Wahlen in Portugal – Sozialist Antonio Costa erwägt Fortsetzung der linken Anti-Austeritäts-Regierung unter Einschluss der Naturfreunde-Partei

Wahlen in Portugal – Sozialist Antonio Costa erwägt Fortsetzung der linken Anti-Austeritäts-Regierung unter Einschluss der Naturfreunde-Partei

Wahlen in Portugal – Sozialist Antonio Costa erwägt Fortsetzung der linken Anti-Austeritäts-Regierung unter Einschluss der Naturfreunde-Partei

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Die Chefetagen der Europäischen Union gingen am Sonntag, den 6. Oktober, wie zuvor im Jahr 2015 in Gedanken an das EU- und NATO-Land Portugal kopfschüttelnd und naserümpfend zu Bett. Doch das Land am Tejo erwachte an diesem Montag wohlauf und zuversichtlich. Von Frederico Füllgraf.

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Lesen Sie dazu auch: Albrecht Müller – „Sozialdemokraten können Wahlen gewinnen und sogar die Rechte kleinhalten, wenn sie ihrem Charakter und ihrem Programm einigermaßen treu bleiben. Siehe Portugal.

Portugal wählte am Sonntag sein neues Parlament mit 230 Abgeordneten. Als von den Meinungsforschungs-Instituten längst als Favorit vorausgeahnte Partei gingen die regierenden Sozialisten (PS) mit 36,65 Prozent der Stimmen und 106 gewählten Parlamentariern als Wahlsieger hervor, gefolgt vom ehemaligen Koalitionspartner neoliberaler Administrationen und der sich sozialdemokratisch nennenden, konservativen PSD, die 27,90 Prozent der Stimmen erzielen und 77 Sitze erobern konnte.

Mit 22 Parteien im Rennen war dies die buntscheckigste Wahl des ideologischen Spektrums aller Zeiten in dem südeuropäischen Land, dessen Wahlsystem keine 5-Prozent-Klausel als Schutzwall zur Eindämmung parteipolitischer Zersplitterung erhebt und somit sogenannten Zwergparteien den Zugang zur Legislative eröffnet. So geschehen mit der Partei “Personen, Tiere und Natur” (PAN), die mit 3,28 Prozent und 4 Mitgliedern zum ersten Mal ins Parlament einzieht und gar vom bisherigen Regierungschef – dem Sozialisten Antonio Costa – als potenzieller neuer Partner zur Erweiterung der bisherigen linken Koalition (Sozialisten, Linker Block, Kommunisten und Grüne, genannt CDU) erwogen wird, die weltweit als “Klapperkiste” bekannt wurde.

Mit 4,25 Prozent und 5 Abgeordneten erlebte Portugals traditionelle Rechte (CDS-PP) eine demütigende Schlappe, umgekehrt darf die rechtsextreme Splitterpartei “Chega” (Genug!) ihre Xenophobie nun ins Parlament tragen; das zumindest denkt ihr zigeunerfeindlicher Führer, der unter anderem auch den Posten des Regierungskanzlers abschaffen will.

Um allein die Regierung zu stellen, hätte die Sozialistische Partei Costas jedoch mindestens 116 Abgeordnete und damit die absolute Mehrheit erreichen müssen, wozu ihr jedoch 10 Sitze fehlen. Also wird der quer durchs ideologische Spektrum und landesweit beliebte Premier, wie bereits nach der Wahl von 2015, ein Regierungsbündnis aushandeln müssen, das Stabilität und Vertrauen verspricht. Alle Anzeichen sprechen für die Fortsetzung der erfolgreichen “Klapperkisten”-Administration der PS unter Einschluss des trotzkistisch angehauchten Linken Blocks (ca. 10 Prozent der Stimmen, mit 19 Abgeordneten) und des kommunistisch-grünen Wahlbündnisses CDU, das mit 7,0 Prozent der Stimmen 2 Parlamentssitze eingebüßt hat, was Costas angesprochene Einladung an die PAN erklärt.

Ein kontrastierendes Alarmzeichen war allerdings die hohe Wahlenthaltung von über 45 Prozent, die auch Portugal zur Nachdenklichkeit über den Verdruss gegen die Demokratie beziehungsweise gegen ihre Verzerrungen und Aushöhlungen zwingt.

Die virtuose und erfolgreiche linke “Klapperkiste”

Zu einer Zeit dramatischer Unsicherheit in Europa forderte Portugal das liberale Diktat seiner Missionare in Brüssel, in der Europäischen Zentralbank und im Internationalen Währungsfonds (IWF) heraus, die als Reaktion auf die 2008 eskalierte Wirtschafts- und Finanzkrise auf dem Kontinent auf Sparmaßnahmen und Sozialabbau bestanden. Die Wirtschaft brach zusammen, die Löhne wurden gekürzt und die Arbeitslosigkeit verdoppelt. Die Regierung von Lissabon musste eine demütigende internationale Rettung hinnehmen.

Als EU-Mitglieder wie Griechenland und Irland – und für eine Weile auch Portugal – mit Schuldentilgung und skrupellosen Etatkürzungen an der Reihe waren, leistete Lissabon Widerstand und trug mit einer sogenannten antizyklischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Wiederbelebung einer unorthodoxen Denkweise, gepaart mit sozialem Handeln, bei, die 2018 das Wirtschaftswachstum in Portugal auf den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt in die Höhe trieb und mit seiner Leistung sämtliche EU-Mitglieder abhängte.

Der innovative Reformkurs nach 2015 war überall erkennbar. Angeheizt von einer ungeahnten Tourismuswelle wurden Hunderte Hotels, Restaurants und Geschäfte eröffnet, die als erste Folge die Arbeitslosigkeit halbierten. In Lissabons Stadtteil Beato entstand aus den Trümmern einer maroden Militärfabrik ein Start-up-Megacampus. Multis wie Bosch, Google und Daimler-Benz eröffneten Büros und digitale Forschungszentren mit der Beschäftigung Tausender Mitarbeiter. Internationale Investitionen in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Bauwesen und andere boomten auf Rekordhoch. Selbst die traditionelle portugiesische Industrie, allen voran Textilien und Papier, investierte in Innovationen, die wiederum einen Exportschub auslösten.

„Was in Portugal passiert ist, zeigt, dass exzessive Sparmaßnahmen die Rezession verschärfen und einen Teufelskreis bilden”, ist ein beliebter Lehrsatz von Ministerpräsident Antonio Costa. „Wir haben eine Alternative zum Spardiktat geschaffen, die auf höheres Wachstum und mehr und bessere Arbeitsplätze ausgerichtet ist.” Ende 2015 halfen die Wähler Costa an die Macht, nachdem er versprochen hatte, die Einkommenskürzungen der vorangegangenen Regierung rückgängig zu machen, das hohe Defizit Portugals in Höhe von 78 Milliarden Euro unter internationaler Kaution abzubauen usw.

Koalierte die seit Ende der 1970er Jahre auf sozialdemokratisch-liberalen Kurs getriebene PS beliebig mit konservativen Parteien wie der Banker-freundlichen PSD, so ließ sich Costa 2015 ein radikal anderes, gewagtes Regierungsbündnis einfallen, nämlich mit dem ursprünglich trotzkistisch ausgerichteten Bloco de Esquerda (Linker Block – BE) und der ehemals stalinistisch angehauchten Kommunistischen Partei (PCP), ihrerseits ebenso unorthodox liiert mit der Partei der Grünen. Und siehe da, das linke Bündnis schaffte das, wozu der bornierteste Flügel des Kapitals unfähig war: Es belebte den Kapitalismus in Portugal wieder zur Blüte.

Zusammen übten Sozialisten, Linksradikale und Kommunisten ungeahnten und erfolgreichen Druck zur Überwindung von Sparmaßnahmen aus, versuchten dabei jedoch nicht allzu frontal gegen die Regeln der Eurozone zu verstoßen. Als Sofort- und Dauermaßnahmen erhöhte die Regierung den Mindestlohn, die Löhne im öffentlichen Sektor, die Renten und maßte sich gar an, die Anzahl der gesetzlich erlaubten Urlaubstage auf den Stand vor der finanziellen „Rettungsaktion“ der EU-Zentralbank zurückzuversetzen, was von Kreditgebern wie Deutschland und dem IWF als unzulässig beanstandet wurde. Zu den wirtschaftlichen Anreizen zur Belebung der Wirtschaft gehörten Entwicklungszuschüsse, Steuergutschriften und Finanzierungen; allesamt gegen den Strom der EU-Austeritätspolitik.

„Dabei war Costas Regierungsstart vor vier Jahren ziemlich holprig. Er hatte nicht einmal die Wahl gewonnen, sondern war hinter den Konservativen mit 32 Prozent auf Platz zwei gelandet. Doch nachdem der konservative Block nur wenige Tage nach der Regierungsbildung mangels Mehrheit im Parlament scheiterte, schlug die Stunde des António Costa. Er schaffte es, mit seinem positiven Pragmatismus ein Mitte-links-Bündnis zusammenzuzimmern”, kommentierte Ralph Schulze im gewerkschaftsnahen luxemburgischen Tageblatt und feierte Antonio Costas Administration, deren Erfolge selbstverständlich nicht allein den Sozialisten, sondern dem sturen Druck, aber auch dem geschickten Verhandlungsstil der Linken im Kabinett und im Parlament zu verdanken waren.

„Als Costa vor vier Jahren in dem Euro-Krisenland an die Macht kam und das Ende der Austerität ankündigte, fürchteten die Sparkommissare in Brüssel, dass das mit einem Milliardenkredit gerettete Portugal wieder in die Pleite rutschen könnte. Doch dann kam alles anders: Das nach der Finanzkrise am Boden liegende Land blühte auf, die Wirtschaft brummt wieder und der Schuldenberg schrumpft … Inzwischen bewundert ganz Europa den portugiesischen Erfolgsweg. Ein Aufstieg aus der Asche, der davon zeugt, dass Schuldensanierung und engagierte Sozialpolitik vereinbar sind. Und dass das Credo der internationalen Gläubiger-Troika, wonach ausschließlich schmerzhafte Spar-Axthiebe zum Erfolg führen, wohl doch nicht der Weisheit letzter Schluss war”, lobt Schulze die lusitanische Zivilcourage.

Das basisdemokratische Erbe der “Nelken-Revolution”

Nun ist Portugal fashion.

In der Tat. Die Liste der internationalen Celebrities, die sich in Portugal niederließen, wächst und wächst. Dem Vorbild von Prominenten wie Madonna, Monica Bellucci, Isabelle Adjani, Christian Louboutin oder Marcello Antony folgten 2018 Nick Youngquest und Luma Grothe, jenes Liebespaar aus Paco Rabannes Parfümwerbung. Allesamt tauschten sie die Hektik von Paris, Hollywood oder New York gegen die Ruhe in Ericeira oder im arabisch anmutenden Alentejo. Dabei nicht zu vergessen Wim Wenders‘ atemberaubender Spielfilm Lisbon Story (1994), dessen melancholische Storyline der vor 3.000 Jahren von Phöniziern gegründeten Stadt am Meer wie die Faust aufs sehnsüchtige Auge passt und hunderttausende Filmfans rund um die Welt auf Lissabon aufmerksam machten.

Jedenfalls trug die „Klapperkiste“ besonders zum ersehnten bürgerlichen Geborgenheitsgefühl bei. Doch nicht etwa, weil die Portugiesen Konflikten aus dem Weg gehen und die Konzilianz bevorzugen. Konflikte gab es im Lande zu hunderten in den vergangenen 15 Jahren, alle gegen die Auswüchse der neoliberalen Agenda und ihrer sozialen Verelendung gerichtet.

Was vielmehr die politische Atmosphäre und das Rechtsempfinden ausmacht – die quer durch sämtliche ideologische Lager Portugiesen zur Wahl der Linken antreibt – ist das Vermächtnis der jungen Offiziere der Streitkräfte, die 1974 den über dreißigjährigen Faschismus stürzten und bis in die entferntesten Winkel des portugiesischen Territoriums radikaldemokratische “Samen” und republikanische Rechtssicherheit in die Gemeinden pflanzten, was 40 Jahre danach sozusagen eine Art “demokratischer Immunität”, auch gegen Rechtsextremismus, zur Folge hatte.

Trotz aller Wetten gegen sie hielt die “Klapperkiste” vier Jahre stand. Das Wachstum lag in den letzten zwei Jahren über dem EU-Schnitt, die Arbeitslosenquote halbierte sich auf 6,2 Prozent, Steuern sanken. Das Etatminus fiel 2018 auf beispielhafte 0,5 Prozent, was signalisiert, dass auch unter Costa gespart wurde. Die Frage ist aber, wie.

Costa wagte so einiges, was den Brüsseler Sparkommissaren gegen den Strich ging. Die Bevölkerung erhielt zum Beispiel jene vier annullierten Feiertage und die Beamten bekamen ihre 35-Stunden-Woche zurück. „Im Wahljahr 2019 verteilte der Vorzeigesozialist Costa dann noch ein paar zusätzliche Geschenke: Er senkte mit millionenschweren Subventionen die Tarife für die Monatsabos des Nahverkehrs und brachte ein Gesetz zur Mietendeckelung auf den Weg”, freute sich das Luxemburger Tageblatt. Und vor ihm Millionen Portugiesen.

Seit dem 6. Oktober steht in Portugal “Klapperkiste 2” auf dem Programm. Diesmal eventuell angereichert mit der Expertise der “Partei der Personen, der Tiere und der Natur”. Im Juni 2020 ist Portugal nämlich Gastgeberland der globalen Oceans Conference der Vereinten Nationen.

Titelbild: Mustafa ferhat beksen/shutterstock.com

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