In Vorbereitung auf den NATO-Gipfel in Vilnius verstärkt die NATO ihre Öffentlichkeitsarbeit mit ihren Behauptungen zum Ukraine-Krieg: Demzufolge ist allein Russland der Täter und die NATO die Friedensmacht, die nun zu weiterer Hoch- und Atomrüstung sowie zu weiteren Verletzungen der Verträge über eine europäische Friedensordnung in gemeinsamer Sicherheit gezwungen ist. Mit „strategischer Kommunikation“ wird NATO-Meinung gemacht. Von Bernhard Trautvetter.
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Das Klima muss warten. Der Militärbereich ist der einzige, der in Deutschland und in den USA massiv ausgebaut wird. Das Klima, die Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik sowie die Infrastruktur bleiben dahinter immer weiter zurück.
Die NATO müsse und werde die Ukraine weiter unterstützen. Vom Gipfel in Vilnius erwarte er ein klares Signal in diese Richtung. Der ehemalige NATO-General Kujat kritisiert diese „Unterstützung“ als blutig und verlustreich, als konzeptionslos und auf kein Ziel zur Lösung des Konflikts gerichtet:
„Richtig ist…, dass die Ukraine seit Kriegsbeginn einen hohen Blutzoll zahlt und die sogenannte Großoffensive – der normale Begriff „Offensive“ reicht nicht aus – weitere erhebliche Verluste fordern wird. (…) Das Problem besteht darin, dass eine ganzheitliche Strategie des Westens zur Beendigung des Krieges bisher nicht erkennbar ist. Die westliche Politik besteht lediglich aus der finanziellen, materiellen und militärischen Unterstützung der Ukraine, damit diese den Krieg fortsetzen kann. Es geht nicht um das Ganze, um eine Gesamtstrategie, in der alle relevanten Aspekte im Sinne einer politischen Synergie zusammenwirken.“
Kujat fordert die Beachtung auch der politischen Ebene:
„Das heißt, dass neben der Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung immer auch bedacht wird, dass der Krieg politische Ursachen hat und zu einem politischen Ergebnis führen wird. Eine politische Lösung, die der Ukraine Sicherheit und Stabilität in einer europäischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur gewährleistet und einen weiteren Krieg verhindert, kann nur durch Verhandlungen mit Russland erzielt werden. (…) Als der französische Präsident Macron im Dezember Sicherheitsgarantien für Russland forderte, wurde er in Deutschland heftig kritisiert. Offenbar bezog er sich auf ein Kernproblem dieses Krieges, auf seine Ursachen, nämlich auf Russlands Verlangen, dass die Ukraine weder Mitglied der NATO wird noch amerikanische oder NATO-Truppen in der Ukraine stationiert werden. Außerdem müssten der russischsprachigen Bevölkerung des Donbass Minderheitenrechte zugestanden werden, wie es im Minsk-II-Abkommen vereinbart war. Merkel, Hollande und Poroschenko hatten öffentlich bestätigt, dass sie wie Selenskyj nicht die Absicht hatten, das Abkommen zu realisieren, sondern Zeit für die Aufrüstung der Ukraine gewinnen wollten.“
Die NATO stellt demgegenüber den Krieg als imperialistischen Raubkrieg dar, wie es auch Kanzler Olaf Scholz tat, aus dem sich zweierlei ergäbe: die Notwendigkeit, den David Ukraine gegen den als rein aggressiv und machthungrig dargestellten NATO-Gegner Russland zu unterstützen und die Militärausgaben der NATO-Staaten, die derzeit mehr als die Hälfte der Weltrüstungsausgaben betragen, in immer weitere Rekordhöhen zu treiben.
Der Widerstand gegen diese als ‚Sicherheitsstrategie‘ getaufte Politik der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Zivilisation wird durch die Propaganda zurückgedrängt. Das „Strategische Konzept“ der Nato von 2022 gibt dafür diese Stichworte vor:
„…der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat den Frieden zerrüttet und unser Sicherheitsumfeld massiv geändert. Seine brutale und rechtswidrige Invasion, die wiederholten Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und abscheuliche Angriffe und Gräueltaten haben unsägliches Leid und Zerstörung verursacht. Eine starke, unabhängige Ukraine ist für die Stabilität des euro-atlantischen Raums unverzichtbar. Das Verhalten Moskaus spiegelt ein Muster aggressiver Handlungen Russlands gegen seine Nachbarn und die transatlantische Gemeinschaft.“ (Übersetzung: B.T.)
Russland verhält sich demzufolge aggressiv gegen seine Nachbarstaaten und auch gegen die NATO, die deshalb – Klima hin oder her – prioritär aufzurüsten hat, auch wenn dadurch die Sicherheit der Lebensgrundlagen weiter zerstört wird.
Die ein Jahr nach dem NATO-Dokument kürzlich veröffentlichte sogenannte „Nationale Sicherheitsstrategie“ der Bundesregierung begründet Olaf Scholz in seinem Vorwort entsprechend:
„Denn Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt die europäische Sicherheitsordnung fundamental in Frage. Zugleich verändert sich die globale Ordnung: Neue Machtzentren entstehen, die Welt des 21. Jahrhunderts ist multipolar. Der menschengemachte Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlagen, und er hat auch Folgen für die Stabilität ganzer Länder und Regionen. Auf solche strategischen Veränderungen stellen wir uns ein. Die Zeitenwende, die Russlands Angriffskrieg bedeutet, nehmen wir zum Anlass, um unsere Bundeswehr endlich angemessen auszurüsten.“
So wird die Öffentlichkeit mit der NATO-Desinformation über die Weltlage und mit dem Schwarz-Weiß-Bild von der Gefahr aus dem Osten, gegen die sich der Weltsheriff NATO stellt, manipuliert.
Das geht so weit, dass die Propaganda die Situation nutzt, um auch völkerrechtswidrige Gewaltakte der NATO in den letzten Jahrzehnten weißzuwaschen: Der ohne UNO-Mandat ausgeführte Jugoslawienkrieg wird so zur hilfreichen Mission der Ordnungsmacht umtituliert, und das geht so:
„Aus dem Bündnis, das vorrangig der Verteidigung diente, wurde in den 1990ern eine global eingreifende Ordnungsmacht. Ihren ersten Kampfeinsatz leistete die NATO … im Jahr 1995 … Bei der Operation kam es zum ersten Kampfeinsatz der deutschen Luftwaffe seit dem Zweiten Weltkrieg. 14 deutsche Tornado-Kampfflugzeuge flogen von Piacenza aus 65 Einsätze. Nach dem Abzug der schweren Waffen durch die Serben und einer Garantie für die verbliebenen Schutzzonen wurde die Luftoperation am 21. September 1995 beendet. …
Im August 2003 übernahm die NATO durch ein Mandat der Vereinten Nationen in Afghanistan das Kommando über internationale Friedenstruppen und läutete damit den ersten Einsatz des Bündnisses außerhalb Europas ein. Der Einsatz der International Security Assistance Force (ISAF) war ein sogenannter friedenserzwingender Einsatz …
Im Rahmen ihrer Mission im Irak trainiert und unterstützt die NATO die irakischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Am 9. Dezember 2021 trafen sich der irakische Sicherheitsberater Qassem al-Araji und der NATO-Befehlshaber Michael Lollesgaard in der ‚Grünen Zone‘ der Hauptstadt Bagdad. Die USA-geführte Koalition beendete damals ihren Kampfeinsatz und verlegte sich auf eine Ausbildungs- und Beratungsrolle.“
Die internationale Informationspolitik der NATO wird gesteuert vom NATO-Centre of Excellence „StratCom“ in Riga, das dazu vor wenigen Wochen eine Konferenz abhielt. Eins der Grundlagendokumente dieser Tagung führt aus:
„Strategische Kommunikation ist von großer Bedeutung und wird definiert als die Anwendung von Worten, Handlungen, Bildern oder Symbolen zur Beeinflussung der Einstellungen und Meinungen von Zielgruppen, um deren Verhalten zu beeinflussen und so Interessen oder politische Maßnahmen voranzutreiben oder Ziele zu erreichen.“
Genau das geschieht, um die psychologische Absicherung der NATO-Strategie in den Mitgliedsstaaten erfolgreich zu inszenieren.
Titelbild: Darryl Fonseka/shutterstock.com