„In Deutschland geht es sozial gerecht zu! – Volksverdummung in der BamS

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72% der Deutschen [PDF – 128 KB] meinen, die Bundesregierung tue zu wenig für soziale Gerechtigkeit. Claus Strunz von Bild am Sonntag meint hingegen: „In Deutschland geht es sozial gerecht zu!“. Wie weit muss der Chefredakteur dieses Massenblattes von der Lebenswirklichkeit seiner Leserinnen und Leser entfernt sein? Wolfgang Lieb

Für Claus Strunz geht es also „in Deutschland sozial gerecht zu“, wenn Manager ihre Millionengehälter zweistellig erhöhen, während die Löhne seit Jahren stagnieren. Er hält es für sozial gerecht, dass Manager, die ihren Unternehmen schweren Schaden zugefügt haben, Millionenabfindungen erhalten und dass die durch deren schlechtes Management entlassenen Arbeitnehmer nach einem Jahr bei der Sozialhilfe landen. Es geht für Strunz sozial gerecht zu, wenn die Unternehmenssteuern laufend (zuletzt mindestens 6 Milliarden) gesenkt werden und gleichzeitig die Massensteuer (Mehrwertsteuer) drastisch (um 23 Milliarden) erhöht wird. Sozial gerecht ist es für Strunz offenbar auch, wenn etwa Gewinne aus Unternehmensveräußerungen steuerfrei gestellt werden oder den Unternehmen immer neue Abschreibungsmöglichkeiten eröffnet werden und Arbeitnehmern die Pendlerpauschale gekürzt oder Nachtzuschläge versteuert werden.
Sozial gerecht ist es für die BamS auch, dass Unternehmenssubventionen beibehalten oder sogar (wie etwa bei den Forschungsgeldern) erhöht werden, dass aber den Bürgern der Sparerfreibetrag gekürzt und die Eigenheimförderung abgeschafft wurde.

Den meisten Leserinnen und Lesern der BamS ist doch nicht entgangen, dass die Agendapolitik einseitig zu Lasten der Schwächeren in dieser Gesellschaft ging – dass zwar die Gewinne explodierten, aber bei den Arbeitnehmern vom „Aufschwung“ nichts ankam.

Strunz hält den Deutschen „Staatsgläubigkeit“ vor. Es ist viel dramatischer, Herr Strunz: Die meisten Deutschen haben das Vertrauen in einen Staat verloren, der einseitig alles getan hat, um der Kapitalseite die Bedingungen zu erleichtern, damit die Gewinne explodieren konnten, und gleichzeitig bei der Rente, bei der Gesundheit, bei den Steuern, bei den Arbeitslosen den ´kleinen Leuten` nur in die Tasche gegriffen hat.

„Weniger Staat bringt mehr Gerechtigkeit“ fordert Strunz im Sinne des Credos der Marktradikalen und polemisiert gegen den Mindestlohn und plädiert dafür, den Kündigungsschutz zu lockern. Wenn es also darum geht, dass der Staat über Jahrzehnte politisch errungene Regeln für mehr Gerechtigkeit abbauen soll, dann darf der Staat also ruhig massiv eingreifen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Beim Sozialabbau hätte sich die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in der Tat weniger ´Staatseingriffe` zugunsten der Besserverdienenden und zu Lasten der Arbeitnehmer gewünscht.

Strunzens Vorbild für den gerechten Staat ist Irland. Irland habe es „vorgemacht“, schreibt BamS.
Fragen eine nachdenkenden BamS-Lesers:
Wenn Irland zu einem der „wohlhabendsten“ (Strunz) Länder geworden wäre, warum ist es dann eigentlich immer noch Empfänger von EU-Geldern, während Deutschland Nettozahler ist?
Warum weist dann Irland die höchste Armutsquote unter den EU-15 auf (Anteil der Bevölkerung, der über weniger als 60% des Medians der Haushaltsäquivalenzeinkommen verfügt, vgl. ISI 33 S.4 [PDF – 200 KB].
Glaubt Strunz wirklich, dass Deutschland mit irischen Dumping-Unternehmenssteuer von 12,5 Prozent (was (jedenfalls für die Vergangenheit) schlicht falsch ist so viele ausländische Unternehmen anlocken könnte, dass diese wie im relativ kleinen Irland die Steuerausfälle der heimischen Betriebe locker kompensieren könnten?
Was nützen die schönsten Wachstumsraten des BIP eigentlich der irischen Bevölkerung, wenn sie aus steuerlichen Gründen nur als Bilanzen der Unternehmen mit Steuersitz in Irland ankommen? Oder hat nicht Irland nach wie vor etwa bei Bildung und Gesundheit Infrastrukturen eines Armenhauses?

„Gerecht ist, was hilft“ schreibt der Chefredakteur von Bild am Sonntag. Die Frage ist allerdings, wem wird geholfen. Wem in den letzten Jahren „geholfen“ wurde, lässt sich an Hand nüchterner Zahlen ablesen [PDF – 196 KB]:

  • Die Armutsrisikoquote ist nach dem Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung während der Jahre 1998–2003 von 12,1% auf 13,5% gestiegen.
  • Während das gesamte Bruttovermögen privater Haushalte (ohne Betriebsvermögen) preisbereinigt in den letzten 30 Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich mehr als vervierfacht hat, verfügte das oberste Zehntel aller Haushalte 2003 über 47 % des gesamten Nettogeld- und Nettoimmobilienvermögens, die untere Hälfte der Haushalte dagegen über nur 4%. Während das oberste Zehntel 1993–2003 seinen Anteil am Gesamtvermögen um 15% steigern konnte, ist der Anteil der Nettoschulden des untersten Zehntels um 60 % gestiegen.
  • Vor dem wirtschaftlichen Einbruch Mitte der 1970er Jahre betrug die Gewinn- und Kapitaleinkommensteuerquote gut 33 %. Danach ist sie ständig gefallen; 2006 lag sie bei 15,1 %. Umgekehrt erhöhte sich die Lohnsteuerquote von 13,8% 1975 auf 15,1% 2006. Die Steuereinnahmen werden gegenwärtig zunehmend von den „Massensteuern“, nämlich der Lohnsteuer und den indirekten Steuern, darunter vor allem der Mehrwert- und der Mineralölsteuer bestritten. 2006 trugen diese Steuern 55,5% zum gesamten Steueraufkommen bei. Mit der letzten Unternehmensteuerreform der großen Koalition wurden die Steuersätze der Kapitalgesellschaften noch einmal um fast ein Viertel abgesenkt werden, während die privaten Haushalte 2007 um weitere 23 Mrd. Euro mehr belastet werden.

„In Deutschland geht es sozial gerecht zu“, das will uns Bild am Sonntag aller Tatsachen zum Trotz dennoch einreden – das nennt man gemeinhin Demagogie.

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