Kanzler des Niedergangs

Kanzler des Niedergangs

Kanzler des Niedergangs

Oskar Lafontaine
Ein Artikel von Oskar Lafontaine

Der Kniefall Olaf Scholz’ vor dem US-Imperialismus zerstört den Frieden in Europa und den deutschen Industriestandort. „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik“, heisst es im Grundgesetz. Olaf Scholz ist der neunte Amtsinhaber nach dem Zweiten Weltkrieg. Und schon jetzt steht fest, dass er der Kanzler des Niedergangs sein wird. Von Oskar Lafontaine.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der folgende Artikel von Oskar Lafontaine ist zuerst in der „Weltwoche“ erschienen.

Konrad Adenauer stand für die Westintegration, Ludwig Erhard für die soziale Marktwirtschaft. Kurt Georg Kiesinger, der erste Kanzler einer grossen Koalition, war wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft umstritten. Willy Brandt erhielt für seine Ost- und Entspannungspolitik den Friedensnobelpreis. Helmut Schmidt forderte zusammen mit Giscard d’Estaing die Koordination der Wirtschaftspolitik der grossen Industriestaaten, und Helmut Kohl wurde der Kanzler der Wiedervereinigung. Gerhard Schröders Amtszeit war gekennzeichnet durch die Agenda 2010, die Ablehnung des Irakkrieges und den Ausbau der Energiepartnerschaft mit Russland.

Kaltschnäuziger Sanktions-Zynismus

Angela Merkel organisierte nach Fukushima den Atomausstieg, schaffte die Wehrpflicht ab und öffnete unter der Parole «Wir schaffen das» die deutschen Grenzen für über eine Million Flüchtlinge. Scholz steht für die Deindustrialisierung Deutschlands, das Wiedererstarken des Militarismus und den Abschied von der Ost- und Entspannungspolitik Willy Brandts.

Zwar hat er die Nato-Osterweiterung, vor der US-Politiker wie George Kennan oder der heutige CIA-Chef, William Burns, eindringlich warnten, weil sie zum Krieg führen würde, nicht zu verantworten. Aber das Ende der Energiepartnerschaft mit Russland geht auf sein Konto. Ein deutscher Bundeskanzler muss wissen, dass eine Industrienation preisgünstige Energie und Rohstoffe braucht, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, und dass kein anderer Staat auf der Welt die russischen Energie- und Rohstofflieferungen zu vergleichbaren Preisen ersetzen kann. Da er die Richtlinien der Politik bestimmt, kann er sich auch nicht hinter seinem Wirtschaftsminister Robert Habeck verstecken, der die Energie-Sanktionen wie folgt rechtfertigte:

«Natürlich schaden wir uns damit selbst [. . .] Der Sinn von Sanktionen ist, dass eine Gesellschaft [. . .] Lasten trägt [. . .] Alle werden einen Beitrag leisten müssen [. . .] Wir werden höhere Inflation, höhere Energiepreise und eine Belastung der Wirtschaft haben, und wir sind als Europäerinnen und Europäer bereit, die zu tragen, um der Ukraine zu helfen. Es wird Härten geben, und die Härten werden getragen werden müssen.»

Scholz hätte erkennen müssen, wohin dieser kaltschnäuzige Zynismus führt. Die deutsche Industrie verlagert ihre Produktion ins Ausland, vorzugsweise in die USA oder nach China, wo die Energiekosten nur ein Fünftel oder ein Drittel der deutschen Energiekosten ausmachen. Betriebe, die das nicht können, senken die Produktion und bauen Arbeitsplätze ab.

Ich weiss nicht, wie viel Zeit Olaf Scholz zum Lesen hat. Aber die berüchtigte Rede des US-Geostrategen George Friedman vor dem Chicago Council on Global Affairs im Jahre 2015 muss jeder deutsche Politiker, der ernst genommen werden will, kennen. Seit über hundert Jahren, so führte Friedman aus, sei es das Ziel der US-Politik, ein Zusammengehen der deutschen Industrie mit russischen Rohstoffen zu verhindern:

«Vereint sind die beiden Länder die einzige Macht, die uns bedrohen kann, und unser Interesse ist es, dass das nicht geschieht.»

Deshalb errichteten die USA einen Sicherheitsgürtel zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer, und deshalb könnten die USA die Ukraine nicht den Russen überlassen.

«Die Karten liegen auf dem Tisch. Die Russen wollen wenigstens eine neutrale Ukraine haben, keine prowestliche. Wir wollen einen Sicherheitsgürtel. Wer mir sagen kann, wie sich die Deutschen in dieser Frage positionieren, der kann mir auch sagen, wie in den nächsten zwanzig Jahren Geschichte geschrieben werden wird.»

Willy Brandts kluge Worte

Schon vor acht Jahren sagte also der US-Stratege George Friedman, dass es auf die Deutschen ankomme, wenn die USA daran gingen, die Ukraine zu ihrem militärischen Vorposten auszubauen. Und es ist eine Tragödie für die Ukraine, für Russland, für Deutschland und Europa, dass in der entscheidenden Phase des Versuchs der USA, die Ukraine zu einem US-Vasallen zu machen, Olaf Scholz deutscher Bundeskanzler war, denn Brandt, Schmidt, Kohl oder Schröder hätten die mutwillige Preisgabe der deutschen Ost- und Entspannungspolitik und der Energiepartnerschaft mit Russland nicht zugelassen. Männer machen Geschichte im Guten wie im Schlechten, und Bilder sagen manchmal mehr als Worte. Unvergessen ist die Pressekonferenz, auf der Joe Biden die Zerstörung der Gasleitung Nord Stream ankündigte, während der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz verlegen lächelnd wie ein geprügelter Hund daneben stand.

So wie der Kniefall von Warschau dazu führte, «dass der Name unseres Landes und der Begriff des Friedens wieder in einem Atemzug genannt werden können» (Willy Brandt), so zerstörte der Kniefall des Olaf Scholz vor dem US-Imperialismus den Frieden in Europa und den deutschen Industriestandort.

Dieser Artikel von Oskar Lafontaine haben wir von der Weltwoche übernommen

Oskar Lafontaine ist ehemaliger Vorsitzender der SPD und Finanzminister Deutschlands a. D.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Youtube-Screenshot/NachDenkSeiten