Leserbriefe zur Resolution des EU-Parlaments mit dem Titel: „Bedeutung der Erinnerung an die europäische Vergangenheit für die Zukunft Europas“

Ein Artikel von:

Die NachDenkSeiten hatten diese Resolution in den Beiträgen “Geschichtsfälschung durch die EU: Parlament beschließt skandalöses Dokument” und “So schreibt das EU-Parlament die Geschichte Europas um” thematisiert. Daraufhin gab es von unseren Lesern zustimmende und ablehnende Kommentare, von denen wir nachfolgend einige veröffentlichen. Zusammengestellt von Moritz Müller.

1. Leserbrief

Sehr geehrte Redaktion,
sehr geehrter Herr Riegel, 

angesichts Ihres Beitrags macht sich vollkommene Fassungslosigkeit breit. Und ausgerechnet die AfD hat sich enthalten! Allerdings, eigentlich ist das alles nur folgerichtig und wird so weitergehen. Wir können uns m.E. nicht vorstellen, was demnächst mit dem Ziel des weiteren Anheizens des momentanen kalten Krieges mit dem Ziel des Übergangs zu einem neuen heißen Krieg noch alles über uns hereinbrechen wird.

Hoffentlich werden wir alle die finale Eskalation verhindern können.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Keller


2. Leserbrief

Lieber Tobias Riegel und Team der Nachdenkseiten,

worüber wundert man sich? Die EU ist die Gestalt-gewordene Vision Hitlers für Europa nach dem angestrebten Endsieg.

Aus der Beschreibung meiner kleinen Streitschrift zur Geschichte der EU: “Man verweigert, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass die Schuldigen am Faschismus und dessen Verbrechen nach dem 2. Weltkrieg ihre Macht wieder erhielten, Deutschland spalteten, die Vorläufer der EU gründeten und somit begannen, den Teil Europas, in dem sie die Macht haben, so zu organisieren wie Adolf Hitler es für nach dem „Endsieg“ vorgesehen hatte.”

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Mit besten Grüßen
Fred Schumacher


3. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Riegel,

Ihr überaus informativer Artikel zeigt einmal mehr auf, wie der “Zeitgeist” in den “Westlichen Werten” sein Unwesen treibt…

Warum, bitte, keine Erwähnung der Nationalität der diese Resolution einbringenden EU-Parlamentarier?

MfG aus AUS,
Andreas Wagner


4. Leserbrief

Liebe Nachdenkseiten-Redaktion,

diese unreflektierte und historisch unkritische Entscheidung der EU-Parlamentes hat auch mich entsetzt. Ein deutlich diffenzierteres Bild der Zwischenkriegszeit liefert eine Auseinandersetzung mit Karl Polanyis ‘The Great Transformation’. Eric Reinert geht in “Civilizing capitalism: “good” and “bad” greed from the enlightenment to Thorstein Veblen (1857- 1929)” darauf ein. Die entscheidende Passage aus dem Aufsatz (Original unter ‘Capitalism collapses when money flows to the financial sector per se‘) lautet (Übersetzund und Hervorhebung von mir):

Es ist normal, dass Kapital in die neuesten und profitabelsten Industrien strömt, die die höchste Rate von technischen Wandel und Wachstum aufzeigen, ob Carnegies Stahlwerke, Fords Montagelinien oder Bill Gates und Microsoft. Kapitalismus bricht andererseits zusammen, wenn Geld per se in den Finanzsektor fließt, als wären Finanzen eine Branche in Augenhöhe mit Stahl, Autos oder Software. Der fundamentale Fehler hinter der heutigen Weltlage ist somit das Versäumnis, die Realwirtschaft und die Finanzwirtschaft hinreichend zu unterscheiden (siehe Abb. 1 unten). Diese klare Unterscheidung war schon einmal verstanden, nicht nur wie in der islamischen Ökonomie heute – sondern auch entlang der politischen Achse von Marx und Lenin auf der linken Seite, dem Sozialdemokraten Rudolf Hilferding – einem Juden, der von der Gestapo ermordet wurde – um die konservativen Schumpeter und Keynes, bis hin zu Hitlers Ökonomen ganz rechts. Die deutsche Unterscheidung zwischen Schaffendes Kapital (creative capital) und Raffendes Kapital (etwa: Kapital, das vorhandenes Vermögen an sich reißt) ist eine nützliche Parallele zur guten und schlechten Gier, aber leider wurde dieser Vergleich von Personen geprägt, die dem Faschismus zu nahe stehen.

Wie Karl Polanyi hervorhebt, das Gemeinsame von Kommunismus, Faschismus und dem New Deal, war ein Misstrauen in ein ‘Laissez-faire’. Dazu gehörte auch ein Verständnis für die Notwendigkeit der Kontrolle des Finanzsektors. Von den drei Ideologien, die auf eine Überwachung des Finanzsektors zielen, sticht eine ziemlich offensichtlich heraus: Wir müssen eine Politik im Geiste des New Deal neu erschaffen.

Wenn man ‘Laissez-faire’-Kapitalismus als viertes Gesellschaftssystem hinzunimmt, so hat sich in den 1930er Jahren eines herauskristallisiert: Eine Politik des ‘New Deal‘ hat sich als einzige als nicht-totalitär erwiesen.

In einer kleinen Geschichtslektion erläutert Michael Jabara Carley die deutsch-russischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit. Nach der Katastrophe des ersten Weltkriegs war politisch der Wille zu einem kooperativen, transnationalen Framing vorhanden (Völkerbund). Nach Hitlers Machtübernahme wurde im Dezember ’33 von der Sowjetunion eine Politik der kollektiven Sicherheit angeregt, um die imperialistischen Bestrebungen Japans und auch Nazi-Deutschlands einzudämmen: Revitalisierung der Triple-Entente aus dem ersten Weltkrieg zusammen mit USA (und Italien) nachdem schon vorher eine Annäherung zwischen Litwinow und Roosevelt stattgefunden hatte. Dies wurde von stramm anti-kommunistischen Kräften torpediert. Wie tief muss die Angst vor dem Bolschewismus in den Knochen der Konservativen der 1930er Jahre gessessen haben, dass sie im Münchner Abkommen von 1938 mit den Nazis ins Bett gestiegen sind?

Bemerkenswert ist auch Carleys Wertung des Vertrages von Rapallo zwischen D und SU, der dazu diente, die beiden internationalen Parias wieder an die Völkergemeinschaft heranzuführen und die Beziehung zwischen beiden Staaten zu normalisieren. Die Sowjetunion hat darin ja u.a. auf Reparationen einseitig verzichtet. Im Gegenzug dazu war in der Frage Reparationen mit den Westmächten die Debatte Keynes – Rueff(Ohlin) zum ‘Transfer-Problem’ auschlaggebend. Keynes hat seine Position 1920 in The Economic Consequences of the Peace dargelegt, auf die auch Wilhelm Lautenbach in seinem Aufsatz Die Tributleistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft von 1924 Bezug nimmt.

Mit solidarischen Grüßen,

Gerhard Rinnberger

P.S.

Reinerts Ansatz kann auch als Rekontextualisierung des Historikersteites zwischen Ernst Nolte und Jürgen Habermas aufgefasst werden, worauf Florian Sander in ‘Als Habermas den herrschaftsfreien Diskurs beendete‘ hinweist:

Diese zentralen Thesen, die Nolte später den Vorwurf der Holocaust-Relativierung einbrachten, wurden von ihm an anderer Stelle ergänzt durch die Einschätzung, sowohl der Marxismus als auch der Faschismus seien Reaktionen auf Modernisierungsprozesse gewesen.

Habermas’ Position wird aber widersprüchlich, wie Sander resümiert:

Noch interessanter wird dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der aus der Soziologie in die Philosophie geflüchtete Habermas in seinen kommunikationstheoretischen Arbeiten als ein Verfechter des „herrschaftsfreien Diskurses“ auftrat. Diesem hat er mit seiner Argumentation im Historikerstreit ein Ende gesetzt: Das politische Paradigma der Westbindung übernahm die Definitionsgewalt – zum Preis der Wissenschaftlichkeit.


5. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

eine meines Erachtens wichtige Ergänzung Ihrer völlig zutreffenden Darstellung wird heute (und seit langem) nicht nur medial unterschlagen, sondern auch von den die heutigen “Westmächte” hofierenden Historikern: Nicht nur der Russland-Hasser Chamberlain wagte es 1939 nicht, gegen den dt.-sowjet. Nichtangriffspakt aufzutreten, sondern vor allem Churchill war voll des Verständnisses dafür: In dem vom israelischen, nichtkommunistischen Historiker Gabriel Gorodetzky (*1945 in Tel Aviv) herausgegebenen Tagebuch (*) des sowjetischen Botschafters in London (1932-1943), Iwan Michailowitsch Maiski, notiert Maiski nach Abschluss des Vertrages am 6.10. 1939 über sein Gespräch mit Churchill: 

„Die Hauptsache, über die Churchill mit mir zu so später Stunde zu sprechen wünschte, war der Stand der englischsowjetischen Beziehungen. […] Sein Ausgangspunkt ist der, dass die grundlegenden Interessen Großbritanniens und der UdSSR nirgendwo kollidieren. […] Wir sollten uns die Kritik und die Empörung, die in Großbritannien gegen den sowjetisch-deutschen Nichtangriffspakt und gegen die anschließenden Schritte der sowjetischen Regierung laut geworden sind, nicht zu sehr zu Herzen nehmen. […] Wenn die baltischen Staaten ihre Selbständigkeit verlieren müssen, ist es besser für sie, in das sowjetische Staatensystem eingegliedert zu werden als in das deutsche. […] ,Für Deutschland muss gelten: Bis hierher und nicht weiter! Besonders wichtig ist es, dass Deutschland der Griff nach dem Schwarzen Meer verwehrt wird.‘“

Freundliche Grüße
Karl Wimmler, Graz

(*) 2015 Yale University Press; dt. München 2016


6. Leserbrief

Liebe Nachdenkseiten,

vielen Dank für den Hinweis auf die faschistischen Vorgänge im EU-Parlament.
Ich will damit niemandem zu nahe treten, aber ich folge hier einer Beschreibung, die ich irgendwo in den Texten von oben gelesen habe: Der Faschismus ist eine Trutzburg des Kapitalismus. (wobei man durchaus Kapitalismus und Marktwirtschaft trennen darf)

Insbesondere der Hinweis auf den Infosperber (infosperber.ch/Artikel/Politik/EU-Parlament-Zweiter-Weltkrieg-Schuldfrage-Umdeutung) von Heute war nochmal besonders erhellend, und hat mich auf einen weiterführenden Link geführt: voltairenet.org/article207600.html

Das ist spannende Lektüre. Wobei spannend hier wohl als Euphemismus gelten darf. Sei’s drum. Es ist jetzt halb 11 abends und ich werde mitten im Text schluss machen. Ich finde den Text sehr anstrengend – zu entsetzlich sind die Parallelen zu Heute. Dazu ganz fix zwei Beispiele:

“Lassen Sie uns klar sein. Die Archive zeigen deutlich, dass die Sowjetregierung Frankreich, Großbritannien, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und sogar dem faschistischen Italien ihre kollektive Sicherheitspolitik und gegenseitige Unterstützung angeboten hat. Aber in jedem Fall wurden die Vorschläge abgelehnt oder sogar verachtet, wie es bei Polen der Fall ist, […]”

Woher nur kommt mir das bekannt vor? Achja:
nachdenkseiten.de/?p=31326
youtube.com/watch?v=dEMQs2v8rNc

Zusammengefasst: Russland wirbt für kollektive Sicherheit und die westliche Welt lacht sich ins Fäustchen. Schonmal gehört. Und dann das Sahnehäubchen…

“Die polnische Regierung markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs, indem sie die ehemaligen Achsenmächte nach Warschau einlädt. Sie ignoriert die Russische Föderation und ihre Rote Armee, die doch Polen zu einem hohen Preis (schwere Opfer und Verletzungen) befreit hat.”

Soweit die 1930er. Und das folgende von Heute:
nachdenkseiten.de/?p=52384
“Das 75. Jubiläum der Landung der Alliierten wurde für massive Meinungsmache genutzt[..]. Russland war gar nicht eingeladen.”

Noch schlimmer kanns jetzt aber nicht mehr werden oder?
Doch.

nachdenkseiten.de/?p=54616
“Am 1. September wurde des Beginns des Zweiten Weltkrieges gedacht, in Polen. Dorthin reisten Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier. Auf Einladung der polnischen Regierung. Nicht eingeladen waren Vertreter Russlands, obwohl Russland die meisten Opfer gebracht hat.”

Und weil es so schön ist nochmal im direkten Vergleich.
1930er
“Die polnische Regierung markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs, indem sie die ehemaligen Achsenmächte nach Warschau einlädt. Sie ignoriert die Russische Föderation und ihre Rote Armee, die doch Polen zu einem hohen Preis (schwere Opfer und Verletzungen) befreit hat.”

2019
“Am 1. September wurde des Beginns des Zweiten Weltkrieges gedacht, in Polen. Dorthin reisten Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier. Auf Einladung der polnischen Regierung. Nicht eingeladen waren Vertreter Russlands, obwohl Russland die meisten Opfer gebracht hat.”

Sobald einem das lachen im Hals stecken bleibt, bleibt einem wirklich nicht mehr viel.
wortlos, ratlos, müde

Sebastian Domschke


7. Leserbrief

Sehr geehrtes Team der NDS,

als noch relativ junger Mensch von 27 Jahren habe ich bislang die neuerliche Konfrontation zwischen den NATO-Staaten und Russland trotz des Bewusstseins, dass es einen “Kalten Krieg” gab und wie der ungefähr verlaufen ist, als etwas Neues, Modernes wahrgenommen. Dass dem nicht so ist, und es sich beim heutigen Phänomen im Grunde um den selben verstetigten Versuch handelt, ein kooperierendes Eurasien mit allen Mitteln zu verhindern, musste ich schmerzlich auch beim Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit über das Thema “Congress for Cultural Freedom” (CCF) herausfinden (dazu unten mehr); Es ist kaum zu begreifen, mit welcher Rafinesse ein weltweit agierendes Netzwerk verschiedenster Organisationen – und hier ist in dem von den NDS geschilderten Fall das Europäische Parlament miteinzubeziehen – im Zuge der Westanbindung eben gleichzeitig auch an der Abgrenzung gegenüber Russland arbeiteten und arbeiten – und wie langfristig.

Dass sich sogar die Terminologie dieses Konfliktes damals wie heute gleicht, verwundert dann nicht mehr, wenn man versteht, dass es nach wie vor im Grunde derselbe Konflikt aus denselben Motiven mit denselben treibenden Kräften im Hintergrund ist. Eine recht aufschlussreiche Rede dazu hat George Friedman vor dem Chicago Coucil on Global Affairs 2015 kurz vor seinem Abtreten als CEO von Stratfor gehalten. Der Link hierzu:

thechicagocouncil.org/event/europe-destined-conflict

Weswegen ich in diesem Zusammenhang auch den CCF erwähne:

  1. Weil heute kaum mehr jemand über diese für die jüngere Geschichte symptomatische Organisation zur Beeinflussung und Lenkung Bescheid weiß und
  2. Sich aus der Kenntnis dieser Organisation recht anschaulich ableiten lässt, wie die Westernisierung der (nicht nur!) europäischen Gesellschaft in politische Instanzen hineinwirkt und aber vor allem auch alle anderen Lebensbereiche betraf und betrifft.

In diesem Sinne bin ich Herrn Müller sehr dankbar für sein neues Buch (welches zu lesen ich und möglichst viele andere hoffentlich bald die Zeit finden werden) und dem ganzen Team der NDS für ihre Arbeit; in der Aufklärung über Manipulationen und die wahren Interessens-Gemengelagen liegt eine berechtigte Hoffnung auf eine mündigere Gesellschaft.

Dafür herzlichen Dank!
Ihr Florian Huber


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