die Entwicklung des Landes ausgegeben, hätten die Taliban längst ihren Einfluss verloren.

Was in Afghanistan durch die Aufstockung auf 100.000 Soldaten anders werden soll, das hat Obama nicht erklärt. Seine Ausführungen dazu wirken eher hilf- und ratlos:
„Den Blick nach vorne gerichtet, bekennen wir uns zu einer Partnerschaft mit Pakistan, die auf einem Fundament von gegenseitigen Interessen, gegenseitigem Respekt und gegenseitigem Vertrauen steht (…).
Aber es muss der afghanischen Regierung – und, was noch wichtiger ist, dem afghanischen Volk – klar sein, dass sie am Ende selber für ihr eigenes Land verantwortlich sind. (…) Es muss klar sein, dass die Afghanen die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen müssen und dass Amerika kein Interesse daran hat, einen endlosen Krieg in Afghanistan zu kämpfen.”

Er hat nicht von mehr zivilen Hilfen oder vom Wiederaufbau gesprochen, nicht davon wie man die Bauern vom Drogenanbau und damit von den Drogenbossen unabhängig machen könnte.
Wie soll die labile Atommacht und das Rückzugsgebiet der Taliban Pakistan stabilisiert werden.

Mit wem will Obama nach dem erzwungenen Rücktritt des diktatorischen pakistanischen Staatschefs Pervez Musharraf, den seine innenpolitischen Gegner bezeichnenderweise als „Busharraf“ verspotteten, respekt- und vertrauensvoll zusammenarbeiten? Wenn er den Stammes- und Religionskriegern der Taliban ihre Rückzugsgebiete nehmen wollte, müsste er die 30.000 zusätzlichen Soldaten konsequenterweise nach Pakistan schicken.

Der Krieg in Afghanistan geht ins neunte Jahr, er dauert schon länger als der Erste und der Zweite Weltkrieg oder der Koreakrieg, warum sollte es nun der afghanischen Regierung und dem afghanischen Volk nun gerade in den kommenden 18 Monaten bis zum Beginn des von Obama angekündigten (wohl allmählichen) Rückzugs klar werden, dass sie die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen müssen? Wie sollten mehr fremde Truppen der afghanischen Armee mehr Einsatz- und Kampferfahrung verschaffen? Die Taliban brauchen doch jetzt nur ein paar Monate zu warten und durchzuhalten.
Welche Afghanen meint eigentlich Obama? Wie viel bringen mehr Soldaten, wenn die korrupte afghanische Regierung um Präsident Karsai an der Macht bleibt, die in weiten Teilen des Landes weder respektiert wird noch Regierungsgewalt hat?
Und wie sollte in eineinhalb Jahren ein Wiederaufbau gelingen, der über 8 Jahre nicht gelungen ist oder genauer: gar nicht in Angriff genommen wurde.

“Unsere Freunde haben an unserer Seite gekämpft, geblutet und sind an unserer Seite gestorben. Jetzt müssen wir zusammenstehen, um diesen Krieg erfolgreich zu beenden. Auf dem Spiel steht nicht einfach nur die Glaubwürdigkeit der Nato – was auf dem Spiel steht ist die Sicherheit unserer alliierten und die kollektive Sicherheit der Welt (…)”, sagte Obama.

Diese Andeutungen reichen aus, um von den anderen Teilnehmern am Afghanistan-Krieg als Aufforderung verstanden zu werden, mindestens weitere 5.000 Soldaten zu stellen. „Im Jahr 2010 werden die Nicht-US-Mitglieder der Koalition 5.000 weitere Soldaten schicken, und wahrscheinlich noch einige tausend mehr“, verlangt Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. US-Außenministerin Hillary Clinton soll Anfang November bei einem Gespräch mit der Kanzlerin in Berlin gefordert haben, dass auch 2000 bis 2500 weitere Soldaten aus Deutschland in Afghanistan eintreffen. Das Bundeswehrkontingent würde auf 7000 Soldaten anwachsen, der deutsche Afghanistan-Einsatz erreichte eine neue Qualität.

Die Kanzlerin lobt die Ankündigung Obamas als ein „kraftvolles Signal“. Merkel und Westerwelle wollen aber eine Entscheidung bis zur internationalen Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London hinausschieben. Dabei steht Merkel längst im Wort. Die Gegenleistung für die „Ehre“ im Kapitol reden zu dürfen ist längst erbracht: „Wir wollen das Konzept der sog. vernetzten Sicherheit zum Erfolg zu führen. Das besagt: Ziviles und militärisches Engagement sind untrennbar miteinander verbunden… Erfolgreich werden wir sein, wenn wir wie bisher jeden weiteren Schritt im Bündnis gemeinsam gehen. Deutschland stellt sich dieser Verantwortung.“
Von dieser „Verantwortung“ kommt sie gar nicht mehr herunter, wenn sie sich nicht vor der gesamten politischen Öffentlichkeit blamieren wollte. Die Entscheidung für eine Aufstockung deutscher Truppen ist also längst gefallen.

Daran sollten sich die Parlamentarier erinnern, wenn sie – der Zufall will es so – gerade heute in zweiter und dritter Lesung über die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats für Afghanistan abstimmen.
Machte die Kanzlerin aber wirklich ernst mit ihrem Versprechen „jeden weiteren Schritt im Bündnis gemeinsam gehen“ zu wollen, dann müsste die Bundesregierung zumindest im Gleichschritt mit Obama den Abzug deutscher Soldaten in 18 Monaten ankündigen. Das müsste sie konsequenterweise heute erklären.

Gerade Obamas gestrige Rede wäre Anlass, dass im Deutschen Bundestag endlich die Wahrheit auf den Tisch kommt:

  • Der Afghanistan-Krieg ist menschenverachtend. Das haben nicht zuletzt die zivilen Opfer nach dem deutschen Angriffsbefehl auf die beiden Tanklaster gezeigt.
  • Der Afghanistan-Krieg ist unehrlich, denn es geht nicht um den Kampf gegen das Terror-Netzwerk al-Kaida, das gibt es dort gar nicht mehr. Es geht allenfalls um den Kampf gegen die Taliban-Kämpfer. Die Taliban haben aber außerhalb Afghanistans noch niemand angegriffen und deswegen liegt auch kein Bündnisfall für einen Nato-Einsatz vor. Dass „Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt“ (Struck) werde, wird zur für jedermann erkennbaren Lüge.
  • Dass von Afghanistan aus durch die al-Kaida ein Angriff auf ein fremdes Land ausging, war schon immer eine Legende, um den Anschein einer völkerrechtlichen Legitimation eines militärischen Einsatzes zu schaffen. Der tatsächliche Wechsel des Kriegsgegners von der al-Kaida, die in Afghanistan nicht mehr existiert, zu den Stammesfürsten der Taliban, macht nicht nur eine Truppenaufstockung, sondern den Kriegseinsatz insgesamt offenkundig völkerrechtswidrig.

Die Bundesregierung und die Parlamentarier können der Bevölkerung jedenfalls schon längst nichts mehr vormachen: Die Mehrheit der Deutschen (53 Prozent) ist, trotz der massiven Propgaganda für die bisher so genannten „Stabilisierungsmaßnahmen“ gegen den bisherige Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan und 58 Prozent sprechen sich gegen eine Verlängerung des Mandates aus. Nicht anders sieht es in den USA aus, wo die Zustimmung zu diesem Krieg mit 39 Prozent auf einem Tiefpunkt angekommen ist . Auch der Widerstand der Bevölkerung etwa in Großbritannien, den Niederlanden oder in Kanda nimmt zu.

Obama hat die Hoffnungen, die die Menschen in aller Welt auf ihn gesetzt haben, bitter enttäuscht.