Filmemacher Moritz Enders zum Thema Uranmunition: „Wie kann es sein, dass so ruchlos mit dem Leben anderer Menschen umgegangen wird?“

Filmemacher Moritz Enders zum Thema Uranmunition: „Wie kann es sein, dass so ruchlos mit dem Leben anderer Menschen umgegangen wird?“

Filmemacher Moritz Enders zum Thema Uranmunition: „Wie kann es sein, dass so ruchlos mit dem Leben anderer Menschen umgegangen wird?“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Die NATO hat hier nach meinem Empfinden also eindeutig Kriegsverbrechen begangen.“ Das sagt der Filmemacher Moritz Enders im Interview mit den NachDenkSeiten. Enders hat einen Doku-Film zum Thema Einsatz von Uranmunition auf dem Balkan fertiggestellt, der auf dem Uranium Film Festival in Rio de Janeiro zu sehen sein wird. Seine aktuellen Recherchen verdeutlichen: Uranmunition – das ist ein heikles Thema. Im Interview sagt Enders, Uranmunition stehe „exemplarisch für viele andere Gräueltaten und gehört thematisiert. Wir brauchen darüber einen Diskurs, auch in den Medien.“ Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Marcus Klöckner: „Die NATO hat in dieser Hinsicht Kriegsverbrechen begangen.“ Das sagt gleich zu Beginn Ihres Films „TOXIC NATO“ Manfred Mohr, Professor für Internationales Recht. Die Aussage ist weitreichend. Was ist Ihre Erkenntnis aus den Recherchen? Stimmt das?

Moritz Enders: Die NATO hat hier nach meinem Empfinden also eindeutig Kriegsverbrechen begangen. Zwar sind Produktion und Besitz von Uranwaffen vertraglich noch nicht verboten, deren Einsatz aber ist geächtet und verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte, Umweltrechte und verschiedene mehr. Erschwerend kommt hinzu, dass die NATO gar nicht so sehr militärische Ziele mit Uranmunition beschossen hat, was militär-taktisch einen gewissen Sinn ergeben hätte. Denn aufgrund ihrer Härte ist Uranmunition in der Lage, die Panzerung schwerer Fahrzeuge, wie etwa von Kampfpanzern, zu durchbrechen. Doch die NATO attackierte damit Ziele, die sie auch mit konventioneller Munition hätte attackieren können, ohne dass dies die Effektivität der Angriffe beeinträchtigt hätte.

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Ich denke hier an einen Angriff auf eine Funkstation in der Stadt Vranje, vielleicht kommen wir ja später darauf zurück. Der Einsatz von Uranmunition hat der NATO militärisch also gar keinen Vorteil gebracht. Aber er hat weite Teile des Kosovo und Südserbiens verseucht und zu Tausenden von zusätzlichen Krebserkrankungen geführt. Die NATO hat Zivilisten also nicht geschützt, sondern sie hat sie einem völlig unnötigen höheren Todesrisiko ausgesetzt. Das sind nach meinem Empfinden Kriegsverbrechen.

Sie haben Ihren Doku-Film zu Ende gedreht, er ist aber noch nicht frei verfügbar. Wie lange haben Sie für den Beitrag recherchiert?

Ich hatte im Sommer 2019 in Belgrad mit verschiedenen Wissenschaftlern, Onkologen und auch einem Parlamentarier über das Thema Uranmunition gesprochen. Dann habe ich eine Konferenz im südserbischen Niš besucht, auf der die Folgen des Einsatzes von Uranmunition für Mensch und Umwelt diskutiert wurden. Die Konferenz wurde von Srđan Aleksic organisiert. Er ist der Protagonist meines aktuellen Films. Anschließend hatte ich ein Exposé geschrieben und dieses dem TV-Sender Arte angeboten – leider ohne Erfolg. Allerdings hatte ich die Geschichte seitdem im Hinterkopf behalten.

Wie ging es weiter?

Als ich dann im Spätherbst 2022 mit zwei Kollegen in Etappen nach Bulgarien fuhr, machten wir auch in Belgrad Station. Dort habe ich Srđan Aleksic bei einem Abendessen wiedergetroffen. Die Idee, den Film doch noch zu drehen, lebte wieder auf. Zurück in Berlin, konnte ich zunächst einen Produzenten von der Sache begeistern, allerdings zog er sich dann aus finanziellen Gründen wieder aus dem Projekt zurück. Auch ich hätte es ad acta gelegt, wären nicht zwei Dinge passiert: Einerseits bekam ich eine Einladung zu einer weiteren Konferenz in Niš, auf der ich den Film gern präsentiert hätte. Und zweitens gelang es mir, – wenn auch bescheidene – Sponsorengelder zu akquirieren. Damit konnte ich ein paar Tage Filmschnitt finanzieren und machte mich mit dem Cutter Thorsten Pengel daran, das Material, das ich Ende Januar 2023 auf eigene Kosten gedreht hatte, zu schneiden. Peu à peu flossen dann weitere Gelder, sodass der Film auch noch in die Postproduktion konnte und gerade noch rechtzeitig zur Konferenz fertig wurde.

Bei meinen Recherchen stand mir mein Kollege Frieder Wagner, der zwei bemerkenswerte Filme über den Einsatz von Uranmunition in den Irakkriegen gedreht hat, mit der Vermittlung von Kontakten zur Seite. Für die Montage meines Films hat er mir dann Material aus seinen beiden oben erwähnten Dokumentationen zur Verfügung gestellt. Frieder sagte mir, dass er sich mit seinen beiden Filmen im Medienbetrieb nicht nur Freunde gemacht hat, um es einmal freundlich auszudrücken. Hut ab aber vor seinem so wichtigen Engagement.

Warum interessiert Sie das Thema Uranmunition?

Ich war ja eher zufällig auf das Thema gestoßen – die Recherchen in Serbien stellte ich an, weil sich die Produktion eines anderen Films verzögerte – war dann aber entsetzt über die verheerenden Folgen, die der Einsatz von Uranmunition in Serbien gezeitigt hat. So hat mir ein Mann von Ende 20 erzählt, ein guter Freund von ihm – wenn ich mich richtig erinnere, Judoka im serbischen Olympiateam – habe Leukämie. Solche Schilderungen vor Ort haben mich betroffen gemacht. Es gibt ja den Satz: „Ein Toter ist eine Tragödie, tausend Tote sind Statistik.“ Was Serbien anbelangt, ist das inzwischen allerdings eine sehr traurige Statistik, denn die Krebsraten sind massiv in die Höhe geschnellt.

Allerdings geht es mir nicht nur um Uranmunition, sondern ganz allgemein um zivilisatorische Standards. Wie kann es sein, dass im inzwischen 21. Jahrhundert so ruchlos mit dem Leben anderer Menschen umgegangen wird? Für mich steht Uranmunition exemplarisch für viele andere Gräueltaten und gehört thematisiert. Wir brauchen darüber einen Diskurs, auch in den Medien.

Sprechen wir über Ihre Rechercheergebnisse. Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse?

Vorausgeschickt sei, dass sich meine 26-minütige Dokumentation als eine Art Preview eines potenziell viel längeren Films von 75 oder auch 90 Minuten begreift. Zurzeit bin ich auf der Suche nach TV-Sendern oder Investoren, die das Thema gerne aufgreifen und einem breiteren Publikum zugänglich machen möchten. In einem solchen Film kämen natürlich viel mehr Interviewpartner zu Wort, auch solche, die die Meinung vertreten, Uranmunition sei vollkommen harmlos …

… was immer mal wieder zu lesen und zu hören ist.

Solange die Geschosse nicht explodieren, sind sie schwach strahlend und wohl relativ ungefährlich. Das ändert sich allerdings schlagartig, wenn sie eine Panzerung durchbrechen und Feuer fangen. Dann entwickeln sich schwach radioaktive und – was wohl viel schwerwiegender ist – chemisch sehr toxische Stäube, die, wenn eingeatmet oder auf andere Weise in den Körper aufgenommen, krebserregend sind. Insofern ist es Augenwischerei, wenn nur über Geschosse im nicht detonierten Zustand gesprochen wird. Das läuft an dem Problem vorbei.

In Ihrem Film kommt die Stadt Vranje vor. Dort gibt es, wie es heißt, eine „Straße des Todes“. Was hat es damit auf sich?

Auch Vranje wurde mit Uranmunition bombardiert, dort unter anderem eine Funkstation, die sich in der Stadt in bewohntem Gebiet befindet. Die Serben haben neun junge Männer, alle um die 20 Jahre alt, dort hingeschickt. Sie sollten aufräumen. Von diesen neun Männern waren im Jahr 2019, als mir Srđan Aleksic von dem Vorfall berichtete, acht verstorben. Einer lebte noch, litt aber an Krebs. Diese Männer wären heute Mitte 40, sind aber diesem völlig sinnlosen Einsatz von Uranmunition zum Opfer gefallen. Die Funkstation befindet sich an einer Straße, der die Einwohner von Vranje den Zweitnamen „Straße des Todes“ gegeben haben. Damit ist gemeint, dass es in dieser Straße keinen einzigen Haushalt gibt, in dem nicht wenigstens ein Todesopfer zu beklagen wäre – inzwischen. Denn Uranmunition tötet nicht sofort, sie tötet heimtückisch und langsam.

In Ihrem Film zeichnen Sie die Arbeit des Rechtsanwalts Srđan Aleksic nach. Würden Sie Aleksic bitte für uns einordnen? Was bewegt ihn?

Srđan betreibt in Serbien eine große Anwaltskanzlei, mit Büros mehr oder weniger im ganzen Land. Sein Vater, seine Mutter und zahlreiche weitere seiner Familienangehörigen sind an den Folgen des Einsatzes von Uranmunition verstorben. Das hat ihn ursprünglich dazu bewogen, aktiv zu werden. Er will im Namen seiner zahlreichen Klienten – für die er zum größten Teil kostenlos tätig ist – die NATO auf Schadensersatz verklagen. Dabei hegt er gar keinen besonderen Groll gegen dieses Militärbündnis – etwas, was ich angesichts seiner Vorgeschichte bemerkenswert finde. Er kämpft aber um Gerechtigkeit und versucht, die Dinge auf zivilisierte Weise mit den Mitteln des Rechts zu regeln. Er ist ein großmütiger Mensch.

Nun könnte man sagen: Der Krieg gegen den Irak und Serbien – das ist lange her. Aber der Einsatz von Uranmunition ist nicht Geschichte. Stichwort: Ukraine.

Genauso ist es. Die Briten und, wie man hört, die Amerikaner haben Uranmunition an die ukrainische Armee geliefert, sodass, fürchte ich, die nächste Katastrophe ins Haus steht. Der Leiter der russischen Delegation bei den Gesprächen in Wien über militärische Sicherheit und Rüstungskontrolle, Konstantin Gavrilov, hat bereits vor Monaten darauf hingewiesen, dass Russland den Einsatz von Uranmunition als einen mit schmutzigen Nuklearbomben ansehen würde. Ob das nun übertrieben ist oder nicht: Es zeigt das riesige Eskalationspotenzial, welches die Lieferung von Uranmunition mit sich bringt. Von den Leiden der Zivilbevölkerung – in diesem Fall dürfte ja wohl vor allem die russischsprachige im Osten des Landes betroffen sein – ganz zu schweigen.

Das Medieninteresse hielt sich in Grenzen. Einen Aufschrei gab es nicht wirklich. Wie ordnen Sie das Verhalten der Medien ein? Uranmunition und die Gefahren als Thema? Das scheint Redaktionen nicht zu interessieren. Woran liegt es?

Ich will nicht darüber spekulieren, warum das Thema nicht auf das Interesse der Mainstream-Medien stößt. Insgesamt dürfte aber klar sein, dass es Kritik an der NATO oder Kritik an den USA deutlich schwerer haben, veröffentlicht zu werden als, sagen wir, Kritik an Russland. Zudem scheint mir bei uns der Meinungskorridor in den großen Medien immer enger zu werden. Allerdings interessieren sich ja beispielsweise die NDS für das Thema und einige andere Medienportale auch. Ich habe bereits mehrere YouTube-Interviews dazu gegeben.

Wann wird Ihr Film für jeden öffentlich zugänglich sein?

Da ich den Film noch verkaufen möchte, möchte ich ihn zurzeit nicht auf YouTube hochladen, denn dann wäre er möglicherweise verbrannt. Sie können ihn aber, wahrscheinlich ab Januar, als Video on Demand bei Visione TV schauen, wie gesagt, gegen Bezahlung und mit italienischen Untertiteln. Außerdem wurde der Film für das Uranium Film Festival in Rio de Janeiro ausgewählt. Zudem stehe ich in Kontakt mit weiteren Veranstaltern. So lief „Toxic NATO“ etwa am 6. November auf dem Friedensfest in München und auch auf einer weiteren Konferenz in Niš, wo er am 23. September Premiere hatte. Solche Veranstaltungen sind immer denkbar.

Titelbild: Anelo/shutterstock.com

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