Stimmen aus Ungarn: Propagandisierende Propagandisten

Stimmen aus Ungarn: Propagandisierende Propagandisten

Stimmen aus Ungarn: Propagandisierende Propagandisten

Gábor Stier
Ein Artikel von Gábor Stier

Ein Interview auf n-tv.de vom 10. Februar mit dem Nawalny-Vertrauten Leonid Wolkow trägt die Überschrift „Putin muss vernichtet werden“. Der mediale Aufschrei bleibt aus. Das scheint legitim und hinnehmbar zu sein. Wenn aber ein ZDF-Journalist über die von Russland besetzte Stadt Marijupol berichtet: „Die Stadt funktioniert“, muss die Redaktion einschreiten. Das kann der mündige Zuschauer nicht ohne Betreuung verkraften. Die russische Botschaft in Berlin findet es „abstoßend, dass auf n-tv.de eine offene Plattform für die rechtswidrigen und im Kern terroristischen Äußerungen geboten wird und diese sogar in der Schlagzeile platziert werden“. Laut dem Botschafter Sergej Netschajew geht es hier „um eklatante Verletzung der Berufsethik“. Aber wie sieht das der ungarische Journalist Gábor Stier mit langjähriger Berufserfahrung und aus einem gewissen räumlichen Abstand? Ein Kommentar von Gábor Stier, Übersetzung Éva Péli.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Interview ist ein typisches Beispiel für den Versuch der westlichen Presse, als eine Art verlängerte Hand der Politik Russland zu diskreditieren und gleichzeitig ihre Professionalität zu wahren. In den meisten Fällen schließen sich diese beiden Aspekte gegenseitig aus, da die Mainstream-Medien ein einseitiges Bild von Russland zeichnen, das zumindest an Propaganda grenzt, wenn es nicht sogar die Grenze überschreitet.

Das Problem ist nicht, dass sie das russische Establishment kritisieren – da gibt es durchaus einiges zu kritisieren –, sondern dass sie es einseitig, voreingenommen und auf Vorurteile gestützt tun. Es geht nicht darum, zu verstehen, wie das Moskauer System funktioniert und was es antreibt, sondern, es zu verurteilen. In diesem Sinne werden diejenigen, die sich um das Verständnis und die Darstellung des russischen Denkens bemühen, als „Putinversteher“ stigmatisiert und der Voreingenommenheit bezichtigt. Doch ohne dieses Verständnis ist es unmöglich, die Handlungen des Kremls nachzuvollziehen, und vieles scheint irrsinnig, was in der Wirklichkeit durchaus der Logik der Vernunft folgt.

Aber derselbe Aspekt leitet die Medien, wenn sie im Grunde versuchen, die russische Politik durch die Brille der russischen Opposition darzustellen. Doch wenn sie Analysten interviewen, die dem politischen Mainstream Russlands nahestehen, wird sofort an die Grundlagen des Qualitätsjournalismus und an den gebotenen Abstand erinnert – dann fühlen sie sich in ihrem Element. Das gelingt so gut, dass der Abstand oft Lichtjahre entfernt ist. Das Gesamtbild ist bekannt. Es ist einseitig und verzerrt. Darüber hinaus ist dies eine Falle für eine abweichende Betrachtungsweise. Die kann aus Sicht des Mainstreams, der sich als unabhängig und objektiv ausgibt, in der Tat als Putin-Sympathisant im falschen Sinne des Wortes erscheinen, wenn sie dem vereinfachenden und vorurteilsbehafteten Narrativ des Mainstreams entgegenzuwirken versucht.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass im derzeitigen Informationskrieg mit dem Etikett „Propagandist“ um sich geworfen wird, um die Position der anderen Seite zu diskreditieren, als ob jeder, der nicht dem Mainstream angehört, ein Propagandist wäre. Natürlich scheitert dieser Ansatz an der Realität, doch so, wie die Ereignisse der letzten zwei Jahre aufgetischt wurden, interessiert es niemanden, dass es die angeblichen Propagandisten und Putinversteher waren, die bereits vor Monaten von der Aussichtslosigkeit der ukrainischen Gegenoffensive, der Nichtgewinnbarkeit des Krieges oder eben der Korruptheit der ukrainischen politischen Elite gesprochen haben.

Wie ich bereits sagte, veranschaulicht das Interview mit Wolkow diesen Ansatz. Formal ist alles in Ordnung, da der Journalist, wenn auch etwas schleierhaft, versucht, die offensichtlichen Verleumdungen anzusprechen. Aber das Gesamtbild bleibt unverändert, und Wolkows Erzählung setzt sich durch. Zumal der Titel den Ton des Interviews vorgibt. Obwohl der Satz „Putin muss vernichtet werden“ in Anführungszeichen gesetzt wird, wie es der Berufsstand verlangt, ist dies nicht nur beleidigend, sondern suggeriert auch die Zustimmung der Redaktion.

Ich halte das nicht für eine Unterstützung des Terrorismus, aber n-tv.de leistet sich etwas, was es mit einem deutschen Politiker nicht tun würde. Es entfernt sich nicht weit genug von der Aussage, es fehlt eine kritische Haltung. Das wird sogar durch die Eröffnung verstärkt, in der der Journalist Wolkow geschickt Aussagen in den Mund legt, die Putin in einem schlechten Licht darstellen, die ihn verunglimpfen und Meinungen derer diskreditieren, die nicht in das Narrativ passen – sie wären „gestört“, „Verrückte“, „Idioten“. Diese wenigen Zeilen geben die Stimmung vor, das Interview ist „eingebettet“. Von hier aus kann Wolkow sogar behutsam mit der Realität konfrontiert werden – die Leistung der russischen Wirtschaft, die Kriegsmüdigkeit der westlichen Gesellschaften –, aber das Gesamtbild ändert sich nicht wesentlich.

Es ist, wie wenn das ZDF über die Demonstration anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Niedersachsen berichtet, nur dass der Fokus nicht auf dem Protest der Bauern liegt, sondern auf dem einzigen Mann mit einem riesigen Plakat, der mehr Waffen für die Ukraine fordert. Formal kann es halbwegs stimmen, aber es ist kein Journalismus, es ist ein Verschweigen, eine Verzerrung – ergo: Propaganda.

Titelbild: Screenshot von n-tv.de

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