„Brutaler Angriff Russlands“ – Baerbocks Aussagen zu Kostjantyniwka bringen Auswärtiges Amt in Erklärungsnot

„Brutaler Angriff Russlands“ – Baerbocks Aussagen zu Kostjantyniwka bringen Auswärtiges Amt in Erklärungsnot

„Brutaler Angriff Russlands“ – Baerbocks Aussagen zu Kostjantyniwka bringen Auswärtiges Amt in Erklärungsnot

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 6. September 2023 schlug eine Rakete auf dem Markt in Kostjantyniwka in der Oblast Donezk ein und tötete mindestens 16 Zivilisten. Die deutsche Außenministerin Baerbock sprach umgehend von einem „brutalen Angriff Russlands auf unschuldige Menschen, die friedlich auf einem Markt einkaufen“. Doch eine detailliert belegte Recherche der New York Times widerspricht dieser Aussage und kommt zum Schluss, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine von ukrainischen Militärs abgeschossene Rakete handelte. Die NachDenkSeiten wollten auf der Bundespressekonferenz vom Auswärtigen Amt wissen, auf welcher Informationsgrundlage Baerbock ihre damalige Vorverurteilung Russlands traf. Von Florian Warweg.

US-Außenminister Antony Blinken weilte gerade in Kiew, als die Rakete den Marktplatz von Kostjantyniwka traf und 16 Zivilisten in den Tod riss. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte sofort Russland für den Beschuss der Stadt im Donbas verantwortlich und sprach in diesem Zusammenhang von der „Unverschämtheit des Bösen“. Die bundesdeutsche Außenministerin machte sich offensichtlich diese Sichtweise ungeprüft zu eigen und erklärte kurz danach:

„Der brutale Angriff auf unschuldige Menschen, die friedlich auf einem Markt einkaufen, verdeutlicht: Dieser russische Angriffskrieg ist ein Angriff auf das Völkerrecht, auf die Menschlichkeit.“

Auch der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), in dem Deutschland über starken Einfluss verfügt, bewertete den Angriff bei einer Sitzung am 7. September als potentielles russisches Kriegsverbrechen.

Doch eine umfassende Recherche der New York Times (die NachDenkSeiten berichteten) kommt nach Analyse von Raketensplittern, Satellitenbildern, Videoaufnahmen und Zeugenaussagen von Einwohnern und Militärs zum Schluss, dass es sich den vorliegenden Beweisen nach um eine Rakete handelte, die von ukrainischen Truppen aus von Kiew kontrolliertem Gebiet abgeschossen wurde. Vor diesem Hintergrund wollten wir auf der Bundespressekonferenz vom Auswärtigen Amt (AA) wissen, auf welcher Informations- und Quellengrundlage die bundesdeutsche Außenministerin damals, am 6. September, die zitierte Aussage und explizite Schuldzuweisung an Russland getroffen hat. Dem Sprecher des AA war es sicht- und hörbar nicht möglich, auf die Frage eine adäquate Antwort zu geben:

Protokollauszug der Bundespressekonferenz vom 20. September 2023:

Warweg:

Am 6. September traf eine Rakete den belebten Marktplatz von Kostjantyniwka in der Oblast Donezk. Dabei starben mindestens 16 Zivilisten. Frau Baerbock hat umgehend noch am selben Tag erklärt, dies sei ein brutaler Angriff Russlands auf unschuldige Menschen, die friedlich auf einem Markt einkaufen. Die New York Times hat am 18. September – das wird Ihnen sicherlich bekannt sein – eine umfassende Recherche auf Basis von Auswertungen, Satellitendaten, Filmaufnahmen sowie Zeugenaussagen von Militärs und Zivilisten vorgelegt. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rakete mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von ukrainisch besetztem (kontrollierten) Gebiet und von ukrainischen Soldaten abgefeuert wurde. Dazu würde mich interessieren: Auf welcher Informations- und Quellengrundlage hat denn die Außenministerin damals, am 6. September, diese Aussage und explizite Schuldzuweisung an Russland getroffen?

Wagner (AA):

Um es einmal sehr klarzumachen, das habe ich eben auch noch einmal gesagt: Russland hat die Ukraine angegriffen. Russland hat allein in dieser Woche wieder mit vielen Angriffen zivile Ziele in der Ukraine getroffen, Drohnen, die auf Wohnhäuser gingen etc. Sie haben ja richtig gesagt, dass die, Sie haben es nicht gesagt, sondern ich habe es mir eingebildet. Die Ukraine hat ja auf diese Berichterstattung reagiert und eine Ermittlung angekündigt. Wir würden jetzt einmal die Ergebnisse dieser Ermittlung abwarten.

Zusatzfrage Warweg:

Können Sie mir noch darlegen, wieso das Auswärtige Amt jetzt Ermittlungen abwartet, aber am selben Tag keine Ermittlungen abgewartet und ohne eigene Erkenntnisse diese Schuldzuweisung getroffen hat? Deswegen war ja die Frage, die Sie nicht beantwortet haben: Auf welcher Quellen- und Informationsgrundlage hat die Außenministerin am 6. September kurz nach diesem Vorfall sagen können, dass es Russland war?

Wagner (AA):

Die Ukraine hat auf diesen Medienbericht reagiert und eine Ermittlung angekündigt. Dabei wird sich dann herausstellen, ob es sich in diesem konkreten Fall um einen Angriff Russlands oder um einen tragischen Unfall gehandelt hat. Diese Ermittlungen werden wir jetzt abwarten.

Zusatz Warweg

Das war keine Antwort auf meine Frage.

Wagner (AA):

Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, Herr Warweg.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.