Guter Cop, Böser Cop: Die Debatte um die Polizei

Guter Cop, Böser Cop: Die Debatte um die Polizei

Guter Cop, Böser Cop: Die Debatte um die Polizei

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Der Fall George Floyd hat eine kritische Diskussion über die Rolle der Polizei in den USA und in Deutschland ausgelöst. Das ist einerseits zu begrüßen. Andererseits treibt die Debatte teils seltsame Blüten. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Fall eines öffentlich von einem weißen Polizisten getöteten schwarzen US-Bürgers hat nicht nur weltweite Proteste ausgelöst. Er hat auch eine Debatte über die Rolle der Polizei in den USA und in Deutschland befördert. Dabei ist einerseits zu begrüßen, dass der Fall des getöteten George Floyd die breite Aufmerksamkeit vorübergehend auf die Schikanen und Gewalterfahrungen lenkt, die schwarze US-Bürger durch Teile des Personals der US-Polizei erdulden müssen: Struktureller Rassismus in den USA (und auch in Deutschland) ist ein wichtiges Thema.

Die Debatte entfaltet momentan auch irritierende Aspekte. Sollten als Reaktion auf die Missstände staatlicher Polizeien prinzipiell die Polizei-Budgets gekürzt werden? Sollte man zulassen, dass das wichtige Prinzip einer staatlichen Polizei (im Gegensatz zu einer privaten) generell diffamiert wird? Sollte Militanz als Akt des Widerstands erlaubt und das staatliche Gewaltmonopol in Zweifel gezogen werden? Sollten Unterschiede etwa zwischen der deutschen und der US-amerikanischen Polizei anerkannt werden?

Frage lautet nicht, ob wir eine staatliche Polizei wollen, sondern was für eine

Die zentrale, durch den erschütternden Fall Floyd (und viele andere) aufgeworfene Frage lautet nicht, ob wir eine staatliche Polizei wollen, sondern was für eine. Das Prinzip einer staatlich organisierten und (im besten Fall) öffentlich kontrollierten Polizei ist eine Säule der Zivilisation – diese Säule sollte nicht leichtfertig beschädigt werden: Die Alternative wären private Sicherheitsdienste – und wer sich das nicht leisten kann, bleibt schutzlos. Aktuelle Forderungen, der Polizei das Budget zu kürzen, sind darum nicht automatisch antiautoritär. Unter Umständen kann die Forderung auch staatsfeindlich und neoliberal wirken.

Bei den Polizei-Budgets ist eine unterschiedliche Tendenz zwischen Deutschland und den USA zu verzeichnen. Während in Deutschland mindestens bis 2019 massiv Personal bei der Polizei abgebaut wurde, haben sich in den USA in den letzten 40 Jahren laut „Guardian” die Kosten für die Polizeiarbeit verdreifacht „und belaufen sich nach einer aktuellen Analyse auf 115 Milliarden Dollar“. Der Artikel fährt fort:

„Die Covid-19-Wirtschaftskrise hat Städte und Bundesstaaten dazu veranlasst, drastische Haushaltskürzungen in den Bereichen Bildung, Jugendprogramme, Kunst und Kultur, Parks, Bibliotheken, Wohnungswesen und mehr vorzunehmen. Doch die Budgets der Polizei sind gewachsen oder weitgehend unangetastet geblieben – bis zum Druck der Proteste in dieser Woche.“

Diese Aussagen können also die These des Autors Alex Vitale über die Entwicklung der Polizei in den USA stützen, die er kürzlich in der „Zeit“ darlegte: Durch die neoliberale Wirtschafts- und Sparpolitik der vergangenen vierzig Jahre, die beide US-Parteien vorangetrieben hätten, sei die Ungleichheit in der US-Gesellschaft stark gewachsen. Vitale fährt fort:

„Aber anstatt die ökonomischen Ursachen anzugehen, haben wir die Symptome kriminalisiert und der Polizei aufgetragen, sie irgendwie zu managen. Also haben wir jetzt Polizisten in Schulen, Obdachlose in Gefängnissen und die Polizei kommt, wenn jemand in einer psychischen Notfallsituation steckt. Das trifft alles doppelt und dreifach auf arme und nichtweiße Gegenden zu. (…) Wir müssen der Polizei das Geld wegnehmen.“

Militarisierung stoppen, Personal einstellen

Hier ist aber auch Vorsicht angebracht, damit diese schönen Worte nicht für indirekte Kürzungen des staatlichen Gesamtbudgets missbraucht werden. Denn besser, als das Geld für Soziales „bei der Polizei zu holen“, wäre es, zusätzliches Geld bei den Spitzenverdienern über Steuern einzutreiben und der Polizei ihr Budget zu lassen: Denn zwar muss die Militarisierung der Polizeien dringend gestoppt werden und Fehlverhalten muss streng geahndet werden. Dafür müssen auch Gesetze und interne Abläufe geändert werden – in Deutschland und in den USA. Aber auf der anderen Seite sollte massenhaft polizeiliches Personal eingestellt und gut bezahlt werden. Auch dadurch wird dafür gesorgt, dass das Gewaltmonopol weiterhin für den Staat reserviert bleibt und es nicht durch private Sicherheitsdienste ersetzt wird.

Zudem ist die aktuelle Fixierung auf polizeiliches Fehlverhalten auch potenziell ablenkend: Polizeigewalt ist zwar Ursache von Leid. Aber gesellschaftliche Verrohungen, dazu gehört auch Polizeigewalt, sind auch ein Symptom, eine Folge der vor allem ökonomischen Spaltung der Gesellschaften. So lange diese ökonomische Spaltung in Schwarz und Weiß bzw. Arm und Reich fortbesteht, werden auch Polizei-Reformen nur bedingt Wirkung entfalten. Die „Deutsche Welle“ berichtet über noch weitergehende Bestrebungen in den USA:

„Es gibt in den USA eine Bewegung, die fordert, die finanziellen Mittel der Polizei zu beschneiden und die Behörden in der Folge komplett abzuschaffen.“

Trend zur Privatisierung von Sicherheit

Diese radikale Vorgehensweise kann destruktiv sein und kann auch das aktuelle Rassismus-Argument nur bedingt anbringen: Zum einen arbeiten bei den US-Polizeien auch zahlreiche schwarze Bürger. Zum anderen gibt es zahlreiche schwarze US-Bürger, die zwar Polizeipraktiken scharf kritisieren, die sich aber dennoch eine stärkere Polizeipräsenz wünschen würden – weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass die Polizei oft nicht kommt, wenn sie zu Notfällen in bestimmte Wohngegenden gerufen wird.

Das beschreibt auch dieser Artikel eines Ex-US-Polizisten, der sich über den Trend zur Privatisierung von Sicherheit sorgt:

“Im Laufe der Jahre und seit dem 11. September 2001 haben die Ausgaben für den privaten Sicherheitsdienst bereits stark in den Schatten gestellt, was die Bürger mit ihren Gemeindesteuern bezahlen. Langsam, aber sicher schützt der private Sicherheitsdienst die Häuser und Geschäfte derjenigen, die das Sagen haben.

Als Reaktion darauf rufen Bürger, die in armen Vierteln leben, denen es an Ressourcen oder politischer Macht fehlt, um die Polizei dazu zu bringen, ihnen zuzuhören und auf sie einzugehen und sich zu ändern, in ihrer Verzweiflung nach kommunaler Kontrolle der Polizei.“

In dem Artikel werden auch die vier größten privaten Sicherheitsfirmen vorgestellt – diese sichern auch viele „Gated Communitys“, also eingezäunte und überwachte Privatsiedlungen. Der Trend, dass sich Wohlhabende von privaten Polizeien schützen lassen, entsteht auch in Deutschland, wie dieser Artikel beschreibt. Besonders infam ist es, wenn wohlhabende Bürger, die nicht auf eine öffentliche Polizei angewiesen sind, aus ihren Sicherheitsinseln heraus nach staatlichen Kürzungen rufen, die wiederum Defizite etwa bei der Polizei auslösen.

Auch deutsche Polizei nicht ohne Defizite

Es bleibt festzuhalten: Defizite, Fehlverhalten und Korpsgeist müssen radikal bekämpft werden. Gleichzeitig ist eine staatliche Polizei aber ein bisschen wie der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk: Das Prinzip ist wichtig und sollte keinesfalls abgeschafft werden, aber die praktische Umsetzung ist zum Teil katastrophal. Wiederum gleichzeitig sollte aber die Polizei auch nicht in die Rolle des Blitzableiters und Prügelknaben für die Folgen neoliberaler Kürzungen und der Verschärfungen der gesellschaftlichen Gegensätze gedrängt werden.

Dass auch Teile der deutschen Polizei Probleme mit rechter Gesinnung haben (und auch mit der Aufklärung solcher Tendenzen), das hat etwa Wolf Wetzel auf den NachDenkSeiten in diesem Artikel oder in diesem Artikel beschrieben. Insofern hatte Saskia Esken nicht ganz unrecht, als sie erklärte, auch in der deutschen Polizei gebe es Fälle von „latentem Rassismus“. Die Reaktionen auf die Äußerung verdeutlichen aber auch die Vorsicht, die man walten lassen muss, wenn man Sicherheitsbehörden pauschal kritisiert. Und die Debatte über das neue Berliner Anti-Diskriminierungs-Gesetz fährt gerade hoch.

Die Pole der Debatte

Die beiden Pole der inner-US-amerikanischen Debatte zur Polizei manifestieren sich etwa in zwei TV-Kommentatoren. Die erzkonservative Sicht erklärt Tucker Carlson auf „Fox-News“ in diesem Video. Den „links“-liberalen Gegenpart vertritt John Oliver in diesem Video. Eine Empfehlung soll hier für die Dokumentation „The 13th“ ausgesprochen werden: Der Film über das US-Gefängnissystem und den rassistischen Hintergrund von zahlreichen (von Republikanern wie von Demokraten vorangetriebenen) US-Gesetzen und die schlimmen Folgen für zahlreiche schwarze US-Bürger lässt den Zuschauer schockiert zurück.

Titelbild: pio3 / Shutterstock

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