Eliteforscher Hartmann über ein „erschreckendes Ausmaß der Vermögensungleichheit“

Eliteforscher Hartmann über ein „erschreckendes Ausmaß der Vermögensungleichheit“

Eliteforscher Hartmann über ein „erschreckendes Ausmaß der Vermögensungleichheit“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Nichts bewegt die Reichen so sehr wie ihr Vermögen“, sagt Michael Hartmann im NachDenkSeiten-Interview. Anlass für das Interview mit dem Eliteforscher ist eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), über die diese Tage in den Medien berichtet wurde. Laut der Studie ist die soziale Ungleichheit in Deutschland noch größer als angenommen. Im Interview ordnet Hartmann die Studie kritisch ein und führt aus, was sich ändern muss, um den Verhältnissen hierzulande entgegenzutreten. Unter anderem sagt Hartmann: „Um das Problem an der Wurzel zu packen, müsste man tatsächlich die Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft grundlegend ändern.“ Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Hartmann, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Tage eine neue Studie vorgestellt. Tenor: Die Ungleichheit in Deutschland ist noch größer als angenommen. NachDenkSeiten-Redakteur Jens Berger hat sich mit der Studie in einem aktuellen Artikel auseinandergesetzt und sagt, dass ist alles nicht neu. Schon seit Jahren seien die Ausmaße der Ungleichheit hierzulande bekannt.
Wie haben Sie die DIW-Kurzstudie aufgenommen?

Faktisch enthält sie nichts wirklich Neues. Dass das obere Prozent gut ein Drittel des Vermögens besitzt, hat das DIW schon seit Jahren in anderen Studien ermittelt und auch eine Studie der EZB von 2014 ist zu demselben Ergebnis gelangt. Neu ist einzig die Methode. Das ist aber insofern wichtig, als die Resultate jetzt schwerer angezweifelt werden können als früher, wo sie viel stärker auf Schätzungen beruhten. Deshalb habe ich die Veröffentlichung begrüßt.

Wer die Diskussion um die Ungleichheit in Deutschland verfolgt, dürfte feststellen, dass sich im Kreis gedreht wird. Immer wieder flackert das Thema auf, Medien berichten hier und da darüber, aber es tut sich nicht wirklich etwas, oder?

Das ist leider so. In regelmäßigen Abständen von etwa ein, zwei Jahren werden Studien präsentiert, die das erschreckende Ausmaß der Vermögensungleichheit in Deutschland belegen. Das greifen die Medien dann kurz auf, auch große Medien wie etwa der Stern, der daraus vor Jahren sogar mal eine richtig gute Titelgeschichte gemacht hat, und danach geht es weiter wie zuvor. Erstaunlicherweise präsentieren dieselben Medien dann etwas später die offiziellen Zahlen des statistischen Bundesamts oder der Bundesregierung, denen zufolge das obere Zehntel „nur“ knapp 60 Prozent des Vermögens besitzt. Das obere Prozent wird zumeist gar nicht aufgeführt, wenn ja, dann mit einem Wert, der weit unterhalb von 35 Prozent bei nur gut 20 Prozent liegt. Auf den Widerspruch bei den Zahlen geht man einfach nicht ein. Eine kontinuierliche Berichterstattung über das Thema mit wirklicher Hintergrundrecherche gibt es sowieso nicht. Besonders verwirrend wird es für die Leser, wenn dann von reich in Bezug auf Einkommen gesprochen wird. Das fängt in der Berichterstattung wie kürzlich in der FAZ schon bei 3500 Euro netto bei einem Alleinstehenden an. Diese Summe markiert tatsächlich aber nur die Grenze zu den oberen zehn Prozent. Reich ist etwas komplett anderes. Da müsste man mindestens über das Doppelte verfügen, und zwar nur aus den Erträgen seines Vermögens.

Der Studienleiter scheint nicht davon überzeugt zu sein, dass eine Vermögensabgabe etwas an der Grundsituation ändern kann. In der Studie heißt es: „Wie in diesem Bericht gezeigt wurde, halten viele Hochvermögende Betriebsvermögen. Negative Anreize, ihr Vermögen produktiver Aktivität zuzuführen, kann langfristige Konsequenzen für den materiellen Wohlstand aller haben, weil Investitionen, die Arbeitsplätze geschaffen hätten, möglicherweise nicht mehr oder weniger umfangreich getätigt werden. Auch die aktuelle Rezession verdeutlicht das Problem einer Vermögensteuer, da diese ertragsunabhängig bemessen wird und in einer Krisensituation wie derzeit die Rezession noch zusätzlich verschärfen kann.“
Was halten Sie von diesen Aussagen?

Da ich Grabka lange kenne und auch schätze, war ich etwas verwundert. Die Aussagen zu möglichen Lösungen sind aber alle sehr vorsichtig formuliert. Bei der Vermögensteuer sind sie eher skeptisch gehalten, bei der Erbschaftsteuer eher zustimmend. Warum die Forscher des DIW sich so geäußert haben, weiß ich aber nicht und ich will darüber auch nicht spekulieren. Faktisch ist das Argument gegen die Vermögensteuer aber bei weitem nicht so zutreffend, wie es auf den ersten Blick vielen erscheinen mag.

Warum?

Ich habe das 2017 mal nach einem Vortrag in Mannheim anhand eines im MDAX notierten Unternehmens aus diesem Raum nachrecherchiert, weil es da auch die Behauptung gab, dass eine Vermögensteuer von einem Prozent es dem Unternehmen unmöglich mache, notwendige Investitionen zu tätigen. Die Mehrheitseigner, die mit einem Vermögen von ca. 1,5 Milliarden zu den 100 reichsten Deutschen zählen, hätten bei einer Steuer von einem Prozent 15 Millionen Euro zahlen müssen, eine auf den ersten Blick enorme Summe. Sie erhielten 2018 aber fast 70 Millionen als Dividende. Die Investitionen waren da schon alle als Betriebsausgaben herausgerechnet.

Also würde immer noch ein ziemlicher Batzen Geld übrig bleiben?

Nach der Steuer wären ihnen immer noch über 50 Millionen als persönlicher Gewinn verblieben. Im Kern sieht es selbst bei den Tech-Konzernen mit ihren vergleichsweise hohen Aktienkursen und relativ niedrigen Dividenden ähnlich aus. Der SAP-Gründer Hasso Plattner hat letztes Jahr damit gedroht, Deutschland zu verlassen, wenn eine Vermögensteuer eingeführt würde. Sein Argument war, dass er seine SAP-Aktien verkaufen müsse, um die Steuer zu zahlen. Dieses Jahr hat SAP eine Dividende von 1,30 Euro pro Aktie gezahlt. Zum Stichtag lag der Kurs der Aktie bei 110 Euro. Hopp hätte also, rechnet man die Abgeltungssteuer ab, allein von seiner Dividende auf SAP-Aktien knapp 90 Prozent der Vermögensteuer zahlen können. Aber selbst wenn er die Steuer komplett mit seinen SAP-Aktien hätte zahlen müssen, wäre sein entsprechendes Aktienvermögen in den letzten zehn Jahren dennoch um über das Dreieinhalbfache gewachsen. Denn er hätte zwar jedes Jahr ein Prozent seiner Aktien abgeben müssen, die restlichen 99 Prozent aber wären aufgrund der Vervierfachung des Aktienkurses in diesem Zeitraum heute mehr als das Dreieinhalbfache wert. Das Argument, man würde damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, finde ich deshalb nicht überzeugend. Man beeinträchtigt, um bei diesem Wort zu bleiben, nur das Wachstum des Reichtums einzelner Personen oder Familien. Was den Hinweis auf die Verschärfung einer Krise wie der jetzigen angeht, so lassen sich für solche Situationen immer Lösungen finden, wie etwa die Verschiebung von steuerlichen Zahlungen in die Zukunft. Im Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung findet man vergleichbare Regelungen für die Steuerzahlungen der Unternehmen ja bereits jetzt.

Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, um der Ungleichheit hier im Land beizukommen? In einem aktuellen taz-Interview sprechen Sie an, dass man im Grunde genommen an die Eigentumsstruktur der großen Unternehmen ran müsste.

Um das Problem an der Wurzel packen zu können, müsste man tatsächlich die Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft grundlegend ändern. Das ist auf absehbare Zeit aber wohl nicht zu machen. Daher bleibt aus meiner Sicht nur der Weg über die höhere Besteuerung großer Vermögen, also Wiederinkraftsetzung der Vermögensteuer, drastische Anhebung der Erbschaftsteuer, vor allem für Familienunternehmen, Abschaffung der Abgeltungsteuer etc. Damit könnte man die Vermögenskonzentration zumindest stoppen, je nach der konkreten Höhe der Steuersätze vielleicht auch zurückdrehen. Eine Erbschaftsteuer, die diesen Namen auch verdient, würde auf jeden Fall die Weitergabe großer Vermögen auf die nächste Generation massiv erschweren und so eine weitere Konzentration von einer Generation zur nächsten verhindern. Wenn man die Ungleichheit insgesamt betrachtet, könnte man, wie die DIW-Forscher fordern, natürlich auch die Vermögensbildung der breiten Bevölkerung fördern, um die Ungleichheit zu reduzieren. Dafür käme es aber weniger auf neue staatliche Förderinstrumente zur Vermögensbildung an. Zu allererst wäre es zentral, die Einkommen in der unteren Hälfte der Bevölkerung massiv anzuheben. Denn nur bei solch höheren Einkommen kann überhaupt auch nennenswert gespart werden. Bei den heutigen Einkommen ist das schlicht nicht möglich.

Die Widerstandskräfte gegen derartige Veränderungen scheinen hoch zu sein.

Die sind natürlich enorm groß, denn hier geht es schließlich ums Geld. Da hört bekanntlich der Spaß auf. Nichts bewegt die Reichen so sehr wie die Frage, ob sie uneingeschränkt über ihr Vermögen verfügen können. Jeder Versuch, ihr Recht auf Eigentum zu beschneiden, wird dementsprechend skandalisiert und bekämpft. Je größer das Vermögen ist, desto heftiger ist in der Regel der Widerstand. In einer Studie über die deutschen Eliten haben wir Anfang des letzten Jahrzehnts ermittelt, dass Steueranhebungen auf hohe Einkommen, Vermögen oder Erbschaften am vehementesten von denen abgelehnt wurden, die innerhalb der Eliten über die größten Vermögen verfügten. Sie lehnten sie mit einer Mehrheit von acht zu eins ab, während das Verhältnis bei den Eliten insgesamt „nur“ zwei zu eins lautete.

Wie massiv von den Reichen Einfluss genommen wird, hat die Debatte um die Erbschaftsteuer für Familienunternehmen gezeigt. Die gesetzliche Regelung, die in der ersten großen Koalition unter Merkel von Peer Steinbrück als Finanzminister auf den Weg gebracht wurde, hat die Erbschaftsteuer in solchen Fällen meistens auf Null reduziert. Zwischen 2009 und 2015 wurden von einem vererbten oder verschenkten Betriebsvermögen in Höhe von ungefähr 250 Milliarden Euro nicht einmal 20 Milliarden überhaupt der Besteuerung unterworfen. Der Rest blieb steuerfrei. Das hat das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig bezeichnet und eine gesetzliche Änderung verlangt. Der Bundestag hat daraufhin 2016 eine geänderte Fassung beschlossen, die aber im Kern weitgehend identische steuerliche Freistellungen erlaubt. Geändert hat sich faktisch kaum etwas. Damit die politische Entscheidung so ausfällt, hat die Wirtschaft, vor allem die Stiftung Familienunternehmen mit Unternehmen wie Henkel, Haniel, Theo Müller oder Kärcher im Präsidium, massiven öffentlichen Druck aufgebaut. Die Argumentation war immer dieselbe. Familienunternehmen würden Arbeitsplätze schaffen und durch eine schärfere Erbschaftsteuer in ihrer Existenz bedroht. Dass das zumeist Unsinn ist, weil man die fälligen Steuern ja notfalls über einen längeren Zeitraum strecken und aus dem Teil des Gewinns zahlen kann, der den Erben zufällt, wurde nicht thematisiert, weder von den zuständigen Politikern noch von den großen Medien. Diesbezüglich war die Lobbyarbeit sehr erfolgreich.

In Ihrem Buch Die Abgehobenen vertreten Sie die These, dass es in Deutschland Akteure gibt, die aufgrund ihrer Ressourcen weit über einem großen Teil der anderen Bürger stehen. Sehen Sie sich durch die aktuelle Studie bestätigt?

Ja. Die Zahlen in meinem Buch zu dieser Thematik sind ja praktisch identisch mit denen der aktuellen DIW-Studie. Die Tatsachen, die ich im Buch schildere, werden durch die neuen Daten daher auch bestätigt. Deutschland gehört in puncto Vermögen zu den Industriestaaten mit der größten Ungleichheit, die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt weiter zu, die Politik begünstigt durch ihre Entscheidungen diese Entwicklung massiv und die Reichen und Mächtigen bewegen sich immer stärker in einer eigenen Welt, materiell wie bei der Sicht auf die Wirklichkeit. Das bleibt alles richtig und wird durch die neuen Zahlen nur noch mal unterstützt.

Titelbild: sirirak kaewgorn/shutterstock.com

Lesetipp: Hartmann, Michael. Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden. Campus. 276 Seiten. 19,95 Euro.

Hartmann, Michael: Soziale Ungleichheit – Kein Thema für die Eliten. Campus. 256 Seiten. Mai 2013.

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