Ein persönlicher Hilferuf aus dem Gazastreifen

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Nach den jüngsten Angriffen der israelischen Luftwaffe auf den Gazastreifen erreichte uns dieser Brief über die verzweifelte Lage der dortigen Bewohner. Der Autor Abed Schokry ist ein Ingenieur, der in Deutschland studierte und mit seiner Familie in Gaza lebt. Wir geben seinen Brief hier im Wortlaut wieder.

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Freundinnen und liebe Freunde,

Wir sind so weit wohlauf… Aber die Schwester meiner Frau, ihr Mann und ihre Kinder wurden verletzt und ihre Wohnung zum Teil sehr zerstört… Liegt neben einer der gezielt angegriffenen Wohnungen… Das alles geschah zwischen 2 und 4 Uhr nach Mitternacht (in der Nacht von Montag auf Dienstag). Es ist auch ein Wunder, dass sie diesen Angriff überlebt haben. Denn durch den Angriff wurde das Treppenhaus sehr stark beschädigt, und sie mussten über viele Stufen hinweg springen, um aus dem Haus rauskommen zu können.

Der Aufzug wurde total zerstört.

Das ist wohl unser Schicksal, immer wieder für innerisraelische politische Probleme den Preis zu zahlen. Es ist der israelischen politischen Elite egal, wie viele Kinder, Frauen bzw. unschuldige Zivilisten durch diese Luftangriffe getötet werden, kollaterale Schäden werden die Menschen genannt, die ihr Leben verlieren. Tatsache ist aber, dass diese Zivilisten absolut gar nicht an irgendwelchen Handlungen bzw. politischen Aktivitäten beteiligt sind. Im Gegenteil, sie haben ihre Pläne sowie ihre Träume für ihre Zukunft – wie alle Menschen auf der Welt.

Eine junge Frau war im letzten Semester an der Uni. Vor einigen Wochen hat sie sich verlobt, im Juli sollte ihre Hochzeit stattfinden. Durch den tödlichen Angriff Israels wird sie nicht das weiße Hochzeitskleid anziehen, sondern sie wurde mit einem großen weißen Tuch umwickelt und zu Grabe getragen.

Was war ihre Schuld? Warum hat man sie und andere umgebracht? Warum nimmt Israel den Tod unschuldiger Menschen in Kauf? Es gibt keine Rechtfertigung für sogenannte Kollateralschäden, für die zufällige Tötung von Menschen. Das Töten von unschuldigen, unbeteiligten Personen kann nicht gerechtfertigt werden. Auf solche menschenverachtenden Handlungen wird mit unendlicher Trauer, mit verständlicher Wut und letztlich mit dem Ruf nach ausgleichender Gerechtigkeit reagiert. Insgesamt sieben Kinder und vier Frauen wurden bei den israelischen Angriffen ermordet. Bringt das uns bzw. unserem Nachbarn Frieden?

Wird ein kleines Kind es je vergessen, dass seine Eltern bei gezielten israelischen Luftangriffen ums Leben kamen?

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum uns Palästinensern dieses Leid zugefügt wird. Sind wir keine Menschen? Haben wir nicht auch das Recht auf ein normales und friedliches Leben? Ist das zu viel verlangt? Der Staat Israel feierte sein 75-jähriges Bestehen, während wir der seitdem andauernden Nakbah (Katastrophe) gedenken. Wir wurden vertrieben, uns wurde unser Land genommen. Wir leben unter der am längsten andauernden brutalen Besatzung. In Gaza leben wir wie in einem Gefängnis.

Wie lange sollen wir noch leiden? Wann endlich nimmt die Welt wahr, dass uns Unrecht geschieht?

Ich verfolge – wie alle Menschen in Gaza -, wie sich der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine entwickelt. Ich lese, wie groß die Unterstützung der Ukraine seitens der USA, EU und anderen Staaten ist. Ebenso verfolge ich, wie Russland sanktioniert wird.

Dann stelle ich mir die Frage, warum die Weltgemeinschaft seit 75 Jahren dem Unrecht, das wir seitdem erfahren haben, zusieht und schweigt. Das ist unfassbar, unerträglich, unfair und unmenschlich auch. Und nicht nur das ewige Schweigen ist unerträglich, sondern auch der Vorwurf, des Terrorismus bezichtigt zu werden, anstatt uns zu unseren Rechten zu verhelfen bzw. uns beizustehen.

Ich weiß wirklich nicht, ob all das Schreckliche, das Israel anrichtet, dem Frieden dient.

Ich appelliere an den Bundeskanzler in Deutschland sowie an die Bundesaußenministerin, sich endlich für den Frieden einzusetzen. Denn nur, wenn auch wir ein Leben in Würde und in Frieden haben, werden unsere Nachbarn auch in Frieden und Ruhe leben können. 75 Jahre Besatzung sind mehr als genug.

Ich hoffe, dass es eine Bewegung in Richtung Frieden nach dieser erneuten Bombardierung geben wird. Ich hoffe, dass die Welt endlich hinschaut, was hier passiert.

Übrigens, haben Sie sich schon mal gefragt, warum immer Gaza bombardiert wird und die Westbank nicht mit Bomben angegriffen wird? In der Westbank möchte die israelische Regierung „Kollateralschäden“ vermeiden, denn das wären dort die Siedler.

Israel als eine so unglaublich überlegende Macht muss begreifen, dass Gewalt, Bomben und Zerstörung niemals zum Frieden führen. Die Palästinenser brauchen ein Leben in Würde und Freiheit, frei von Besatzung, Vertreibung und Bevormundung. Sie brauchen einen unabhängigen Staat. Sie kämpfen für einen solchen Staat, sie wehren sich gegen das Unrecht, das ihnen angetan wird.

Ich wünsche mir und allen Menschen ein Leben ohne Gewalt, ein Leben in Frieden und Freiheit.

Mit traurigen Grüßen,

Ihr Abed Schokry

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