Bundesregierung zum 25. Jahrestag des NATO-Angriffs auf Jugoslawien: War alles völkerrechtskonform

Bundesregierung zum 25. Jahrestag des NATO-Angriffs auf Jugoslawien: War alles völkerrechtskonform

Bundesregierung zum 25. Jahrestag des NATO-Angriffs auf Jugoslawien: War alles völkerrechtskonform

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 24. März jährt sich zum 25. Mal der ohne UN-Mandat und damit völkerrechtswidrig erfolgte Angriffskrieg der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien. Bei diesem Angriff wurden unzählige Zivilsten durch den Einsatz von Urangeschossen und Streumunition getötet. 40 Prozent der von NATO-Bomben verstümmelten Opfer waren Kinder. Die NATO-Bombenteppiche legten gezielt Hunderte Schulen, mehrere petrochemische Kombinate, zahlreiche Kraftwerke, Krankenhäuser und auch das Hauptgebäude des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTS in Schutt und Asche. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, was für Maßnahmen die aktuelle Bundesregierung ergriffen hat, um zu verhindern, das Deutschland erneut an einem völkerrechtswidrigen Angriff auf einen souveränen Staat teilnimmt und ob die Bundesregierung plane, sich angesichts des Jahrestages bei der serbischen Zivilbevölkerung zu entschuldigen. Die Antwort geriet zu einem Manifest bundesdeutscher Doppelmoral und zeigte erneut auf: „Wertegeleitete Außenpolitik“ made in Germany mag sich vielem verpflichtet fühlen, aber nicht dem Völkerrecht. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Faktencheck der Aussagen der Bundesregierung: War NATO-Angriff (Operation Allied Force) wirklich vom Völkerrecht gedeckt?

Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Sebastian Fischer, erklärte auf der Bundespressekonferenz im Namen der Bundesregierung:

„Erst einmal weise ich Ihre Unterstellung zurück, dass das völkerrechtswidrig war. Es gab die Resolution 1199 sowie die ebenfalls gemäß Kapitel 7 der UN-Charta beschlossene Resolution 1203 vom 24. Oktober 1998, die unmissverständlich klargestellt hat, dass die Lage im Kosovo eine ernsthafte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Region darstellt. Die NATO-Mission hat geholfen, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen inklusive Tötungen von Unschuldigen zu beenden.“

Mit dieser Sicht und Darstellung der Sachlage isoliert sich das Auswärtige Amt allerdings von allen gängigen Völkerrechtsinterpretationen. Denn nach Artikel 2, Ziffer 4 der UN-Charta ist jede (!) Art der Anwendung militärischer Waffengewalt verboten. Es gibt im Gegensatz zur Behauptung des AA-Sprechers kein Völkergewohnheitsrecht zu einzel- oder multistaatlichen „humanitären Interventionen“, da bis heute keine entsprechende allgemeine Rechtsüberzeugung in der internationalen Staatengemeinschaft dazu existiert. Dieses Recht haben nach wie vor nur Organisationen der Vereinten Nationen. Und der UN-Sicherheitsrat hatte zu keinem Zeitpunkt Zwangsmaßnahmen gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien nach Artikel 42 der UN-Charta beschlossen, geschweige denn einzelne Staaten (Artikel 42, 48) oder die NATO als Regionalorganisation (das wäre dann Artikel 53) dazu ermächtigt.

Auch der gerne verwiesene Ausnahmefall nach Artikel 51, der Notwehr und Nothilfe zugunsten eines angegriffenen Staates rechtfertigt, lag nicht vor. Denn weder hatte Jugoslawien ein NATO-Mitglied militärisch angegriffen noch ein angegriffener souveräner Staat um Nothilfe gebeten.

Deutschland hat zudem nur wenige Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung mit seiner Teilnahme an dem NATO-Angriff massiv gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag und die eigene Verfassung verstoßen. Das deutsche Grundgesetz, das sollte man sich generell nochmal in Erinnerung rufen, erlaubt bis heute den Einsatz von Gewalt ausschließlich zur Verteidigung (Artikel 87a, GG):

„Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“

Einen Angriffskrieg verbietet das Grundgesetz in Artikel 26 Absatz 1 und fordert darüber hinaus in Satz 2 sogar dazu auf, die Führung eines Angriffskrieges unter Strafe zu stellen.

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag erlaubt den Einsatz deutscher Waffen sehr explizit „nur in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“. Im Wortlaut heißt es dort unter Artikel 2:

„Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.“

Der Bundeswehreinsatz gegen Jugoslawien, bei dem deutsche Luftwaffen-Piloten über 400 Kampfeinsätze flogen und dabei über 200 Raketen des Typs AGM-88 HARM auf jugoslawisches Gebiet abfeuerten, überschritt ebenso die Grenzen, die das „Out-of-area-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 gezogen hatte. Denn das Urteil, auf das gerne von entsprechender Stelle rekurriert wird, erlaubt Einsätze ausdrücklich nur, wenn diese „im Rahmen und nach den Regeln“ eines Systems kollektiver Sicherheit stattfinden. Weder die UN-Charta noch der NATO-Vertrag, der seine Mitglieder ausdrücklich auf Beachtung der UN-Charta und das geltende Völkerrecht verpflichtet, legitimieren einen völkerrechtswidrigen Angriff.

Im Rückblick erklärte selbst Altbundeskanzler Gerhard Schröder, dass der Bundeswehr-Einsatz gegen Jugoslawien völkerrechtswidrig war. Bei einem Gespräch im Rahmen des sogenannten „ZEIT Matinee“ hatte er am 9. März 2014 erklärt:

„Ich habe (…) gegen das Völkerrecht verstoßen. Wir haben unsere Tornados nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt, ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“

Es bleibt festzuhalten: Die aktuelle Bundesregierung fällt mit der in der Bundespressekonferenz kommunizierten offiziellen Darstellung einer angeblichen Rechtmäßigkeit des NATO-Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht nur hinter die Einschätzung von Altkanzler Schröder zurück, sondern – und das wiegt weit schwerer – wischt geradezu nonchalant das Gewaltverbot der UN, festgehalten in Artikel 2 Ziffer 4, als nicht relevant zur Seite. Wohlgemerkt, hierbei handelt es sich um den zentralen Pfeiler der internationalen Friedensordnung:

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Dieses Ignorieren und Umdeuten von zentralen völkerrechtlichen Aspekten durch die Bundesregierung bei gleichzeitiger Postulation einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ ist wohl als die eigentliche „Zeitenwende“ zu bezeichnen.

Auszug aus dem Wortprotokoll von der Regierungspressekonferenz am 20. März 20223

Frage Warweg
In wenigen Tagen, am 24. März, jährt sich der völkerrechtswidrige Angriff der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien. Mich würde interessieren, was die aktuelle Bundesregierung unternimmt, auch eingedenk des Leitsatzes der wertegeleiteten Außenpolitik, damit Deutschland nicht noch einmal in die Situation kommt, dass es völkerrechtswidrig und ohne UN-Mandat einen souveränen Staat angreift. Was sind sozusagen für Mechanismen entwickelt worden, um so etwas zu verhindern?

Fischer (AA)
Wenn wir zurückschauen, war das ja ein Einsatz, den niemand wollte, aber es war der letzte Ausweg, um die Menschen im Kosovo vor der Armee des damaligen jugoslawischen Staates zu schützen. Sie wissen, dass die internationale Gemeinschaft damals intensivst versucht hat, eine friedliche Lösung für diesen humanitären Konflikt im Kosovo zu finden. Erst als das nicht erreicht werden konnte – auch weil letztlich diplomatische Versuche in Belgrad gescheitert sind –, hat die NATO Schritte ergriffen, die so begrenzt wie möglich waren. Das war notwendig, um die Menschen und die Zivilistinnen und Zivilisten im Kosovo zu schützen. Gleichzeitig ist es so, dass wir natürlich um jedes zivile Opfer trauern, das in diesem Konflikt getötet wurde.

Wir sagen heute auch ganz klar: Wir sind Partner. Wir gestalten gemeinsam die Zukunft Europas. Serbien ist EU-Beitrittskandidat, und wir unterstützen Serbien auf diesem Weg in die Europäische Union. Dasselbe gilt zumindest aus Sicht der Bundesregierung auch für den Kosovo, der aus unserer Sicht auch eine Perspektive für den Beitritt zur Europäische Union hat.

Zusatzfrage Warweg
Mich erstaunt ein bisschen, mit welcher Leichtigkeit Sie gerade Artikel 2 Ziffer 4 der UN-Charta zur Seite gewischt haben! Bei dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien starben zahlreiche Zivilisten. Hunderte Schulen wurden plattgemacht, ebenso petrochemische Werke, Kraftwerke, Krankenhäuser und auch das Hauptgebäude des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTS. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren: Plant die Bundesregierung angesichts dieses Jahrestags und auch eingedenk einer gewissen Pfadabhängigkeit deutscher Kriegsverbrechen auf dem Balkan, sich zumindest bei der serbischen Zivilbevölkerung für diese damalige Mittäterschaft zu entschuldigen?

Fischer (AA)
Erst einmal weise ich Ihre Unterstellung zurück, dass das völkerrechtswidrig war. Es gab die Resolution 1199 sowie die ebenfalls gemäß Kapitel 7 der UN-Charta beschlossene Resolution 1203 vom 24. Oktober 1998, die unmissverständlich klargestellt hat, dass die Lage im Kosovo eine ernsthafte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Region darstellt. Die NATO-Mission hat geholfen, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen inklusive Tötungen von Unschuldigen zu beenden. Die Bundesrepublik Jugoslawien hat die dringlichen Forderungen der internationalen Gemeinschaft trotz der auf Kapitel 7 der UN-Charta gestützten Resolution des UN-Sicherheitsrats nicht erfüllt. Der äußerst eindeutige Bericht des UN-Generalsekretärs zu den beiden Resolutionen hat unter anderem vor der Gefahr einer humanitären Katastrophe im Kosovo gewarnt. Die humanitäre Lage hielt wegen der Weigerung der Bundesrepublik Jugoslawien, Maßnahmen zu einer friedlichen Lösung zu ergreifen, unverändert an. Das war der Hintergrund, vor dem die NATO eingegriffen hat, um die Menschen dort zu schützen. Das war, wie gesagt, ein Einsatz, den niemand wollte und den die Bundesrepublik Jugoslawien durch das Befolgen der UN-Resolutionen hätte abwenden können. Noch einmal: Wir trauern um jedes zivile Opfer, das in diesem Konflikt getötet wurde.

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Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 20. März 2024