Der Harvard-Influencer (1/2)

Der Harvard-Influencer (1/2)

Der Harvard-Influencer (1/2)

Werner Rügemer
Ein Artikel von Werner Rügemer

Gesundheitsminister Karl Lauterbach versteht nichts von Gesundheit, jedenfalls nicht der Patienten und Beschäftigten. Seit über 20 Jahren sorgt er aber für die gewinnbringende Gesundheit privater Investoren, und mit der Pandemie-Politik noch mehr. Von Werner Rügemer

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als „Karlchen Überall“ wurde Lauterbach schon früh bekannt. Der hochgebildete Opportunist wechselte von der CDU zur SPD, ist seit der Schröder/Fischer-Regierung bei der Privatisierung von Krankenhäusern und Renten aktiv, dazu gehört die rechtliche und finanzielle Niederhaltung des Pflegepersonals. Systematisch verletzt er medizinische und ärztliche Standards. In der Pandemie schwurbelt er Gründe herbei für noch heftigere Lockdowns. Seine kapitalorientierte „Gesundheits“ökonomie hat er bei mehrmaligem Studium in den USA gelernt.

Das Arbeiterkind schafft es bis Harvard, erste Stufe

Lauterbach wirbt in seinem Lebenslauf damit, er sei „als Arbeiterkind geboren“. Die linksrheinische Gegend um Garzweiler, Düren, Aachen und Jülich ist voller Industrie: Braunkohle-Konzern RWE; mittelständische Papier-, Textil- und Metallbetriebe; Kernforschungszentrum Jülich mit den Bereichen Atomenergie und Kohle und 6.800 Beschäftigten sowie die unternehmernahe Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule RWTH in Aachen. Im Dorf neben Jülich wurde der Sohn eines Molkereiarbeiters geboren.

Das Arbeiterkind wurde Mitglied der Katholischen Jugend in Düren. Später trat er in die CDU ein. Er studierte Medizin an der RWTH und in den US-Universitäten Tucson/Arizona und San Antonio/Texas. 1989 promovierte er an der Düsseldorfer Uni beim Jülicher Nuklearmediziner Prof. Ludwig Feinendegen. Der vertrat übrigens – gegen die Internationale Strahlenschutz-Kommission – die These der Strahlenhormesis: radioaktive Strahlung in niedriger Dosis ist nicht schädlich, sondern nützlich![1]

Danach machte das promovierte Arbeiterkind 1992 noch einen Master-Abschluss an der Harvard School of Public Health. Dieses Institut, 1917 von der Rockefeller-Stiftung gegründet, wurde 2014 in Harvard TH Chan School of Public Health umbenannt: T.H. Chan war Immobilien-Spekulant in Hongkong, sein Sohn Ronnie führt das nach dessen Tod fort, während der zweite Sohn Gerald mit seiner Pharmaholding Morningstar Group in den USA aufstieg: Die beiden Multimilliardäre wurden mit 350 Millionen $ zum Hauptsponsor, das Institut wurde nach ihrem Vater umbenannt.

Seitdem legt der jetzige deutsche Gesundheitsminister Wert darauf, weiter die Verbindung zu halten: Regelmäßig absolviert er am Milliardärs-Institut seine Lehrveranstaltung.

Mit der CDU: Ein zweites Mal nach Harvard

Einmal Harvard – das war nicht genug. Als CDU-Mitglied bekam das christianisierte Arbeiterkind ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung: Damit ging er ein zweites Mal nach Harvard, diesmal an die Harvard Medical School. Er konnte sich die damaligen jährlichen Studiengebühren von 17.851 US-$ und die zusätzlichen Gebühren und den Aufenthalt leisten und erwarb dort 1995 seinen zweiten Doktortitel: Gesundheits-Ökonomie und Epidemiologie.

Auch die Medical School wird, wie die anderen Institute der privaten Elite-Universität, vor allem von superreichen Unternehmern finanziert, so vom ex-ukrainischen Multimilliardär Blavatnik (Immobilien, Öl, Kohle, Plastik, Medien; mit 32 Mrd. $ Vermögen an 46. Stelle der reichsten Menschen), von der Stiftung des Zuckerberg-Ehepaars (Chan Zuckerberg Initiative, Facebook/Meta, Mark Zuckerberg an 5. Stelle der Reichsten) und der zu jeder ordentlichen Verschwörung gehörenden Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF; Gates an 1. Stelle der Reichsten).[2]

Das T.H.Chan Institut of Public Health kann sich rühmen, dass Absolventen 16 Mal den Nobelpreis bekamen und dass andere Absolventen Gesundheitsminister zahlreicher Staaten wurden: Namentlich genannt werden Afghanistan, Taiwan, Indien, Indonesien, Kolumbien, Argentinien, Papua Neu-Guinea[3] – und nun auch, was gut in diese Reihe passt, der Gesundheitsminister des ebenso lernbegierigen Vasallenstaats Deutschland.

Gesundheitsökonomie: Lauterbach gutachtet für das Bayer-Medikament Lipobay

Die wissenschaftliche Ökonomie des Gesundheitswesens nach neoliberalen Standards wurde vor allem in den US-Elite-Universitäten Yale, Johns Hopkins und Harvard entwickelt. „Ökonomie“ besagt: Orientiert an den Interessen der privatkapitalistischen Eigentümer von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Versicherungs- und Pharmakonzernen – auch der Privatunternehmen allgemein. Der Arbeitsschutz wurde demontiert, auch durch systematische Auslagerungen in Niedriglohnstaaten: In den USA begann das unter Präsident Reagan, fortgesetzt unter Bill Clinton, in der EU folgten Tony Blair und Gerhard Schröder.

Auch die in Harvard führend entwickelte Gesundheits-Ökonomie, von Lauterbach vor Ort eingesogen, kam so nach Deutschland und Köln und wurde zum Instrument von Beratern und Unternehmen und der Bundesregierung. So wurde Doppel-Doktor 1998 an der Albertus Magnus Universität Köln zum Professor und Direktor des nach US-Vorbild neu gegründeten Instituts für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie ernannt.

Erste Proben seines neuen Könnens lieferte er mit Medikamentenstudien im Auftrag deutscher Pharmakonzerne; dafür kassierte er allein im Jahre 2000 über 800.000 Euro. So hatte er auch zugunsten des Cholesterinsenkers Lipobay gegutachtet: Er (d.h. der Cholesterinsenker Lipobay, nicht Lauterbach) musste dann allerdings wegen gewinnbringend verdrängter Todesfolgen vom Hersteller Bayer AG 2001 vom Markt genommen werden.[4]

Der politische Opportunist: Von der Kohl-CDU zur Schröder-SPD

1998 bildete Gerhard Schröder die Regierungskoalition aus SPD und Grünen. Arbeitersohn Schröder war nicht in Harvard, sondern zuständigkeitshalber regelmäßig in New York, eingeladen von seinem Freund Sandy Weill, Chef der damals größten Wall-Street-Bank, der Citigroup. Mit dem Agenda-2010-Paket aus Unternehmenssteuer-, Gesundheits-, Arbeits- und Rentenreformen versprach der neue Kanzler den Investoren günstige Bedingungen. Dazu kamen Privatisierungen in allen Bereichen der Infrastruktur – Autobahnen, öffentliche Gebäude, Gesundheit, Renten, Arbeitsvermittlung – sowie die staatliche Dauerbeauftragung privater Beraterkonzerne wie McKinsey, PWC, Ernst&Young, Freshfields.[5]

Die SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die ebenfalls an der RWTH Aachen studiert hatte, berief 1999 Lauterbach in den Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen. Gleichzeitig wurde der Harvard-Doktor enger Berater der Ministerin – „wir telefonieren täglich mehrmals“, so der selbstgefällige Influencer.

Als er merkte, dass das US-Vorbild in der Schröder-Regierung griff, hatte er nach Harvard ein erneutes Erweckungserlebnis: Er trat er aus der CDU aus und 2001 in die SPD ein. Das christianisierte Arbeiterkind folgte seinem neuen sozialdemokratischen Glauben auch darin, dass die SPD ihre hauptsächliche Ziel- und Wählergruppe der abhängig Beschäftigten so zu entrechten und zu schädigen vorhatte, wie es keine CDU bis dahin auch nur entfernt gewagt hätte. So trat das christianisierte Arbeiterkind in die jetzt bessere Unternehmerpartei SPD ein und wirkt hier seitdem kräftig und an führenden Stellen mit.

Der Einpeitscher I: Endlich die Fallpauschale konsequent durchziehen!

In der Gesundheitsreform von 2000 (Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung) war festgelegt worden: Krankenhäuser sollen auf „leistungsorientierte“ Entgeltsysteme umstellen, also privatisieren und Kosten einsparen. Aber da polemisierte noch im selben Jahr Lauterbach als Direktor seines Kölner Instituts gegen „die zögerliche Anwendung“ der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG): Man solle sich in Deutschland endlich am konsequenten US-Vorbild orientieren.[6] Die Fallpauschalen hatten zum Programm von US-Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren gehört. Konzipiert worden waren sie in der anderen privaten Elite-Universität, in Yale. 2003 galten dann die Fallpauschalen auch in Deutschland gesetzlich.

Dass die Fallpauschalen wesentlich dazu beitragen, das US-Gesundheitssystem zum teuersten und zugleich asozialsten der Welt zu machen, mit einem Heer überstresster Pfleger, mit ungezählten Millionen schwerer und nie behandelter Krankheiten, auch bei einer unbekannt bleibenden Zahl berufsbedingter Krankheiten – davon kein Wort bei unserem Harvard-Doktor. Und gleichzeitig strahlen die Nobelpreisträger von den US Medical Schools und Schools for Public Health ihren nobelpreisigen Ruhm in die Welt.

Der Einpeitscher II: Die Riester-Rente zur Pflicht-Rente machen!

Mit dem Renten-Privatisierer Professor Bert Rürup veröffentlichte Lauterbach 2002 das Programm „Weichenstellung für die Zukunft – Elemente einer neuen Gesundheitspolitik“. Die Regierungsberater forderten: Öffnung des Gesundheitswesens für Privatunternehmen! Krankenkassen sollen die kostengünstigsten Krankenhäuser bevorzugen! Eigenbeteiligungen der Patienten, zusätzliche Versicherungen!

Die Privatisierung sollte aber nicht auf das Gesundheitssystem begrenzt bleiben. Lauterbach wurde 2002 auch Mitglied der „Rürup-Kommission“: Die Renten müssen neu gestaltet werden, und zwar nach der Leitlinie „Senkung der Lohnnebenkosten“. Sie schlugen vor: Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre! Bestimmte Gesundheitsleistungen nur noch gegen zusätzliche Beiträge! Lauterbach behauptete, gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters gewesen zu sein – aber der Opportunist trug das Gesamtkonzept mit.

Und die gesetzliche Rente muss, so die Kommission, ergänzt werden um eine zusätzliche private Rente! Aus Letzterem wurde bekanntlich die „Riester-Rente“. Die Kommission hatte sie als freiwillig empfohlen. Aber Lauterbach gab auch hier den Einpeitscher: Er forderte anschließend die „allgemeine Riester-Pflicht“.[7]

Rhön-Klinikum AG stellt Staatssekretär im Gesundheitsministerium

Der SPD-geführte Senat von Berlin begann 2001 mithilfe der Unternehmensberater McKinsey und Roland Berger die Durchprivatisierung des größten und renommiertesten Klinikums in Deutschland, der Charité. Die Forschung glotzte nach Harvard, während gleichzeitig ein Dutzend auch hygiene-relevanter Dienste wie Reinigung, Küche, Reparaturen und innerhäusige Transporte in private Niedriglohnfirmen ausgelagert wurden (Charité Facility Management, CFM).

Gleichzeitig bekamen die damals noch wenigen privaten Klinik-Ketten Aufwind. Die größte war die Rhön-Klinikum AG, seit 1989 die erste börsennotierte Klinik-Kette in Deutschland. Sie war mit 23 kleinen Krankenhäusern noch sehr klein im Vergleich zu den heutigen Marktführern Helios, Asklepios und Sana, brachte aber durch „Prozessoptimierung“ und Personaleinsparung schon im Jahre 2000 einen Gewinn von 68 Millionen Euro. Vorstandschef war der CDU-Politiker Wolfgang Pföhler, der nach einer Station beim Baukonzern Bilfinger Berger als Bürgermeister von Mannheim schon mal die städtische Klinik ausgegründet hatte.[8]

Die Rhön-Klinikum AG unterhielt sofort zur Schröder-Regierung strategische Kontakte. So stellte das Unternehmen 2001 seinen Bereichsleiter Dr. Klaus-Theo Schröder, der gerade in den Vorstand aufrücken sollte, unbürokratisch von seinem Vertrag frei. Darum hatte Gesundheitsministerin Schmidt in einem persönlichen Telefonat gebeten: Schröder wurde ohne jegliche Übergangsfrist ihr Staatssekretär.[9]

Regierungsberater Lauterbach im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG

Die strategischen Kontakte verliefen auch in die Gegenrichtung: Regierungsberater Lauterbach wurde im selben Jahr 2001 Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG. Er gewann noch an politischem Gewicht, als er 2005 für seine neue Partei SPD auch Mitglied des Deutschen Bundestages wurde.

Lauterbach blieb bis 2013 im Aufsichtsrat. Neben ihm saß beispielsweise Dr. Brigitte Mohn vom Bertelsmann-Konzern und dessen Stiftung, die seitdem zum einflussreichsten Lobbyisten für die Privatisierung des Gesundheitssystems aufrückte. In dieser Phase expandierte Rhön-Klinikum wesentlich schneller als zuvor, dann auch in Ostdeutschland. Beim Börsengang 1989 hatte die AG 670 Beschäftigte, 2006 waren es 30.000. Der Konzern wurde Tummelplatz für internationale Investoren und reiche Familien.

In der Zeit Lauterbachs wurde Deutschland in der EU zum Privatisierungsführer bei Krankenhäusern. So steigerte Rhön-Klinikum die Zahl der Patienten, aber die Zahl der Beschäftigten, auch bei Ärzten, aber besonders beim Pflegepersonal wurde nur zu einem Bruchteil erhöht, die Lohnspreizung auch durch Auslagerungen in Billigfirmen nahm zu. Und die Qualität der Gesundheitsversorgung nahm ab.[10]

Vom Börsengang profitierte auch die adlige bayerische CSU-Familie derer zu Guttenberg: Sie hielt zunächst 26,5 Prozent der Aktien. Die stiegen durch die Politik von Schröder, Schmidt & Lauterbach an Wert. So konnten die Guttenbergs ihren Anteil für 260 Millionen an die Hypovereinsbank verkaufen. Und so konnte die BILD-Zeitung später berichten, dass der neue Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg zugleich mehrfacher Millionär sei.

Leuchtturm-Projekt: Auch Universitäts-Klinikum privatisieren!

Bei allem Privatisierungswahn: An den Verkauf von Universitäts-Kliniken mit ihrem allgemeinen Versorgungsauftrag wagte sich sonst niemand, weder in Deutschland noch europaweit, bis heute.

Damit das trotzdem zustande kam, brauchten Lauterbach&Co einen besonders kapitalfreudigen Partner. Das war Roland Koch, am politisch besonders rechten Rand stehender CDU-Ministerpräsident von Hessen („zu viele kriminelle Ausländer!“),[11] ein Privatisierungs-Fundamentalist, der nach seiner Amtszeit zum Chef seines Hauptkunden wurde, des Baukonzerns Bilfinger Berger. Die Landesregierung unter Koch verkaufte Regierungsgebäude und mietete sie teuer zurück. Die umfangreichste Privatisierung von Schulen in Deutschland ging während seiner Regierungszeit in Hessen durch: 90 Schulen im Landkreis Offenbach – die Mieten verdoppelten sich entgegen dem Vertrag, der Landkreis musste eigenes Personal entlassen.[12] Koch war in Deutschland der erste, der auch ein Gefängnis nach dem PPP/ÖPP-Muster privatisierte: 2004 die Justizvollzugsanstalt Hünfeld.

Damit war Koch der seelen- und kapitalverwandte Partner für den Harvard-Influencer. Der erstmalige Verkauf von Uni-Kliniken sollte ein „Leuchtturm-Projekt“ werden. Damit es sich lohnte, ließ Koch erstmal die zwei Universitätskliniken von Gießen und Marburg zur UKGM-GmbH zusammenlegen, mit 9.000 Beschäftigten. 2006 kaufte Rhön-Klinikum AG 95 Prozent der GmbH für den Spottpreis von 112 Millionen Euro. Das Land behielt einflusslose 5 Prozent der Anteile, das ist auch heute noch so.

UKGM erste Krise: Personal-Abbau und neue Staatszuschüsse

Zwar hatte Rhön-Klinikum im UKGM auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2010 verzichtet, baute aber sofort Personalstellen ab: Befristete Stellen wurden nicht wieder besetzt. „Rentennahe“ Beschäftigte schieden mit Abfindungen aus. Die Beschäftigten in Küche, Reinigung und Wäscherei wurden in Niedriglohnfirmen ausgegliedert. Schon zwei Jahre nach der Privatisierung beklagte Betriebsratsvorsitzender Klaus Hanschur: „Die Arbeitsbelastung ist enorm gestiegen. Viele fürchten um ihren Job.“[13]

Wissenschaftliches Personal wurde für die Patientenversorgung herangezogen. Wegen der Fallpauschale wurden Apparatemedizin und aufwendige Operationen bevorzugt. Von 2006 bis 2010 wurde die Zahl der stationär nach Fallpauschale behandelten Patienten im UKGM um 20 Prozent gesteigert – aber die Zahl der Ärzte nur um 11 Prozent und die Zahl der Pflegenden nur um 2,9 Prozent. Zur Gewinnsteigerung wurden immer mehr migrantische Beschäftigte angeworben. Dazu wurde auch der private Klinikkonzern Asklepios herangezogen. Für seine Schnellausbildung holte er pflegendes und ärztliches Personal auch von weit außerhalb der EU, vor allem von den Philippinen.[14]

So zahlte Rhön-Klinikum 2010 an die Aktionäre 8 Millionen Euro an Gewinnen aus.[15] Gleichzeitig wurden Forschung und Ausbildung zurückgefahren, Unterricht für die Medizinstudenten in Marburg und Gießen fiel aus. Die Zahl der Doktorarbeiten ging zurück.

Trotzdem war 2012 die Krise da, denn der Eigentümer investierte zu wenig und hoffte auf den Helfer Staat. Klischeemäßig erhielten die Berater von McKinsey den Auftrag zur „Leistungssteigerung“, um das „strukturelle Defizit“ zu beheben. Neue Investoren nutzten die Gelegenheit. Kurzzeitig stieg die Wall-Street-Bank Goldman Sachs ein, ebenso der Pharmakonzern B.Braun Melsungen. Die private Klinikkette Asklepios brachte es auf 10 Prozent der Aktien.

Anders als im Kaufvertrag vereinbart, sagte die Landesregierung unter Koch-Nachfolger Volker Bouffier (CDU) ab 2012 jährlich bis zu 13 Millionen an Investitionshilfe zu, dazu noch einen „Strukturausgleich“ von jährlich drei Millionen.[16]

Insgesamt also: Ein voller Erfolg für die „Gesundheits“ökonomie à la Harvard!

2021: Insolvenz des UKGM

Mithilfe des Abbaus und der staatlichen Zuschüsse zahlten sich die Aktionäre der Rhön-Klinikum AG von 2015 bis 2019 insgesamt 278,2 Millionen Euro an Gewinnen aus. Wozu noch 10 Millionen für die Mitglieder des Aufsichtsrats und über 20 Millionen für die aktiven und ehemaligen Vorstandsmitglieder hinzukamen sowie 6 Millionen für die Wirtschaftsprüfer PWC und die ungenannten Honorare für McKinsey.[17] 2019 zeichnete sich die Insolvenz ab. Asklepios ergriff 2020 die Gelegenheit und übernahm billig die Mehrheit an Rhön-Klinikum.

In der Pandemie wurde die Überlastung des Personals am UKGM noch gesteigert. Überstunden und Überlastungsanzeigen nahmen noch zu, bei der Pflege, aber auch bei Ärzten und wissenschaftlichem Personal: Der Krankenstand ist hoch, mehrere wechseln seit 2021 deshalb in Teilzeit, andere wechseln zu Leiharbeitsfirmen.

Gegen die Kündigungswelle und für neues Personal in Notaufnahme und Intensivstationen wirbt der Konzern seit Oktober 2021 mit 5.000-Euro-Prämien, für eine Beschäftigungsdauer von mindestens zwei Jahren – ein ebenso drastisches wie hilfloses Eingeständnis des Scheiterns. „Arbeitsüberlastung und ausbleibende Geräteinnovation gefährden die Patientenversorgung“, so bilanzierte im Januar 2022 der Klinikdirektor in Gießen, Werner Seeger.[18]

Staat zahlt 500 Millionen für gescheiterte UKGM-Privatisierung

Seit 2009 hatten Beschäftigte, die Gewerkschaft verdi, Ratspolitiker und Bürger mit Initiativen wie NotRuf113 und Gemeinsam für unser Klinikum demonstriert, Unterschriften gesammelt und den Rückkauf des UKGM gefordert. Am 9.11.2021 wurde die vom Pfleger Mark Müller initiierte Petition zur Rückführung des UKGM in öffentliches Eigentum mit 18.000 Unterschriften an den Landtag übergeben.

Stattdessen lässt sich die christlich-grüne Landesregierung weiter erpressen. Die grüne Wissenschaftsministerin Angela Dorn sagte eine halbe Milliarde Euro zu, ab 2022 zu zahlen, 10 Jahre lang bis 2031, die jährliche Zahlung ansteigend von 45 bis 54 Millionen Euro – während Asklepios als Haupteigentümer sich bisher zu gar nichts verpflichtet.

Im Aufsichtsrat regieren jetzt die Vertreter von Asklepios. Vorsitzender ist Dr. Jan Liersch, gleichzeitig Chef der Schweizer Luxus-Hotelkette Montreux Palace S.E. Hinzu kam eine Vertreterin des intern ebenfalls hochprivatisierten Klinikums Charité. Brigitte Mohn von Bertelsmann ist natürlich sowieso weiter dabei.

Lauterbach: Gut eine halbe Million Aufsichtsrats-Tantiemen

Für Lauterbach fielen für seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG von 2001 bis 2013 etwa eine halbe bis dreiviertel Million Euro an Tantiemen ab, im Krisenjahr 2012 waren es beispielsweise 64.000 Euro, im Jahr davor 62.000.

Als der Zoll bei einer Razzia ermittelte, dass Putzkräften keine Überstunden bezahlt wurden, verweigerte der Konzern-Aufseher Lauterbach jeglichen Kommentar und sowieso jegliche Mithilfe bei der rechtsstaatlichen Klärung oder gar Abhilfe.[19]

In der Pandemie schwurbelt er gefühlig von den „vulnerablen Gruppen“ – aber die von ihm selbst mitverantworteten prekären und selbst gesundheitlich gefährlichen Arbeitsverhältnisse: Die kümmern ihn nicht, damals nicht und auch heute in der Pandemie nicht.

Eine Anfrage vom 27.1.2022, wie er seine Mitwirkung bei der UKGM-Privatisierung zumindest nachträglich beurteilt und ob er seine unverdienten Aufsichtsratstantiemen in einen Fonds zugunsten von entlassenen UKGM-Beschäftigten einzahlt, ließ der sonst so blitzschnell reagierende, beredte Influenzer unbeantwortet.

Lesen Sie morgen den zweiten Teil.

Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com


[«1] Wikipedia: Eintrag über Prof. Dr. Ludwig Feinendegen

[«2] Forbes-Liste 2022

[«3] hsph.harvard.edu/about/global-leadership/, abgerufen 17.2.2022

[«4] Der Einflüsterer, Der Spiegel 28.3.2004

[«5] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Köln 3. Auflage 2021, Seite 79ff.

[«6] Karl W. Lauterbach / Markus Lüngen: Krankenhäuser: Neues Entgeltsystem nach US-Muster, Deutsches Ärzteblatt 2000/97 (8)

[«7] Lauterbach fordert die allgemeine Riester-Pflicht, Der Spiegel 6.4.2005

[«8] Der Kliniknetzwerker. Der frühere Politiker Wolfgang Pföhler leitet die private Krankenhauskette Rhön-Klinikum, Frankfurter Rundschau 17.7.2009

[«9] Rhön-Klinikum AG: Strategische Kontakte, Deutsches Ärzteblatt 2002: 99 (8)

[«10] Nils Böhlke / Thorsten Schulten: Unter Privatisierungsdruck. In keinem anderen europäischen Land sind in den letzten Jahren so viele Krankenhäuser privatisiert worden wie in Deutschland – mit weit reichenden Konsequenzen für Beschäftigte und Patienten, Mitbestimmung 6/2008, S. 24ff.

[«11] Kriminelle Ausländer. Kochs rechtes Gebräu, Süddeutsche Zeitung 17.5.2010

[«12] Werner Rügemer: Public Private Partnership: Anatomie eines globalen Finanzinstruments. Bielefeld 2. Auflage 2011, Seite 108f.

[«13] Krankenhaus auf dem Weg der Besserung, SZ 24.12.2007

[«14] Rhön-Klinikum: Partnerschaft mit Asklepios stärkt die Pflege am UKGM, Pressemitteilung 7.9.2020

[«15] Rhön-Klinikum will von Privatisierungen profitieren, Frankfurter Rundschau 23.5.2011

[«16] Kompromiss im Streit um privatisiertes Uniklinikum, FAZ 30.1.2013

[«17] Rhön-Klinikum AG, Geschäftsbericht 2019

[«18] Landeshilfe für privatisiertes Uni-Klinikum „wird noch Politikum“, FAZ 17.1.2022

[«19] „Karlchen Überall“ und die Putzkräfte. Keine Antwort auf offenkundige Ausbeutung bei Rhön, Süddeutsche Zeitung 18.12.2013