Am Freitag sollen neue Verfassungsrichter gewählt werden. Mit ihren Standpunkten zu AfD-Verbot, Impfpflicht oder Abtreibung polarisiert unter den Kandidaten etwa die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. Manchen der „rechten“ Argumente gegen die designierte Verfassungsrichterin kann ich nicht folgen. Trotzdem erscheint sie auf einigen Gebieten wie eine besonders eifrige Vertreterin einer „radikalisierten Mitte“ – sie ist darum nicht geeignet für das Amt als Hüterin über die Verfassung. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Im Bundestag sollen am Freitag drei neue Verfassungsrichter gewählt werden, wie Medien berichten. Für zwei von ihnen hat die SPD das Vorschlagsrecht, für einen die Union. CDU/CSU wollen den Richter am Bundesarbeitsgericht Günter Spinner vorschlagen, die SPD möchte die Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold ins Rennen schicken.
Vor allem an der Nominierung von Brosius-Gersdorf gibt es von verschiedenen Seiten Kritik – unter anderem ihre Positionen zu Abtreibung, AfD und Impfpflicht hatten das Zeug, in den letzten Tagen einen regelrechten Kulturkampf um die Juristin zu entfachen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hat nun die Unionsfraktion aber aufgefordert, trotz Vorbehalten die von der SPD vorgeschlagene Brosius-Gersdorf zu unterstützen.
„… ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht“
In der Unionsfraktion gab es gegenüber Brosius-Gersdorf vor allem Vorbehalte wegen ihrer liberalen Haltung zur Reform des Abtreibungsrechts und weil sich die Juristin gegen die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zum Tragen des muslimischen Kopftuches im Staatsdienst gestellt habe, wie Medien schreiben. Weitere Infos zu dem Vorgang der Richterwahl und zu den Positionen von Brosius-Gersdorf finden sich etwa in der FAZ – sollte sie gewählt werden, würde sie voraussichtlich Vorsitzende des Zweiten Senats werden und ab 2030 Gerichtspräsidentin, als Nachfolgerin von Stephan Harbarth, wie die Morgenpost berichtet.
Während die Themen Abtreibung und Kopftuch vor allem rechte Zeitgenossen verstärkt umtreiben, wirkt unter anderem ein weiteres Thema über diese politischen Lager hinaus: So hat Brosius-Gersdorf während der Zeit der unangemessenen Corona-Politik in einem Papier argumentiert, dass eine allgemeine Impfpflicht nicht gegen das Grundgesetz verstoßen würde. „Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht“, hieß es in dem Papier laut Medienberichten weiter.
Debatte um AfD-Verbot
Für weitere Diskussionen sorgt momentan eine Aussage der Professorin in einer älteren Ausgabe der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Dort hatte sie zu einem möglichen AfD-Verbot gesagt: Ein Verbotsverfahren sei ein „ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“. Zu bedenken gab sie, „dass damit nicht die Anhängerschaft beseitigt“ werden könne. Dieser letzte Satz wird ihr nun teils wütend so ausgelegt, als wolle sie die Anhänger der AfD einfach „beseitigen“. Ich verstehe den Satz anders, nämlich in dem (zutreffenden) Sinn, dass ein Verbot nicht die Ideologie beseitigen kann und darum als alleiniges Mittel im „Kampf gegen Rechts“ nicht ausreicht, also dass hier (neben oder besser: statt eines Verbots) vor allem eine andere Politik gefragt wäre.
Trotzdem ist die gesamte Aussage von Brosius-Gersdorf zur AfD meiner Meinung nach falsch und widersprüchlich: Ein AfD-Verbot wäre in meinen Augen drastisch und politisch kontraproduktiv – es würde außerdem das Signal senden, dass die „Altparteien“ lieber zum extremen Mittel des Parteienverbots greifen, als dass sie sich endlich politisch den Interessen der Bürger zuwenden.
Dass man die von der „etablierten“ Politik aus teils guten Gründen enttäuschten AfD-Anhänger nicht mit einem Verbot ihrer Partei „zurückgewinnt“, das sagt Brosius-Gersdorf ja sogar indirekt selbst. Wieso sie dann gleichzeitig für das Verbot eintritt, bleibt ein Rätsel. Die sich selber „Parteien der Mitte“ nennenden Politiker haben durch ihre Politik die AfD groß gemacht – und das absolut voraussehbar. Der von dieser Seite ausgerufene „Kampf gegen Rechts“ ist in seiner realen Form absurd und kontraproduktiv: Er macht die Rechten erst stark. Gleichzeitig sind manche „Linksliberale“ alles andere als „links“. Mehr zur AfD-Verbotsdebatte findet sich auf den NachDenkSeiten unter anderem in diesem Artikel oder in diesem Artikel.
Radikalisierte Mitte
Trotz der starken Vorbehalte von rechts und aus anderen Richtungen hat die Juristin nun aber gute Chancen, Verfassungsrichterin zu werden: CSU-Landesgruppenchef Hoffmann fürchtet, dass bei einer Ablehnung von Brosius-Gersdorf auch der Unionskandidat scheitern würde. „Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind so, dass wir unseren Wunschkandidaten nur im Paket mit weiteren Personalentscheidungen durchsetzen können.“ Hoffmann betonte: Gerade „in Zeiten, in denen im Bundestag die radikalen Ränder stark sind wie nie“, brauche es bei der Besetzung freier Richterstellen in Karlsruhe „ein geschlossenes Votum der Parteien der Mitte“.
„Parteien der Mitte“ – das hört sich immer so ausgleichend an. Inzwischen hat sich aber eben diese „Mitte“ zum Teil radikalisiert. Brosius-Gersdorf scheint sich in diesem Teil der „Mitte“ besonders wohl zu fühlen, das deuten zumindest ihre einerseits angepassten und andererseits radikalen Positionen zu Impfpflicht und AfD-Verbot an. Mit der Kritik an Brosius-Gersdorf sollen die anderen aktuellen Richter-Kandidaten übrigens nicht entlastet oder als „besser“ dargestellt werden – sie sind aber hier nicht Thema.
Bezüglich Brosius-Gersdorf teile ich wie gesagt einige Argumente der Rechten nicht – ich sehe die Juristin aber trotzdem als ungeeignete Kandidatin für das Amt als Hüterin über die Verfassung.
Titelbild: Screenshot/ZDF