Die PSA-Führung macht bei Opel ihren Job – was ist der unsrige?

Winfried Wolf
Ein Artikel von Winfried Wolf

Opel befindet sich seit der Übernahme durch den französischen Autokonzern PSA (Peugeot-Citroen), zu dem es im Frühjahr 2017 kam, in einem neuerlichen Existenzkampf. Einen solchen hatte es ja bereits einmal 2009/2010 gegeben, als die damalige Opel-Muttergesellschaft, General Motors, im Gefolge der Weltwirtschaftskrise pleite ging, dann von der US-amerikanischen Regierung mit Dutzenden Milliarden US-Dollar gerettet wurde und Opel zunächst verkauft und von dem kanadisch-österreichischen Autozuliefer-Konzern Magna übernommen werden sollte. – Jetzt also Opel-PSA. Und seit ein paar Tagen der Aufreger, wonach PSA einen größeren Teil der Opel-Entwicklungsgesellschaft in Rüsselsheim an außenstehende Dienstleister veräußern (oder in eine “strategische Partnerschaft” einbringen) will. Der NachDenkSeiten-Autor Winfried Wolf erläutert im folgenden Beitrag, warum bereits im Frühjahr 2017 absehbar war, dass auch die Kombination PSA-Opel für die Opel-Vauxhall-Belegschaften in Rüsselsheim, Kaiserslautern, Eisenach, Gliwice (Polen), Zaragozza (Spanien) und in Ellesmere Port (Großbritannien)  wenig Perspektive weist. Wolf sieht die jüngst neu aufgebrochene Opel-Krise  im Zusammenhang mit Dieselgate, mit der Krise von Mobilität und im Zusammenhang mit der Klimakrise. Er appelliert an IG Metall, Betriebsräte und Vertrauensleute, die Opel-Krise zum Anlass zu nehmen und in eine umfassende Debatte für eine Verkehrswende einzutreten. Albrecht Müller.

Die PSA-Führung macht bei Opel ihren Job – was ist der unsrige?

Die Realität kapitalistischer Konkurrenz und die Notwendigkeit von Solidarität und einer Verkehrswende im Zeichen der Mobilitäts- und Klimakrise.

Von Winfried Wolf.

Die Aufregung ist groß. Der französische Autokonzern PSA, seit einem Jahr Eigentümer der Marke Opel, prüft ein Outsourcing bei einem großen Teil des Rüsselsheimer Entwicklungszentrums. Betroffen wären davon 4000 Beschäftigte, fast alle am Standort Rüsselsheim. Der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug erklärte, dies sei für „die Marke Opel existenzgefährdend“. In der Belegschaft herrsche der Eindruck vor, dass das deutsche Opel-Management „nur noch als Vasall von Paris“ agiere. Er verwies darauf, dass die Belegschaft „ziemlich kämpferisch eingestellt“ ist. Inwieweit zum Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen auch ein Streik gehöre, könne er „als Betriebsrat qua Amt nicht beantworten“. Irgendwann komme da dann „die Gewerkschaft ins Spiel“, was dann „in einem Konflikt“ enden, was wohl heißen soll, zu einem Streik führen könne.

Natürlich hätten die Opel-Beschäftigten im Fall eines solchen Streiks gegen Beschäftigtenabbau unsere Solidarität.

Wenn die neue Auseinandersetzung um Opel nicht zu einer der vielen perspektivlosen Aufwallungen verkommt, bei denen am Ende doch die Beschäftigten die Zeche bezahlen, dann müssten Betriebsrat und IG Metall die existenzielle Opel-Krise zum Anlass nehmen, um eine Gesamtstrategie zum Thema Mobilität, Klimakrise und Arbeitsplätze zu entwickeln. Der Kollege Schäfer-Klug und die Gewerkschaft IG Metall müssen sich drei Fragen stellen.

Frage 1: Wie funktioniert kapitalistische Konkurrenz? Oder: Macht der PSA-Boss nicht schlicht seinen Job?

Opel schreibt nach GM-Angaben – bestätigt durch aktuellere PSA-Berichte – seit 1999 rote Zahlen. Da gab es zweifellos auch nicht akzeptable Belastungen durch die GM-Mutter. Doch die Tatsache, dass der Marktanteil von Opel (mit dem britischen Pendant Vauxhall) in der EU in diesem Zeitraum von 9,2 auf knapp 6 Prozent (bis 2017) gefallen ist und dass er im ersten Vierteljahr 2018 nochmals einbrach, hat wenig mit Manipulation und viel mit kapitalistischer Konkurrenz zu tun. GM hatte kein Interesse daran, seine Tochter in den Ruin zu reiten und Milliarden-Verluste zu produzieren. Zwar hat GM eine Expansion von Opel z.B. nach China nicht gestattet. Gleichzeitig aber überließ GM der Tochter Opel den europäischen Markt und zog ab 2014 die mit Opel konkurrierende GM-Tochter Chevrolet schrittweise aus Europa zurück. Bereits Ende 2017 war klar, dass die Lage bei Opel dramatisch ist – u.a. weil die EU-Vorgaben zu Abgasnormen, die ab 2020 gelten, mit der aktuellen Modell-Planung nicht erreichbar sind und weil das Opel-Elektroauto „Ampera“ nur mit massiven Verlusten verkauft werden kann (und deswegen faktisch nicht mehr verkauft wird). Damals, Ende 2017, gab es – z.B. seitens Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg, bereits Berechnungen, wonach bei Opel „bis zu 6000 Stellen gestrichen werden müssen, um die Vorgaben von [PSA-Konzernboss; W.W.] Taveres zu erfüllen.“ (Berliner Zeitung vom 1. Dezember 2017).

Diesen Vorgaben folgt das PSA-Management derzeit. Die Ausgliederungen werden dort vorgenommen, wo es naheliegt: in dem großen Opel-Entwicklungszentrum in Rüsselsheim, das über erhebliche nicht ausgelastete Kapazitäten verfügt und bei dem in Bälde auch noch die verbliebenen Aufträge der Ex-Mutter GM wegfallen. Und natürlich kann es sein, dass Tavares perspektivisch beabsichtigt, das eigenständige Opel-Entwicklungszentrum aufzugeben und alle künftigen Modelle des Konzerns in einem einheitlichen PSA-Entwicklungszentrum – mit einer Außenstelle in Rüsselsheim – konstruieren zu lassen. PSA hat Vergleichbares auch in Frankreich gemacht und 2013 das PSA-Entwicklungszentrum in Meudon-la-Foret nahe Paris geschlossen und die Kapazitäten im PSA-Entwicklungszentrum Vélizy konzentriert. Dass in Vélizy bereits seit 1992 die beiden Konzernmarken Peugeot und Citroen ein gemeinsames Entwicklungszentrum haben, sollte natürlich auch zu denken geben.

Bilanz: Rein betriebswirtschaftlich gesehen macht Tavares seinen Job.

Frage 2: War bei dem Zusammengehen von Opel mit PSA nicht von vornherein klar, dass es einen massiven Belegschaftsabbau geben und dass eine eigenständige Marke Opel kaum überleben würde? Oder: Befindet sich PSA nicht auch als Gesamtkonzern in einer äußerst kritischen Lage, was die Rationalisierungsoffensive bei Opel mit erklärt?

Als im März 2017 die Entscheidung fiel und der französische Konzern PSA dem US-amerikanischen Autokonzern GM seine deutsche Marke Opel abkaufte, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der damaligen deutschen Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD), der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), und der Ministerpräsidenten von Hessen, Volker Bouffier (CDU), und von Thüringen, Bodo Ramelow (LINKE): „Das heutige Signing [die Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen GM, PSA und Opel; W.W.] ist ein erster Schritt, um in Europa einen europäischen Global Player durch den Zusammenschluss von Opel/Vauxhall und PSA auf den Weg zu bringen.“ [Hervorgehoben von mir]

Der Koordinator von Bund und Ländern in den Verhandlungen zwischen PSA und GM, Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig (SPD), bewertete es sogar als positiv, dass es nun ein einheitliches Unternehmen „Opel gibt – im Unterschied zu den gestückelten Unternehmensformen im bisherigen GM-Verbund“. 

Mit diesen Erklärungen wurde die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt und der menschliche Verstand beleidigt. In Wirklichkeit wurden mit der Opel-Übernahme drei ähnlich starke oder schwache Automarken – Peugeot, Citroen und Opel bzw. Vauxhall – unter einem Konzerndach zusammengepfercht. Diese buhlen in vergleichbaren Preisklassen mit vergleichbaren Modellen um eine vergleichbare kaufstarke bzw. nachfrageschwache Kundschaft. Selbst der beruhigende Hinweis vom PSA-Boss Carlos Tavares vom März 2017, PSA sei in Frankreich und im „Süden Europas“ und Opel in Deutschland stark, konnte nie überzeugen. In Deutschland konkurrieren Peugeot und Citroen durchaus direkt mit Opel. Es gibt längst Produktionsverbindungen zwischen Opel und PSA – zu Lasten von Opel.[1] Und auch in Spanien sind beide Unternehmen direkte Konkurrenten: Dort produziert Opel 360.000 und PSA 500.000 Autos. Wer sich auch nur ein bisschen über den PSA-Konzernboss Tavares kundig macht, der wusste, dass es sich hier um einen ebenso erfahrenen wie vor allem brutalen Sanierer handelt. Auf die Frage nach Garantien für den Erhalt der Opel-Standorte antwortete Tavares damals bereits recht offenherzig: „Das Einzige, was uns beschützt, ist Leistung.“ Das sagt ein Mann, der sich in seinem Arbeitsvertrag ausbedungen hat, an 22 Wochenenden im Jahr weiter Motorsport-Rennen fahren zu dürfen und der sich im Jahr 2016 das Gehalt für seine Leistung auf 5,2 Millionen Euro verdoppeln ließ.

Hinzu kommt: Beide Autokonzerne, PSA und Opel, sind auf den schwächsten der drei großen Pkw-Märkte, auf Europa, konzentriert. Sie sind beide in den USA nicht und in China kaum präsent. Und diese Konzentration auf Europa erhöht sich mit dem Zusammengehen noch. Bislang hing PSA zu 60 Prozent vom europäischen Markt ab. Mit Opel liegt diese Mühlstein-um-den-Hals-Marke bei knapp 70 Prozent.

Auch nach der Übernahme spielt der neu zusammengesetzte Konzern PSA weltweit in der zweiten Liga. „Global Player“, wie in der Erklärung von Bouffier-Dreyer-Ramelow herbeigeschrieben, ist etwas anderes. PSA hat zusammen mit Opel eine rechnerische Jahresproduktion von weltweit 4 Millionen Pkw. Der Konzern liegt damit noch unter dem Niveau von Nissan (5,5 Millionen), Honda (5,0 Millionen) und Fiat (4,7 Millionen). Die Distanz zur Top-Klasse (VW und Toyota mit jeweils 10, Hyundai mit 7,5 und GM mit dann – ohne Opel – knapp 7 Millionen Pkw) bleibt weiter groß.

Vor allem aber ist auch der neue PSA-Konzern in China, auf dem längst wichtigsten und in Zukunft absolut entscheidenden Automarkt, völlig unzureichend vertreten. Opel gibt es in der VR China nicht. PSA unterhält dort zusammen mit dem chinesischen Hersteller Dongfeng ein Joint Venture. Die Jahresproduktion liegt bei 750.000 Pkw. Zum Vergleich: VW produziert in China 3,4 Millionen Pkw, GM 1,7 Millionen. Die PSA-Verhältnisse in China und mit Dongfeng sind durchaus komplex; es ist aber nicht erkennbar, dass davon Opel profitieren könnte.[2]

Schließlich sei darauf verwiesen: Es gab im PSA-Konzern im Zeitraum 1979 bis 1983 bereits einen vergleichbaren Vorgang wie im Fall PSA-Opel. Damals übernahm PSA die europäische Chrysler-Tochter (Ex-Simca). PSA führte die Simca-Modelle unter der neuen Marke Talbot weiter. Es gab also damals bereits unter dem PSA-Dach drei Marken: Peugeot, Citroen und Talbot. Talbot hatte durchaus moderne Technik aufzuweisen, so das Modell Simca 1100, erstmals vorgestellt 1967 als Dreitürer mit Schrägheck, später mit der Modellbezeichnung „Horizon“ und als „Auto des Jahres 1979“ hoch gepriesen. Dies war der Vorläufer des VW-Modells Golf und Dutzender vergleichbarer Kompaktklasse-Modelle. (Hier könnte man im Übrigen einen lehrreichen Vergleich zu den Auszeichnungen und Lobeshymnen herstellen, die es bei dem Opel-Modell Insignia – unter anderem „Auto des Jahres 2009“ – gab!) Doch Talbot erlebte in der Umklammerung von Peugeot und Citroen einen Niedergang mit drohender Werkschließung. Es kam zu einer verzweifelten Gegenwehr mit einer Werksbesetzung des Talbot-Werks in Poissy im Dezember 1983. Die Talbot-Beschäftigten, 50 Prozent Afrikaner (!), wurden von den anderen PSA-Beschäftigten im Stich gelassen. Nach Spaltungen der Belegschaft und einer brutalen Räumung durch Spezialeinheiten wurde schließlich die Marke Talbot aufgegeben.

Es spricht fast alles dafür, dass Opel in dem Verbund mit Peugeot und Citroen und unter dem Dach eines französischen Autokonzerns, der selbst ums Überleben im internationalen Konzert der Autoriesen zu kämpfen hat, den Kürzeren ziehen wird. Schließlich erlebte der PSA-Konzern allein im Zeitraum 2005 bis 2016, dass dessen Anteile an der Weltautoproduktion von 5,1 auf 3,3 Prozent massiv reduziert wurden. (Siehe Tabelle im Anhang). Wobei hinzugefügt sei, dass dies keine nachträgliche Besserwisserei ist. Ich analysierte bereits im Frühjahr 2017 den Aufkauf von Opel durch GM in vergleichbarer Weise wie hier erfolgt und sagte ein drohendes „Schlachtfest“ voraus.[3]

Bilanz: Opel im PSA-Verbund war objektiv eine mindestens so unglückliche Verbindung wie Opel im GM-Verbund. Rein immanent gesehen hätte Opel nur eine Überlebenschance als Teil eines Autokonzerns, der sich überwiegend in einem anderen Marktsegment bewegt, also etwas als Ergänzung zu den Oberklasse-Herstellern BMW oder Daimler oder, wenn ein ausländischer Konzern angedacht wäre, als Erweiterung von Geely-Volvo. Es war von den zitierten Politikern – und von einigen Vertretern der IG Metall und des Opel-Betriebsrats – nicht verantwortlich, das nicht klar gesagt und im Gegenteil Illusionen geschürt und einem neuen Standortdenken – Stichwort: „europäischer global player“ – Vorschub geleistet zu haben.

Frage 3: Sollte die neue Krise bei Opel von IG Metall und den Vertrauenskörperleitungen respektive den Betriebsräten in der Autoindustrie nicht zum Anlass genommen werden, um das Thema Klima und Mobilität verantwortungsvoll zu diskutieren? Könnten Gewerkschaft, Vertrauensleute und Betriebsräte damit nicht konstruktiv die Vertrauenskrise, die die Autokonzerne mit Dieselgate erlitten haben, aufgreifen, und völlig neue – nachhaltige und verantwortungsvolle Wege gehen … und damit an eine längst vergessene Traditionslinie der IG Metall anknüpfen?

Wir erleben derzeit eine dreifache Krise: Erstens eine Krise der Städte (Feinstaub! Erste und neu drohende Fahrverbote!!). Zu Recht fordern inzwischen viele in Foren und auf den Straßen „Recht auf Stadt“ und eine Rückgewinnung von Urbanität. Zweitens gibt es eine Vertrauenskrise der Autokonzerne, die flächendeckend betrügerisch unterwegs sind, indem sie den tatsächlichen Verbrauch und den Umfang der Emissionen systematisch niedriger ausweisen als dies der Wirklichkeit im Straßenverkehr entspricht. Das trifft, wohlgemerkt, auf Benzin- wie auf Dieselmodelle zu; und dies war lange vor Aufbrechen von Dieselgate allseits bekannt.[4]

Schließlich und drittens erleben wir eine Zuspitzung der Klimakrise, wie dies nicht zuletzt in diesem Sommer mit langer Hitzeperiode und massiven Ernteschäden dokumentiert wird. Seit Ende 2017 ist klar, dass selbst die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius nicht eingehalten werden kann, wenn es bei den bisher geplanten Maßnahmen bleibt. Elektromobilität im Sinne von Elektro-Pkw ist hier bereits aus dem einfachen Grund keine Lösung, weil es bei dieser nur darum geht, dass es zusätzlich zu einem hohen und nochmals wachsenden Bestand an Pkw mit Verbrennungsmotoren weitere Millionen Elektro-Autos geben soll, die mit neuen Problemen verbunden sind (Kobalt! Lithium!! Entsorgung der Batterien!!!) und die in den Städten noch mehr Flächen mit Beton und Blech belegen werden (rund 60 Prozent aller Elektro-Pkw sind Zweitwagen!).[5]

Die Krise bei Opel ist nur ein Teilausschnitt der Krise der Mobilität. Die Orientierung auf Elektromobilität, neue Verlagerungen nach Osteuropa und China, Rationalisierungswellen, „Industrie 4.0“ mit umfassenden Prozessen der Automatisierung dürften hierzulande hunderttausende Autoarbeitsplätze gefährden. Sieht man diese Vorgänge vor dem Hintergrund der Klimakrise – und der Straßenverkehr trägt zu rund einem Viertel zu den klimaschädigenden Emissionen bei – dann müssten sich die Politik, die Gewerkschaften und gerade auch die verantwortungsbewussten Vertreter der Autobelegschaften zusammentun und umfassend über Klima, Mobilität und Autoindustrie diskutieren – beispielsweise auf einem Kongress und dies dann gemeinsam mit Leuten aus der Umweltbewegung und der fortschrittlichen Verkehrsszene. Die Frage der Jobs in der Autobranche ist hier natürlich wichtig. Es sei aber darauf verwiesen, dass es im Deutschland im Bereich Schiene im Zeitraum 1994 bis 2017 zu einem Abbau von rund 200.000 Arbeitsplätzen kam; die Proteste dagegen, beispielsweise seitens der IG Metall (Bahnindustrie-Jobs sind Metallindustrie-Arbeitsplätze!), hielten sich in Grenzen. Es sei des Weiteren darauf verwiesen, dass es im Bereich öffentlicher Verkehr viele Zehntausende Jobs gibt, die mit jedem weiteren Ausbau der Automobilität gefährdet werden. Schließlich sei erwähnt, dass in den letzten 25 Jahren allein im Umweltbereich mehr als eine Million neue Jobs geschaffen wurden und dass jüngst die baden-württembergische Landesregierung eine Studie vorlegte, wonach in Deutschland bereits 240.000 Arbeitsplätze vom Fahrrad und vom Fahrradverkehr abhängen.

Die IG Metall sollte sich in den eigenen Archivschränken umsehen und beispielsweise die Dokumentation der „Gemeinsamen verkehrspolitischen Konferenz der Industriegewerkschaft Metall und des Deutschen Naturschutzringes“, abgehalten am 9. und 10. November 1991 in Frankfurt am Main, zu Gemüte führen. Dort sprach sich der Hauptredner Frederic Vester mit klugen Worten gegen den fortgesetzten Ausbau des Straßenverkehrs aus. Er sagte: „In einer 1989 erschienenen Dissertation kommt der Schweizer Verkehrsspezialist Eugen Meier zu dem klaren Schluss, dass eine Verkehrsinvestition grundsätzlich neuen Verkehr verursacht. […] Denn das Verhalten der Menschen orientiert sich […] am Angebot und kompensiert dann die erreichten Effekte. Anders als sonst in der Wirtschaft, wo die Nachfrage das Angebot regelt, regelt auch hier wieder das Angebot die Nachfrage. Werden mehr Wege angeboten, nimmt sie der Mensch an. Er hält sich sogar länger und öfters im Verkehr auf, sein übriges Zeitbudget schmilzt, die erhöhte Mobilität geht auf Kosten des sonstigen Handlungsspielraums.“

Vor allem wies der „Querdenker“ Vester damals bereits auf die Dramatik der drohenden Klimaveränderung hin. Dies mit den folgenden eindringlichen Worten: „Die Umweltsituation auf unserem Planeten ist für die Menschheit zu einer Überlebensfrage geworden. […] Was uns bevorsteht sind möglicherweise verheerende Dürren wie Überschwemmungen, Klimakatastrophen durch den Anstieg von CO-2, sich akkumulierende Gifte […] Die Grenze der Belastbarkeit unserer Erde ist bereits in mehreren, für die menschliche Existenz wichtigen Bereichen erreicht.“

Was vor einem Vierteljahrhundert gesagt wurde, hat sich dramatisch bestätigt. Es ist allerhöchste Zeit, die fatale jüngere Tradition bei prominenten Gewerkschaftsvertretern, sich zum Sprachrohr der Autoindustrie zu machen, aufzugeben und an diesem Traditionsstrang, den es bei der IG Metall durchaus auch gibt, anzuknüpfen.[6] Es gibt umfassende Vorschläge für eine Politik der Verkehrswende, die Nachhaltigkeit und Joberhalt – also Verantwortung für die Zukunft und eine soziale Politik – verbindet.[7]


Zum Autor: Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac und aktiv bei der Bahnfachleutegruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) und im Bündnis Bahn für Alle. Im Januar 2018 erschien [in 2. und deutlich erweiterter Auflage] sein Buch „abgrundtief + bodenlos. Stuttgart 21, sein absehbares Scheitern und die Kultur des Widerstands (374 S.; Hardcover, 20 Euro; PapyRossa Köln). Sein Standardwerk zum Thema Verkehr: W.W., Verkehr. Umwelt. Klima – Die Globalisierung des Tempowahns. 500 Seiten, Wien (Promedia) 2009.


[«1] Das Zafira-Nachfolgemodell wird im PSA-Werk in Sochaux als Klon des Peugeot 3008 und mit der internen Bezeichnung EMO2 hergestellt. Produktionsstart war 2017. Diese Kooperation geht zurück auf Abmachungen, die zwischen GM und PSA getroffen wurden. Die französische Gewerkschaft CGT verwies darauf, dass das Projekt der Opel-Übernahme durch PSA „schon lange in den Schubladen lag“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Februar 2017).

[«2] Dongfeng ist an PSA mit 13,7 Prozent beteiligt. Dongfeng hat in China nicht nur ein Joint Venture mit PSA, sondern auch ein solches mit Nissan, das sogar größer als das Dongfeng-PSA-Joint Venture ist. Nissan wiederum wird von Renault kontrolliert. Das Dongfeng Joint Venture mit Nissan hat im Übrigen die irreführende Firmenbezeichnung „Dongfeng Motor Co.“[= Company], wohingegen Dongfeng selbst als „Dongfeng Motor Corp.“ [= Corporation] firmiert. „Nissan“ taucht dort bewusst nicht auf. Der Name eines Herstellers, der im japanischen Aggressionskrieg gegen China die Motoren für die japanischen Kampfflugzeuge und Bomber herstellte, wirkt verkaufshemmend.

[«3] Winfried Wolf, Schlachtfest, in: Lunapark21, Heft 37, Frühjahr 2017, S. 6f. Ich verwies damals auch auf die drohende Standortkonkurrenz und auf die unheilige „Tradition“, die es bei Opel hier gab: Ich schrieb: „Auf der Tagesordnung steht ein massives Rationalisierungsprogramm bei Opel und PSA. Zehntausende Arbeitsplätze sind akut bedroht. Tavares hat seit seinem Antritt als PSA-Boss 2013 gezeigt, dass er ein harter Sanierer ist. Pro Jahr werden dort 2000 PSA-Jobs vernichtet. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde auf bis zu 44 Stunden erhöht. […] Spätestens im Frühjahr 2018 wird Tavares [bei Opel] Werksschließungen verkünden. Dann hoffen die deutschen Opel-Vertreter, es möge die britischen Vauxhall-Leute treffen. In Eisenach mag man erwarten, dass es zunächst Kaiserlautern an den Kragen geht. Die Bandarbeiter werden argumentieren, dass die Entwicklungsabteilung in Rüsselheim aufgebläht ist. Und die Opel-Beschäftigten im polnischen Gliwice können darauf verweisen, dass sie im Vergleich zu den Opel-Kollegen im spanischen Saragossa weniger als die Hälfte kosten und an den moderneren Anlagen malochen. Diese Art Teile-und-herrsche-Spiele gab es nach dem beeindruckenden Streik bei Opel in Bochum 2004: Die Solidarität der anderen Opel-Standorte blieb aus; das Werk in Bochum wurde geschlossen.“

[«4] Eineinhalb Jahre vor Bekanntwerden von „Dieselgate“ konnte man im Autolobby-Blatt Auto Bild lesen: „Um den Verbrauch [eines Autos] auf dem Prüfstand zu messen, muss vorher der Fahrwiderstand ermittelt werden. Dazu werden Fugen abgeklebt, Spiegel demontiert […] Klimaanlagen werden ausgebaut […] Dazu erkennen Steuergeräte, wenn eine Messfahrt vorliegt. Die Autos sind inzwischen auf diese Minimal-Last hin konstruiert. Hieß es früher: ´Turbo läuft – Turbo säuft´, sollen jetzt ausgerechnet aufgeladene Motoren sparen. Das tun sie nur auf dem Prüfstand, wenn wenig Leistung gefordert wird.“ Auto Bild vom 14. Februar 2014. Es geht hier wohlgemerkt um alle Pkw mit Verbrennungsmotoren.

[«5] In Deutschland gab es 2017 45,8 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotoren und 60.000 Elektro-Auto (bereits in Addition reine E-Mobile und Hybrid-Pkw). 2025 wird es nach belastbaren Prognosen 48-49 Millionen Benzin- und Diesel-Pkw und maximal eine Million Elektro-Pkw geben. Weltweit gab es 2005 650 Millionen Pkw. 2017 waren es bereits 1 Milliarde Pkw und 3,2 Millionen Elektro-Pkw. Für 2025 werden 1,45 Milliarden Pkw und zusätzlich maximal 150 Millionen Elektro-Pkw erwartet. Siehe ausführlich: Winfried Wolf, Elektro-Pkw als Teil der Krise der aktuellen Mobilität, isw-report Nr. 112/113, Frühjahr 2018.

[«6] Vor wenigen Tagen antwortete der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann auf die Feststellung, die Manipulation an den Diesel-Motoren seien Betrug: „Die Fahrzeuge entsprachen der technischen Norm. Ist das Betrug? Im juristischen Sinne nein. Moralisch ja.“ Toni Hofreiter antwortete: „Ich bleibe dabei: In meinen Augen war es Betrug, nicht legal.“ Hofmann: „Doch, war es.“ Hier ist hinzuzufügen: VW hat in den USA mehrere Erklärungen unterzeichnet, dass der Konzern bewusst und betrügerisch vorgegangen, um geltendes Recht zu brechen. Zitate nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Juli 2018.

[«7] Ich entwickelte ein solches Verkehrswende-Programm in der in Fußnote [5] angeführten isw-Broschüre. In einer ausführlichen wissenschaftlichen Stellungnahme im Rahmen einer Anhörung in Sachen Elektromobilität vor dem Ausschuss für Umwelt und Verkehr im Rat der Stadt Hannover konkretisierte ich für die Fraktion Piraten/DIE LINKE Anfang Mai 2018 ein solches Verkehrswendeprogramm auch für diese 500.000-Einwohner-Stadt. Siehe hier.

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