Die iranische Strategie in der Nahmittelost-Region oder das Boiling-Frog-Syndrom

Die iranische Strategie in der Nahmittelost-Region oder das Boiling-Frog-Syndrom

Die iranische Strategie in der Nahmittelost-Region oder das Boiling-Frog-Syndrom

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Seit dem Sturz des Schahs und der von den USA völlig falsch eingeschätzten Machtübernahme durch Ayatollah Ruholla Khomeini und der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran steht der Iran auf der US-Liste der feindlichen Staaten ziemlich weit oben. Der durch den damaligen US-Präsidenten Trump aufgekündigte Atomvertrag mit dem Iran hat die Spannungen zwischen den beiden Ländern entscheidend verschärft. In der Nahmittelost-Region besetzt Teheran sicherlich den Spitzenplatz. Das gilt zusätzlich auch deshalb, weil es mittlerweile eine starke Annäherung zwischen dem Iran, Russland und China gibt, die besonders durch den Beitritt Teherans zu den BRICS-Staaten deutlich wird. Die Gesamtstrategie des Irans in der Nahmittelost-Region, insbesondere nach dem israelischen Angriff auf das Konsulat in Damaskus, ist am besten zu vergleichen mit der Parabel vom „boiling frog“. Von Jürgen Hübschen.

Die Parabel vom „boiling frog“

In der deutschen Literatur spricht man auch vom „Boiling-Frog-Syndrom“. Die Parabel beschreibt man am einfachsten wie folgt: Versucht man einen Frosch in heißes Wasser zu setzen, wird er sofort wieder herausspringen. Obwohl Frösche Kaltblüter sind und ihre Körpertemperatur der Umgebung anpassen, spüren sie unmittelbar die Gefahr für Leib und Leben. Ganz anders, wenn man einen Frosch in einen Topf mit kaltem Wasser setzt und diesen langsam erhitzt. Obwohl es für den Frosch darin immer unbequemer wird, bleibt er sitzen, passt sich an und harrt aus – so lange, bis es für einen Absprung zu spät ist und er verbrüht. In der Nahmittelost-Region gibt es, um im Bild der Parabel zu bleiben, einen amerikanischen und einen israelischen Frosch.

„Der amerikanische Frosch“

Den amerikanischen Frosch könnte man auch als „westlichen Frosch“ bezeichnen, weil die meisten der westlichen Staaten die amerikanische Politik in der Nahmittelost-Region völlig undifferenziert teilen und sich auch in der US-Politik gegenüber Israel und dem Iran vasallenhaft hinter den USA versammelt haben. Dies ist den Herrschern in Teheran natürlich nicht verborgen geblieben und so haben die Mullahs eine Strategie entwickelt, in der die Spannungen und Militäroperationen in der Region immer auf einem annähernd gleichen Niveau – und zwar unterhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung auf Regierungsebene, sprich zwischen den regulären Streitkräften der beteiligten Staaten -, bleiben. Dabei gibt es im Wesentlichen bis jetzt verschiedene Schauplätze der direkten Auseinandersetzung des Irans mit den USA, nämlich: Irak, Jemen und Syrien.

Dazu kommt Israel selbst und auch der Libanon, wo die USA aber nur indirekt beteiligt sind. Nicht erst seit dem 7. Oktober greifen schiitische, vom Iran gesteuerte Milizen immer wieder amerikanische Militärstützpunkte im Irak an. Milizen, aber auch Angehörige der iranischen Revolutionsgarden, der s.g. Al-Quds-Brigaden oder Pasdaran, die in den USA auf der Terror-Liste geführt werden, verüben Anschläge auf amerikanische Einrichtungen in Syrien. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass das irakische Parlament seit einigen Jahren den Abzug aller US-Truppen aus dem Irak fordert, was Washington aber bislang ignoriert, und es ist auch wichtig zu wissen, dass es für die amerikanischen Stützpunkte in Syrien keine völkerrechtliche Basis gibt. Nach dem 7. Oktober hatten die USA große maritime Verbände in die Nahmittelost-Region verlegt.

Einige bezogen Position vor der Küste des Libanon, und der Flugzeugträger „Eisenhower“ wurde mit den dazu gehörenden Kriegsschiffen durch die Straße von Hormuz in den persisch-arabischen Golf verlegt. Als die vom Iran unterstützten Huthis, die den Norden des Jemen kontrollieren, entschieden hatten, die Hamas in ihrem Kampf gegen Israel zu unterstützen, veränderte sich für die USA die militärische Lage. Nach jemenitischen Raketenangriffen auf den israelischen Hafen Eilat im Roten Meer wurde der „Eisenhower-Verband“ aus dem persisch-arabischen Golf vor die jemenitische Küste im Golf von Aden verlegt, und damit weg von der iranischen Küste. Am 18. Dezember starteten die USA die „Operation Prosperity Guardian“, um vor allem die Schiffe zu schützen, die für die Versorgung Israels erforderlich sind. Wenig später begannen amerikanische und britische Kampfflugzeuge, militärische Einrichtungen der Huthis im Jemen zu bombardieren. Die Europäische Union schützt mittlerweile die zivile Seefahrt im Golf von Aden und im Roten Meer zusätzlich im Rahmen der Operation „Aspides“.

Weder die USA noch die EU haben die Huthis bislang daran hindern können, ihre Angriffe gegen die zivile Schifffahrt fortzusetzen. Sowohl die US-Kräfte wie auch die Kriegsschiffe der europäischen Staaten haben dagegen erhebliche Schwierigkeiten, stabile Ketten für die Versorgung ihrer Besatzungen und auch für den Nachschub an Waffen, Munition und Treibstoff aufzubauen und zu unterhalten.

Indirekt sind die USA natürlich am Krieg Israels gegen die vom Iran unterstützte Hamas beteiligt und geraten wegen der Unverhältnismäßigkeit der israelischen Militäroperation im Gaza-Streifen ebenfalls zunehmend in die weltweite Kritik. Der Grund dafür liegt auf der Hand, weil Israel ohne die Lieferungen von Waffen und Munition aus den USA innerhalb von 48 Stunden nicht mehr in der Lage wäre, den Kampf gegen die Hamas fortzusetzen. Auch an Israels Kampf gegen die vom Iran unterstützte Hisbollah im Libanon sind die USA indirekt beteiligt, indem sie als Abschreckung und zur Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hisbollah immer noch Kriegsschiffe vor der Küste des Libanons für den Fall stationiert haben, falls die täglichen Scharmützel zwischen Israel und der Hisbollah an der israelisch-libanesischen Grenze eskalieren sollten.

„Der israelische Frosch“

Durch den Krieg gegen die Hamas hat sich im Gaza-Streifen eine humanitäre Katastrophe eines unvorstellbaren Ausmaßes entwickelt. Darüber sollte man aber nicht vergessen, welche Folgen dieser Krieg auch für Israel und seine Bevölkerung hat. Da sind zunächst die israelischen Geiseln zu nennen, die sich immer noch in den Händen der Hamas und des islamischen Dschihad befinden. Dazu kommen ca. 80.000 Israelis, die ihr Zuhause im nördlichen Grenzgebiet Israels zum Libanon und nahe der Grenze zum Gaza-Streifen verlassen mussten. Sie werden zwar – im Gegensatz zu den Palästinensern im Gaza-Streifen – in jeder Hinsicht versorgt, aber haben ja vor einem halben Jahr ihre Wohnungen, Häuser, Felder und anderen Arbeitsplätze verlassen müssen. Das hat natürlich auch wirtschaftliche Folgen.

Die Tourismus-Industrie ist am Boden, weil in vielen Hotels die evakuierten Israelis untergebracht sind und internationale Tourismus-Unternehmen Israel als Urlaubsland gar nicht mehr anbieten. Die eingezogenen Reservisten haben alle Aufgaben in der israelischen Wirtschaft oder staatlichen Organisationen innegehabt, die seit 6 Monaten nicht mehr wahrgenommen werden. Die israelische Wirtschaft ist insgesamt erheblich angeschlagen. Man sollte auch nicht vergessen, dass es eine große, allerdings nicht bekannte Zahl von gefallenen und schwer verwundeten und auch traumatisierten israelischen Soldaten gibt und dass deshalb die aktuelle Entscheidung, auch ultra-orthodoxe Israelis zum Militär einzuziehen, zusätzliche Spannungen in der Bevölkerung zur Folge hat.

Die aktuellen Demonstrationen und Forderungen nach Neuwahlen sind deutliche Zeichen für eine zunehmend instabile Lage in Israel. Last but not least muss man all diese Fakten und Entwicklungen vor dem Hintergrund eines erheblich belasteten Verhältnisses zwischen Israel und den USA einordnen.

Der israelische Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus

In der Parabel ist ja die Rede davon, dass die Wassertemperatur im Topf langsam, aber sicher ständig steigt, ohne dass der Frosch diese Entwicklung wirklich registriert. Und diese Temperatur ist seit dem 1. April 2024 noch einmal deutlich angestiegen. Am Ostermontag wurde das iranische Konsulat an der Botschaft des Irans in Damaskus aus der Luft angegriffen. Es ist als sicher anzunehmen, dass Israel für den Angriff verantwortlich ist. Die israelische Regierung hat die Militäroperation – wie in der Vergangenheit bislang üblich – weder bestätigt noch abgestritten, aber die USA haben auf eine Frage nach der Beteiligung Washingtons an dem Angriff empfohlen, sich mit einer solchen Frage an Israel zu wenden. Indirekt waren die USA natürlich beteiligt, weil die Flugzeuge und Waffen, die zum Einsatz gekommen sind, von den USA geliefert wurden.

Bei dem Angriff wurden nach bisher vorliegenden Erkenntnissen 13 Menschen getötet. Bestätigt wurde der Tod von zwei Generälen der iranischen Al-Quds-Brigaden, die für die Auslandseinsätze Teherans zuständig sind. Es handelt sich um Brigadegeneral Mohammad Resa Sahedi und Brigadegeneral Mohammad Hadi Hadschi. Nach einer Meldung der iranischen Nachrichtenagentur Tasnim war Sahedi der Führer der iranischen Revolutionsgarden im Libanon und in Syrien und Hadschi sein Stellvertreter. Neben den beiden Generälen wurden auch die verantwortlichen Offiziere für die Unterstützung der Hamas, der Huthi-Rebellen und der schiitischen Milizen im Irak getötet.

Irans Außenmnister Hossein Amir Abdollahian machte Israel für den Angriff verantwortlich. Es handele sich um einen Bruch aller internationaler Vereinbarungen, und es werde Vergeltung geben. Außerdem ließ er „eine wichtige Botschaft“ an die USA übermitteln, weil diese eine Mitverantwortung trage. Dies wurde dem diplomatischen Vertreter der Schweiz, der die USA in Teheran vertritt, mitgeteilt, indem man ihn einbestellt hatte.

Zusammenfassende Bewertung

Wie in der Parabel beschrieben, erhöht der Iran die Temperatur im Kochtopf nach Belieben oder hält sie für eine in Teheran bestimmte Phase einfach konstant, so dass sich der Frosch besonders gut daran gewöhnt. In diesem Zusammenhang sollte man sich an einen Spruch erinnern, der im Orient, aber auch in Afrika oder wenn man so will im gesamten Globalen Süden gegenüber „dem Westen“ immer wieder gebraucht wird: Ihr habt die Uhren, aber wir haben die Zeit. Alle Aktionen und Operationen des Irans sind immer exakt getimt. Iran eskaliert nicht, sondern antwortet in der Regel „symmetrisch“ und hält den Spannungsbogen dadurch hoch, dass Reaktionen und Maßnahmen schwer bis gar nicht einzuschätzen sind. Ein Experte hat diese iranische Strategie einmal bezeichnet als „reflexive control over Washington´s actions“ (Reflexive Kontrolle über Washingtons Maßnahmen). Das hat auf „westlicher Seite“ einen hohen Materialeinsatz und extreme Belastungen des eingesetzten Personals zur Folge. Im März 2024 hatte Captain Chris Hill, Kommandant des amerikanischen Flugzeugträgers „Eisenhower“, mit Blick auf seine Besatzung erklärt:

„Menschen brauchen Pausen, sie wollen nach Hause.“

Israel ist mit dem Luftangriff auf das iranische Konsulat ein entscheidender Schlag gegen die Einsatzplaner der Al-Quds-Brigaden gelungen. Militärisch gesehen muss man diese Operation als erstklassige Leistung des Mossad und der israelischen Luftwaffe bezeichnen. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass Washington von dem geplanten Angriff gewusst hat, aber vermutlich den exakten Zeitpunkt nicht gekannt hat. Aus iranischer Sicht werden deshalb sowohl Israel wie auch die USA für die Folgen verantwortlich gemacht.

Diese Einschätzung wird sicherlich der Maßstab für die iranische Antwort sein, und das hat erhebliche Auswirkungen auf die „im Westen“ zu treffenden Schutzmaßnahmen. Teheran wird vermutlich weiterhin unterhalb der Schwelle des Krieges zwischen Iran und Israel und/oder den USA bleiben, aber das schließt z.B. einen Raketenangriff auf den israelischen Flugplatz „Ben Gurion“ oder strategische Ziele in Eilat oder Haifa ebenso wenig aus wie Anschläge auf amerikanische Einrichtungen auf der Arabischen Halbinsel oder diplomatische Vertretungen Israels und/oder der USA in der Nahmittelost-Region.

Parallel dazu, um noch einmal in den Topf mit dem „boiling frog“ zu schauen, ist natürlich nicht auszuschließen, dass es „zu einem großen Knall“ kommt, weil der Frosch den Zeitpunkt verpasst hat, aus dem Topf zu springen. Das könnten z. B. vom Iran initiierte zeitgleiche Angriffe der Hisbollah aus dem Libanon, der iranischen Al-Quds-Brigaden auf amerikanische Stützpunkte in Syrien, der schiitischen Milizen auf US-Einrichtungen im Irak, ein massiver Raketenangriff der Huthis auf „westliche“ Kriegsschiffe im Golf von Aden und Sabotageanschläge auf US-Einrichtungen auf der Arabischen Halbinsel sein.

Das Problem Israels, der USA und „des Westens“ insgesamt ist, dass einerseits die Gefahr besteht, dass man sich an die Spannungen und begrenzten, vom Iran gesteuerten Aktionen in der Nahmittelost-Region gewöhnt, seine Möglichkeiten unterschätzt und andererseits letztlich niemand weiß, wann das Wasser im Topf kocht.

Titelbild: Shutterstock / Red_Baron