Sachverständigenrat will den Arbeitszwang erhöhen. Das Arbeitslosengeld II soll um 30% gekürzt werden.

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Unsere Wirtschaftsweisen haben in ihrem im Auftrag der Bundesregierung erstellten Gutachten, mal wieder eine tolle arbeitsmarktökonomische Idee: Das Alg II, bisher als eine Sozialleistung zur Sicherung des Existenzminimums definiert, soll unter Umgehung des Grundgesetzes auf ein existenzbedrohendes Niveau von 240 Euro und außerdem die Einkommensgrenze für Mini-Jobs von 400 auf 200 Euro gesenkt werden. Zudem sollen Erwerbseinkommen bis zu 200 Euro künftig voll auf das Alg II angerechnet, sprich abgezogen werden. Der Hunger wird die Arbeitlosen und Mini-Jobber schon zur Arbeit um jeden Preis treiben. Mit den so eingesparten staatlichen „Transferleistungen“ sollen dann über ein Kombilohnmodell die Löhne der Arbeitgeber subventioniert werden.

Durch eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II (AlG II), geänderte Hinzuverdienstregeln und eine Neuordnung der Mini- und Midi-Jobs könnten rund 350.000 neue Stellen für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose geschaffen werden, so fasst die FAZ das noch unveröffentlichte Gutachten des Sachverständigenrates für ein neues Kombilohn-Konzept zusammen.

Damit sind die sog. „fünf Weisen“ auf das Konstrukt des Ifo-Chefs Sinn eingeschwenkt, wonach die Arbeitslosigkeit ausschließlich ein Problem zu hoher, nicht markträumender Löhne ist.
Eine Kürzung des Alg II-Regelsatzes von 345 auf gerade mal 240 Euro und die Senkung der Einkommensgrenze für Mini-Jobs von 400 auf 200 Euro soll nach einer „Simulationsrechnung“ zu einer Zunahme des „Arbeitsvolumens“ um 2,2 Prozent oder rund 400.000 neuen Stellen führen.
Was bei der Umverteilung von knapper Arbeit nie gelingt, soll nun bei der Kürzung der Transfereinkommen klappen: Man senke einfach die Löhne und schon wächst das Arbeitsplatzangebot. Warum das so sein soll, bleibt ein Rechengeheimnis unserer Arbeitsmarktökonomen, denen als Ursache für Arbeitslosigkeit eben nur zu hohe Löhne aber niemals eine fehlende Beschäftigungspolitik etwa durch die Ankurbelung der Wirtschaft einfällt.
Diese Senkung des Leistungsniveaus bei Nichterwerbstätigkeit müsse „zentrales und unverzichtbares Element einer Reform sein“, wenn man die Arbeitsmarktchancen insbesondere von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen spürbar verbessern wolle, meint der Sachverständigenrat. Die „Weisen“ sehen also das Problem der Arbeitslosigkeit in den zu hohen Sozialleistungen für die Arbeitslosen und nicht etwa (zumindest auch) im Auftragsmangel der Unternehmen.

Die Wirtschaftweisen scheinen sich so in ihre „Simulationsrechnungen“ verbohrt zu haben, dass sie weder das Grundgesetz noch die Realität zur Kenntnis nehmen.

Alle diese Einwände – und es gäbe noch viele andere mehr – mag man noch als ökonomisches Fachgeplänkel abtun, was aber nicht mehr hinnehmbar ist, das ist die Tatsache, dass sich unsere „Wirtschaftsweisen“ schlicht über unser Grundgesetz und das Sozialstaatsgebot hinwegsetzen.
Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es in der Präambel unserer Verfassung und dazu gehört, dass jeder – egal unter welchen Umständen – ein menschwürdiges Leben führen können soll. Entspricht „Aushungern“ als Zwang zur Arbeit der Würde des Menschen?
Der Sozialstaat gebietet, dass über Sozialleistungen das „soziokulturelle Existenzminimum“ gesichert sein soll. Ist ein menschwürdiges Dasein in unserer Gesellschaft mit 240 Euro pro Monat noch möglich?

Das von der Bundesregierung bestellte Gutachten des Sachverständigenrates, das am 8. September dem Bundesarbeits- und Sozialminister übergeben werden soll, ist, nach dem, was der FAZ zugespielt worden ist, ein beredter Ausdruck dafür, dass unsere Wirtschaftsexperten ihr wirtschaftspolitisches Dogma von den zu hohen Löhnen und ihre Marktmodelle, die nur bei einem markträumenden Preis für den Faktor Arbeit ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt unterstellen, über die gesellschaftliche Realität, ja noch mehr über unsere Verfassung stellen.

Das geht offenbar selbst den Koalitionsfraktionen zu weit, ja sogar die wirtschaftsliberale FDP meldet Widerspruch an. Ihr sozialpolitischer Sprecher Heinrich Kolb allerdings nur deshalb, weil eine Absenkung des Hartz-IV-Satzes um 30 Prozent deshalb nicht notwendig sei, weil die Leistungen schon heute gekürzt werden könnten, wenn der Leistungsempfänger wiederholt Arbeit ablehne.

Man darf wirklich gespannt sein, wie Arbeitsminister Franz Müntefering auf diese Ausgeburt neoliberaler Orthodoxie, die sich unter Berufung auf ein Dogma über die Würde des Menschen und das allgemeine Wohl hinwegsetzt, reagiert.