Die Sozialenzyklika von Benedikt XVI. – Eine Moralpredigt über Liebe und Wahrheit

Ein Artikel von:

Die Mächtigen und Reichen in der Welt können nach dem Rundschreiben des Papstes „Über die ganzheitliche Entwicklung in der Liebe und in der Wahrheit“ [PDF – 443 KB] ruhig schlafen. In wohlabgewogenen Worten „beleuchtet“ die Enzyklika zahllose Missstände und ruft im Sinne einer positiven Motivation „alle Menschen guten Willens“ auf, in „von Wahrheit erfüllter Liebe, caritas in veritate“ „entsprechend ihren Einflussmöglichkeiten in der Polis“ zu handeln.
Die gegenwärtige Krise ist nach Meinung der höchsten kirchlichen Autorität den „schädlichen Auswirkungen einer schlecht eingesetzten und darüber hinaus spekulativen Finanzaktivität auf die Realwirtschaft“ geschuldet. “Die Kompliziertheit und Schwere der augenblicklichen wirtschaftlichen Krise besorgt uns zu Recht, doch müssen wir mit Realismus, Vertrauen und Hoffnung die neuen Verantwortungen übernehmen“, tröstet der Papst. Die Kirche habe keine „technischen Lösungen“ anzubieten und beanspruche keineswegs, „sich in die staatlichen Belange einzumischen“. „Die Liebe und die Wahrheit –, zeigt uns, was das Gute ist und worin unser Glück besteht. Es zeigt uns somit den Weg zur wahren Entwicklung.“
„Die Soziallehre der Kirche beleuchtet die immer neuen Probleme, die auftauchen, mit einem Licht, das sich nicht verändert.“ Mit vielen Worten also nichts Neues von der katholischen Kirche. Wenn wir uns nur von der „Kultur der Liebe“ beseelen lassen, dann wird alles gut: „Die Finanzmakler müssen die eigentlich ethische Grundlage ihrer Tätigkeit wieder entdecken, um nicht jene hoch entwickelten Instrumente zu missbrauchen, die dazu dienen können, die Sparer zu betrügen.“
„Die Krise verpflichtet uns, unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue Einsatzformen zu finden, auf positive Erfahrungen zuzusteuern und die negativen zu verwerfen. So wird die Krise Anlass zu Unterscheidung und neuer Planung.“ Genau so reden auch die weltlichen Würdenträger. Vom Papst haben sie also nichts zu befürchten. Und wenn es mit der „Liebe in der Wahrheit“ im realen Leben nicht so ganz klappt, dann kann man ja beichten gehen. Der Papst steht als gnädiger Beichtvater zur Verfügung. So viel ist nach dieser Enzyklika gewiss. Wolfgang Lieb

Der Wahrheitsanspruch schließt eher aus als ein

Es ist zunächst einmal positiv zu bewerten, dass in diesen Krisenzeiten und das – sicherlich nicht ganz zufällig – vor einem G 8-Treffen in Italien der Papst eine „Sozial“-Enzyklika herausgibt. Könnten doch davon wichtige Impulse für eine Kritik der Krisenursachen, für die Art der Bewältigung der Krise und vor allem für eine Neugestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung ausgehen.

Wer diese Hoffnung auf die Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. gesetzt hat, wird enttäuscht.

Für einen der nicht der katholischen Kirche angehört und der den spirituellen Geist nicht nachempfinden kann, ist die Sozialenzyklika von Papst Bendedikt ein schwer nachvollziehbarer Text. Für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften oder Gläubige anderer Religionen, für Agnostiker oder sich als Atheisten verstehende Menschen ist sie in ihrem Ausschließlichkeitsanspruch geradezu ein Affront.

Die „ideologische Verschlossenheit gegenüber Gott“ (natürlich wie er von der katholischen Kirche interpretiert wird) und „der Atheismus der Gleichgültigkeit“, die beide den Schöpfer vergäßen, liefen Gefahr auch die menschlichen Werte zu vergessen. Sie stellten heute die größten Hindernisse für die Entwicklung der Menschheit dar: „Der Humanismus, der Gott ausschließt, ist ein unmenschlicher Humanismus“, heißt es am Schluss des Rundschreibens (S. 63). Da wird mit einem Federstrich der jahrhundertelange Prozess der Aufklärung verdammt.

Entwicklung in allen Bereichen brauche Christen, „die von dem Bewusstsein getragen sind, dass die von Wahrheit erfüllte Liebe, caritas in veritate, von der die echte Entwicklung ausgeht, nicht unser Werk ist, sondern uns geschenkt wird.“ (S. 64f.) Man kann dem Oberhaupt der katholischen Kirche nicht vorhalten, dass er die Angehörigen seiner Kirche anspricht, wenn er jedoch auch noch andere Menschen mit seinen Botschaften beseelen will, dann ist der in der Enzyklika zum Ausdruck kommende Wahrheitsanspruch eher ausschließend als mitnehmend. Der Papst hat insofern den Adressaten verfehlt, wenn er seine Botschaft – wie es auf dem Deckblatt heißt – „an alle Menschen guten Willens“ richten wollte.

Für einen nicht in der Tradition der katholischen Kirche Stehenden, ist es befremdlich, wie sich Benedikt XVI. in seinem Rundschreiben geradezu scholastisch auf die Positionen seiner Vorgänger, vor allem Konzilpapst Paul VI. oder Johannes XXIII. und auf deren Schriften Populorum progressio oder Rerum novarum bezieht, um daraus quasi eine dogmatische Fortentwicklung seiner Rechtsprechung abzuleiten. Friedhelm Hengsbach, nennt die Enzyklika zu Recht ein „Selbstgespräch des gegenwärtigen Papstes mit seinen zwei Vorgängern“. Der deutsche Papst scheint doch noch sehr von seiner früheren Rolle als Präfakt der Glaubenskongregation geprägt zu sein.

Der Papst richtet sich an die kirchlichen Würdenträger, an die Gläubigen und alle Menschen guten Willens, er wendet sich nicht an die Politik oder an die Machthaber in Wirtschaft und Gesellschaft. Caritas, also „empfangene und geschenkte Liebe“ als Appell an den Einzelnen die „Wahrheit“ zu „verteidigen“ und „im Leben zu bezeugen“. „Die Liebe und die Wahrheit –, zeigt uns, was das Gute ist und worin unser Glück besteht. Es zeigt uns somit den Weg zur wahren Entwicklung.“ Es gehe um die „Verkündung der Wahrheit der Liebe Christi in der Gesellschaft“ und nicht um die Aufforderung der katholischen Kirche an die Politik, sich an den Werten der Enzyklika auszurichten. Der einzelne Mensch habe sich in seinen Ämtern und Rollen entsprechend der Soziallehre zu verhalten und die Wahrheit zu bezeugen. Die Kirche habe keine technischen Lösungen anzubieten und beanspruche keineswegs, »sich in die staatlichen Belange einzumischen«. (S. 7)

Jeder Christ ist zu dieser Nächstenliebe aufgerufen, in der Weise seiner Berufung und entsprechend seinen Einflussmöglichkeiten in der Polis. Das ist der institutionelle – wir können auch sagen politische – Weg der Nächstenliebe. (S.5)

Das ist aus der Sicht von jemand, der auf die Trennung von Kirche und Staat Wert legt, erfreulich. Im Widerspruch zu dieser Selbstbeschränkung steht allerdings die harsche Kritik am Laizismus und dessen geradezu unglaubliche Gleichsetzung mit dem Fundamentalismus:

Im Laizismus und im Fundamentalismus verliert man die Möglichkeit eines fruchtbaren Dialogs und einer gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen Vernunft und religiösem Glauben. (S. 48)

Struktur einer Predigt

Das Rundschreiben hat die Struktur einer Predigt. Der Papst leitete das Leitmotiv „CARITAS IN VERITATE“, wie ein Losungswort theologisch und dogmatisch lang und breit her, um es dann auf die verschiedensten weltlichen Sachverhalte zu übertragen. „Die Soziallehre der Kirche beleuchtet die immer neuen Probleme, die auftauchen, mit einem Licht, das sich nicht verändert.“ (S.9)

Die Schrift überprüft an Hand des von ihm definierten Leitmotivs die Lebenswirklichkeiten und macht dazu häufig kritische Anmerkungen, um aber letztlich auf der Linie der (in der westlichen Welt) herrschenden politischen Paradigmen zu landen oder bestenfalls etablierte Minderheiten zu loben (z.B. Mikrokredite oder Einkaufsgenossenschaften).

Zum Gewinnstreben
So kritisiert der Papst etwa das egoistische Gewinnstreben:

Der Gewinn ist nützlich, wenn er in seiner Eigenschaft als Mittel einem Zweck zugeordnet ist, welcher der Art und Weise seiner Erlangung ebenso wie der seiner Verwendung einen Sinn verleiht. Die ausschließliche Ausrichtung auf Gewinn läuft, wenn dieser auf ungute Weise erzielt wird und sein Endzweck nicht das Allgemeinwohl ist, Gefahr, Vermögen zu zerstören und Armut zu schaffen. (S. 15)

Die auf dem Plan befindlichen technischen Kräfte, die weltweiten Wechselbeziehungen, die schädlichen Auswirkungen einer schlecht eingesetzten und darüber hinaus spekulativen Finanzaktivität auf die Realwirtschaft, die stattlichen, oft nur ausgelösten und dann nicht angemessen geleiteten Migrationsströme, die unkontrollierte Ausbeutung der Erdressourcen – all das veranlasst uns heute, über die notwendigen Maßnahmen zur Lösung von Problemen nachzudenken.(S. 15)

Die Aspekte der Krise und ihrer Lösungen wie auch die einer zukünftigen neuen möglichen Entwicklung sind immer mehr miteinander verbunden, sie bedingen sich gegenseitig, erfordern neue Bemühungen um ein Gesamtverständnis und eine neue humanistische Synthese. Die Kompliziertheit und Schwere der augenblicklichen wirtschaftlichen Krise besorgt uns zu Recht, doch müssen wir mit Realismus, Vertrauen und Hoffnung die neuen Verantwortungen übernehmen, zu denen uns das Szenario einer Welt ruft, die einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung von Grundwerten bedarf, auf denen eine bessere Zukunft aufzubauen ist. Die Krise verpflichtet uns, unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue Einsatzformen zu finden, auf positive Erfahrungen zuzusteuern und die negativen zu verwerfen. So wird die Krise Anlass zu Unterscheidung und neuer Planung. (S.16)

Neu nachzudenken und neue Planung, neue Regeln aufstellen, das hören wir nun auf allen „Gipfeln“ der Welt, die Antworten des Papstes bleiben jedoch noch allgemeiner und abstrakter, als sie in den Kommuniques der Politik zu finden sind: Wiederentdeckung von Grundwerten oder tiefgreifende kulturelle Erneuerung. Ginge es nicht wenigstens ein wenig konkreter?

Zur zunehmenden Ungerechtigkeit

Absolut gesehen, nimmt der weltweite Reichtum zu, doch die Ungleichheiten vergrößern sich. In den reichen Ländern verarmen neue Gesellschaftsklassen, und es entstehen neue Formen der Armut. In ärmeren Regionen erfreuen sich einige Gruppen einer Art verschwenderischer und konsumorientierter Überentwicklung, die in unannehmbarem Kontrast zu anhaltenden Situationen entmenschlichenden Elends steht. »Der Skandal schreiender Ungerechtigkeit« hält an.(S. 16)

Was aber der Papst zur Überwindung des Skandals schreiender Ungerechtigkeit anbietet, ist mehr als dürftig. Die Lektion, die uns die augenblickliche Wirtschaftskrise erteile, verlange eine

neue Wertbestimmung der Rolle und der Macht der Staaten“. „Mit einer besser ausgewogenen Rolle der staatlichen Gewalt kann man davon ausgehen, dass sich jene neuen Formen der Teilnahme an der nationalen und internationalen Politik stärken, die sich durch die Tätigkeit der in der Zivilgesellschaft arbeitenden Organisationen verwirklichen.

Mehr als eine vage Andeutung ist das nicht.

Zur Globalisierung
Die Enzyklika setzt sich durchaus kritisch mit der „Globalisierung“ auseinander:

Der global gewordene Markt hat vor allem bei den reichen Ländern die Suche nach Zonen angetrieben, in die die Produktion zu Niedrigpreisen verlagert werden kann, mit dem Ziel, die Preise vieler Waren zu senken, die Kaufkraft zu steigern und somit die auf vermehrtem Konsum basierenden Wachstumsraten für den eigenen internen Markt zu erhöhen. Folglich hat der Markt neue Formen des Wettstreits unter den Staaten angeregt, die darauf abzielen, mit verschiedenen Mitteln – darunter günstige Steuersätze und die Deregulierung der Arbeitswelt – Produktionszentren ausländischer Unternehmen anzuziehen. Diese Prozesse haben dazu geführt, dass die Suche nach größeren Wettbewerbsvorteilen auf dem Weltmarkt mit einer Reduzierung der Netze der sozialen Sicherheit bezahlt wurde, was die Rechte der Arbeiter, die fundamentalen Menschenrechte und die in den traditionellen Formen des Sozialstaates verwirklichte Solidarität in ernste Gefahr bringt. Die Systeme der sozialen Sicherheit können die Fähigkeit verlieren, ihre Aufgabe zu erfüllen, und zwar nicht nur in den armen Ländern, sondern auch in den Schwellenländern und in den seit langem entwickelten Ländern. Hier kann die Haushaltspolitik mit Streichungen in den Sozialausgaben, die häufig auch von den internationalen Finanzinstituten angeregt werden, die Bürger machtlos neuen und alten Gefahren aussetzen; diese Machtlosigkeit wird durch das Fehlen eines wirksamen Schutzes durch die Arbeitnehmervereinigungen noch erhöht. Die Gesamtheit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen bewirkt, dass die Gewerkschaftsorganisationen bei der Ausübung ihrer Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, auf größere Schwierigkeiten stoßen, auch weil die Regierungen aus Gründen des wirtschaftlichen Nutzens oft die gewerkschaftlichen Freiheiten oder die Verhandlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften selbst einschränken. So haben die traditionellen Netze der Solidarität wachsende Hindernisse zu überwinden. (S.18)

Die Beschreibung trifft durchaus zu und dem Vorschlag der Soziallehre der Kirche

Arbeitnehmervereinigungen zur Verteidigung der eigenen Rechte ins Leben zu rufen, sollte darum heute noch mehr nachgekommen werden als früher (S. 18)

möchte man gerne zustimmen.

Der globale Rahmen, in dem die Arbeit ausgeübt wird, verlangt auch, dass die nationalen Gewerkschaftsorganisationen, die sich vorwiegend auf die Verteidigung der Interessen der eigenen Mitglieder beschränken, den Blick ebenso auf die Nichtmitglieder richten und insbesondere auf die Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern, wo die Sozialrechte oft verletzt werden. (S. 54)

Da wird dann auf der einen Seite die Schwächung der Gewerkschaften beklagt und auf der anderen Seite werden sie dafür kritisiert, dass sie sich zu wenig um die Nichtmitglieder und die Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern kümmerten. Solche Widersprüchlichkeiten ließen sich an vielen Stellen aufzeigen.

Die „Globalisierung“ stellt an sich eine große Chance dar. Ohne die Führung der Liebe in der Wahrheit kann dieser weltweite Impuls allerdings dazu beitragen, die Gefahr bisher ungekannter Schäden und neuer Spaltungen in der Menschheitsfamilie heraufzubeschwören. Darum stellen uns die Liebe und die Wahrheit vor einen ganz neuen und kreativen Einsatz, der freilich sehr umfangreich und komplex ist. Es geht darum, die Vernunft auszuweiten und sie fähig zu machen, diese eindrucksvollen neuen Dynamiken zu erkennen und auszurichten, indem man sie im Sinn jener »Kultur der Liebe« beseelt, deren Samen Gott in jedes Volk und in jede Kultur gelegt hat. (S. 24f.)

Dass die Globalisierung Risiken und Chancen ist der wohlfeile Allgemeinplatz aller Globalisierungsbefürworter.

Die Globalisierung a priori (sei) weder gut noch schlecht. Sie wird das sein, was die Menschen aus ihr machen. Wir dürfen nicht Opfer sein, sondern müssen Gestalter werden, indem wir mit Vernunft vorgehen und uns von der Liebe und von der Wahrheit leiten lassen. (S.35)

Die Globalisierung ist ein vielschichtiges und polyvalentes Phänomen, das in der Verschiedenheit und in der Einheit all seiner Dimensionen – einschließlich der theologischen – erfasst werden muss. Dies wird es erlauben, die Globalisierung der Menschheit im Sinne von Beziehung, Gemeinschaft und Teilhabe zu leben und auszurichten. (S.36)

Diesen Globalisierungsprozess nun mit der „Kultur der Liebe“ zu beseelen, ist aber nicht mehr als ein schwacher Trost. Bösartig könnte man sagen: Das ist Pfaffengeschwätz.

Zur Arbeitslosigkeit
Auch die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit werden vom Papst angeprangert:

So provoziere die Arbeitslosigkeit heute neue Aspekte wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit, und die augenblickliche Krise kann die Situation nur noch verschlechtern. Der langzeitige Ausschluss von der Arbeit oder die längere Abhängigkeit von öffentlicher oder privater Hilfe untergraben die Freiheit und die Kreativität der Person sowie ihre familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, was schwere Leiden auf psychologischer und spiritueller Ebene mit sich bringt. Allen, besonders den Regierenden, die damit beschäftigt sind, den Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen der Welt ein erneuertes Profil zu geben, möchte ich in Erinnerung rufen, dass das erste zu schützende und zu nutzende Kapital der Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit – »ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft«. (S.19)

Das Lösungsangebot zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bleibt jedoch appellativ und trivial:

Die Würde der Person und die Erfordernisse der Gerechtigkeit verlangen, dass – vor allem heute – die wirtschaftlichen Entscheidungen die Unterschiede im Besitztum nicht in übertriebener und moralisch unhaltbarer Weise vergrößern und dass als Priorität weiterhin das Ziel verfolgt wird, allen Zugang zur Arbeit zu verschaffen und für den Erhalt ihrer Arbeitsmöglichkeit zu sorgen. Recht besehen erfordert das auch die »wirtschaftliche Vernunft«. (S. 24)

„Vorfahrt für Arbeit“, das sagen auch die Merkels und Köhlers.

Im Gegensatz dazu fordert der Papst jedoch

eine Arbeit, die in jeder Gesellschaft Ausdruck der wesenseigenen Würde jedes Mannes und jeder Frau ist: eine frei gewählte Arbeit, die die Arbeitnehmer, Männer und Frauen, wirksam an der Entwicklung ihrer Gemeinschaft teilhaben läßt; eine Arbeit, die auf diese Weise den Arbeitern erlaubt, ohne jede Diskriminierung geachtet zu werden; eine Arbeit, die es gestattet, die Bedürfnisse der Familie zu befriedigen und die Kinder zur Schule zu schicken, ohne dass diese selber gezwungen sind zu arbeiten; eine Arbeit, die den Arbeitnehmern erlaubt, sich frei zu organisieren und ihre Stimme zu Gehör zu bringen; eine Arbeit, die genügend Raum lässt, um die eigenen persönlichen, familiären und spirituellen Wurzeln wieder zu finden; eine Arbeit, die den in die Rente eingetretenen Arbeitnehmern würdige Verhältnisse sichert. (S. 53)

Wie aber eine solche „gute“ Arbeit geschaffen und gefunden werden könnte, dazu sagt der Papst nichts. Nichts zur Beseitigung von Hungerlöhnen, nichts zur Abschaffung prekärer Beschäftigung.

Zur Ungleichheit

Die systembedingte Zunahme der Ungleichheit unter Gesellschaftsgruppen innerhalb eines Landes und unter den Bevölkerungen verschiedener Länder bzw. das massive Anwachsen der relativen Armut, neigt nicht nur dazu, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu untergraben, und bringt auf diese Weise die Demokratie in Gefahr. Auch auf wirtschaftlicher Ebene wirkt sie sich negativ aus: durch fortschreitende Abtragung des »Gesellschaftskapitals«, bzw. durch Untergrabung jener Gesamtheit von Beziehungen, die auf Vertrauen, Zuverlässigkeit und Einhaltung der Regeln gründen und die unverzichtbar sind für jedes bürgerliche Zusammenleben (…)

Der menschliche Preis ist immer auch ein wirtschaftlicher Preis, und die wirtschaftlichen Missstände fordern immer auch einen menschlichen Preis (…)

Die Senkung des Rechtsschutzniveaus für die Arbeiter oder der Verzicht auf Mechanismen der Umverteilung des Gewinns, damit das Land eine größere internationale Wettbewerbsfähigkeit erlangt, verhindern, dass sich eine langfristige Entwicklung durchsetzen kann. So sollten die Konsequenzen, welche die aktuellen Tendenzen zu einer kurzfristig, bisweilen extrem kurzfristig angelegten Wirtschaft für die Menschen haben, aufmerksam abgewogen werden. Das verlangt »eine neue und vertiefte Reflexion über den Sinn der Wirtschaft und ihrer Ziele« sowie eine tiefgreifende und weitblickende Revision des Entwicklungsmodells, um seine Missstände und Verzerrungen zu korrigieren. (S. 23f.)

Auf eine konkretere Antwort und greifbar Vorschläge, wie eine tiefgreifende und weitblickende Revision des Entwicklungsmodells aussehen könnte wartet man allerdings in der Enzyklika vergeblich.

Zur Ellbogengesellschaft
Manchmal ist der moderne Mensch fälschlicherweise der Überzeugung, der einzige Urheber seiner selbst, seines Lebens und der Gesellschaft zu sein. Diese Überheblichkeit ist eine Folge des egoistischen Sich-in-sich-selbst-Verschließens und rührt – in Begriffen des Glaubens gesprochen – von der Ursünde her.

Die Überzeugung, sich selbst zu genügen und in der Lage zu sein, das in der Geschichte gegenwärtige Übel allein durch das eigene Handeln überwinden zu können, hat den Menschen dazu verleitet, das Glück und das Heil in immanenten Formen des materiellen Wohlstands und des sozialen Engagements zu sehen. Weiter hat die Überzeugung, dass die Wirtschaft Autonomie erfordert und keine moralische „Beeinflussung“ zulassen darf, den Menschen dazu gedrängt, das Werkzeug der Wirtschaft sogar auf zerstörerische Weise zu missbrauchen. Langfristig haben diese Überzeugungen zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systemen geführt, die die Freiheit der Person und der gesellschaftlichen Gruppen unterdrückt haben und genau aus diesem Grund nicht in der Lage waren, für die Gerechtigkeit zu sorgen, die sie versprochen hatten. (S. 27)

Wenn Egoismus und Ellbogenmentalität von der Ursünde herstammen, dann ist sie nach christlicher Vorstellung eben Menschenschicksal.

Auf die Idee dass das Werkzeug der Wirtschaft nicht in zerstörerischer Weise missbraucht wird, sondern dass vielleicht das vielleicht ein anderes Werkzeug der Wirtschaft eingesetzt werden könnte, kommt der Papst leider nicht.

Zur Marktwirtschaft

Der Markt ist, wenn gegenseitiges und allgemeines Vertrauen herrscht, die wirtschaftliche Institution, die die Begegnung zwischen den Menschen ermöglicht, welche als Wirtschaftstreibende ihre Beziehungen durch einen Vertrag regeln und die gegeneinander aufrechenbaren Güter und Dienstleistungen austauschen, um ihre Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen. Der Markt unterliegt den Prinzipien der so genannten ausgleichenden Gerechtigkeit, die die Beziehungen des Gebens und Empfangens zwischen gleichwertigen Subjekten regelt. Aber die Soziallehre der Kirche hat stets die Wichtigkeit der distributiven Gerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit für die Marktwirtschaft selbst betont, nicht nur weil diese in das Netz eines größeren sozialen und politischen Umfelds eingebunden ist, sondern auch aufgrund des Beziehungsgeflechts, in dem sie abläuft. Denn wenn der Markt nur dem Prinzip der Gleichwertigkeit der getauschten Güter überlassen wird, ist er nicht in der Lage, für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen, den er jedoch braucht, um gut zu funktionieren. Ohne solidarische und von gegenseitigem Vertrauen geprägte Handlungsweisen in seinem Inneren kann der Markt die ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen erfüllen. Heute ist dieses Vertrauen verloren gegangen, und der Vertrauensverlust ist ein schwerer Verlust.

Es muss jedoch die Sichtweise jener als unrichtig verworfen werden, nach denen die Marktwirtschaft strukturell auf eine Quote von Armut und Unterentwicklung angewiesen sei, um bestmöglich funktionieren zu können. Es ist im Interesse des Marktes, Emanzipierung zu fördern, aber um dies zu erreichen, darf er sich nicht nur auf sich selbst verlassen, denn er ist nicht in der Lage, von sich aus das zu erreichen, was seine Möglichkeiten übersteigt. Er muss vielmehr auf die moralischen Kräfte anderer Subjekte zurückgreifen, die diese hervorbringen können.

Das Wirtschaftsleben kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme durch die schlichte Ausbreitung des Geschäftsdenkens überwinden. Es soll auf das Erlangen des Gemeinwohls ausgerichtet werden, für das auch und vor allem die politische Gemeinschaft sorgen muss. Es darf daher nicht vergessen werden, dass die Trennung zwischen der Wirtschaftstätigkeit, der die Aufgabe der Schaffung des Reichtums zukäme, und der Politik, die sich mittels Umverteilung um die Gerechtigkeit zu kümmern habe, schwere Störungen verursacht.

Die Kirche vertritt seit jeher, dass die Wirtschaftstätigkeit nicht als antisozial angesehen werden darf. Der Markt ist an sich nicht ein Ort der Unterdrückung des Armen durch den Reichen und darf daher auch nicht dazu werden. Die Gesellschaft muss sich nicht vor dem Markt schützen, als ob seine Entwicklung ipso facto zur Zerstörung wahrhaft menschlicher Beziehungen führen würde. Es ist sicher richtig, dass der Markt eine negative Ausrichtung haben kann, nicht weil dies seinem Wesen entspräche, sondern weil eine gewisse Ideologie ihm diese Ausrichtung geben kann. Es darf nicht vergessen werden, dass es den Markt nicht in einer Reinform gibt. Er erhält seine Gestalt durch die kulturellen Gegebenheiten, die ihm eine konkrete Prägung und Orientierung geben. Die Wirtschaft und das Finanzwesen können, insofern sie Mittel sind, tatsächlich schlecht gebraucht werden, wenn der Verantwortliche sich nur von egoistischen Interessen leiten lässt. So können an sich gute Mittel in schadenbringende Mittel verwandelt werden. (S. 29)

Die Finanzmakler müssen die eigentlich ethische Grundlage ihrer Tätigkeit wieder entdecken, um nicht jene hoch entwickelten Instrumente zu missbrauchen, die dazu dienen können, die Sparer zu betrügen. (S.54)

Friedhelm Hengsbach meint dazu zu Recht, dass die Probleme der Finanzmärkte „ziemlich schwach und blass“ dargestellt würden und der Papst keinerlei konkrete Anweisungen oder konkrete Orientierungen anbietet, wie diese Probleme gelöst werden könnten.

Wo bleibt eine konkrete Kritik der vorherrschenden Wirtschaftsdogmen, wo bleiben konkrete Vorschläge für eine soziale Marktwirtschaft. Es ist wie in der Politik, wo die soziale Marktwirtschaft wie eine Monstranz vorneweg getragen wird, ohne konkreter zu benennen, was das Soziale ist.

Konkret schlägt der Papst nur vor „die Erfahrung des Mikrofinanzwesens“ zu vertiefen und zu fördern. (Er denkt da wohl an die Idee des Friedensnobelpreisträgers Mohammed Yunus durch Mikrokredite, die Armut zu bekämpfen.)

Zum Shareholder Value

Eine der größten Gefahren ist sicher die, dass das Unternehmen fast ausschließlich gegenüber den Investoren verantwortlich ist und so letztendlich an Bedeutung für die Gesellschaft einbüßt. Aufgrund der wachsenden Größe und des zunehmenden Kapitalbedarfs hängen immer weniger Unternehmen von einem gleichbleibenden Unternehmer ab, der sich langfristig – und nicht nur vorübergehend – für die Tätigkeit und die Ergebnisse seines Unternehmens verantwortlich fühlt, und immer seltener hängen Unternehmen nur von einer Region ab. Außerdem kann die so genannte Auslagerung der Produktionstätigkeit das Verantwortungsbewusstsein des Unternehmers gegenüber Interessensträgern wie den Arbeitnehmern, den Zulieferern, den Konsumenten, der Umwelt und dem größeren gesellschaftlichen Umfeld zugunsten der Aktionäre verringern, die nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind und daher außerordentlich beweglich sind. Der internationale Kapitalmarkt bietet heute tatsächlich einen großen Handlungsspielraum. Zugleich wächst aber auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer weiterreichenden „sozialen Verantwortung“ des Unternehmens. (S. 32)

Nichts gegen eine Didaktik der positiven Motivation, aber angesichts des in der Finanzkrise deutlich gewordenen eklatanten (auch) moralischen Versagens der Verantwortlichen, hätte man auch eine praktische Kritik und ein moralisches Urteil erwarten dürfen. Wo sieht der Papst ein wachsendes Bewusstsein für die soziale Verantwortung der Unternehmen?
Als einzige konkrete Maßnahme schlägt der Papst „Unternehmensgruppen die Ziele mit sozialem Nutzen verfolgen“ (S. 40) vor.

Zur Rolle des Staates

Die zusammengewachsene Wirtschaft unserer Zeit eliminiert die Rolle der Staaten nicht, sie verpflichtet die Regierungen vielmehr zu einer engeren Zusammenarbeit untereinander. Gründe der Weisheit und der Klugheit raten davon ab, vorschnell das Ende des Staates auszurufen. Hinsichtlich der Lösung der derzeitigen Krise, zeichnet sich ein Wachstum seiner Rolle ab, indem er viele seiner Kompetenzen wiedererlangt.

Welche Rolle jedoch dem Staat zukommt und wie er seine wiedererlangten Kompetenzen ausüben sollte – Fehlanzeige.

Zur demographischen Entwicklung

Der Geburtenrückgang, der die Bevölkerungszahl manchmal unter den kritischen demographischen Wert sinken lässt, stürzt auch die Sozialhilfesysteme in die Krise, führt zur Erhöhung der Kosten, schränkt die Rückstellung von Ersparnissen und in der Folge die für die Investitionen nötigen finanziellen Ressourcen ein, reduziert die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und verringert das Reservoir der »Köpfe«, aus dem man für die Bedürfnisse der Nation schöpfen muss.

Daher wird es zu einer sozialen und sogar ökonomischen Notwendigkeit, den jungen Generationen wieder die Schönheit der Familie und der Ehe vor Augen zu stellen sowie die Übereinstimmung dieser Einrichtungen mit den tiefsten Bedürfnissen des Herzens und der Würde des Menschen.

In dieser Hinsicht sind die Staaten dazu aufgerufen, politische Maßnahmen zu treffen, die die zentrale Stellung und die Unversehrtheit der auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründeten Familie, der Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft, dadurch fördern, indem sie sich auch um deren wirtschaftliche und finanzielle Probleme in Achtung vor ihrem auf Beziehung beruhenden Wesen kümmern. (S. 38f.)

Auch hier folgt der Papst dem Mainstream der Demographie-Alarmisten. Er erkennt nicht, dass die demographische Entwicklung allenfalls ein nachrangiges Problem gegenüber der Arbeitslosigkeit bzw. der Beschäftigungsquote darstellt, schon gar nicht erkennt er die Rolle der Produktivität, die es erlauben würde, dass Alt und Jung von der erhöhten Wirtschaftskraft auch in Zukunft besser leben könnten.

Die Schönheit der Familie wieder vor Augen zu stellen und die Unversehrtheit der Ehe durch den Staat zu fördern, dass ist also die Antwort des Papstes auf die demographische Entwicklung.

Ein Bauchladen an Themen wird an Hand des Leitmottos durchdekliniert

In diesem ausschweifenden und alle Probleme relativierenden Stil dekliniert die Enzyklika ohne erkennbare Linie und teilweise beliebig zahllose Themen durch:

So werden etwa internationale Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen kritisiert, dass die die Zusammensetzung der Ausgaben für den tatsächlichen Inhalt ihrer Programme nicht transparent wären.

Er fordert einen größeren Zugang zur Bildung zur „umfassenden Formung der Person“. (S. 51f.)

Er wettert gegen den Sextourismus. (S. 52)

Zum Thema Migration fällt dem Papst nicht viel mehr ein, als eine enge Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Aufnahmeländern. (S.53)

Er redet den Konsumenten ins Gewissen und weist darauf hin, dass „Kaufen nicht nur ein wirtschaftlicher Akt, sondern immer auch eine moralische Handlung ist.“ Eine wirksamere Rolle der Verbraucher sei als Faktor einer wirtschaftlichen Demokratie wünschenswert. (S. 55)

Die neoklassischen Ökonomen hätten es nicht schöner sagen können. Die Kritik, dass der der Konsument gar nicht in der Lage ist, die Auswirkungen seiner Kaufakte adäquat zu bewerten, scheint im Vatikan noch nicht angekommen zu sein.

Sein Vorschlag „Einkaufskooperativen und Konsumgenossenschaften“ zu schaffen, ist angesichts der Marktmacht der Discounter bestenfalls gut gemeint.

Sinn und Zielsetzung der Medien müssten „auf anthropologischer Grundlage gesucht werden.“ (S. 60)

Auch der Umweltschutz sei Ausdruck von Liebe und Wahrheit. Der Papst folgt einem anthropozentrischen Naturbegriff und deshalb bedürfe es als Lösung eben nur einer „verantwortungsvollen Steuerung über die Natur“ (S. 43) “Der Schutz der Umwelt, der Ressourcen und des Klimas erfordert, dass alle auf internationaler Ebene Verantwortlichen gemeinsam handeln und bereit sind, in gutem Glauben, dem Gesetz entsprechend und in Solidarität mit den schwächsten Regionen unseres Planeten zu arbeiten.“ (S. 43f.)

Im nicht weit von Rom liegenden L´Aquila wurde auf dem Gipfel gerade demonstriert, wie weit wir noch von einem gemeinsamen Handeln auf internationaler Ebene entfernt sind. Warum redete der Papst den dort Versammelten nicht ins Gewissen?

Ein „tatsächlicher Gesinnungswandel“ sei notwendig. Der Umweltschutz fordere die heutige Gesellschaft dazu heraus „ernsthaft ihren Lebensstil zu überprüfen, der in vielen Teilen der Welt zum Hedonismus und Konsumismus neigt und gegenüber den daraus entstehenden Schäden gleichgültig bleibt.“ (S. 44).

Es ist der typische Appell, „wir alle haben über unsere Verhältnisse“ gelebt, den wir auch von unserem Bundespräsidenten oder von unserer Kanzlerin hören können, ohne dass Ross und Reiter genannt würden, nämlich wer in der Gesellschaft über die Verhältnisse lebt. Da beklagt der Papst einerseits zunehmende Ungleichheit und Armut in den Gesellschaften und in der Welt und fordert und mahnt zum allgemeinen Konsumverzicht.

Das „entscheidenden Problem“, um die Natur zu schützen, sei das „moralische Verhalten der Gesellschaft“. Um dann ganz unvermittelt auf seine Lieblingsthemen – die Abtreibung und die Sterbehilfe – zu kommen:

Wenn das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Menschen auf künstlichem Weg erfolgen, wenn Embryonen für die Forschung geopfert werden, verschwindet schließlich der Begriff Humanökologie und mit ihm der Begriff der Umweltökologie aus dem allgemeinen Bewusstsein. (S. 44f.)

Humanökologie betrifft die Beziehungen zwischen Menschen und ihrer natürlichen Umwelt, was darüber hinaus „Umweltökologie“ bedeuten soll, mag verstehen wer will. Es ist die alte die alte suggestive Argumentation der Kirche, wer abtreibt, hat sein moralisches Recht verspielt, wenn er sich für den Erhalt der Umwelt einsetzt. Umweltschutz beginnt mit dem Verzicht auf Empfängnisverhütung.

In der Friedenspolitik würdigt der Papst die Diplomatie und die Vertragspolitik „um kriegerische Bedrohungen einzudämmen und die regelmäßig wiederkehrenden terroristischen Versuchungen an der Wurzel freizulegen.“ „Damit diese Bemühungen dauerhafte Wirkungen hervorbringen können, müssen sie sich allerdings auf Werte stützen können, die in der Wahrheit des Lebens verwurzelt sind.“ (S. 59)

Zur Wahrheit des irdischen Lebens gehören leider auch geostrategische Interessen und der Kampf um Ressourcen und eben nicht nur der Terrorismus. Zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan sagt der Papst kein Sterbenswörtchen und auch zum Verhältnis von Israel und den Palestinensern schweigt sich der Papst aus geschweige denn, dass er auf das Verhältnis von katholischer Kirche und Judentum eingeht.

Völlig einseitig und undifferenziert macht der Papst den „Terrorismus mit fundamentalistischem Hintergrund“ für Leid, Verwüstung und Tod und dafür verantwortlich, dass der Dialog zwischen den Nationen blockiert werde. (S. 22)

Abtreibung und Sexualmoral scheinen wichtiger als andere Probleme der Welt

Am meisten erregt sich der Papst über die „verbreitete tragische Plage der Abtreibung“ (S. 61) und über eine auf „lediglich hedonistische und spielerische Handlung“ reduzierte Sexualität (S. 38). Er sieht in der „Entwicklung und Förderung von In-vitro-Fertilisation, Embryonenforschung, Möglichkeiten des Klonens und der Hybridisierung des Menschen“ einen “Absolutheitsanspruch der Technik“ (S.61)

Aus der Art und Weise, wie sich der Papst in Fragen der Sexualität und der Abtreibung ereifert, könnte man den Eindruck gewinnen, das dieses Thema für den Papst bedrängender ist, als die meisten anderen Probleme dieser Welt.

Die Forderung nach einer Weltautorität

Angesichts der unaufhaltsamen Zunahme weltweiter gegenseitiger Abhängigkeit und der weltweit anzutreffenden Rezession ist es für den Papst nicht mehr ausreichend die Organisation der Vereinten Nationen oder die internationale Wirtschafts- und Finanzgestaltung zu reformieren, er fordert eine „echte politische Weltautorität“:

Um die Weltwirtschaft zu steuern, die von der Krise betroffenen Wirtschaften zu sanieren, einer Verschlimmerung der Krise und sich daraus ergebenden Ungleichgewichten vorzubeugen, um eine geeignete vollständige Abrüstung zu verwirklichen, die Sicherheit und den Frieden zu nähren, den Umweltschutz zu gewährleisten und die Migrationsströme zu regulieren, ist das Vorhandensein einer echten politischen Weltautorität, wie sie schon von meinem Vorgänger, dem seligen Papst Johannes XXIII., angesprochen wurde, dringend nötig. Eine solche Autorität muss sich dem Recht unterordnen, sich auf konsequente Weise an die Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität halten, auf die Verwirklichung des Gemeinwohls hingeordnet sein, sich für die Verwirklichung einer echten ganzheitlichen menschlichen Entwicklung einsetzen, die sich von den Werten der Liebe in der Wahrheit inspirieren lässt. Darüber hinaus muss diese Autorität von allen anerkannt sein, über wirksame Macht verfügen, um für jeden Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten. Offensichtlich muss sie die Befugnis besitzen, gegenüber den Parteien den eigenen Entscheidungen wie auch den in den verschiedenen internationalen Foren getroffenen abgestimmten Maßnahmen Beachtung zu verschaffen. (S. 56)

Angesichts des Schadens, den das Völkerrecht, die internationalen Organisationen und vor allem die Vereinten Nationen (UN) in den letzten Jahren genommen haben, nicht zuletzt durch die Bush-Regierung, die die Autorität der UN und des Völkerrechts systematisch untergraben hat, möchte man bei diesem Vorschlag noch wohlwollend von einer Utopie des Papstes sprechen. Da er aber keinerlei Hinweise auf die (demokratischen) Konstitutionsvoraussetzungen einer solchen „Weltautorität“ gibt, sondern nur von einer Autorität spricht, die sich von den „Werten der Liebe in der Wahrheit“ inspirieren lassen soll, die der Papst mit seiner Enzyklika vorgibt, muss diese Idee eher Sorge auslösen.

Die Sorge nämlich, dass hier ähnlich der hierarchischen Struktur der katholischen Kirche, an eine absolute weltliche Autorität gedacht wird, die das, was die kirchliche Autorität als Werte vorgibt (Liebe in der Wahrheit), in einem weltweiten Imperium bedingungslos durchzusetzen vermag.

Papst Benedikt XVI. schwebt dabei nicht die Vision der „Einen Weltdemokratie“ (Christoph Zöpel) vor, sondern er hat sich offenbar vom Weltbild des Hochmittelalters noch nicht gelöst, wo die absoluten Herrschaftsansprüche der Kaiser von der Kirche abgeleitet und die Herrschaft selbst vom Papst legitimiert werden mussten.

Es ist die Idee einer „politischen Weltautorität“, die das zutiefst rückwärtsgewandte und konservative Weltbild der katholischen Kirche widerspiegelt, das Benedikt XVI. verkörpert.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!