Können wir noch optimistisch sein?

Können wir noch optimistisch sein?

Können wir noch optimistisch sein?

Udo Brandes
Ein Artikel von Udo Brandes

„Und wüsst’ ich, dass die Welt morgen untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“ – ein Zitat, das Luther zugeschrieben und gern zitiert wird, aller Wahrscheinlichkeit nach aber nicht von Luther stammt. Aber macht die darin formulierte Haltung Sinn? Sollten wir trotz aller negativen Entwicklungen in der ganzen Welt zuversichtlich in die Zukunft schauen? Das ist das Thema des Buches „Die postoptimistische Gesellschaft“ von Jörg Phil Friedrich. Unser Autor Udo Brandes hat es für die NachDenkSeiten gelesen und stellt es vor.

Sollte man heute noch lange Flugreisen machen? Oder ist das angesichts des Klimawandels moralisch verwerflich? Ist das Fahren eines großen SUV-Autos moralisch akzeptabel? Das sind Fragen, die sich der Privatjetflieger Friedrich Merz und der Porsche-Liebhaber Christian Lindner vermutlich gar nicht erst stellen. Aber es sind durchaus relevante Fragen, wenn man politisch ernsthaft versuchen will, der Menschheit auch weiterhin ein Leben auf der Erde zu ermöglichen. Und damit ist man dann auch sogleich beim Thema Freiheit: Wie weit müssen wir individuelle Freiheitsrechte einschränken, damit die Erde für die Menschen bewohnbar und uns eine diverse Tier- und Pflanzenwelt erhalten bleibt?

Friedrich analysiert dieses Problem mit einem fiktiven Beispiel, der leidenschaftlichen Cabriofahrerin Alice, die es liebt, mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn zu rasen (was FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner in einem Fernsehinterview ebenfalls als seine Leidenschaft outete). Nun wird sie sich aber durch die Debatten über den Klimawandel bewusst, dass ihre Leidenschaft schädlich ist für das Klima, und das setzt einen Bewusstseinswandel in Gang:

„Allmählich kommt ihr der Gedanke, dass ihre ganze Vorstellung von Freiheit beim Autofahren eigentlich nicht von ihr selbst kam, sondern Produkt der Filmindustrie und der geschickten Werbung der Autoindustrie ist. Das kann Alice so hinnehmen, aber das Autofahren fühlt sich jetzt anders an, ein Stück des großen Freiheitsgefühls ist abhandengekommen.“ (S. 169)

Friedrich zieht daraus folgende Schlussfolgerung:

„Am Ende eines solchen Prozesses kann die Einsicht stehen, dass das, was man für Freiheit hielt, in Wirklichkeit nur die Illusion von Freiheit war, und das kann, in größerem oder geringerem Ausmaß, das Freiheitserlebnis im Nachhinein entwerten.“ (S. 169 – 170)

Es gibt keine falschen oder richtigen Bedürfnisse

Mit anderen Worten: Friedrich geht von „falschen Bedürfnissen“ in Bezug auf Freiheit aus. In dieser Argumentation steckt ein Denkfehler, den viele Philosophen machen. Denn: So wie es keinen objektiv „guten“ oder „schlechten“ Geschmack gibt, sondern nur den gesellschaftlich geprägten Geschmack eines Milieus oder einer Klasse (siehe dazu „Die feinen Unterschiede“ von Pierre Bourdieu), so gibt es auch keine objektiv „richtigen“ oder „falschen“ Freiheitsbedürfnisse. Bedürfnisse sind immer auch gesellschaftlich geprägt. Man kann also nur darüber streiten, ob zum Beispiel das Freiheitsbedürfnis von Friedrich Merz vernünftig ist, der bekanntlich gern mit einem Privatjet reist. Mit anderen Worten: Es gibt keine richtigen oder falschen Freiheitsbedürfnisse.

Die „richtigen“ Freiheitsbedürfnisse oder die Freiheitsansprüche, die legitim sind, müssen gesellschaftlich ausgehandelt werden. Das unausgesprochene Menschenbild hinter der Argumentation von Friedrich ist, dass es „echte“ oder „wahre“ menschliche Bedürfnisse gibt, die der menschlichen Natur entsprechen – und die wir entdecken würden, wenn wir unser „wahres“ oder „natürliches“ Ich lebten. Es gibt aber kein vorgesellschaftliches Ich. Die Persönlichkeit eines Menschen ist immer auch gefüllt mit gesellschaftlich produzierten Denkweisen, Anschauungen und Emotionen. Wenn heute zum Beispiel ein Mensch meint, er habe ein Problem, weil er dick ist, so wäre ein Mensch vor hundert Jahren eher nicht auf diese Idee gekommen, weil es in seiner zeitgenössischen Gesellschaft keine oder nur eine geringe Rolle spielte.

Richten sich die Medien an den Bedürfnissen des Publikums aus?

Es gibt noch einige andere Aussagen in dem Buch, die man als geradezu naiv einstufen muss. So schreibt Friedrich allen Ernstes in Zusammenhang mit den Gefahren einer Expertokratie durch Wissenschaftler in der Coronapolitik, dass die Medienvielfalt zumindest in Ansätzen und im Prinzip gewährleiste, dass unterschiedliche Thesen (Hervorhebungen von mir; UB) und Überzeugungen die Stimmungen in der Bevölkerung und in den politischen Parteien auf allen Ebenen prägen konnten.

Und man fragt sich, wo lebt der Autor, wenn er Folgendes schreibt:

„Der möglichen Rolle einer vierten (…) Gewalt, die Politik und Wissenschaft kritisch begleitet, werden die Medien in diesem Moment (gemeint sind Krisen; UB) nicht gerecht, weil sich ihre Bedürfnisse immer auch nach den Bedürfnissen ihres Publikums ausrichten. (Anmerkung UB: Da können wir Mediennutzer uns ja glücklich schätzen, dass die Medien so aufrichtig an unseren Bedürfnissen interessiert sind.) Wenn das Publikum Eindeutigkeit und Vertrauen zu den Vertretern der Wissenschaft möchte, versuchen die Medien selbstverständlich, solche Personen zu finden und das entsprechende Image zu unterstützen. In der Krise, das konnte man gerade in der Pandemie beobachten, haben weder Publikum noch Medien großes Interesse an der kritischen Begleitung des Expertendissenses, sondern vielmehr an der Vermittlung eindeutiger Erkenntnisse und Handlungsanweisungen. Dies gelingt dadurch, dass die Vertreter eines Konsensnetzwerkes aus relevanten Forschungsfeldern, die sich gegenseitig in ihren Thesen bestätigen, als Stimmen der Wissenschaft präsentiert werden, während diejenigen, die außerhalb dieses Konsenses stehen, als Außenseiter und Fachfremde dargestellt werden.“ (S. 108 – 109)

Als ich das las, dachte ich spontan: Wie wäre es schlicht mit dem Versuch der Wahrheitsfindung durch demokratischen politischen bzw. wissenschaftlichen Streit? Die Wahrheitsfindung, so dachte ich wenigstens, ist doch das Ziel von Philosophen. Und Jörg Phil Friedrich ist ein Philosoph. Aber so eine Aussage ist für einen Philosophen mit wissenschaftlichem Anspruch eine, milde ausgedrückt, ausgesprochen seltsame Einschätzung.

Wie schaut Friedrich in die Zukunft?

Friedrich sieht keinen Grund dazu zu glauben, dass die Probleme der Menschheit sich mit Wissenschaft und Technik lösen und beherrschen lassen. Dies ist aus seiner Sicht ein unangebrachter Fortschrittsglaube. Darin stimme ich ihm zu. Um ein Beispiel zu nennen: Das Ersetzen von Verbrennungsmotoren durch Elektroantrieb wird die ökologischen Probleme nicht lösen, sondern bringt neue Probleme mit sich. Erstens werden dadurch weiterhin große Mengen von endlichen Ressourcen verbraucht (zum Beispiel die seltenen Erden), zweitens führt der Abbau von seltenen Erden zu großen Umweltschäden. Eine nachhaltige ökologische Lösung wäre der massive Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der weitgehende Verzicht auf individuellen Autoverkehr bzw. dessen Begrenzung auf Lieferfahrzeuge, Krankenwagen, Taxis usw. Trotzdem sieht Friedrich Grund zur Zuversicht:

„Im Gegensatz zum Optimismus, der darauf setzt, das Scheitern verhindern und den Erfolg dauerhaft sichern zu können, findet die Zuversicht auf gewisse Weise ihre Stärke im Scheitern und bleibt misstrauisch gegenüber dem Erfolg. Scheitern und Irrtum gehören zum menschlichen Umgang mit der Wirklichkeit dazu. Jedes Scheitern ist eine Erkenntnis, eine Einsicht in die Wirklichkeit, die Erfolge möglich macht. Dabei weiß der zuversichtliche Mensch auch, dass kein Erfolg, kein Gelingen von Dauer ist, dass es Ursache eines neuen Scheiterns sein wird und dieses wiederum Chancen auf neues Gelingen eröffnet.“ (S. 195 – 196)

Resümee

Mir hat dieses Buch aus verschiedenen Gründen kein Lesevergnügen bereitet. Das beginnt schon mit der Ausgangsthese, dass wir früher eine optimistische Gesellschaft gewesen seien, aber heute nicht mehr. Der Autor selbst sagt sogar, dass wir genau genommen schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine optimistische Gesellschaft mehr gewesen seien, relativiert dies aber sogleich und schreibt, dass es durchaus Grund zum Optimismus gegeben habe, mit wissenschaftlich-technischen Mitteln die Probleme lösen zu können. Als Beispiel nennt er das Verbot von FCKW-Treibhausgasen zum Schutz der Ozonschicht und kommt zu dem Ergebnis:

„All diese Erfahrungen gaben Grund für einen optimistischen Blick in die Zukunft, der mehr als bloße Illusion oder Selbsttäuschung war.“ (S. 13)

Mir fallen in diesem Zusammenhang der Bericht des Club of Rome, das Waldsterben, Tschernobyl, die auch damals schon existierende Wachstumskritik wegen des enormen Ressourcenverbrauchs, die Kriegsängste oder die Massenarbeitslosigkeit ein. Insofern scheint mir dieser Gegensatz zwischen einer früher optimistischen und heute pessimistischen Gesellschaft ein bisschen künstlich konstruiert zu sein. Hinzu kommt, dass der gesellschaftliche Standort eines Menschen da eine große Rolle spielt. Die heute größten Pessimisten, die Klimaaktivisten, sind überwiegend die Söhne und Töchter der wohlhabenden Bourgeoisie. Menschen aus den unteren Einkommensschichten interessieren sich oft gar nicht so sehr für den Klimawandel, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes andere Sorgen haben, nämlich wirtschaftlich zu überleben.

Dann störte mich einiges, was den Stil angeht: Der Autor schreibt häufig in der Wir-Form, was bei mir den Manipulationsverdacht erregt. Es klingt nämlich völlig anders, wenn man sagt, „Ich vertrete die Auffassung, dass…“, oder schreibt, „Wir werden auf diese Weise erkennen, warum es Grund zur Hoffnung gibt“. (S. 18) Dieser Wir-Stil wurde stets von Sigmund Freud benutzt und ist wunderbar geeignet, dem Leser Thesen unterzuschieben, ohne dass dieser bemerkt, dass es nur eine These und keine Tatsache bzw. kein Beweis ist. Freud schrieb zum Beispiel gerne, „Wir haben nun bewiesen, dass…“, obwohl er nur etwas behauptet oder eine Sachlage interpretiert hatte.

Ein weiterer Punkt: Friedrich gendert und benutzt Ausdrücke wie „die Forschenden“. Es hält sich bei ihm allerdings noch in Grenzen mit dem Gendern und ist einigermaßen erträglich, aber mich persönlich stört es. Es ist mir ein Rätsel, wieso ein Autor seine eigenen Texte bewusst durch schlechtes Deutsch in der Qualität herabsetzt. Wie gesagt: In diesem Fall ist es noch gerade erträglich. Aber es gibt inzwischen viele Sachbücher, die im Grunde nicht mehr lesbar sind aufgrund des Genderns. Deshalb halte ich es für wichtig, bei jeder Gelegenheit auf diese leserfeindliche Haltung der Verlage hinzuweisen, weil die sich scheinbar nicht im Geringsten für die Bedürfnisse ihrer Kunden interessieren.

Daneben fand ich den Text sehr detailliert, behäbig und langatmig. Und last but not least finde ich einige Aussagen inhaltlich fragwürdig. Er schreibt zum Beispiel durchaus Interessantes über Verschwörungstheorien, nämlich dass deren methodische Grundannahmen (nichts ist Zufall, alles hat einen Grund) mit denen der modernen Wissenschaft übereinstimmen. Aber einen Gedanken habe ich in diesem Zusammenhang vermisst: nämlich, dass der aktuell inflationär gebrauchte Begriff „Verschwörungstheorie“ bzw. „Verschwörungstheoretiker“ ein politischer Kampfbegriff des Establishments ist, um unliebsame politische Meinungen zu isolieren und zu unterdrücken – was im Endeffekt eine Bedrohung für die Demokratie ist (siehe dazu auf den NachDenkSeiten „Keine Argumente, nur Kampfbegriffe“).

Mein Urteil kurz auf den Punkt gebracht: Mich hat dieses Buch nicht vom Hocker gehauen. Ich fand die Lektüre eher mühsam. Für meinen Geschmack fehlt es dem Buch an Klarheit und Prägnanz in den Aussagen, und es ist langatmig und umständlich geschrieben, was es mir auch sehr schwer machte, das Buch inhaltlich zu erfassen.

Jörg Phil Friedrich: Die postoptimistische Gesellschaft. Warum es keinen Grund für Optimismus gibt – und was dennoch Hoffnung macht auf ein gutes Leben, Herder Verlag 2023, 208 Seiten, 21 Euro.