Arme brauchen Hilfe, keine Diskriminierung

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Werden Arme in unserer Gesellschaft diskriminiert? Ja, sagt der Journalist Christian Baron (siehe sein Interview mit den NachDenkSeiten ). Recht hat er. Deshalb hat er vergangene Woche die Initiative #unten ins Leben gerufen. Seitdem haben sich zahlreiche Twitternutzer zu Wort gemeldet. Ihre Tweets geben einen unverblümten Einblick in eine Realität, die nicht geleugnet werden darf: Im reichen Land Deutschland existiert Armut. Und: Wer arm ist, wer von #unten kommt, ist im Alltag Demütigung und Ausgrenzung ausgesetzt. Das muss sich ändern. Möglichst schnell.  Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer arm ist, braucht Hilfe. Was er nicht braucht, sind Diskriminierung, Demütigung, Ausgrenzung und Benachteiligung. Doch genau das ist es, was arme Menschen in Deutschland erleben. Immer wieder. Schon Kinder und Teenager, die mit ihren Eltern in Armut leben, werden oft aufgrund ihrer bescheidenen Lebensverhältnisse sozial abgewertet und ausgegrenzt. Die Entwürdigung der Armen beginnt früh und zieht sich durch alle Lebensphasen. Auch an Orten, an denen die Achtung der Würde des Menschen erwartet werden könnte, sind diejenigen, die aus armen Verhältnissen kommen, Diskriminierungen ausgesetzt. Ein Beispiel dafür liefert Aylin Karabulut, wissenschaftliche Mitarbeiterin der  Universität Duisburg-Essen, die sich an der Twitter-Diskussion zu #unten beteiligt und einen Dialog wiedergibt, den ein Student ihr erzählt hat:  

Nach nicht bestandener Uni-Prüfung: Prof: „Ihre Eltern sind doch sicherlich Arbeiter oder?“ Stud: „Ehm…ja, wieso?!“ Prof: „Das merkt man. Fragen Sie sich mal kritisch, ob die Uni auch wirklich der richtige Platz für Sie ist.“ Reale Erfahrung meiner Studentin #unten

Ist diese Schilderung glaubwürdig? Ja. So sieht es aus, wenn die soziale Herkunft selbst dann noch eine Rolle spielt, wenn sich die in Armut Aufgewachsenen einen für sie eher unüblich hohen Bildungsgrad erarbeitet haben. Anders gesagt: Wenn Menschen, die aus den unteren Schichten kommen, selbst an einer Universität aufgrund ihrer Sozialisation diskriminiert werden, wie sieht es dann erst an anderen Orten aus? Wie sieht der Umgang mit Armen im Alltag aus?  Wir leben in einer Gesellschaft, in der weite Teile der Bürger wissen, dass für Rassismus kein Platz ist. Wer Menschen aus anderen Ländern mit Ressentiments begegnet, wer Ausländern pauschal mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen entgegentritt, wer Migranten aufgrund ihrer Herkunft unterstellt, sie seien kriminell, den identifizieren wir schnell als Rassisten. Zu Recht! Aber wie sieht es aus, wenn es um Vorurteile und Diskriminierungen geht, die gegen die Menschen aus den unteren sozialen Schichten gerichtet sind? Wie fein sind hier die Detektoren von uns als Gesellschaft? Schlagen sie früh genug an? Nein: Wenn es um den „Rassismus“ gegenüber den Armen geht, befinden wir uns nicht einmal in der Entwicklungsphase.

Wie sonst ist es zu erklären, dass noch im Jahr 2015 der Deutsche Journalistenpreis für ein Interview vergeben wird (Titel: Trösten und Triezen. Nicht als Verlinkung verfügbar, aber über Google zu finden), in dem der Direktor eines Jobcenters auf die Frage, was die Verleihfahrräder vor dem Jobcenter bedeuten, ohne kritisches Nachfragen vonseiten des Journalisten sagt:

„Wir wollen hier zuerst über Arbeit reden und wie man sie bekommt, nicht über finanzielle Zuwendung. Die Räder gehören zu dieser Philosophie. Wir zahlen kein Fahrgeld in bar aus, mit dem unsere Kunden machen könnten, was ihnen beliebt. Wer direkt von hier schnell zu einem Bewerbungstermin will, der kann sich eben ein Rad ausleihen.“

Da ist es, das Vorurteil. Da ist sie, die Diskriminierung – offensichtlich nicht mal bemerkt von der Jury. Dem Armen (pauschal) kann man allenfalls ein Rad an die Hand geben, mit dem er zum Bewerbungsgespräch radeln darf. Man weiß doch, wie „die“ so sind. Gibt man „denen“ (unseren Kunden) Geld für eine Fahrkarte in die Hand, versaufen und verrauchen sie es. Das ist es, was man aus diesen Zeilen lesen darf.

Das Traurige an dem angeführten Zitat ist: Ausführungen wie diesen dürften weite Teile der Mittel- und Oberschicht applaudieren. Also gerade auch diejenigen, die sich vehement gegen Rassismus aussprechen, hegen oft tief verinnerlichte Vorurteile gegen Arme – was auch daran liegt, dass sie deren Leiden, Lebenssituationen und Verhalten nicht verstehen.

Sie blicken auf die Armen wie der Rassist auf den Ausländer. Der Arme, der ist irgendwie anders. Nicht so wie wir. Alleine schon die Sprache. Wie der redet. Sein Verhalten. Dumm (ungebildet) ist er auch noch. Nein, die Armen sind nicht so wie wir. Die sind anders (schlechter, weniger wert). Sicher, eine Chance kann man ihnen geben. Aber bitte: Gebt ihnen kein Geld. Leiht ihnen ein Fahrrad. Bewegung schadet bekanntlich nichts. Zugespitzt ist das jene Haltung, wie sie  in unserer Gesellschaft gegenüber den Armen weit verbreitet ist. Diese Denke ist auch die Basis für eine Sprache im Umgang mit den Armen, die in ihrer Kälte, Empathielosigkeit und Brutalität ihresgleichen sucht – und das ganz ohne #aufschrei.

Deshalb: #unten.

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