Kirchentag: Die Politik und der Garten Eden

Kirchentag: Die Politik und der Garten Eden

Kirchentag: Die Politik und der Garten Eden

Helmut Ortner
Ein Artikel von Helmut Ortner

Die Trennung von Staat und Kirche steht in unserer Verfassung. Doch es gibt zahlreiche Sonderrechte und Subventionen, die unser Staat den Kirchen gewährt. Beispielsweise die massive staatliche Förderung religiöser Groß-Events wie dem derzeit stattfindenden Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Höchste Zeit, staatlichen Gottes-Lobbyismus und fragwürdige klerikale Polit-Allianzen zu beenden. Ein Kommentar von Helmut Ortner.

Lassen wir gleich zu Beginn mal unseren Bundespräsidenten zu Wort kommen. Bei seiner Eröffnungsrede zur Bundesgartenschau im April 2023 in Mannheim hat er die Zuhörerschaft daran erinnert, dass einst im Garten Eden alles seinen Anfang nahm. Denn: „Wenn wir der Bibel folgen, dann wurde der Mensch geschaffen, dann wurden die Menschen in die schönen Gärten gesetzt, die Gott persönlich, wie es heißt, im Garten Eden angelegt hatte«, Festrede in schönster Schöpfungs-Prosa. „Der Mensch sollte den Garten bearbeiten und hüten”, denn – und hier wagte der weise Präsident mit schneeweißem Haupt-Haar eine originelle ethnologische Pointe – „Wenn Sie so wollen, wurde der Mensch vor aller Zeiten Anfang eigentlich als Gärtner geschaffen.” 

Nicht ganz gender-gerecht übersah er hier die solide Rolle der Gärtnerin. Egal. Jedenfalls beschwor der gottesfürchtige Präsident das Blumen-Bio-Event als „ein Fest der Farben, eine Feier der Buntheit und der Verschiedenheit, eine Darstellung der Schönheit … Es ist schön und es ist eine Freude, sich inmitten der Farben der Schöpfung zu bewegen”. Spricht hier ein bibelfester Kreationist oder ein sozialdemokratischer Bundespräsident, der eigentlich – gewissermaßen als lebendes Verfassungsorgan – doch zur religiösen Neutralität verpflichtet ist?

Der schöpferische Christenmensch Steinmeier kennt sich aus. 2019 sollte er auf dem Evangelischen Kirchentag in Dortmund als Kirchentagspräsident gar dem klerikalen Event vorstehen. Nur die Wahl zum Bundespräsidenten verhinderte die Präsens-Rolle. Als Mitglied der Kirchentagsleitung hatte er sich schon zuvor für die finanzielle Grundausstattung des Glaubens-Events eingesetzt. Zwar übte er diese Tätigkeit ehrenamtlich aus, allerdings wurde dadurch ein Signal an die öffentlichen Finanzierungsstellen (Bund, Land und Kommune) gesendet, die mit schöner Regelmäßigkeit die Bezuschussung der Kirchentage beschließen. Das ist Lobbyismus in reiner Form, finanziert mit öffentlichen Steuergeldern.

Man stelle sich mal vor, der Wirtschaftsminister wäre gleichzeitig der Vorsitzende des Bundesverbands der Deutschen Industrie und die BDI-Veranstaltungen wären zur Hälfte mit Steuergeldern finanziert – eine undenkbare Konstellation. Wenn es aber um Kirchen-Lobbyismus geht, erleben wir eine breite und offene Verflechtung mit dem Staat – finanziell und personell.

Alle Jahre wieder findet hierzulande ein Kirchentag statt, immer im Wechsel, mal ein katholischer, mal ein evangelischer – und immer in einer anderen Stadt. Das Ganze hat Event-Charakter, es gibt Musik, Tanz, gemeinsames Gebet und jede Menge Vorträge über Gott und die Welt. Ein straff organisiertes Himmels-Festival mit Zeltlager-Flair. In diesen Tagen, vom 7. Juni bis 11. Juni, der 38. Evangelische Kirchentag in Nürnberg. Motto: »Die Zeit ist jetzt«. Sogar einen offiziellen Kirchentag-Song gibt es, »performed« vom Gute-Laune-Trio Judy, Ronja und Sam: „Ein kleiner Moment kann riesig sein“, beschwören sie ausgelassen göttliche Glückseligkeit. Ein echter Knaller.

Der Freistaat Bayern unterstützt mit 5,5 Millionen Euro die Kirchen-Sause großzügig. Bei der symbolischen Scheckübergabe im Heimatministerium in Nürnberg sagte Ministerpräsident Söder, es sei eine Freude, dass der Kirchentag zum zweiten Mal nach 1979 in Nürnberg stattfinde. „Evangelisch is coming home, sozusagen …”, so der CSU-Mann im Marketing-Jargon. Weitere drei Millionen Euro gibt es aus dem städtischen Haushalt der Franken-Metropole, die darüber hinaus den Kirchentag auch mit Sachleistungen wie dem Bereitstellen von Veranstaltungsorten in Höhe von etwa einer Million Euro unterstützt. Dass die Stadt Nürnberg mit einem Schuldenstand von 1,9 Milliarden Euro aktuelle Schuldenkönigin in Bayern ist, darf hier kurz angemerkt werden. Die Veranstalter, an der Spitze Ex-CDU-Innenminister Thomas de Maizière, der diesmal als Präsident des Kirchentags fungiert, sind hoch erfreut. Der Mann, einst zuständig für Sicherheit und Ordnung, jetzt für Glaube und Hoffnung, bedankte sich für den staatlichen und städtischen Geldsegen – denn dies, so de Maizière, sei nicht selbstverständlich in Zeiten, in denen die Bedeutung der Kirche abnehme.

In der Tat: Seit dem Frühjahr 2022 sind erstmals weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland Mitglied in der katholischen oder evangelischen Kirche. In der Kirchentags-Stadt Nürnberg haben beide Kirchen zusammen nur noch einen Anteil von rund 42 Prozent an der Bevölkerung. „Die Konfessionsfreien stellen erstmals in der Geschichte der Stadt die Mehrheit«, stellt David Farago, Aktionskünstler und im Zivilberuf Schreinermeister, nüchtern fest. Und weil es ihm als Verfassungs-Patriot ungemein ärgert, dass es um die Trennung von Kirche und Staat hierzulande nicht gut bestellt ist, ist er auch gegen jede staatliche Subvention von Kirchentagen. Bei der Stadt Nürnberg hat er eine Ausstellungsfläche beantragt, um seine kirchenkritische – aufklärend lästerlichen – Plastiken und Installationen samt einer »Kirchenaustritts-Beratungsstelle« zu präsentieren. Er und seine Aktions-Gruppe »11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen« wollen damit zur Debatte, zum produktiven Streit animieren und ermuntern. Denn: „Streit ist der Sauerstoff für die Demokratie«.

Dem Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat Farago einen Offenen Brief geschrieben und ihn um Unterstützung gebeten. Ist die Kirchentags-Dramaturgie nicht auch eine Einladung für Andersgläubige und Ungläubige? Nicht auch eine große gesellschaftliche Dialog-Bühne? Der Herr Landesbischof ließ den Aktivisten kurz und schnöde abblitzen. O-Ton: „Leider kann ich Ihr Anliegen und die Umsetzbarkeit für Stadt und Kirchentag im Detail nicht nachvollziehen. Der Kirchentag ist eine von unserer Landeskirche unabhängige Veranstaltung und ich selber bin an keiner Stelle als Entscheidungsträger eingebunden.“ Das grenzt an dreiste Selbstverleugnung. Der Trick: Die Kirche tritt nicht als Veranstalter auf. Die Organisation wird vom „Verein Förderung des Deutschen Evangelischen Kirchentags“ übernommen. Für jeden Kirchentag wird jeweils ein weiterer eigener Verein gegründet, der die öffentlichen Gelder erhält und verwaltet – und später wieder aufgelöst wird. Das hat viele Vorteile. Ein Vorteil: Kirchentage brauchen keine Abrechnung vorzulegen. Religionsgemeinschaften sind in Deutschland nicht rechenschaftspflichtig. Landesrechnungshöfe dürfen sie nicht überprüfen. So bleibt intransparent, wofür das staatliche Geld eigentlich eingesetzt wird. Transparenz sieht anders aus. 

Das Ordnungsamt der Stadt Nürnberg hat für den widerborstigen Aktionskünstler Farago dann doch noch ein paar Quadratmeter auf der Kirchentags-Meile gefunden. Immerhin. Und Landesbischof Bedford-Strohm wird als Prediger und klerikaler Hans Dampf in allen Gassen als Gottesdienst-Gestalter und Forum-Teilnehmer beim Kirchentag omnipräsent sein. Fans bewundern seine Ausdauer, Kritiker monieren seine Eitelkeit.

Und klar: Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist beim Eröffnungsgottesdienst auf dem Hauptmarkt in Nürnberg dabei. Polit-Prominenz lässt sich parteiübergreifend wie gewohnt gerne auch diesmal sehen. Kaum ein Podium oder ein Diskussions-Forum findet ohne »die Politik« statt. Ministerpräsident Söder wird die Kirchentagshauptbühne für seinen Wahlkampf nutzen. Sein Thema: »Bibelarbeit – Was jetzt am Tage ist / Mose 50,15-21«. Gleich nach der Frühmesse am Freitag morgens um 9:30 Uhr im Messezentrum, Halle 4A. CSU und Kreuz – in Nürnberg kommt zusammen, was zusammengehört. 

Doch es geht um mehr als um die staatliche Alimentierung von Kirchentagen. Die allgegenwärtige Allianz – oder soll man von Komplizenschaft sprechen? – von Staat und Kirche in unserem Land muss ein Ende haben. Konkret und exemplarisch: Es geht um die skandalöse Nicht-Verfolgung klerikaler Missbrauchs-Täter, um fragwürdige Sonderechte und Subventionen, um den zweifelhaften Einfluss der Gottes-Lobbyisten in Politik und Medien, um die arrogante Selbstgefälligkeit der klerikalen Oligarchie. In einer säkularen Demokratie darf sich der Staat nicht mit einer Religion identifizieren, keine Kirche und keine Glaubensgemeinschaft bevorzugen. Das ist geradezu die Garantie für Religionsfreiheit. Es gilt die strikte Trennung von Staat und Kirche. Erst der Bürger, dann der Gläubige.

Titelbild: Shutterstock / Maik Meid /Das Foto zeigt Robert Habeck auf einer Bühne des Kirchentags 2019 in Dortmund

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!