Bundesregierung will nachweislich völkerrechtswidriges US-Embargo gegen Kuba nicht als Völkerrechtsbruch bezeichnen

Bundesregierung will nachweislich völkerrechtswidriges US-Embargo gegen Kuba nicht als Völkerrechtsbruch bezeichnen

Bundesregierung will nachweislich völkerrechtswidriges US-Embargo gegen Kuba nicht als Völkerrechtsbruch bezeichnen

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 16. und 17. November fand in Brüssel in den Räumen des EU-Parlaments ein internationales Tribunal zum US-Embargo gegen Kuba statt. (Die NachDenkSeiten berichteten.) Das abschließende Urteil des Tribunals nach Anhörung von Anklage und Verteidigung lautete: „Die umfassenden politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, die seit 1960 gegen die Republik Kuba verhängt wurden, verstoßen gegen das Völkerrecht.“ Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bundesregierung diese Einschätzung des Brüsseler Tribunals teilt, auch eingedenk der Tatsache, dass Deutschland am 3. November in der UN-Vollversammlung für eine Resolution gestimmt hatte, die diese Blockade in scharfen Worten verurteilt hatte. Doch der Sprecher des Auswärtigen Amtes reagierte auffallend gereizt auf die Frage und weigerte sich öffentlich einzugestehen, dass die USA mit der Blockade geltendes Völkerrecht brechen. Von Florian Warweg.

Vertreter der US-amerikanischen und europäischen Zivilgesellschaft, insbesondere die Internationale Vereinigung Demokratischer Juristen (IADL) sowie der US-Anwaltsverband National Lawyers Guild, hatten das Tribunal in den Räumen des EU-Parlaments einberufen. Dutzende Zeugen waren vernommen und umfangreiches Beweismaterial gesammelt worden. Das Richtergremium hörte die detaillierte Anklageschrift an und prüfte ebenso die Argumente zur Verteidigung der angeklagten US-Regierung. Das Tribunal knüpft in seinem Format an das sogenannte Russell-Tribunal zur Untersuchung und Dokumentation von US-Kriegsverbrechen im Vietnamkrieg an.

Das Richtergremium setzte sich aus fünf juristischen Fachleuten unter Vorsitz des deutschen Juristen Norman Paech (Völkerrecht und Menschenrechte, BRD), Simone Dioguardi (Internationales Handelsrecht, Italien), Ricardo Avelas (Verwaltungsrecht, Portugal), Dimitrios Kaltsonis (Staats- und Rechtstheorie, Griechenland) sowie Suzanne Adely (Menschenrechtsanwältin, National Lawyers Guild, USA) zusammen. Zudem wirkte begleitend die deutsche Publizistin Daniela Dahn mit.

Als Experten und Zeugen zu den Auswirkungen der US-Blockade waren unter anderem der dänische Diplomat Mogens Lykketoft, der 2015 den Vorsitz der UN-Generalversammlung innehatte, sowie der spanische Europaabgeordnete Miguel Ángel Martínez, welcher von 2007 bis 2014 Präsident des Europäischen Parlaments war, geladen.

Das knapp fünfseitige vorläufige Urteil kommt zu einem eindeutigen Schluss:

„Die umfangreichen politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, die seit 1960 bis heute gegen die Republik Kuba verhängt wurden, verstoßen gegen das Völkerrecht. Dazu gehören vor allem die Artikel 2(4) und 2(7) der UN-Charta zum Schutz der Souveränität, der Selbstbestimmung und des Interventionsverbots, die Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Pakt) von 1966 sowie die Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) zum Schutz der Handelsfreiheit und zahlreiche Grundsätze des Vertrags über die Europäische Union (EUV, Maastricht-Vertrag).“

Bezugnehmend auf das Tribunal und sein Urteil wollten die NachDenkSeiten vom Sprecher des Auswärtigen Amtes wissen, ob die Bundesregierung die Einschätzung teilt, dass die seit über sechs Jahrzehnten anhaltende umfassende US-Blockade gegen die karibische Insel gegen internationales Völker- und Handelsrecht verstößt. Da die Bundesregierung am 3. November in der UN-Vollversammlung in New York zusammen mit 186 weiteren Staaten für eine von Kuba eingebrachte Resolution mit dem Titel „Notwendigkeit der Beendigung des Wirtschafts-, Handels- und Finanzembargos des von den Vereinigten Staaten von Amerika gegen Kuba verhängten Embargos“ gestimmt hatte (Die NachDenkSeiten berichteten), welche die sofortige und bedingungslose Aufhebung der Blockade fordert und auch klar die Völkerrechtswidrigkeit benennt, ist es evident, dass die Bundesregierung das US-Vorgehen als Bruch des Völkerrechts bewertet. Doch dies auch öffentlich auszusprechen, das wollte der sichtbar unangenehm berührte Sprecher des Auswärtigen Amtes um jeden Preis vermeiden:

Protokollauszug von der Bundespressekonferenz am 22. November 2023:

Frage Warweg
Am Wochenende des 18. und 19. Novembers fand in dem Räumen des EU-Parlaments ein Tribunal zu dem US-Embargo gegen Kuba statt. Das abschließende Urteil lautete, ich zitiere kurz: „Die umfassenden politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, die seit 1960 gegen die Republik Kuba verhängt wurden, verstoßen gegen das Völkerrecht.“ – Da würde mich interessieren: Teilt denn die Bundesregierung diese Einschätzung des Brüsseler Tribunals? Die Frage geht an das Auswärtige Amt.

Wagner (AA)
Herr Warweg, ich weiß nicht, auf welches Tribunal Sie sich beziehen, aber ich kommentiere das hier nicht.

Zusatz Warweg
Aber Sie können ja grundsätzlich sagen, ob die Bundesregierung die US-Blockade, die sie ja auch erst am 3. November verurteilt hat, als völkerrechtswidrig bezeichnet oder nicht.

Wagner (AA)
Herr Warweg, ich werde mich jetzt hier nicht mit Ihnen auf Diskussionen über Kuba einlassen. Ich kenne den Bezug nicht, den Sie herstellen. Ich kenne dieses Tribunal nicht, das Sie zitieren. Insofern habe ich dem nichts hinzuzufügen.

Zuruf Warweg
(ohne Mikrofon, akustisch unverständlich).

Wagner (AA)
Ich kann gerne schauen, ob wir etwas nachreichen können. Das mache ich gerne.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 22.11.2023