US-Sanktionen als Instrument des Krieges: Der Fall Venezuela

US-Sanktionen als Instrument des Krieges: Der Fall Venezuela

US-Sanktionen als Instrument des Krieges: Der Fall Venezuela

Ein Artikel von amerika21

Fakten über die verheerenden Auswirkungen der US-Sanktionen auf die Gesundheitsversorgung am Beispiel Venezuelas. Am meisten betroffen von diesen Sanktionen sind nachweislich die Ärmsten der Armen. Die US-Sanktionen verhindern, trotz anderslautender Behauptungen aus Washington und Brüssel, unter anderem den Erwerb von wichtigen Medikamenten gegen Diabetes, Krebs, HIV, Nierenerkrankungen und andere behandelbare Krankheiten. Von Celina della Croce.

Am 26. März 2022 lag Francisco in einem öffentlichen Krankenhaus in der venezolanischen Stadt Bolívar, etwa acht Stunden entfernt von der Hauptstadt Caracas. Seit mehr als 24 Stunden wartete er in einem heißen Raum ohne Ventilator oder Klimaanlage darauf, von einem Arzt untersucht zu werden, da sein Magen mit Flüssigkeit gefüllt war. Zu diesem Zeitpunkt war er spindeldürr, die Haut klebte ihm an den Knochen, während er auf der Seite lag und wartete.

Als er schließlich von einem Arzt untersucht und ihm ein Rezept ausgestellt wurde, teilte man ihm mit, dass das Krankenhaus die benötigten Medikamente nicht vorrätig hat. Seine Familie müsse versuchen, diese selbst zu beschaffen. In der Apotheke kostete das erste Rezept 35 US-Dollar (weit mehr als das Monatseinkommen vieler Menschen), zusätzlich zu den fünf Dollar, die die Familie bereits für eine Kochsalzlösung ausgegeben hatte, die im Krankenhaus ausgegangen war.

Obwohl es an vielen Orten im ganzen Land öffentliche Apotheken mit subventionierten Preisen gibt, haben diese nicht immer Zugang zu den benötigten Medikamenten. Oder wenn doch (weil die schlimmsten Engpässe überwunden sind), sind selbst die niedrigeren Preise – für Medikamente, die früher kostenlos waren – für viele unerschwinglich.

Tatsächlich berichtete die UN-Sonderberichterstatterin zu den negativen Auswirkungen der einseitigen Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte, Alena Douhan, im Jahr 2021, dass in Venezuela nach Angaben des nationalen Pharmaverbands 85 Prozent der Medikamente fehlten; vor allem teure Behandlungen wie Herzoperationen, Dialyse und Krebsbehandlungen bleiben unerschwinglich. Dies ist eine Folge der Sanktionen, die im Rahmen der „Kampagne des maximalen Drucks“ der USA seit 2017 verhängt und zunehmend verschärft wurden.

Aus demselben Grund ist in Venezuela die Zahl der registrierten Ärzte um 45,7 Prozent zurückgegangen, sodass in den öffentlichen Krankenhäusern ein 50- bis 70-prozentiger Mangel an qualifiziertem medizinischem Personal herrscht. Bis zu 80 Prozent der Krankenhausausrüstung ist in einem desolaten Zustand. Es fehlen viele Teile, die früher aus den USA importiert wurden. In anderen Fällen wurde der Kauf von medizinischen Ausrüstungsgegenständen aus anderen Ländern durch die US-Sanktionen blockiert, die diese daran hindern, mit Venezuela Geschäfte zu machen, da sie Gefahr laufen, mit denselben Sanktionen belegt zu werden.

Dies würde erklären, warum Franciscos Zimmernachbarn gesagt wurde, dass er geröntgt werden muss, das Krankenhaus aber keine funktionierenden Röntgengeräte hat und er ein privates Labor suchen und bezahlen müsse. Er wurde wegen einer kollabierten Lunge nach einer missglückten Operation in einer Privatklinik behandelt, wo er sich eine weitere Behandlung, die etwa 1.000 Dollar pro Tag gekostet hätte, nicht leisten konnte.

Da das Krankenhaus nur über einen Rollstuhl verfügt und personell stark unterbesetzt ist, müsse seine Familie auch den Transport organisieren, da er nicht in der Lage war, selbst zu gehen.

In der Zwischenzeit wartete Francisco mit seiner Schwiegertochter und seinem Sohn, die schon seit einiger Zeit arbeitslos waren. Zwei Wochen später, am 12. April, starb er, da er die notwendigen medizinischen Untersuchungen nicht bekommen konnte, die bei der Diagnose und Behandlung seiner Krankheit hätten helfen können.

In einem einzigen Jahr starben in Venezuela 40.000 Menschen wie Francisco an den Folgen der US-Sanktionen, die das Land daran hinderten, Medikamente zu importieren und wichtige Güter wie Öl zu exportieren, was die Wirtschaft lähmte und die Fähigkeit des Landes beeinträchtigte, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Im selben Jahr waren weitere 300.000 Menschen vom Tod bedroht, weil sie mehr als ein Jahr lang keinen Zugang zu wichtigen Medikamenten gegen Diabetes, Krebs, HIV, Nierenerkrankungen und andere behandelbare Krankheiten hatten. Viele haben das Land auf der Suche nach erreichbaren Medikamenten verlassen; viele andere starben, wie Alexis Bolívar von [der Menschenrechtsorganisation] Rompiendo la Norma im Fall der HIV/Aids-Kranken berichtet, von denen die LGBTQ+-Gemeinschaft stark betroffen ist.

Der Zeitrahmen, von dem ich immer wieder gehört habe – von Menschen aller politischen Richtungen, einschließlich Familienmitgliedern von Patienten, dem Rollstuhlbegleiter der mit mir über die defekten Aufzüge mit fehlenden Türen sprach, und Kommune-Mitgliedern im ganzen Land – fällt mit den Jahren zusammen, in denen die USA unter Donald Trump ihre „Kampagne des maximalem Drucks” gegen Venezuela verschärft haben, angeblich angetrieben von der Sorge um die Menschenrechte angesichts der Demokratie und des Wahlprozesses des Landes.

Doch diese Rhetorik hat sich nicht nur immer wieder als falsch erwiesen, Trump selbst hat diesen Mythos widerlegt, als er im Juni 2023 erklärte: „Als ich aus dem Amt schied, stand Venezuela kurz vor dem Zusammenbruch. Wir hätten es übernommen. Wir hätten das ganze Öl bekommen. Es wäre direkt vor unserer Tür gewesen.” Diese Erklärung erinnert an ein Statement seines Außenministers Mike Pompeo vier Jahre zuvor: „Wir wünschen uns immer, dass die Dinge schneller gehen könnten… Der Kreis schließt sich, die humanitäre Krise nimmt stündlich zu… Sie können den zunehmenden Schmerz und das Leid sehen, unter dem das venezolanische Volk leidet.”

Auf der Grundlage einer bilateralen Studie über 36 andere Öl produzierende Länder konstatierte der Wirtschaftswissenschaftler und Oppositionsanhänger Francisco Rodríguez, dass „der Kollaps der venezolanischen Ölproduktion” seit Trumps pauschalen Sanktionen gegen den Ölsektor im Jahr 2017 „eine Dimension hat, die man sonst nur kennt, wenn Armeen Ölfelder in die Luft jagen”. Er erklärte, dass „das einzige Land, das in diesem Zeitraum eine ähnliche Trendwende wie Venezuela erlitten hat, der Jemen war, dessen Ölfelder zu jener Zeit Ziel einer saudischen Bombenkampagne waren.”

Laut Zahlen, die im folgenden Jahr veröffentlicht wurden, ließen die von den USA verhängten Sanktionen die Einnahmen der Regierung auf nur noch ein Prozent dessen schrumpfen, was sie vor den Sanktionen gewesen waren – mit anderen Worten: ein Rückgang um 99 Prozent. Ein Regierungsbericht aus dem Jahr 2023 schätzt, dass „Venezuela seit 2015 durchschnittlich 40 Milliarden Dollar pro Jahr verloren hat”, während die Produktion der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA, der Quelle des größten Teils der Sozialausgaben des Landes, aufgrund der US-Blockade von Januar 2015 bis Juni 2020 um 87 Prozent zurückging.

Die Situation hat sich zwar leicht verbessert, aber die Fähigkeit der Regierung, Sozialprogramme zu finanzieren, bleibt infolge der US-Blockade ein Schatten dessen, was sie einmal war. In dem Bericht heißt es: „Obwohl das Land zwischen 2021 und 2022 einen leichten Aufschwung erlebte, entsprechen die Einnahmen des letzten Jahres nur zehn Prozent dessen, was Venezuela in dem Jahr erzielte, als die wirtschaftliche Aggression begann.”

Wie die Ökonomin Pasqualina Curcio darlegt, hätten allein die durch den Wirtschaftskrieg von 2016 bis 2019 verlorenen Ressourcen ausreichen können, „um genügend Lebensmittel und Medikamente für 45 Jahre zu importieren” oder das (öffentliche und private) Gesundheitssystem für 29 Jahre zu finanzieren.

Rodríguez stellt darüber hinaus fest, dass „Venezuelas starke Verschlechterung der Indikatoren für Gesundheit, Ernährung und Lebensmittelsicherheit mit dem größten wirtschaftlichen Zusammenbruch außerhalb von Kriegszeiten seit 1950 einherging”, wobei die Sterblichkeit im Jahr nach der Verhängung der Sanktionen um 31 Prozent anstieg. Im März 2020 schätzte der ehemalige UN-Sonderberichterstatter Alfred de Zayas, dass 100.000 Venezolaner infolge der Sanktionen gestorben waren.

Das Krankenhaus, in das Francisco eingeliefert wurde, ist wie andere im Land nur noch eine Hülle von dem, was es einmal war: eine solide, kostenlose und gut ausgestattete Einrichtung mit guten Ärzten, die sich in einem Land mit einem der höchsten Indizes für menschliche Entwicklung der Welt um seine Patienten kümmerte. Das liegt daran, dass die Regierung mit Beginn der bolivarischen Revolution im Jahr 1999 begann, 75 Prozent ihrer Mittel für Sozialausgaben einzusetzen, was einer Steigerung von 50 Prozent gegenüber dem vorherigen Stand entspricht.

Zu diesen Programmen, die größtenteils mit Öleinnahmen finanziert werden, gehören die Misión Barrio Adentro [Hinein ins Stadtviertel], die in 320 der 355 venezolanischen Gemeinden Gesundheitsstationen eingerichtet hat, die Misión Sonrisa [Lächeln], die kostenlose Zahnbehandlungen anbietet, und die Misión Milagro [Wunder], die rund 300.000 Venezolanern das Augenlicht wiedergeben und einer Million Menschen Augenoperationen ermöglicht hat.

Aber diese und viele andere Programme wurden mit der Sabotage der venezolanischen Wirtschaft durch die USA zunichte gemacht, die Richard Nixons altem Auftrag folgte, „die Wirtschaft zum Schreien zu bringen” (“make the economy scream“), als ein wesentlicher Bestandteil der Strategie für einen Regime change. Wie ein unabhängiger Experte in einem UN-Bericht von 2018 schrieb: „Moderne Wirtschaftssanktionen und Blockaden sind vergleichbar mit mittelalterlichen Belagerungen von Städten mit der Absicht, sie zur Kapitulation zu zwingen. Die Sanktionen des 21. Jahrhunderts versuchen nicht nur eine Stadt, sondern ganze Länder in die Knie zu zwingen.”

Drei Jahre später veröffentlichte UN-Sonderberichterstatterin Douhan einen Bericht über die Folgen einseitiger Zwangsmaßnahmen in Venezuela, in dem sie unter anderem zu dem Schluss kam, dass „die Verschärfung der Sanktionen ab 2017 die positiven Auswirkungen der zahlreichen Reformen und die Fähigkeit des Staates, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten und weiterhin Sozialprogramme umzusetzen, untergraben hat”. Der Bericht zeigt beispielsweise auf, dass die Herzklinik für Kinder, die Douhan als die modernste des Landes bezeichnet, in der 90 Prozent der Kinderherzoperationen landesweit durchgeführt werden, aufgrund dieser Maßnahmen ihre Operationen von 2015 bis 2020 um 94 Prozent senken musste.

Unterdessen ist im Kinderkrankenhaus J. M. de Los Ríos in Caracas, dem wichtigsten Krankenhaus für die Behandlung von Kindern von außerhalb der Hauptstadt, „die Versorgung in mehreren seiner 34 Fachbereiche Berichten zufolge nicht mehr möglich. Dem Krankenhaus fehlt es an Basismedikamenten, medizinischer Ausrüstung und Instrumenten, und es kann die Patienten nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen. Patienten, die onkologische und hämatologische Behandlungen benötigen, können nicht vollständig behandelt werden, sodass die Familien gezwungen sind, sich andernorts um zusätzliche Behandlungen zu bemühen – wenn sie es sich leisten können. Auch hier sind die Ärmsten am stärksten betroffen.”

Am 27. Juli 2023 erklärte Dr. Isabel Iturria, die Leiterin der Kinderkardiologie des Krankenhauses Dr. Gilberto Rodriguez Ochoa – die Operationen für Kinder im ganzen Land durchführt, wobei 85 Prozent der Patienten aus dem Landesinneren kommen – einer Delegation des Internationalen Volkstribunals gegen den US-Imperialismus, dass sie zwar begonnen haben, wieder mehr Operationen durchzuführen (bisher 406 in diesem Jahr) und eine hohe Erfolgsquote von 96 Prozent halten können, aber die Bedingungen, unter denen die Operationen stattfinden, alles andere als ideal sind.

Während sie beispielsweise vor der Blockade in der Lage waren, mit Hilfe von Kathetern weniger invasive und risikoreiche Herzoperationen an Kindern, von Neugeborenen bis zu Jugendlichen, durchzuführen, müssten sie jetzt sehr viel invasivere Herzoperationen vornehmen, weil sie aufgrund der US-Blockade keine Katheter kaufen können. Außerdem, so erklärt sie, „gibt es keine Sägen, um den Brustkorb der Kinder zu öffnen; wir operieren jeden Tag vier Kinder und wir brauchen vier Sägen. Wir haben eine. Warum haben wir nicht mehr? Weil es unmöglich ist, sie zu kaufen (…) Wir müssen also mit nur einer arbeiten und ein Messer verwenden, um den Brustkorb zu öffnen, eine Methode, die wir schon vor vielen Jahren wegen der möglichen Folgen aufgegeben hatten.”

Andere Operationen sind durch unzureichende Klimaanlagen eingeschränkt, ohne die sie nicht sicher arbeiten könnten. „Sie wollen uns nichts verkaufen”, sagte sie und sprach von den vielen vereitelten Versuchen des Krankenhauses, medizinische Geräte zu erwerben – selbst wenn sie das Geld haben.

Venezuela ist keineswegs ein Einzelfall, wenn auch einer der schwerwiegendsten. Nach Angaben des US-Finanzministeriums aus dem Jahr 2021 haben die US-Sanktionen in den letzten 20 Jahren um 933 Prozent zu zugenommen, was bedeutet, dass fast ein Drittel der Weltwirtschaft und ein Viertel der Länder der Welt davon betroffen sind. Wenn die USA nicht mit Panzern und Waffen gewinnen können, so das Kalkül, wird vielleicht eine Kampagne, um die Menschen zu erdrosseln, den Regime change beschleunigen.

Obwohl sie Zehntausende getötet haben und trotz der Zahlen des täglichen Lebens, die nur mit denen von Schlachtfeldern vergleichbar sind, konnten die Sanktionen den Venezolanern weder die Freude am Leben nehmen noch das Ziel eines Regime change erreichen. Zwar kann eine Erkrankung den durchschnittlichen Venezolaner wegen der verheerenden US-Blockade das Leben kosten, aber sie hat nicht verhindern können, dass sich die Plätze mit Musik, Theater und quirligem Leben füllen. Beeinträchtigt hat sie auch die Herzlichkeit, den Schöpfergeist und die Widerstandskraft der Menschen nicht, die sich weigern, sich unterkriegen zu lassen.

Übersetzung: Klaus E. Lehmann, Amerika21

Titelbild: Shutterstock / Ilin Sergey

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