Israel und die Vereinten Nationen

Israel und die Vereinten Nationen

Israel und die Vereinten Nationen

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Israel hat Probleme mit den Vereinten Nationen. Geht es um den Konflikt des Landes mit Palästina, geraten israelische Diplomaten schnell außer sich und fordern die Weltorganisation und deren Mitgliedsstaaten heraus. Das anhaltende Bombardement der Bevölkerung in Gaza, von dicht besiedelten Wohnvierteln, Flüchtlingslagern, Schulen, Krankenhäusern, ziviler Infrastruktur, von Journalisten und ihren Familien zeigt, dass Israel zentrale Vereinbarungen des internationalen Rechts ignoriert. Von Karin Leukefeld.

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Hintergrund

Resolution 273 der Generalversammlung, 11. Mai 1949 nach Kenntnisnahme des Berichts des Sicherheitsrats über den Antrag Israels auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, in Anbetracht der Tatsache, dass Israel nach dem Urteil des Sicherheitsrates ein friedliebender Staat ist und in der Lage und willens ist, die in der Charta enthaltenen Verpflichtungen zu erfüllen, in Anbetracht der Tatsache, dass der Sicherheitsrat der Generalversammlung empfohlen hat, Israel zur Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zuzulassen, ferner in Kenntnis der Erklärung des Staates Israel, dass er „die Verpflichtungen der Charta der Vereinten Nationen vorbehaltlos akzeptiert und sich verpflichtet, sie von dem Tag an zu erfüllen, an dem er Mitglied der Vereinten Nationen wird“ unter Hinweis auf ihre Resolutionen vom 29. November 1947 und 11. Dezember 1948 und unter Kenntnisnahme der Erklärungen und Erläuterungen, die die Vertreter der Regierung Israels vor dem Politischen Ad-hoc-Komitee in Bezug auf die Durchführung der genannten Resolutionen abgegeben haben,

Die Generalversammlung
in Erfüllung ihrer Aufgaben nach Artikel 4 der Charta und Artikel 125 ihrer Geschäftsordnung,
1. beschließt, dass Israel ein friedliebender Staat ist, der die in der Charta enthaltenen Verpflichtungen annimmt und in der Lage und willens ist, diese Verpflichtungen zu erfüllen;
2. beschließt, Israel zur Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zuzulassen.

Quelle: UN

UN-Mitgliedschaft an Bedingungen gebunden

(…), dass Israel ein friedliebender Staat ist, der die in der Charta enthaltenen Verpflichtungen annimmt“ und erfüllt.

Die Menschen im Bombenhagel nicht zu schonen, ihnen Wasser, Strom, Treibstoff, medizinische Versorgung, Lebensmittel, Kommunikationsverbindungen zu kappen, gilt auch im Krieg als Verbrechen. Während immer mehr Staaten ihre Botschafter aus Israel zurückrufen oder – wie Bolivien – die diplomatischen Beziehungen abbrechen, verharrt die Bundesregierung in Berlin in Nibelungentreue an der Seite Israels. Außenministerin Baerbock erklärte, Israel habe – wie jeder Staat auf der Welt – die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen und sich gegen Angriffe zu verteidigen. Die Menschen im Flüchtlingslager Jabaliya – von Israel innerhalb von 24 Stunden zwei Mal bombardiert – bezeichnete Baerbock als „menschliche Schutzschilde“ der „Terrororganisation Hamas“. Das offenbart nicht nur Menschenverachtung gegenüber den Opfern der Bombenangriffe, es zeigt auch, dass die deutsche Außenministerin die Geschichte des Staates Israel und von Palästina nicht kennt.

Die UN zerteilt Palästina

Vor dem Ende der britischen Mandatszeit (1920 bis 1948) wurde Palästina mit dem UN-Teilungsplan geteilt (UN-Resolution 181 II). Damit folgte die neu gegründete UNO einem Versprechen der britischen Kolonialmacht aus dem Jahr 1917. Damals hatte der britische Außenminister Lord Balfour der zionistischen Nationalbewegung die Unterstützung der britischen Krone bei der Bildung einer „jüdischen Heimstatt“ in Palästina zugesagt. Die in Palästina lebende Bevölkerung lehnte das ab, und schon bevor und während der UN-Teilungsplan diskutiert wurde, gab es Proteste und Kämpfe.

Der im November 1947 beschlossene Teilungsplan (UN-Resolution 181 II) teilte Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Obwohl von den damals rund 1.900.000 Einwohnern mehr als zwei Drittel muslimische, christliche und drusische Palästinenser und ein Drittel zumeist eingewanderte Juden waren, hatte die ursprünglich dort lebende palästinensische Bevölkerung keine Stimme. Ein Referendum war abgelehnt worden. Der jüdische Staat sollte 56,47 Prozent Palästinas umfassen, der arabische Staat 42,88 Prozent. Die Stadt Jerusalem sollte mit 0,65 Prozent als „corpus separatum“ unter UN-Verwaltung gestellt werden. Alle drei Teile sollten in einer Wirtschaftsunion zusammengefasst werden. Die Hafenstadt Jaffa gehörte zum arabischen Staat. Die UNO hatte damals 56 Mitgliedsstaaten, von denen 33 dafür, 13 dagegen stimmten und zehn Staaten sich enthielten. Alle arabischen Staaten stimmten dagegen.

Die Vertreibung

Obwohl die Zionisten den Teilungsbeschluss als Gründungsdokument ihres Staates ansahen, starteten sie unmittelbar nach Verabschiedung des Teilungsplans militärische Operationen zur Vertreibung der Palästinenser, um das ihnen mit dem Teilungsplan zugestandene Gebiet zu erweitern. Sie überfielen Dörfer, töteten und vertrieben die Bevölkerung. 530 palästinensische Dörfer wurden zerstört. Beim Jahreswechsel 1948/49 verfügten die Palästinenser nur noch über 22 Prozent des Landes, das der UN-Teilungsplan für sie vorgesehen hatte. Ost-Jerusalem war von jordanischen arabischen Legionen gegen die zionistischen Milizen verteidigt worden. West-Jerusalem dagegen war schon früh von der zionistischen Untergrundarmee Haganah eingenommen und die palästinensische Bevölkerung vertrieben worden. Damit ignorierten die Zionisten auch den Teil des UN-Teilungsplans, wonach Jerusalem als „corpus separatum“ unter internationale Verwaltung gestellt werden sollte.

Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen. Am Tag darauf, am 15. Mai 1948, beantragte Israel die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen. Der Antrag wurde vom UN-Sicherheitsrat nicht behandelt. Ebenfalls am 15. Mai 1948 erklärten die arabischen Staaten Israel den Krieg. Die UN-Vollversammlung ernannte am 20. Mai 1948 den schwedischen Diplomaten Graf Folke Bernadotte zum UN-Vermittler für Palästina. Bernadotte konnte einen Waffenstillstand verhandeln und legte den Grundstein für das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, die UNRWA. Er äußerte sich kritisch zu den „ethnischen Säuberungen“ gegen die Palästinenser und darüber, „dass Israel ganz Jerusalem für sich beanspruchte, was dem UN-Teilungsplan widersprach. Am 17. September 1948 wurde der UN-Sondervermittler Bernadotte von der Stern Gruppe, einer zionistischen Miliz, ermordet. Der Stern Gruppe gehörte auch Yitzhak Schamir an, der spätere israelische Ministerpräsident. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Ermordung Bernadottes.

Am 11. Dezember 1948 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Resolution 194, in der der Status von Jerusalem und das Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge (wenn machbar) sowie die Wiedergutmachung für ihre Verluste festgelegt wurden. Am 17. Dezember 1948 wurde ein zweiter Antrag Israels auf Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen vom UN-Sicherheitsrat abgelehnt.

Nach Parlamentswahlen 1949 stellte Israel zum dritten Mal einen Antrag auf die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen. Am 4. März 1949 stimmte der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 69 für die Mitgliedschaft. Vorbehalte kamen von Großbritannien, das sich bei der Abstimmung mit der Begründung enthalten hatte, dass Israel sich nicht an die UN-Prinzipien halte und den UN-Teilungsplan nicht akzeptiere. Die UN-Vollversammlung stimmte der Mitgliedschaft Israels am 11. Mai 1949 zu, formulierte aber Bedingungen. Danach wird Israel als Mitglied bei den Vereinten Nationen aufgenommen unter der Bedingung, dass Israel die Resolutionen 181 II und 194, den UN-Teilungsplan und das Recht auf Rückkehr der Palästinenser (wenn machbar) sowie deren Wiedergutmachung akzeptiert und umsetzt.

Mehr als 200 Resolutionen allein des UN-Sicherheitsrates hat Israel seither ignoriert.

1967, nach dem Sechs-Tage-Krieg, wurde eine weitere wichtige Resolution der Vereinten Nationen verabschiedet, dieses Mal vom UN-Sicherheitsrat. Es handelte sich um die Resolution 242 vom 22. November 1967, die feststellt, dass die „Eroberung von Land durch Krieg unzulässig“ sei und sich die israelischen Truppen aus den besetzten Gebieten (1967) zurückziehen müsse. Dabei ging es um Ost-Jerusalem, das Westjordanland, den Gazastreifen und die syrischen Golanhöhen, die Israel im Sechs-Tage-Krieg (Juni 1967) besetzt hatte. Doch Israel hatte bereits damit begonnen, die besetzten Gebiete zu kolonisieren, insbesondere durch den illegalen Siedlungsbau. Israel verstieß damit gegen internationales Recht und die 4. Genfer Konvention.

Bei der UN-Generalversammlung am 22. September 2023 trat Ministerpräsident Benjamin Netanyahu mit einer Karte ans Rednerpult, auf der er demonstrieren wollte, dass Israel und Saudi-Arabien – damals in einem politischen Annäherungsprozess begriffen, der von den USA begleitet wurde – unmittelbar vor einer Vereinbarung stünden. Auf der Karte der Region, die Netanyahu in die Höhe hielt, umfasste Israel das gesamte Gebiet von Palästina, ohne dass das palästinensische Westjordanland, Gaza oder Ost-Jerusalem, die vorgesehene Hauptstadt eines Staates Palästina, zu sehen waren. Die palästinensischen Gebiete, die einen palästinensischen Staat bilden sollten, waren ausradiert.

Der Angriff der Qassam-Brigaden

Auf den beispiellosen Angriff der Qassam-Brigaden aus dem Gazastreifen auf Gebiete im südlichen Israel am 7. Oktober 2023 reagierte Israel mit beispielloser Gewalt gegen die Palästinenser zunächst im Gazastreifen, inzwischen auch im besetzten Westjordanland. Forderungen im UN-Sicherheitsrat und in der Generalversammlung nach einem Waffenstillstand und Hilfe für die Zivilbevölkerung wurden von israelischen Diplomaten mit Drohungen und Anschuldigungen beantwortet. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres wurde beschimpft und zum Rücktritt aufgefordert, als er bei einer Sitzung im UN-Sicherheitsrat (24. Oktober 2023) darauf hinwies, dass der Angriff nicht aus dem luftleeren Raum gekommen sei. Seit mehr als 56 Jahren lebten die Palästinenser unter einer erdrückenden israelischen Besatzung, ein eigener Staat werde ihnen verwehrt. Keine Partei in einem bewaffneten Konflikt stehe über dem internationalen humanitären Recht, sagte Guterres unter Verweis auf die eindeutigen Verstöße gegen das humanitäre Recht, die in Gaza zu beobachten seien.

Die USA verhinderten mehrere Resolutionsentwürfe für einen sofortigen Waffenstillstand, die nicht das „Verteidigungsrecht“ Israels und die Verurteilung der Hamas als „Terror-Organisation“ enthielten. Während der politischen Kämpfe im UN-Sicherheitsrat wurden (Stand 2. November) durch die israelischen Bombardements auf den Gazastreifen mehr als 8.700 Menschen getötet, darunter mehr als 3.600 Kinder.

Am 27. Oktober 2023 nahm die UN-Generalversammlung mit 121:14:44 Stimmen eine Resolution arabischer Staaten an, in der ein „sofortiger, dauerhafter und nachhaltiger humanitärer Waffenstillstand“ zwischen den israelischen Streitkräften und den Kämpfern der Hamas in Gaza gefordert wird. Zudem müsse eine „kontinuierliche, ausreichende und ungehinderte“ Versorgung der in Gaza eingeschlossenen Zivilbevölkerung sichergestellt werden.

Israel lehnte ab und verstärkte sein Bombardement aus der Luft mit Artillerie und von der Marine auf den palästinensischen Küstenstreifen noch am gleichen Tag. Die Versorgung mit Wasser, Medikamenten und Treibstoff ist unterbrochen. Die Kommunikation in Gaza wurde gekappt, weder Telefone noch Internetverbindungen funktionieren.

Am Montag (30. Oktober 2023) erschien der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan mit einem gelben Davidsstern auf seiner Anzugsjacke. „Never again“ stand darauf, „nie wieder“. Die zwei Worte erinnern an den deutschen Faschismus und dessen Vernichtung von Juden, von religiösen, ethnischen und gesellschaftlichen Gruppen und politischen Gegnern. Er trage den Stern, „wie seine Großeltern und die Großeltern von Millionen Juden“ den Stern getragen hätten, sagte Erdan. Man werde den Stern so lange tragen, bis die Vereinten Nationen die Gräueltagen der Hamas verurteilten und die sofortige Freilassung der Geiseln forderten.

Kritik an der Aktion kam vom Vorsitzenden der Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan. Sich den Stern anzuheften sei eine „Schande für die Opfer des Holocaust und für Israel“. Der gelbe Stern symbolisiere die Hilfslosigkeit des jüdischen Volkes. Doch heute habe Israel einen unabhängigen Staat und eine starke Armee, so Dayan weiter: „Wir sind die Herren unseres eigenen Schicksals. Heute werden wir uns eine blau-weiße Flagge ans Revers heften, keinen gelben Stern.“

Zahlreiche UN-Diplomaten, UN-Organisationen und Institutionen haben appelliert, Israels Bruch des internationalen Rechts zu stoppen. Es wird nicht explizit gesagt, doch der Aufruf richtet sich an die Regierungen, die Israel – wie die USA und Deutschland – bewaffnen, politisch und medial unterstützen und – wie die USA – verhindern, dass der UN-Sicherheitsrat einstimmig und sofort einen Waffenstillstand fordert. Am 14. Oktober 2023 erklärte Francesca Albanese, die UN-Sonderbeauftragte für die Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten, die seit 1967 von Israel besetzt gehalten werden, „unter dem Deckmantel des Krieges (…) versucht Israel erneut und im Namen der Selbstverteidigung zu rechtfertigen, was auf eine ethnische Säuberung hinauslaufen würde.“

Zur Erinnerung: Am 11. Mai 1949 war Israel als Mitglied bei den Vereinten Nationen unter der Bedingung aufgenommen worden, dass es die Resolutionen 181 II (den UN-Teilungsplan) und 194 (den UN-Teilungsplan und das Recht auf Rückkehr der Palästinenser (wenn machbar) und deren Wiedergutmachung) akzeptiert und umsetzt. Bis heute hat Israel es nie für „machbar“ gehalten, dass die Palästinenser zurückkehren könnten. Im Gegenteil, Israel hat alles dafür getan, sich das Land Palästina anzueignen. Die USA haben immer ihre schützende Hand über Israel gehalten.

Die Palästinenser werden vertrieben, verhaftet, getötet. Im Oktober 2023 haben hochrangige israelische Politiker und Persönlichkeiten die Palästinenser als „Tiermenschen“ bezeichnet.

Titelbild: Vitalii Vodolazskyi/shutterstock.com

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