Ein X für ein U

Ein X für ein U

Ein X für ein U

Ein Artikel von Katrin Starke

Die extreme Linke nennt sich „LinX“, neuerdings sogar „LinXX“. Twitter wurde gerade in „X“ umbenannt. Die grüne „Extinction Rebellion“ („XR“) will ihr „X“ als Aussterbesymbol und Sanduhr verstanden wissen. Die fetischisierte „X“-Welt ist oft die des schönen Scheins und der hehren Ideale. Wer jedoch die Gesellschaft der kopfstehenden „X“-Welt mit der Wirklichkeit konfrontiert und sich ihren eigensüchtigen Regeln verweigert, wird gnadenlos ausgesperrt. Ein Essay von Katrin Starke.

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Dass die Reichen und Berühmten einfältig sind, lässt man ihnen durchgehen. Manche halten es für ein Zeichen ihres Genies. Zum Beispiel Joseph Beuys, beraubt um seine Absturz-Legende und den aus der Zeit gefallenen Hut als Markenzeichen, hätte weniger Aufmerksamkeit erregt. Und Horst Lichter („Bares für Rares“) ohne seinen Kaiser-Wilhelm-Bart, kombiniert mit einer runden Peter-Lustig-Brille, könnte einpacken. Man kommt kaum von ihrem Anblick los und weiß nicht warum.

Das leicht Absurde, der Widerspruch in sich, ist das Geheimnis ihrer Erscheinung, die uns fesselt und in ihren Bann zieht. Anführer mit komischen Bärten sind alles andere als lustig. Was zählt, sind Effekt und Erfolg. Wer etwas sein will, muss sich von der anonymen Masse abheben und eine Besonderheit darstellen, damit man ihn nicht etwa mit einem gewöhnlichen Hausmeister verwechselt. Und die Betonung liegt auf ‚leicht‘ absurd. Wenn der Erfolg ausbleibt, reicht es nicht, den Effekt zu steigern, immer größere Bärte, Brillen und Hüte aufzusetzen, dann wird es schrill wie gegenwärtig in Deutschland. Der Grat zwischen Wertschätzung und Witzfigur ist schmal.

In diesem Sinn haben viele Mythen einen wahren Kern. Der ist aber selten dort zu finden, wo es der gut meinende, aber naive Geist vermutet und die Großen und Schlauen in ihrer eingebildeten Gottähnlichkeit uns weismachen wollen. Es steckt das Kalkül dahinter, ihre Geschäfte durch den Anschein von exklusivem Wissen und höheren Weihen anzukurbeln. Der Kapitalist greift in die magische Trickkiste, macht Theater und viel Aufhebens von sich und seinen Sachen und verspricht dem staunenden Publikum ein buchenswertes Erlebnis.

Elon Musk und die „X“-Mystik

Die närrische Vorliebe für den Buchstaben „X“ ist gewissermaßen der auffällige Bart und Wiedererkennungseffekt des umtriebigen Elon Musk. Er nennt seinen Sohn mit der Sängerin Grimes „X“. Er nannte das Unternehmen, das er gegründet hatte, um Twitter zu kaufen, „X Holdings“. Seine Raketenfirma heißt „SpaceX“.[1]

Es ging durch die Presse, dass er seinen Kurznachrichtendienst „Twitter“ in „X“ umbenannt hat. Das lustige Twitter-Vögelchen wurde durch ein schwarzes, strenges „X“ auf weißem Grund ersetzt. Die weltweit in den Köpfen etablierte Marke und deren Erkennungszeichen fallen zu lassen würde beweisen, so einige Kommentatoren, dass Herr Musk an einer anderen Stelle einen Vogel hat, um im Bild zu bleiben. Schließlich wäre das „Twittern“ sogar in den Wortschatz eingegangen und kaum durch ein „Xeeten“ zu ersetzen.

Der Anlass für die Umbenennung ist der Umbau zu einer allumfassenden Multifunktions-App. Die Zukunft wird zeigen, ob Musk richtig liegt, sich an die Spitze der „X“-Mystik zu stellen, die aus den Tiefen der Psyche des Westens aufsteigt und gerade die Runde macht. Andernfalls könnten seine merkwürdigen Ideen von der Realität eingeholt und unfreiwillig zur Lachnummer werden wie die antideutschen Linken und Hipster-Grünen von der wachsenden Zustimmung für die nationale AfD. Und da kommen wir unvermutet wieder auf das „X“ zurück, das sich auch bei gewissen Linken und Grünen großer Beliebtheit erfreut.

Lust und Leiden unter der Herrschaft von Ware, Geld und Kapital

Die extreme Linke nennt sich „LinX“, neuerdings sogar „LinXX“. Hat also auch einen Vogel abgeschossen. Lange dachte ich ahnungslos, dass sie lediglich auf das „x“ in Rosa Luxemburg verweist, die in einigen Punkten mit Lenin über Kreuz lag und deshalb von den Anarchisten und Trotzkisten als Kronzeugin gegen den richtigen Marxismus in Beschlag genommen wird.

Die grüne „Extinction Rebellion“ („XR“) will ihr „X“ als Aussterbesymbol und Sanduhr verstanden wissen.[2] Diese erinnern an das nahende Ende, das Leiden und den Tod. Da kommen wir der Wahrheit schon näher.

Lust und Leiden sind unter der Herrschaft von Ware, Geld und Kapital zwei Seiten einer Medaille. Ihr Angebot auf grüne Erlösung der bedrängten Kreatur schließt sich nahtlos an die dunklen Seiten der christlichen Traditionen und die liberale Ideologie des Westens an.

Die Amis wissen, wie man aus den Ängsten der Menschen Profit schlägt, eine weltliche Religionssekte aufzieht und die Jugend einer herzlosen kapitalistischen Welt einsammelt. Woher das „X“-Symbol kommt, sei ein Rätsel, so der Guardian.[3]

Die Übertreibungen des Liberalismus erzeugen die verkehrte „X“-Welt

Eine aufschlussreiche Erklärung für die merkwürdige „X“-Mode findet sich in einer historischen Studie, die im PapyRossa Verlag erschienen ist.[4] Der Autor Jens Schubert („Ein anderes ’68. Die Studentenunruhen in Leipzig 1768“) erkundet die praktische Befreiungsideologie des Kapitalismus an der Schwelle zur Moderne und die entstehenden Konflikte. Er widerlegt die gefälligen idealistischen Erzählungen und zeigt deren materiellen Ursprung.

Der Liberalismus entfesselte bekanntlich die Fähigkeiten und Kräfte des menschlichen Ichs. Das gelang ihm, weil die Einbildungen und Ideale der Menschen durch die Käuflichkeit des bis dahin Unverkäuflichen wundersam belebt wurden. Der Ausgangspunkt war der Erwerb exotischer und vollendeter Waren, die einst den Oberschichten vorbehalten waren.

Die ‚Magie‘ der besonderen Waren verbreitet seither die Ideen, Gedanken und Vorstellungen, bereits oben dazuzugehören, ein Muster der Besten abzugeben und einen neuen, bürgerlichen ‚Adel‘ zu verkörpern. Doch der Adel und die Magie wurzeln im Mittelalter und der Mystik. Sie werden durch die ‚edle‘ und ‚bezaubernde‘ Warenform in die Tiefe der modernen Gesellschaft vermittelt und erzeugen Widersprüche.[5]

Eine Folge ist der hedonistisch-libertäre Lebensstil, der sich in den Großstädten, in denen viele Fremde und Adlige verkehrten, rasch durchsetzte. Jeder konnte und musste nun mit Hilfe von Geld und Kredit sowie zur Schau gestelltem Besitz und vornehmer Kleidung – heute Markensachen, teure Autos und Erlebnisse – aufregende und sozial erhebende Verwandlungen vollziehen, wollte er etwas gelten.

Stutzer und Hipster

Die erfolgshungrigen Stutzer kamen auf. Das sind die Vorgänger unserer Hipster. Man konnte sie damals schon an ihren markanten Bärten, Brillen und eingekürzter („gestutzter“) Kleidung erkennen. Ihre leicht überspannte Erscheinung kokettiert mit dem Nonkonformismus, als müssten sie sich und anderen ständig das Gegenteil ihres vielmehr höchst angepassten Sozialcharakters beweisen.[6]

Sie suchten die Vergnügungsorte der besseren Gesellschaft (Theater, Konzert und Kaffeehaus) auf und verliehen sich durch ihr Auftreten eine hervorgehobene Bedeutung und Identität. Die narzisstisch bedürftigen Erwachsenen lenkten die Aufmerksamkeit auf sich, konnten den drückenden Realitäten entfliehen und geschäftstüchtig Bekanntschaften schließen.[7]

Die Fetischwelt „X“ – das „wilde Feuer im Kopfe“

Ein Zeitgenosse klagte, der „allgemeine Ueppigkeitsteufel ist losgelassen und peitscht sie durcheinander, man sollte denken, sie hätten das wilde Feuer im Kopfe, daß ihnen keinen Augenblick Ruhe läßt“, „die ganze Nation scheint ihrem Verstande entlaufen zu wollen.“[8] Der Fetischismus von Ware, Geld und Kapital hatte alle ergriffen und schuf erstmals einen Kosmos abstrakter Wirklichkeit und vielfacher Abhängigkeiten.[9]

Die fetischisierte „X“-Welt des schönen Scheins und der hehren Ideale erhebt sich seither über der wirklichen Welt und ist wichtiger als diese geworden, um Spaß zu haben, erfolgreich zu sein und oben dazuzugehören.

Schluss mit lustig

Wer jedoch die ‚lustige‘ Gesellschaft der kopfstehenden „X“-Welt mit der Wahrheit und Wirklichkeit konfrontiert und sich ihren eigensüchtigen Regeln, ihrem falschen Spiel und Fetischismus verweigert, wird gnadenlos ausgesperrt und verworfen. Das hat Goethe als junger Student in Leipzig leidvoll erfahren. Er ließ sich nicht korrumpieren, ertrug seine Verbannung und wuchs daran innerlich.[10]

Ein Sinnbild für die gegenwärtig anstehende Ernüchterung und Zeitenwende gibt der Abschied vom unbeschwerten „Twitter“-Vögelchen, als dessen unvermeidliche Kehrseite erscheint das Leidens-„X“: Wer sich unangepasst äußert, wird aus dem virtuellen Raum der neuen Medien ausgeschlossen und stirbt den sozialen Tod. Schluss mit lustig. Das „X“ wird zum Symbol drohender Vernichtung.

Diabolische Schmeichler und faustische Verstellungskünstler

Zurück zu den Anfängen der Bewusstseinsverkehrungen. Die Aufsteiger mussten zunächst die Gedanken ihrer Mitmenschen beherrschen lernen und eine spezielle Unvernunft erzeugen. Sie suchten die Nähe der Adeligen, Fremden und Gelehrten, schmückten sich wichtigtuerisch mit deren Gegenwart und Attributen, ahmten deren Reden, Gehabe und Leben nach und schlüpften schließlich wie Schauspieler in deren bunten Rock. Der Glanz und Schein gottgleicher Vollendung und Weltkenntnis sollte auf sie übergehen, sie erstrahlen lassen und das Gegenüber in Erstaunen und Bewunderung versetzen.

Die leichtfüßigen Meister dieser libertären Sphären entpuppten sich damals schon als eine Art diabolische Mischwesen aus Zauberer, Komödiant und gerissenem Geschäftemacher. Sie versprachen ihren ruhelosen Jüngern – wie Mephisto dem gescheiterten Intellektuellen Faust –, alle ihre Begierden zu erfüllen, also Wohlstand, Geld und Konsum, gesellschaftliche Beachtung, Ansehen und Aufstieg, nie enden wollende Vergnügen, Macht und unglaubliche Freiheiten zu erlangen. Doch diese verkehren das Bewusstsein der urbanen Bewohner in eine „Camera obscura“. Das bedeutet ein Leben im Falschen, in der Fetischwelt „X“ zu führen und die Deformation des Menschlichen, Sozialen, der Kultur und Wissenschaft durch Ideologieformen.[11]

Leipzig – die Welthandelsstadt und erste Metropole der „X“-Welt

Von der verkehrten „X“-Welt der neuen Freiheiten, Fetische und Versprechen wurden insbesondere die Jugend, Studenten und Studierte, auch viele Selbstunternehmer und Gewerbetreibende wie magisch angezogen und kamen in Scharen. Deren erste angesagte Metropole war das vergnügungssüchtige Leipzig, dem der Ruf und Mythos, ein „Klein-Paris“ (Goethe) zu sein, vorauseilte. Es verdarb jedoch und ruinierte am Ende nicht wenige von ihnen.

Aufstrebende, wie den angehenden Dichter, verlangte es nach einem anregenden Leben, nach der Liebe der Mädchen und den Chancen der Großstadt. Aber auch der Abhub aller Klassen versammelte sich dort in wachsender Zahl, um sein Glück zu machen.

Kulturkampf und Irrationalismus nach 1968

Die hedonistisch-libertären Großstadtbewohner der kapitalistischen Epoche sind wie einst ihrer Lust ergeben und erzeugen dadurch ihre Leiden und wachsende Irrationalität. Aus den Studiosen des Rokokos sind die 1968er-Studentenbewegung und aus dieser wiederum die Hipster-Grünen und Lifestyle-Linken hervorgegangen. Die Bilder gleichen sich. Sie betätigen sich heute wie damals als galante Selbstdarsteller und käufliche Experten für die Zubereitung von gefälligem Wissens- und Moralsalat à la mode. Gegen die gewöhnliche Bevölkerung, die angesichts der politischen Zumutungen immer häufiger die Wirklichkeit und der Brechreiz ereilt, spielen sie sich als rigorose Gesinnungshelden auf. Die kritische Intelligenz wie Sahra Wagenknecht, die ihren vermeintlichen Tugenden und ihrem Größenwahn die Huldigung verwehrt, wird angegriffen.

Der von den ’68ern eingeläutete Kulturkampf hat die Restauration des Kapitalismus auf konsumgesellschaftlicher Stufe erst ermöglicht und die Ideologie des Liberalismus erneuert. Die Freiheit des Individualisten und der Kult um den abstrakten und entwurzelten Menschen wurden popularisiert. Sie münden in Formen extremer Selbstverwirklichung.

Kult des abstrakten und entwurzelten Menschen

Das Ferne, Fremde und Exotische wird wie die vollendete Ware verehrt und über alles gestellt. Zweifel sind Gotteslästerung. Das gute Eigene wird verächtlich gemacht und verschwindet. Wahlverwandtschaften ersetzen natürliche und naturräumliche Gegebenheiten menschlichen Zusammenlebens, die über mehr als 1000 Jahre gewachsen sind. Das moralinsaure 19. Jahrhundert ist als grausam grüne Parodie und Kulturzersetzung zurückgekehrt.

Die Gesellschaft und Kultur als die letzten Grenzen, die sich der kapitalistischen Verwertung entgegenstellen, werden von den Nach-’68er-Wohlstandskindern unter den „Trompeten der bacchantischen Zerstörungslust“ voll von „unheimlichem Entzücken“ niedergerissen, beklagte sich schon Heinrich Heine über ihre verdrehte Romantik. „Das tummelt sich alles in süßester Verwirrung, und nur der gemeinsame Wahnsinn bringt eine gewisse Einheit hervor.“[12] Es ist ihr Tanz auf dem Vulkan, ihr bürgerlicher Adel im Untergang – der Todeskult abstrakter Menschen des Westens.

Die Komödie „X“ hat ausgespielt

Der gegenwärtige kapitalistische Reproduktionszyklus, der mit dem Aufstieg der ‚lustigen‘ ’68er-Studenten begann, geht seinem Ende entgegen. Die letzten Ausläufer des ‚Goldenen Zeitalters des Kapitalismus‘ weichen dem um sich greifenden Irrationalismus und rapiden Verfall.

In Zeiten abschmelzender materieller Basis und steigender Konkurrenz wächst der Druck zur weiteren Steigerung der absurden Komödie „X“. Viele versuchen sich in schaustellerischer Selbstvermarktung, das heißt, sich auf eine Bühne zu stellen und wie Horst Lichter in seiner bunten Maskerade und Joseph Beuys mit seiner Aktionskunst zu Idolen des Marktes zu machen. Das glückt wenigen. Die Mehrzahl kann in der realen Welt kaum in Würde leben und will sich nicht mehr erniedrigen und den Clown spielen.

Die Nachfrage nach den bisherigen Idealen und die Bindekraft der Erzählungen und Imaginationen hat ihren Höhepunkt sichtlich überschritten. Der Abfall vom liberalen westlichen Glauben ist unübersehbar, sonst bräuchte es keine „Cancel culture“, das ist das Ausschalten und Bestrafen unliebsamer Meinungen. Der Mythos der persönlichen Freiheit, dass es jeder durch eigene Anstrengungen nach ‚oben‘ schaffen kann, entzaubert sich. Die Aufstiegspfade haben sich geschlossen. Es gibt nur noch eine Richtung – nach unten.

Immer weniger können sich den immer größeren Aufwand für die Rollenspiele und den Kult der Scheinwelt „X“ noch leisten. Jahrelange Lern- und Lebensleistungen werden durch den neoliberalen Marktradikalismus einfach entwertet. Die jedes Mal neuen Versprechen werden wieder und wieder enttäuscht. Arbeit und Anstrengungen lohnen sich nicht mehr. Die Absteiger verzichten darauf, ein vermeintlich besserer und moralisch glänzender Mensch zu sein, weil sie in Wirklichkeit nur miese Jobs und keine Wohnung bekommen, nicht farbig genug sind, nichts mehr gelten und nicht mitspielen dürfen. Sie empfangen Bitterkeit und wählen AfD. Wer will es ihnen verdenken?

Grüne Kreuzritter

Auch die aufgedrehte Welt des Wohlstands und der hippen städtischen Mittelschichten bröckelt. An allen Ecken und Enden lugen die Schatten existenzieller Fragen hervor und traktieren sie mit dem „Todestrieb“ (Sigmund Freud), sobald die Zahlung auszubleiben und das Interesse an ihnen und ihren Bildungswaren zu erlöschen drohen.[13]

In der Krise, wenn die Umwandlungs- und Verwertungsprozesse des Kapitals ins Stocken geraten, der akademische Arbeitsmarkt überquillt, die Hoffnungen und Versprechen sich nicht erfüllen, klaffen Anspruch und Wirklichkeit schmerzhaft auseinander. Hysterische Verzweiflung lässt sich aus den aggressiver werdenden Selbstentäußerungen ihres Echoraums vernehmen, denn der soziale Abstieg klopft auch an ihre Tür. Mit dem Ende ihrer Erzählungen und der ‚magisch‘ grünen Blase der „X“-Welt verlieren sie ihre gesellschaftliche Subjektrolle und werden vom feudalen Tisch der Reichen, Schönen und Berühmten vertrieben.

In solchen Zeiten entpuppen sie sich mit historischer Regelmäßigkeit als modern-romantische Ritter (Karl Marx) wie die Blumenkinder von gestern als regenbogenbunte und olivgrüne Trommler von heute, denn sie wollen durchaus nicht ihre Freiheiten und Privilegien der allgemeinen gesellschaftlichen Vernunft und Notwendigkeit unterordnen.[14]

Nähe allen Faschismus zur mittelalterlichen Mystik

Die Moralritter schreiben sich „LinX“, „Antifaschist:innen“ und „Feminist:innen“ aufs Panier und fordern den Kniefall vor ihnen und ihren geharnischten Einbildungen. Die besondere Eigenschreibung verweist auf den Bruch mit den Traditionen und die inhaltliche Umkehrung und Entleerung ins Absurde. „Ihre Vorliebe für die Kreuzsymbolik aus dem Unbewussten aufsteigend drückt nicht zufällig die Nähe allen Faschismus zur mittelalterlich schwarzen Mystik aus.“[15]

Hakenkreuz und US-Millionen

Der bekannte Österreicher mit schrulligem Bärtchen und Scheitel war gegen Satire und Kritik genauso überempfindlich wie die Woken und Transen im weitesten Sinn heute. Er meinte, eine Besonderheit, nämlich ein verkannter Künstler zu sein. Seine Begabung lag mehr darin, mit inszenierten Auftritten, großen Worten und Gesten andere emotional zu manipulieren und zu überwältigen. Der Rausch war das Werk jenes exaltierten Meisters der Lügen und des Todes im Zeichen des Hakenkreuzes. Für die Fiktion einer vermeintlich besseren Gemeinschaft von Auserwählten sollten die Völker Opfer bringen, sich ihrem Willen unterwerfen und die Jugend den Krieg lieben. Das nennt man Faschismus. Der ‚rot-grün-bunte‘ Wahn ist davon nicht mehr weit entfernt.

Hitler schuf eine mystische Erzählung und behauptete, von der Vorsehung, also einer übernatürlichen und gottgleichen Macht, an seinen Platz gestellt worden zu sein, um Deutschland zu retten. Vielmehr waren es das Finanz- und Monopolkapital und die käufliche Presse vom Hugenberg-Konzern, die in Erwartung auf den räuberischen Krieg und den „Lebensraum im Osten“ seine NSDAP und SA-Schlägerbanden mit Millionenspenden ausgerüstet und groß gemacht haben.

Grüner Faschismus-Import aus den USA

Hitlers Aufstieg hat erstaunliche Parallelen mit den Grünen und ihrer Ideologie, die heute wie damals den Aktionären die Dividenden sichern. Sie entspringen beide einer lebensphilosophisch-reformerischen Ersatzreligion, die den kleinbürgerlichen und jungurbanen Schichten die Überlegenheit vor den arbeitenden Massen, Alten und Einheimischen garantiert sowie ein ewiges Heil und gutes Gewissen, aus denen sich konkrete Vorteile, Handlungslegitimationen und politisches Kapital schlagen lassen.[16]

Die grüne Erweckungsbewegung der Gegenwart bis hoch zum Habeck-Graichen-Clan mit seinem bevölkerungsfeindlichen Heizungsgesetz werden von angloamerikanischen Milliardären über Stiftungen gefördert. Bereits Hitler und seine Wirtschaft, Medien und Politik bekamen große Zuwendungen und freundschaftliche Unterstützung von US-Konzernen und der Ölindustrie, selbst während des Krieges, das kann man in Werner Rügemers gerade erschienenem Buch „Verhängnisvolle Freundschaft“ nachlesen.[17] Die Durchsetzung der imperialistischen Eigeninteressen der USA in Deutschland und Europa ist seit über 100 Jahren das Ziel. So bezahlt ausgerechnet die milliardenschwere Öl-Erbin Aileen Getty die erwähnte grüne „Extinction Rebellion (XR)“.[18]

Die Klimaaktivisten der selbst ernannten Philanthropin werden von den staatlichen Zwangsmedienanstalten gehätschelt und von der Justiz nachsichtig behandelt. Klimakleber werben sogar mit Vorträgen an Polizeischulen.[19] Dergleichen Wohlwollen und vorauseilenden Gehorsam des Staates gegenüber dem faschistischen Terror gab es schon einmal in der Weimarer Republik, während Arbeiter und Kommunisten von der Reaktion niedergemetzelt wurden.

Vorliebe für mystisch aufgeladene Farben, Formen und Zeichen

Auch die Vorliebe für die gleichen faschistischen Farben auf den Fahnen, das Schwarz-Weiß-Rot des preußischen Militarismus, ist kein Zufall. Die ‚Antifa‘, die den guten Namen des Antifaschismus abscheulich missbraucht, hat dieselbe faschistische Farbgebung und die (hoffentlich) ‚Letzte Generation‘ der höheren Bürgertöchter und Bürgersöhne mit ihrem schwarzen Herzen (!) vor weiß-roter Umrandung auch.

Die Präferenz für mystisch aufgeladene, faschistische und reaktionäre Farben, Formen und Zeichen steigt dem absinkenden ‚linken‘ und ‚grünen‘ Rand des Bürger- und Kleinbürgertums aus dem Unbewussten auf. Ihre elitären Helden wie Musk mit dem schwarz-weißen „X“ in faschistisch strenger Ästhetik knüpfen an okkulte Moden und Machtfantasien abstrakter und entleerter Menschen an.

Die extremistischen US-Schöpfungen von ‚Antifa‘ bis ‚XR‘ tendieren zum ‚rot-grün-bunten‘ Terror, um ihre politisch rückwärtsgewandten Ziele gegen die breite Bevölkerung und Andersdenkende durchzusetzen. Die eigensüchtige Rettung ihrer geschichtlich überholten Existenz als kleinbürgerliche Klassenfraktion tarnt sich als die Rettung der Welt, des Klimas und der Flüchtlinge. Dadurch können sie sich selbst für den Preis wachsender gesellschaftlicher Unvernunft als gesellschaftliche Handlungssubjekte setzen. Die Pseudorealität „X“, in die sich der Westen hineinsteigert, wird monströs und immer absurder. Der allen an die Wand gemalte Untergang ist ihr eigener.

Die schärfste Waffe gegen den Faschismus: Chaplins „XX“-Satire

Charlie Chaplin hat gegen die Faschisten und ihre Anstifter eine der schärfsten ideologischen Waffen geschmiedet, die es gibt. Er drehte „Der Große Diktator“, nahm die ihnen eigenen Übertreibungen aufs Korn und gab sie schonungslos der Lächerlichkeit preis. Er paraphrasierte und inflationierte ihre Symbolik zur Satire, machte aus dem einen Kreuz zwei „XX“, die überall und ständig erscheinen, selbst auf dem Mülleimer – ein Hinweis, wo sie hingehören.[20]

Chaplin hätte heute unendlich viel Stoff – von den Impfwütigen über die Klimakleber und Hitzeverängstigten bis zur ‚kulturellen Bereicherung‘ durch Migranten und Muslime. Zur Kräftigung der Lachmuskeln könnte er einen Kassenschlager nach dem anderen auf Politkasperle wie Scholz, Baerbock und Lauterbach produzieren, wenn es nicht so ernst wäre und Deutschland und seine normale Bevölkerung auf ein neues nationales Desaster zusteuerten.

Diese ist jedoch seit dem Terrorangriff auf die Nordstream-Gasleitungen und damit dem Niederreißen eines der wirtschaftlichen Grundpfeiler des deutschen Exportmodells, das sich auf billige Energie aus Russland stützte, gefährlich ins Wanken geraten und mit ihr jenes Reich der Illusionen, verlogenen Versprechen und falschen Geschenke. Schmerzliche Ernüchterung vom großen Rausch der Freiheit und des Wohlstands macht sich breit. Es geht nicht mehr auf Kosten anderer. Das Ende der bisherigen Erzählungen und ihrer politischen Eliten kommt in Sicht.

Wenn dem Volk die aberwitzige Rechnung serviert wird und sein Kühlschrank leer und die Heizung kalt bleiben, wird es an den einfältigen Großen, ihren Kopflangern und Kultobjekten keinen Gefallen mehr finden. Dann ist der Bart ab, und es lässt sich partout kein X mehr für ein U vormachen.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: kovop / Shutterstock


[«1] Barbara Ortutay, Elon Musk wants to offer Americans an ‘everything app’ like China’s WeChat. One hurdle? Habits, Fortune v. 15. Oktober 2022, https://fortune-com.translate.goog/2022/10/15/elon-musk-twitter-everything-app-xwechat-america-china/?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_hist=true, 31. Juli 2023.

[«2] Artikel „Extinction symbol“, in: Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Extinction_symbol, 08. August 2023.

[«3] Ebd.

[«4] Jens Schubert, Ein anderes ’68. Die Studentenunruhen in Leipzig 1768, Köln 2022.

[«5] Vgl. ebd., S. 328.

[«6] Ebd., S. 601.

[«7] Vgl. ebd., S. 191 u. 302.

[«8] Moritz Cruciger, Leipzig im Profil, Solothurn 1799, S. 264-266, zit. n. Schubert 2022, S. 326.

[«9] Vgl. ebd., S. 219.

[«10] Ebd., S. 309.

[«11] Vgl. ebd., S. 92.

[«12] Heinrich Heine, Werke, Bd. 4: Französische Zustände – Die romantische Schule, 3. Buch I; Schubert 2022, S. 34.

[«13] Vgl. ebd., S. 35.

[«14] Vgl. Karl Marx, Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 1, S. 47 f.; vgl. Schubert 2022, S. 334 f.

[«15] Schubert 2022, S. 31.

[«16] Ebd., S. 29 u. 31.

[«17] Werner Rügemer, Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten, Köln 2023, S. 176-178 u. 199-218.

[«18] Aaron Baumgart, Ausgerechnet eine Öl-Erbin steckt den Klimaklebern haufenweise Geld zu, Focus online v. 05. Januar 2023, https://www.focus.de/panorama/letzte-generation-ausgerechnet-oel-erbin-steckt-den-klima-kleberngeld-zu_id_182037211.html, 08. August 2023.

[«19] Hagen Stegmüller / Robin Mühlebach, Klima-Kleber machen Werbung vor Polizei-Schülern, BILD v. 22. August 2023, https://www.bild.de/regional/stuttgart/stuttgart-aktuell/aerger-um-vortrag-was-machen-klima-chaoten-an-derpolizei-hochschule-85122492.bild.html, 23. August 2023.

[«20] https://www.youtube.com/watch?v=tVLQ8lNd1Pk, 08. August 2023.

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