Bernie Sanders’ lautes Rufen im Walde

Bernie Sanders’ lautes Rufen im Walde

Bernie Sanders’ lautes Rufen im Walde

Ein Artikel von: Redaktion

Der als progressiv geltende Mitbewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten hat in einem Beitrag für den Guardian, den die Friedrich-Ebert-Stiftung dankenswerterweise übersetzt hat, heftig beklagt, dass die US-Arbeitnehmer zu Unrecht dem früheren Präsidenten Trump hinterherlaufen. Sanders begründet sehr gut, dass Trump sich zu Unrecht als Freund der Arbeitnehmerschaft dargestellt habe. Er appelliert an seine eigene Partei, die Demokraten, ihre Rolle als Vertreter der Arbeitnehmerschaft wahrzunehmen. Das klingt gut. Aber wenn Sanders nicht einmal offenlegt, in welch weitem Maße die Demokraten von der Finanz- und der Rüstungswirtschaft finanziert und beeinflusst werden und wenn er damit nicht offenlegt, warum auch die Demokraten so viele Kriege führen, wird sein verängstigtes Rufen verhallen. Albrecht Müller.

Hier ist die Überschrift und der Link zum übersetzten und von IPG veröffentlichten Artikel:

Was die Demokraten jetzt tun müssen
Große Teile der Arbeiterschaft in den USA glauben, Donald Trump verträte ihre Interessen – wie Joe Biden diese Menschen zurückgewinnen kann.
Von Bernie Sanders am 30. November 2020

Das lohnt sich, zu lesen. Im Folgenden ist der Text mit Anmerkungen wiedergegeben:

„Was die Demokraten jetzt tun müssen“:

Nach dem bisherigen Stand der Auszählung stimmten fast 80 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner für Joe Biden. Dieses Votum gegen Donald Trumps autoritären Eifer darf die Welt mit einem kollektiven Seufzer der Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Doch das Wahlergebnis offenbart auch etwas, das uns Sorge bereiten sollte. Trump erhielt elf Millionen Stimmen mehr als 2016 und gewann neue Unterstützer in vielen notleidenden Bevölkerungsgruppen, die von hoher Arbeitslosigkeit, großer Armut sowie unzureichender Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung besonders betroffen sind. Die haarsträubendste der Lügen, die Donald Trump als Präsident pausenlos verbreitet, ist die Behauptung, er und seine Regierung seien die Freunde der Arbeiterinnen und Arbeiter in unserem Land.

Anmerkung A.M.: Offenbar haben die Not leidenden Bevölkerungsgruppen auch den Demokraten nicht vertraut. Oder die US-Medien sind so einseitig, dass sie diese Verdienste um die „kleinen“ Leute, falls es diese gegeben hat, nicht ausreichend gewürdigt haben.

Die Wahrheit ist, dass Trump in seine Administration mehr Milliardäre geholt hat als jeder Präsident vor ihm. In die Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen (National Relations Labor Board, NRLB) berief er vehement arbeitnehmerfeindliche Vertreter. Superreichen und Großunternehmen bescherte er üppige Steuererleichterungen, während er massive Einschnitte bei Bildung, Wohnungsbau und Ernährungsprogrammen ins Spiel brachte. Trump hat versucht, bis zu 32 Millionen Menschen ihre bestehende Gesundheitsversorgung zu nehmen, und stellte Haushaltspläne auf, die bei den Krankenversicherungssystemen Medicare und Medicaid und den sozialen Sicherungssystemen Kürzungen in zweistelliger Milliardenhöhe vorsahen.

Trotzdem glauben Teile der Arbeiterschaft in unserem Land immer noch, Donald Trump stünde auf ihrer Seite. Wie ist das zu erklären? In einer Zeit, in der Millionen von Amerikanern in Angst und Sorge leben, aufgrund von unfairen Tarifverträgen ihre Jobs verloren haben und die gleichen Reallöhne bekommen wie vor 47 Jahren, war Trump in den Augen seiner Anhänger ein knallharter Typ und ein „Fighter“, der sich scheinbar täglich gegen alles und jeden in den Kampf warf.

Er ernannte sich selbst zum Feind des „Washingtoner Sumpfes“ und fiel nicht nur über die Demokraten, sondern auch über Republikaner her, die nicht hundertprozentig seiner Linie folgten. Er griff sogar Mitglieder seiner eigenen Administration an und erklärte sie zu Vertretern des „deep state“. Er attackiert die Staats- und Regierungschefs von Ländern, die seit langem unsere Verbündeten sind, sowie Gouverneure, Bürgermeister und unsere unabhängige Justiz. Er geißelt die Medien als „Volksfeinde“ und beschimpft hemmungslos Einwanderer, Frauen, die unverblümt ihre Meinung sagen, Afroafrikaner, Homosexuelle, Muslime und Demonstranten.

Anmerkung A.M.: Sanders stellt zuvor die Frage, wie es zu erklären sei, dass die Arbeitnehmerschaft geglaubt hat, Trump stünde auf ihrer Seite. Die Antwort von Sanders ist ungenügend. Das kann nicht nur an der Selbstdarstellung von Trump gelegen haben.

Das Einzige, was Donald Trump je interessiert hat, ist Donald Trump.

Er setzt auf Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Paranoia und sucht damit weite Teile des amerikanischen Volkes davon zu überzeugen, er würde sich ihrer Bedürfnisse annehmen, obwohl das nicht im Geringsten der Wahrheit entspricht. Das Einzige, was Donald Trump je interessiert hat, ist Donald Trump.

Am 20. Januar wird Joe Biden als Präsident vereidigt, und Nancy Pelosi wird erneut „Speaker of the House“, also Präsidentin des Repräsentantenhauses. Welche Partei die Mehrheit im Senat haben wird, wird davon abhängen, wie die Nachwahl in Georgia ausgeht, und steht deshalb noch nicht fest.

Eines ist allerdings jetzt schon klar: Wenn die Demokratische Partei bei künftigen Wahlen nicht Millionen von Stimmen verlieren will, muss sie Rückgrat beweisen und sich für die Arbeitnehmerfamilien in unserem Land starkmachen, die heute wirtschaftlich in einer verzweifelteren Lage sind als je zuvor seit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Die Demokraten müssen in Worten und Taten den Menschen vor Augen führen, dass die Republikaner lügen, wenn sie sich als Partei der erwerbstätigen Familien ausgeben.

Dafür müssen die Demokraten den Mut aufbringen, den mächtigen Partikularinteressen den Kampf anzusagen, die seit Jahrzehnten gegen die Arbeitnehmerschaft der USA Krieg führen. Ich spreche von der Wall Street, der Pharmaindustrie, der Krankenversicherungswirtschaft, der Erdölindustrie, dem militärisch-industriellen Komplex, der privaten Gefängnisindustrie und den vielen Unternehmen, die Gewinne schreiben und trotzdem weiterhin ihre Beschäftigten ausbeuten.

Anmerkung A.M.: Das ist gut gerufen. Aber wiederum ist die Frage zu stellen, ob die Stagnation der Löhne und die Zuwächse der Vermögen und der Einkommen im oberen und obersten Bereich nicht auch etwas mit der Politik der Demokraten zu tun haben.

Die Demokraten müssen in Worten und Taten den Menschen vor Augen führen, dass die Republikaner lügen, wenn sie sich als Partei der erwerbstätigen Familien ausgeben.

Wenn die Demokratische Partei nicht unter Beweis stellt, dass sie sich diesen mächtigen Institutionen entgegenstellt und offensiv für die Arbeitnehmerfamilien – Schwarze, Weiße, Latinos, Amerikaner asiatischer Herkunft und Ureinwohner – in diesem Land kämpft, bereiten wir den Boden für den nächsten Rechtsautoritären, der dann 2024 die Wahl gewinnt – und der vielleicht ein noch üblerer Präsident sein wird als Trump.

Anmerkung A. M.: Das ist gut vorhergesagt. Aber immer noch viel zu wenig radikal analysiert, welches Geistes und welcher Politik Kind auch die Demokraten sind. – Interessant ist auch, dass bis hierhin Bernie Sanders noch kein einziges Wort über Krieg und Frieden verloren hat. Offenbar ist das eine bei ihm nachhaltig vorhandene Schwachstelle.

Joe Biden trat als Präsidentschaftskandidat mit einer ausgesprochen arbeitnehmerfreundlichen Agenda an. Jetzt müssen wir dafür kämpfen, dass diese Agenda in die Tat umgesetzt wird, und all denen, die sich querstellen, energisch entgegentreten. „Which Side Are You On?“ – Auf welcher Seite stehst du: So heißt ein Lied von Florence Reece, der Frau eines Gewerkschafters der United Mine Workers, der 1931 einen Bergarbeiterstreik in Kentucky mitorganisierte. Die Demokraten müssen absolut unmissverständlich deutlich machen, auf welcher Seite sie stehen.

Anmerkung A. M.: Das ist gut formuliert und auch die folgende Gegenüberstellung dessen, was die eine Seite tun sollte und die andere Seite tut, ist rhetorisch gut gelungen. Es bleibt abzuwarten, wie Bernie Sanders im weiteren Verlauf seine Stimme erhebt oder ob es bei lautem Rufen im Walde bleibt.

Die eine Seite ist dafür, den Hungerlöhnen ein Ende zu setzen und den Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anzuheben. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist für einen höheren gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist dafür, den Klimawandel zu bekämpfen und unsere marode Infrastruktur wiederaufzubauen und damit Millionen gut bezahlter Arbeitsplätze zu schaffen. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist für den Ausbau der Gesundheitsversorgung. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist dafür, die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu senken. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist für bezahlte Elternzeit und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist dafür, dass alle Drei- und Vierjährigen in den USA einen Kindergartenplatz bekommen. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist für den Ausbau der sozialen Sicherungssysteme. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist dafür, Arbeitnehmerfamilien von den Studiengebühren staatlicher Colleges und Hochschulen zu befreien und dafür zu sorgen, dass Studierende sich nicht mehr verschulden müssen. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist dafür, den Defiziten und dem Rassismus im Strafjustizwesen ein Ende zu setzen und mit Jobs und Bildung in unsere jungen Menschen zu investieren. Die andere Seite nicht.

Die eine Seite ist dafür, unser Einwanderungssystem so zu reformieren, dass es gerecht und human ist. Die andere Seite nicht.

Die Demokraten müssen in den ersten 100 Tagen von Bidens Präsidentschaft unmissverständlich deutlich machen, auf welcher Seite sie stehen und wer auf der anderen Seite steht. Das ist nicht nur politisch richtig, um unser Land zu stärken. Es auch der richtige Weg zu künftigen Wahlerfolgen.

Anmerkung A. M.: Wiederholung erhöht in diesem Fall die Schlagkraft nicht. Dazu muss, wie oben schon in einer Anmerkung festgehalten, sehr viel mehr Offenheit über die wahren Kräfte in der Demokratischen Partei kommen.

© The Guardian

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

Titelbild: Trevor Collens / Shutterstock

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