Lehrstunde in Kriegspropaganda: Baerbock und Klitschko in Chemnitz

Lehrstunde in Kriegspropaganda: Baerbock und Klitschko in Chemnitz

Lehrstunde in Kriegspropaganda: Baerbock und Klitschko in Chemnitz

Ein Artikel von Tilo Gräser

Zu einer Werbeveranstaltung für die deutsche Kriegspolitik wurde ein Leserforum der sächsischen Zeitung Freie Presse am Freitag in Chemnitz. Thema war der Krieg in und um die Ukraine. Dabei griffen Außenministerin Annalena Baerbock und Ex-Boxer Wladimir Klitschko tief in die Kiste der Kriegspropaganda. Sie bekamen viel Zustimmung vom ausgewählten Publikum und kaum Widerspruch. Der war auf der Straße zu erleben – und im Taxi. Ein Bericht von Tilo Gräser.

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Darf ein deutsches Regierungsmitglied in aller Öffentlichkeit ungestraft Kriegspropaganda, Hass und Hetze verbreiten? Anscheinend ja, wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag in Chemnitz bewies. Sie betrieb bei einem Leserforum der Zeitung Freie Presse mit Lügen, Verdrehungen und Falschbehauptungen nichts anderes als Hass, üble Hetze und Kriegspropaganda. Dabei assistierte ihr der Ex-Boxer und heutige Geschäftsmann Wladimir Klitschko. Und beide bekamen viel Beifall von den etwa 300 Menschen, die ihnen im Veranstaltungszentrum „Kraftverkehr“ zuhörten. Nur wenige vorsichtig-kritische Fragen waren zu hören.

Baerbock wie auch Klitschko nutzten fast das ganze Potenzial der Kriegspropaganda, wie sie die belgische Historikerin Anne Morelli 2004 in dem Buch „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ zusammengefasst hat. Morelli stützte sich auf das, was der britische Politiker und Friedensaktivist Lord Arthur Ponsonby in seinem 1928 veröffentlichten Buch „Falsehood in Wartime“ („Lüge in Kriegszeiten“) beschrieb. Die Historikerin hat diese von Ponsonby beschriebenen Prinzipien in zehn Punkten zusammengefasst:

  1. Wir wollen keinen Krieg.
  2. Das feindliche Lager trägt die alleinige Schuld am Krieg.
  3. Der Feind hat dämonische Züge.
  4. Wir kämpfen für eine gute Sache und nicht für eigennützige Ziele.
  5. Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten. Wenn uns Fehler unterlaufen, dann nur versehentlich.
  6. Der Feind verwendet unerlaubte Waffen.
  7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners aber enorm.
  8. Unsere Sache wird von Künstlern und Intellektuellen unterstützt.
  9. Unsere Mission ist heilig.
  10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.

Emotion statt Analyse

Die Veranstaltung zum Thema „Der Krieg und wir“ war zugleich eine Lehrvorführung dafür, wie Außenpolitik und Diplomatie selbst in Krisen und Kriegszeiten nicht sein sollten: von Emotionen bestimmt und Fakten ignorierend. Dafür lieferte Baerbock zahlreiche Beispiele an dem Abend in Sachsen. Sie erklärte gleich zu Beginn, dass niemand hierzulande, „in meinem Amt“ und auf der Welt emotionslos auf den Krieg in und um die Ukraine schaue. Und ebenfalls gleich zu Anfang stellte sie ihre Sicht klar, statt der Suche nach einer schnellen Friedenslösung des Konfliktes helfe nur die militärische Unterstützung Kiews.

Die am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten russischen Truppen hätten die Hauptstadt Kiew einnehmen wollen und dafür schon ihre Paradeuniformen in den Panzern mitgeführt, erzählte Baerbock. Dies reiht sich in die faktenwidrigen Behauptungen der westlichen Politik und Medien ein, die Eroberung Kiews sei eines der Kriegsziele Russlands. Dem widersprach unter anderem der Schweizer Militärexperte Jacques Baud jüngst in einem Interview: „In Wirklichkeit zeigte eine intelligente und ehrliche Analyse bereits im März 2022, dass die Russen dies nie auch nur versucht und nie genügend Truppen dafür eingesetzt hatten.“

Aber von sowas lässt sich die deutsche Außenministerin nicht beeindrucken. Und so legte sie in Chemnitz noch eins drauf und behauptete nicht nur einmal, Russlands Präsident habe „überhaupt gar keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Ukraine vernichten möchte und die europäische Friedensordnung, die Charta der Vereinten Nationen zerstören möchte“. Dafür brachte sie keine Belege und Beweise und ignorierte, dass sich Russland in den letzten Jahren wie kaum ein anderes Land für die UN-Charta eingesetzt hat. Die zahlreichen Vorschläge aus Moskau für eine gemeinsame Friedensordnung in Europa, und wer sie abgelehnt hat, das war ihr auch keine Erwähnung wert.

Waffen statt Friedensgespräche

Die Bundesregierung habe sich im Februar 2022 entscheiden müssen, „ob wir auf der Seite des Angreifers stehen oder auf der Seite der Opfer, die nichts anderes wollten, als wie wir weiter in Frieden und Freiheit zu leben“. Ohne auch nur im Ansatz auf die Vorgeschichte des Geschehens einzugehen, sagte sie: „Wir tun alles dafür, dass die Menschen in der Ukraine wieder in Frieden und Freiheit leben können.“ Das werde von der „allergrößten Mehrheit“ in Deutschland unterstützt – selbst wenn immer neue Waffen nur immer neues Leid und weiter Tod in das Land bringen.

Am Vormittag war Baerbock im Erzgebirge gewesen. Dort hatten Demonstranten sie als Kriegstreiberin bezeichnet. Dazu behauptete sie in Chemnitz: „Niemand wollte diesen Krieg, weder die deutsche Bundesregierung, erst recht nicht die Menschen in der Ukraine, sondern einer hat diesen Krieg vom Zaun gebrochen, und das ist der russische Präsident.“ Kein Wort kam von ihr zur Vorgeschichte, erst recht nicht zur Rolle der westlichen Politik dabei.

Aus Sicht der Ministerin müssen die Waffenlieferungen an die Ukraine weitergehen – auch wenn sie sich angeblich wünscht, „wir könnten sie sofort einstellen“. Das sei aber erst möglich, „wenn der russische Präsident aufhört … Menschen, … Mütter, Väter, Kinder tagtäglich zu bombardieren, zu verschleppen, zu vergewaltigen“, griff sie wieder in die tiefe Kiste der Kriegspropaganda. Niemand wisse, was tatsächlich in der Ostukraine geschehe, meinte sie, um gleich noch einmal zu behaupten, dass dort „tagtäglich gemordet, vergewaltigt und gefoltert wird“. Als gebe es keine Berichte aus der Ostukraine, schon seit 2014, so über die mehr als 10.000 Toten dort laut OSZE infolge des Kiewer Krieges gegen die eigenen Bürger.

Lügen statt Fakten

Auf Fragen zur Streumunition, die die USA nun an die Ukraine liefern, antwortete Baerbock nur ausweichend und verwies auf die von der Bundesrepublik mitunterzeichnete Oslo-Konvention gegen die Munition. Sie verurteilte die US-Lieferung nicht klar und meinte, die Ukraine müsse entscheiden, ob das richtig oder falsch sei. Aber sie sagte ebenso auf diese Frage, würden die Waffenlieferungen beendet, werde akzeptiert, dass Russland als Nuklearmacht und Mitglied im UN-Sicherheitsrat einen Krieg nur lange genug führen muss, um sich durchzusetzen. Für Baerbock wäre das „eine gewisse Art von Freifahrtschein, und kein kleines Land auf dieser Welt könnte mehr still und ruhig schlafen“. Dass es vielen Ländern seit Jahrzehnten so ergeht, weil die Nuklearmacht USA sie offen und verdeckt mit Krieg überzieht, fiel ihr genauso wenig ein wie den Moderatoren und dem Publikum.

Sie wiederholte die westliche Version vom russischen Massaker in Butscha und erklärte, dort hätten nach ihren Informationen russische Soldaten in verlassenen Häusern Minen in Kinderspielzeug versteckt. Dadurch seien Kinder getötet worden, als sie in ihre Zimmer zurückgekommen seien und ihr Spielzeug in die Hand genommen hätten. Beweise dafür brachte sie wie bei allen anderen Behauptungen nicht.* Sie warf der russischen Führung vor, nicht nach rationaler Logik zu handeln – „das ist der Unterscheid zwischen Demokratien und Diktaturen“. Baerbock behauptete ebenso, dass alle Versuche, mit Russland zu reden und zu verhandeln, an diesem gescheitert seien. Das habe nur dazu geführt, „dass dann mit allen Vernichtungsmethoden, die man irgendwie sich vorstellen konnte, dieser Krieg geführt worden ist“.

Sie griff zur nächsten Lüge, als sie behauptete, die Hilfe für die Ukraine sei das Dankeschön, dass die europäischen Nachbarn Deutschland 1990 erlaubten, sich wiederzuvereinigen: Die Unterstützung samt Waffen sei „unser Zurückgeben an alle unsere europäischen Partner, die unsere Wiedervereinigung ermöglicht haben, an den Glauben und das Vertrauen daran, dass wir für den Frieden in Europa einstehen“.

Legenden statt Geschichtskenntnis

Auch hier kein Wort dazu, dass ohne die Zustimmung der damaligen Sowjetunion keine Übernahme der DDR durch die BRD möglich gewesen wäre. Moskau hatte seine etwa 500.000 Soldaten samt aller Waffen aus dem DDR-Gebiet zurückgezogen – darauf vertrauend, dass der Westen seine Zusagen einhält, die NATO nicht in den Osten auszudehnen. Auch der Vorschlag vom einstigen KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow, ein „gemeinsames Haus Europa“ zu gestalten, einschließlich einer gemeinsamen Friedens- und Sicherheitsarchitektur, wurde nicht von Moskau selbst ignoriert.

Aber das scheint Baerbock nicht zu kümmern. Für sie besteht Politik nicht darin, „das zu wiederholen, was man schon immer gesagt hat. Weil dann könnte man auch einfach gerade in diesen Zeiten künstlicher Intelligenz einfach einen Computer hinsetzen und er spult immer die alten Reden wieder ab.“ Sie war zuvor von dem ehemaligen Grünen Jürgen Lösche an die Anfangsjahre ihrer Partei erinnert worden: „Dass wir immer ein Zitat von Gandhi vor uns hergetragen haben. Es gibt keinen Weg zum Frieden. Der Frieden ist der Weg. Bitte erinnern Sie sich an dieses Zitat.“

Doch das wollte die Ministerin nicht, weil sie lieber auf „neue Herausforderungen neue Antworten“ geben will – und präsentierte darauf die nächste Lüge, wonach die beiden Minsker Abkommen an Russland gescheitert seien. Deutschland und Frankreich hätten acht Jahre lang versucht, zu verhandeln – „Das haben wir eine Minute bis vor dem 23. Februar getan“ –, während die russische Seite zum Schluss nicht mehr erschienen sei. Sie erwähnte nicht, dass sie Anfang Februar 2022 in Kiew nicht widersprach, als der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in aller Öffentlichkeit die Minsker Abkommen beerdigte. Das hatten zuvor schon Frankreich und Deutschland im November 2021 in nicht für die Öffentlichkeit bestimmten diplomatischen Noten an Moskau getan, wie Thomas Röper berichtete.

Demagogie statt Tatsachen

Berlin und Paris als westliche Garantiemächte haben nichts dafür getan, dass Kiew die eingegangenen Verpflichtungen erfüllt, bei denen es unter anderem um einen Autonomiestatus für Donezk und Luhansk ging. Experten sagen, dass die Einhaltung der Vereinbarungen den Krieg hätten verhindern können. Inzwischen haben einst Beteiligte wie Ex-Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Ex-Präsident Francoise Hollande und der Kiewer Ex-Präsident Petro Poroschenko bestätigt, dass es ihnen in Minsk nicht um eine Friedenslösung für den Donbass ging. Der ehemalige Bundeswehr-Generalsinspekteur Harald Kujat erklärte dazu in einem Interview: „Nicht wegdiskutieren kann man allerdings, dass die Weigerung der ukrainischen Regierung – in Kenntnis dieser beabsichtigten Täuschung –, das Abkommen umzusetzen, noch wenige Tage vor Kriegsbeginn, einer der Auslöser für den Krieg war.“ Und: „Wir sind diejenigen, die internationale Vereinbarungen nicht einhalten.“

Baerbock behauptete faktenwidrig, dass Russland anders als die Bundesregierung die militärische Eskalation nicht verhindern wollte. Kein Wort verlor sie darüber, dass der US-geführte Westen die Ukraine seit 2014 massiv mit Waffen aufrüstete und die Kiewer Truppen auf den Krieg gegen Russland vorbereitete. Stattdessen fügte sie ein weiteres Mal Lüge und Hetze an: Die Waffenlieferungen hätten „Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern ihre Heimat erhalten“. Durch sie seien die russischen Panzer und Vergewaltiger zurückgedrängt, Menschen befreit und Menschenleben gerettet worden.

Die Außenministerin blieb wie Klitschko die Antwort auf die Frage eines der beiden Moderatoren schuldig, wie verzweifelt die Lage der Ukraine denn sei, wenn jetzt auch noch Streubomben geliefert werden. Dafür erklärte der Ex-Boxer, dass auch Streumunition zur Verteidigung notwendig sei. Zudem habe Russland diese zuerst eingesetzt, unter anderem in Charkiw. Auch das dürfte eine der Lügen von Chemnitz sein. So hatte erst am Vortag der investigative Journalist Seymour Hersh einen US-Regierungsbeamten zitiert, wonach Streubomben geliefert werden, „weil das alles ist, was wir noch im Schrank haben“. Die Behauptungen Kiews, russische Truppen hätten diese Munition bereits eingesetzt, seien „einfach eine Lüge“.

Schlagworte statt Wahrheit

Ex-Boxer Klitschko trug aktiv zum niedrigen Niveau der Veranstaltung bei. Er sprach wie Baerbock wider den bekannten Fakten von einem russischen „Vollangriff auf das gesamte Land“ beziehungsweise einer „Vollinvasion“ auf die Ukraine mit dem Ziel Kiew, dessen angeblich geplante Einnahme nur das ukrainische Militär verhindert habe. „Russlands Putin“ mit seinen „sinnlosen Ambitionen“ ist für Klitschko „das Böse“, das bekämpft werden müsse. Putin wolle immer mehr, „Russland braucht mehr Land, hat nie genug, mehr Land, mehr Imperium“.

Sein simples Geschichts- und Politikbild bestätigte der Ex-Boxer unter anderem mit der Aussage, die Ukrainer hätten sich 2014 für die „europäischen Qualitäten des Lebens, vor allem Demokratie“ entschieden, daraus sei die Maidan-Bewegung entstanden, „was Russland nicht so gut gefallen hat“. Der Krieg habe 2014 im Osten der Ukraine begonnen, sagte er – aber um auch dafür Russland verantwortlich zu machen. Er verschwieg, dass Kiew im Frühjahr 2014 Panzer und Kampfflugzeuge in die Ostukraine befahl, die dort Aufständische und zivile Gebiete bombardierten.

Er warf den Deutschen vor, trotzdem weiter das billige Gas und Öl aus Russland bezogen zu haben, „weil das so gut für die Wirtschaft ist“. Aber billige Rohstoffe seien eine Waffe, so Klitschko – wieder ohne einen jeglichen Beweis dafür, dass Russland die Lieferungen jemals zu politischen Zwecken missbraucht hat. Klitschko behauptete, Deutschland habe „sich komplett wirtschaftlich von Russland abhängig“ gemacht. Woher er das nimmt, erklärte er nicht und meinte stattdessen, „auf Putins Russland kann man sich nicht verlassen“. Bekanntermaßen hat Russland vor der Eskalation zum Krieg in der Ukraine und den westlichen Sanktionen wie zuvor die Sowjetunion trotz aller politischen Krisenmomente immer die vertraglichen Lieferverpflichtungen eingehalten.

Beifall statt Widerspruch

Seine geschichts- und tatsachenverdrehenden Aussagen stießen auf dem Podium und beim Publikum nicht auf Widerspruch, sondern ernteten ebenso wie die von Baerbock meist viel Beifall. Der kam selbst, als der Ex-Boxer Fragen brüsk zurückwies. So wie die des Freie-Presse-Lesers Anton Schumann, der nebst zwei anderen mit auf dem Podium sitzen durfte: „Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, wie Russland wieder irgendwann auf diese globale Bühne kommen könnte?“ Und: „Wie kann Russland aus seiner Ecke wieder rauskommen in die Mitte?“

Das war zu viel für Klitschko, der in Kasachstan geboren wurde, Mutter Russin, Vater Ukrainer. Auf Schumanns Frage sagte er sichtlich empört: „Ich glaube, wir gehen jetzt gerade zu weit.“ Es gehe jetzt nur darum, den Krieg zu beenden – durch einen Sieg über Russland, von dem er überzeugt ist, weil „Ausdauer im Krieg schlägt auch die zweitgrößte Armee der Welt“. Er bedanke sich bei der Bundesregierung und denjenigen Deutschen, die deren Kurs unterstützen. Allerdings habe der Wechsel in den Köpfen lange gedauert, „um zu erkennen, wo das Böse ist und wo es herkommt“.

Wenn es in der Ukraine nicht gestoppt werde, gehe es weiter, glaubte er, besonders die Ostdeutschen warnen zu müssen. „Das Land hier war mal Ostdeutschland. DDR. Das Land war unter dem sowjetischen Imperium.“ Daran könnten sich noch viele erinnern – dass ohne den faschistischen deutschen Überfall am 22. Juni 1941 kein sowjetischer Soldat jemals deutschen Boden betreten hätte, daran erinnerte sich Klitschko nicht. Dafür ging er so weit zu behaupten – neben der Lüge, es gebe keine NATO-Soldaten in der Ukraine –, die Waffenlieferung sei weiter notwendig, denn: „Wir schützen nicht nur uns. Wir schützen euch. Ja, wir schützen euch.“ Selbst dafür bekam er wieder Beifall aus dem Publikum.

Vorwürfe statt Argumente

Für die Frage des Ex-Grünen Jürgen Lösche aus dem sächsischen Helmsgrün, ob denn erst verhandelt werden soll, wenn der letzte russische Soldat die Krim verlassen hat, was nicht realistisch sei, hatte Klitschko nur versteckte Verachtung übrig. Wenn Lösche die angeblich von russischen Truppen erschossenen Teenager gesehen hätte, „hätten sie wahrscheinlich diese Frage nie gestellt“, so der Ex-Boxer dazu. Dafür musste sich Lösche nach der Veranstaltung noch gegenüber anderen Teilnehmern rechtfertigen, warum er gesagt habe, dass der Krieg durch sofortige Verhandlungen beendet werden müsste. Sein Argument, der Krieg hätte vorher verhindert werden können, wurde unter anderem mit der Frage gekontert, warum er Baerbock nicht glaube, der angeblich weltweit anerkannten deutschen Außenministerin.

Die Diskussion am Ende der Veranstaltung warf ein Schlaglicht auf die Stimmung beim Großteil des Publikums, das laut Freie Presse unter fast 1.000 Anmeldungen für die rund 300 Plätze ausgelost worden war. Zuvor hatten einige die von mir gestellte Frage, warum sie an einem Sommertag Baerbock und Klitschko zuhören, unter anderem mit dem Hinweis beantwortet, in Chemnitz sei sonst kulturell nicht viel los. Widerspruch zur deutschen Außenpolitik gab es keinen.

Hartmut Markert aus Chemnitz sagte, er sei dafür, „dass wir die Ukraine nach Herzenskräften unterstützen, auch mit Waffen. Wie soll es denn sonst anders gehen? Man kann ja Putin nicht das Feld überlassen.“ Martin Böttger aus Zwickau meinte, es sei „ganz schlimm, dass es so viel Verständnis für Putin gibt“. Ohne Waffenlieferungen werde aber die Ukraine „einverleibt in die Russische Föderation. Und was dann passiert, kann ich mir vorstellen. Dann gibt es Umerziehungslager, und Putin-Gegner werden als Nazis dann behandelt. Und das gilt es zu verhindern.“

Gefragt nach seiner Sicht auf die deutsche Außenpolitik meinte Böttger, dass Baerbock „das ganz gut macht“. Das fand auch Annkatrin Lohausen aus Plauen im Vogtland. Sie interessierte sich immerhin für die Möglichkeit eines Waffenstillstandes und sagte, dass beide Seiten aufeinanderzu gehen müssten. Sie vertraue aber Baerbock – „wirklich ein Hoffnungsträger“ – und dass sie das Richtige mache.

Diplomatie statt Waffen“

Vielleicht lag es daran, dass die Leser der Chemnitzer Freien Presse immer noch dem vertrauen, was die Mainstream-Medien ihnen erzählen. Das Blatt war in der DDR eine der SED-Zeitungen und ging 1990 mit Hilfe von Helmut Kohl an den Verleger Dieter Schaub in Ludwigshafen am Rhein. Flaggschiff von dessen inzwischen vom Sohn Thomas Schaub geführten Medienkonzern Medien Union ist die Zeitung Rheinpfalz. Dazu gehören neben Schulbuchverlagen die Süddeutsche Zeitung, die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten.

Insofern ist die Stimmung bei der Veranstaltung nicht verwunderlich. Es gab auch eine Menschenkette mit Ukraine-Fahnen, als der Bus mit der Baerbock-Mannschaft in Chemnitz eintraf. Ebenso gab es aber auch Protestkundgebungen samt Russlandfahnen sowie der Forderungen „Grüne an die Ostfront“ und „Diplomatie statt Waffen“. Deshalb waren ein Großaufgebot an Polizei aufgefahren und der Veranstaltungsort weiträumig abgesperrt worden.

Dass Baerbock und Co. in Chemnitz weniger Freunde haben, als die Veranstaltung vermuten ließ, machten die beiden Taxifahrer deutlich, die mich vom und zum Bahnhof fuhren. Der Erste schimpfte auf die Grünen und auch die Vorzugsbehandlung der ukrainischen Geflüchteten. Der Zweite meinte, dass Baerbock und die Grünen in der Stadt kaum Freunde haben und dass die meisten Einwohner sich nicht dafür interessierten, was diese sagen.

Zurück zur Frage, ob Kriegspropaganda ungestraft verbreitet werden darf: Nach Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) ist sie unter Strafe zu stellen. „Neben Kriegspropaganda fällt auch das Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, darunter“, heißt es dazu unter anderem bei der Juristenvereinigung IALANA. Auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte erklärt Kriegspropaganda als „durch Gesetz verboten“. Und weiter: „Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, wird durch Gesetz verboten.“

Doch diese Rechtsgrundsätze spielen jeweils im konkreten Fall keine Rolle. Das zeigten in den letzten Jahrzehnten mehrfach abgelehnte Strafanzeigen gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen des Verdachts auf Vorbereitung eines Angriffskrieges. Und so wird auch Außenministerin Baerbock, in Chemnitz im weißen Kleid – als Unschuld oder vermeintlicher Friedensengel? – auftretend, straffrei ausgehen für die Hetze, den Hass und die Kriegspropaganda, die sie dort verbreitete. Denn angeblich führt ja Russland einen unprovozierten Angriffskrieg gegen die Ukraine, die sich nur verteidige. Und viele glauben das, weil sie nichts von der Vorgeschichte und den Zusammenhängen wissen und aus den Mainstream-Medien erfahren.

* 20. Juli 2023, 11:30 Uhr: Diese Passage wurde ergänzt.

Titelbild: © Tilo Gräser

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