Bayern – Volksbegehren „Landtag abberufen“ unter staatlichem und medialem Beschuss: Wird die Demokratie mit Füßen getreten?

Ein Artikel von Ala Goldbrunner

Am heutigen Mittwoch, den 27. Oktober 2021, ist der letzte Tag, an dem die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger Bayerns das Volksbegehren „Landtag abberufen“ unterzeichnen können. Die Berichterstattung findet in den Leitmedien entweder kaum statt oder sie ist größtenteils einseitig und verallgemeinernd bis diffamierend. Anhand dieses Vorganges ist gut zu beobachten, wie an Gewaltenteilung interessierte Bürger in eine Ecke gestellt werden, anstatt mit ihnen angemessen und fair über Sachfragen zu diskutieren. Letzteres soll an dieser Stelle in den Vordergrund gerückt werden. Ein Artikel von Ala Goldbrunner.

Das Bündnis „Landtag abberufen“ hat diese Initiative gegründet auf Grundlage der bayerischen Verfassung, um vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Die nächsten regulären Landtagswahlen sind für 2023 vorgesehen. Die Besonderheit der bayerischen Verfassung sieht ein solches Instrumentarium vor: Neben der repräsentativen Demokratie ist auch direkte Demokratie u.a. in Artikel 18 Absatz 3 verankert. Der Volksentscheid soll die Gewaltenteilung garantieren. Im aktuellen Fall geriet das bayerische Parlament als Kontrollinstanz der Regierung unter Beschuss.

Doch zunächst einmal zum genaueren Prozedere des Volksentscheides:

Phase I (Antragstellung): Von der Bürgerschaft wird bei der Staatsregierung ein Antrag gestellt, zur Zulassung des Antrages sind 25.000 Stimmen notwendig, in diesem Fall wurden über 29.000 Stimmen eingereicht. Das bayerische Ministerium des Inneren billigte daraufhin das Volksbegehren.

Phase II (Volksbegehren): In dieser Phase befindet sich der Volksentscheid „Landtag abberufen“ aktuell. Vom 14. bis 27. Oktober 2021 kann die bayerische Bevölkerung bei ihren Gemeinden unterzeichnen. Eine Million Stimmen werden benötigt, damit es zum endgültigen Volksentscheid kommt.

Phase III (Volksentscheid): Im Falle eines Erfolges von Phase II des „Bündnis Landtag abberufen“ bedeutete das, der Landtag hätte dann die Möglichkeit, sich entweder selbst aufzulösen und müsste anschließend innerhalb von 6 Wochen Neuwahlen initiieren. Andernfalls findet der eigentliche Volksentscheid statt. Jeder wahlberechtigte Bürger erhielte per Post eine Wahlbenachrichtigung und könnte dann mit JA oder NEIN abstimmen. Bei einer einfachen Mehrheit müsste nach der Abberufung laut der bayerischen Verfassung ebenfalls innerhalb von sechs Wochen eine Neuwahl stattfinden.

Ausgangspunkt des Volksbegehrens der Initiative „Bündnis Landtag abberufen“ war Kritik an der Regierung und die von Kritikern als überzogen bezeichneten Corona-Maßnahmen, insbesondere des ersten Lockdowns. Diese seien laut Kritikern vom bayerischen Landtag nur abgenickt worden. Inzwischen hat der Verwaltungsgerichtshof die Ausgangssperre des ersten Lockdowns als verfassungswidrig eingestuft. Hierzu war bei ‚Welt Online‘ zu lesen: „Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erklärt die von Bayerns Staatsregierung im März 2020 verhängte Ausgangssperre für unwirksam. Die Richter bescheinigen Söders Regierung ein fragwürdiges Menschenbild.“ Und ‚Focus Online‘ schrieb: „Das Urteil ging im Koalitions-Poker unter – dabei ist es eine deutliche Korrektur der Politik, für die sich CSU-Chef Söder als Hardliner feiert. FOCUS Online liegt das Urteil vor. Es zeigt ein bedenkliches Rechtsverständnis der bayerischen Landesregierung“. Das Anliegen des Bündnisses hat hiermit eigentlich eine höchstrichterliche Bestätigung erfahren.

Am Volksbegehren „Landtag abberufen“ teilzunehmen heißt, dem derzeit amtierenden Landtag als Kontrollinstanz der bayerischen Staatsregierung das Vertrauen abzusprechen. Als Beweggründe zur Teilnahme am Volksbegehren könnten diverse Motivationen dienen: die Maßnahmen der Regierung in Pandemiezeiten für überzogen (oder gar zu lasch) zu halten; mehr Transparenz bei den Machenschaften rund um Maskenbeschaffung / Verträgen mit Impfstoff-Herstellern einzufordern; die CSU als maßgebende Partei abzustrafen, deren Stimmenanteil bei den Bundestagswahlen nur noch bei 31,7 Prozent lag (Landtagswahl 2018: 37,2%) und die damit auch längst nicht mehr die überwiegende Mehrheit der bayerischen Bevölkerung vertritt; die mangelnde Unabhängigkeit der Abgeordneten durch Fraktionszwang, der sie daran hindert, einzig ihrem Gewissen zu folgen (das können Mitglieder von Oppositionsparteien oder auch der regierenden Parteien sein). Weitere Gründe nannte der Sprecher des Volksbegehrens, Gerhard Estermann, dessen Statement immerhin vom Bayerischen Rundfunk zitiert wurde: „Anders als den Querdenkern geht es ihm aber nicht nur um den Protest gegen die Corona-Politik, sondern darum, die Abgeordneten im Landtag aufzufordern, sich mehr um die Belange der Bürger zu kümmern. Als Beispiel nennt Estermann den Bau von Windrädern oder die Lkw-Blockabfertigung an der deutsch-österreichischen Grenze. Themen, die von den Abgeordneten im Landtag für die Bürger wahrgenommen werden sollten.“

Um mit einem weit verbreiteten Gerücht aufzuräumen: „Landtag abberufen“ bedeutet, vorzeitig Neuwahlen auf verfassungsrechtlicher Grundlage zu erzwingen, nicht etwa eine gänzliche „Auflösung“ oder gar „Abschaffung“ des Landtages. Durch mangelnde, faire Berichterstattung und Aufklärung entstand bei vielen der Eindruck, diese Initiative sei der Ecke „Querdenken/rechts/Reichsbürger/antisemitisch“ zuzuordnen. So schrieb beispielsweise die ‚Augsburger Allgemeine‘ am 21. Oktober: „Eine Demonstration zum initiierten Volksbegehren Landtag abschaffen startete am 14. Oktober auf der Theresienwiese.“

Warum geschah und geschieht ein derart unsachliches Framing? Seit Jahrzehnten sitzt die CSU königsgleich im Sattel. Bei der letzten Bundestagswahl stürzte diese Partei in ein historisches Tief. Dazu kommt nun auch noch ein renitentes Grüppchen Volk, das von seinem in der Verfassung vorgesehenen Recht Gebrauch macht und den Landtag abberufen will. Das hat die Mächtigen und die CSU in Unruhe versetzt, sie sehen logischerweise die herausragende Position ihrer Partei bedroht. Folglich wurde eine beispiellose Gegenkampagne gestartet, die an Unsachlichkeit, Unterstellungen und Diffamierung kaum zu überbieten ist. Hier einige Beispiele:

  1. Die CSU hat ein internes Informationsschreiben an ihre Mitglieder als „Orientierungshilfe“ verfasst, das von ungeheuerlicher Ignoranz und mangelnder Auseinandersetzung mit den Inhalten zeugt. Da ist von „Auflösen“ des Landtages die Rede, man wolle „den Freistaat Bayern in Unordnung“ stürzen, „hinter dem Volksbegehren stecken vor allem Querdenker-Gruppen, die bereits durch rassistische, volksverhetzende und antisemitische Ausfälle auffielen“, alles in einen Topf. Es wird behauptet, das Volksbegehren verharmlose Corona. Und dann rufen die gewählten Vertreter des bayerischen Volkes zur Denunziation auf: man solle der Landesleitung der CSU mitteilen, „wenn bei Ihnen vor Ort für das Volksbegehren geworben wird oder es zu Aktionen kommt“. Sieht so ein demokratischer Diskurs aus? Alleine schon diese Reaktion der CSU müsste manchen Bürger aufrütteln. Das Bündnis „Landtag abberufen“ hat zum Schreiben der CSU eine Stellungnahme verfasst, in dem sie u.a. auch erklären, warum aus ihrer Sicht Neuwahlen durchaus eine Änderung des Kräfteverhältnisses im Parlament erwirken könnten:

    „Die Abgeordneten sind als gewählte Volksvertreter ihrer Pflicht gegenüber dem Volk nicht nachgekommen, dessen Rechte und in diesem Fall Grund-Rechte zu schützen. Sie haben dem ‚Fraktionszwang‘ folgend einfach die von der Staatsregierung eingebrachten Anträge unterstützt und kritiklos abgenickt. […] Neuwahlen schwächen unsere Demokratie nicht, sie gehören schlichtweg zu unserem demokratischen System und sind wichtig! Wer die Demokratie durch Wahlen gefährdet sieht, hat unserer Meinung nach Demokratie nicht verstanden. Uns ist bewusst, dass die CSU Angst vor Neuwahlen durch unser Volksbegehren hat. Bei einem Erfolg würde sichtbar werden, dass ein großer Teil der bayerischen Bevölkerung nicht mehr hinter der Regierung steht. Des Weiteren kann es bei Erfolg des Volksbegehrens noch mehrere Monate bis zum Volksentscheid und damit bis zu möglichen Neuwahlen dauern. In dieser Zeit wird den Menschen im Freistaat immer mehr bewusst werden, welche Auswirkungen die Maßnahmen für sie haben. Immer mehr Klagen werden bei den Gerichten in das Hauptsacheverfahren übergehen, in dem eine Beweiserhebung durch Gutachten stattfindet. Dann ist die Gefahr groß, dass sich die Maßnahmen, wie oben dargestellt, als rechtswidrig herausstellen. Dieser Umstand würde die derzeitige Fehlbesetzung und das Versagen des aktuellen Landtages einmal mehr verdeutlichen. […] Unsere Argumente haben sich noch nicht überholt. Mit den neuesten Regelungen zu 3G, 3G+ und 2G im Freistaat haben die Abgeordneten noch einmal unterstrichen, dass sie weder jetzt noch in Zukunft bereit sind, gegen diesen politischen Kurs, für Grundrechte und für die Einhaltung der roten Linien, die wir eigentlich nach 1945 gezogen hatten, einzutreten. Es sollten nie wieder Menschen aufgrund irgendwelcher Eigenschaften per Definition ausgegrenzt werden. […]“

  2. Dass auch Leitmedien sich an dieser einseitigen ‚Framing‘-Kampagne beteiligen, zeigt der Artikel des ‚Tagesspiegel‘. Dieser titelte am 21. Oktober: „Rechte wollen einen neuen Landtag in Bayern – Das ‚Bündnis Landtag abberufen‘ im Freistaat Bayern wird von der AfD und Querdenkern unterstützt.“ und „Rechte nutzen Mittel der direkten Demokratie“.
  3. Zur Behauptung, einzelne Mitbegründer des Bündnisses würden vom Verfassungsschutz beobachtet, das Bündnis sei also per se verfassungs- bzw. demokratiefeindlich. Hierzu ein naiver Gedanke: Der Verfassungsschutz sollte unsere Verfassung schützen. Er beobachtet inzwischen aber auch Bürger, welche einfach die Regierung kritisieren. Wen schützt der Verfassungsschutz damit, die Verfassung oder die Regierung? Wer ist an dieser Stelle tendenziell verfassungsfeindlich: die Regierenden und einseitig berichtende Leitmedien, die einen demokratischen Prozess verzerren durch sogenanntes ‚Framing‘, oder etwa die Bürgerinnen und Bürger, welche eine demokratische Kontrollinstanz zurückfordern?

Selbst wenn das Quorum nicht erreicht werden sollte, wäre diese Initiative doch ein bedeutendes Zeichen, daran zu erinnern, von wem die Macht in einer Demokratie eigentlich ausgehen sollte. Der Souverän ist das Volk.

Anhang:

Von Radio München erschien kürzlich ein Interview mit dem Rechtsanwalt Dr. Andreas Grimm, der mit kritischen, aber fairen Fragen konfrontiert wurde:

Warum eigentlich “Landtag abberufen”?
“Sie haben kein Vertrauen mehr ins Bayerische Parlament” […] Über die Hintergründe des Volksentscheids „Landtag abberufen“ haben wir mit dem Rechtsanwalt Dr. Andreas Grimm gesprochen, der sich auch bei „Anwälte für Aufklärung engagiert.
Quelle: Radio München, 22.10.2021

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