Regierungssprecher: Kanzler überzeugt, dass Israel sich weiterhin in Gaza an das Völkerrecht hält

Regierungssprecher: Kanzler überzeugt, dass Israel sich weiterhin in Gaza an das Völkerrecht hält

Regierungssprecher: Kanzler überzeugt, dass Israel sich weiterhin in Gaza an das Völkerrecht hält

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Laut aktuellen UN-Angaben hat die israelische Armee seit Beginn ihrer Militäroperation in Gaza vor 158 Tagen (Stand 13. März) mindestens 13.000 Kinder und 9.000 Frauen getötet. Die Gesamtzahl der Toten wird mit 31.000 angegeben. Die Lieferung von lebensnotwendigen humanitären Gütern auf dem Landweg wird selbst mutmaßlich engen Partnern wie den USA und Deutschland verweigert. Laut Angaben von UN-OCHA sind bereits zwei Dutzend palästinensische Kinder den Hungertod gestorben. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob der Kanzler nach wie vor zu seiner öffentlichen Einschätzung steht, dass Israel sich in Gaza vollumfänglich an das Völkerrecht halte. Der Regierungssprecher bejahte dies wider allen Fakten vor Ort. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz zum Themenpunkt Gaza

Warweg
Herr Hebestreit, neben den USA ist jetzt auch Deutschland gezwungen, als mutmaßlich enger Partner Israels den Palästinensern humanitäre Hilfe via Luftabwurf zukommen zu lassen. Da würde mich generell interessieren – es wäre nett, wenn Sie mich auch ansehen -: Steht Kanzler Scholz immer noch zu seiner Aussage von Ende Oktober 2023, er hege keinerlei Zweifel daran, dass Israel sich bei seinem militärischen Vorgehen im Gazastreifen vollumfänglich an das Völkerrecht hält?

Regierungssprecher Hebestreit
Ich habe Sie nicht angesehen, weil ich sehr genau zugehört habe, damit mir keine von all den Unterstellungen, die Sie in Ihre Fragen zu packen versuchen, entgeht.

Die Bundesrepublik Deutschland steht eng an der Seite Israels. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson, und da gibt es auch keine Veränderung der Haltung. Sie haben auch mitbekommen, dass wir von dieser Stelle und verschiedentlich auch von anderen Stellen aus – auch der Bundeskanzler – an die israelische Regierung appelliert haben, die humanitäre Situation in Gaza deutlich zu verbessern. Er hat auch dazu aufgerufen, dass es keine Bodenoffensive auf Rafah geben soll. Er hat auch den Zugang humanitärer Hilfe über verschiedene Grenzübergänge angemahnt und das nicht nur öffentlich, sondern auch in den Gesprächen mit unseren israelischen Gesprächspartnern immer wieder deutlich gemacht. Wir sehen, dass die Situation in Gaza immer schlimmer wird, und haben uns jetzt entschieden, mit unseren Freundinnen und Freunden, auch mit der jordanischen Regierung zusammen zu diesem bestenfalls zweitbesten Mittel zu greifen, weil solche Hilfslieferungen, ob sie nun über den Seeweg oder über die Luft erfolgen, weder zielgerichtet sind, noch die Betroffenen in dem Maße erreichen können. Deswegen bleibt es bei unserem Plädoyer und unserer Aufforderung, dass Israel es ermöglicht, dass mehr substanzielle humanitäre Hilfe nach Gaza kommt. Gleichzeitig bleibt unser Aufruf an die Hamas, die noch mehr als 100 verbliebenen Geiseln, die dort seit über fünf Monaten in Geiselhaft genommen sind, endlich freizugeben, um damit auch den Weg für eine Waffenpause freizumachen, die dringend benötigt wird.

Zusatzfrage Warweg
Meine Frage war allerdings, ob angesichts der Ereignisse der letzten Wochen und Monate – wir sind mittlerweile bei 13.000 getöteten Kindern, 9.000 getöteten Frauen, 125 getöteten Journalisten, die eigentlich auch einem besonderen völkerrechtlichen Schutz unterliegen, und zwei Dutzend Kindern, die ebenfalls laut UN-Angaben mittlerweile einen Hungertod gestorben sind – der Kanzler weiterhin bei seiner Einschätzung bleibt, dass sich Israel bei seinem Vorgehen im Gazastreifen vollumfänglich an das Völkerrecht hält. Ihre Antwort diesbezüglich hat sich mir noch nicht vollumfänglich erschlossen.

Hebestreit
Der Kanzler hat gesagt, er sei überzeugt, dass sich Israel an das Völkerrecht hält, und daraus gibt es keine veränderte Position.

Tilo Jung
Herr Fischer, können Sie etwas zu den deutschen Geiseln der Hamas in Gaza sagen? Wie viele sind es? Nach meinem Stand sind es 16. Können Sie das bestätigen?

Fischer (AA)
Bei den von der Hamas nach Gaza verschleppten Deutschen gehen wir von einer in der Tat niedrigen zweistelligen Zahl von deutschen Staatsangehörigen aus, die immer noch in den Händen der Hamas sind. Deshalb unterstützen wir auch die Gespräche über eine Waffenpause, darüber, dass mehr humanitäre Hilfe nach Gaza kommt und dass vor allen Dingen die Geiseln endlich freikommen, die in den letzten Monaten auch in den Kellern der Hamas Unerträgliches durchgemacht haben.

Zusatzfrage Jung
Können Sie die Zahl 16, die ich genannt habe, bestätigen oder dementieren? Wie viele von den deutschen Geiseln sind seit dem 7. Oktober eingebürgert worden?

Fischer (AA)
Das eine ist: Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe: eine niedrige zweistellige Zahl.

Was die Fragen von Einbürgerungen und anderen Dingen angeht, würde ich darauf verweisen, dass das Dinge sind, die die Personen selbst betreffen und über die diese, wenn sie es denn können, bzw. ihre Familien selbst Auskunft geben müssten.

Frage (ARD-Hauptstadtstudio)
Wir wollten fragen, ob Sie es so sehen, dass es für den Einsatz, für den Boris Pistorius jetzt anscheinend grünes Licht gegeben hat, einen Parlamentsvorbehalt gibt, dass er also einer Mandatierung durch den Bundestag bedarf.

Noch einmal die völkerrechtliche Frage – es ging schon ein bisschen in die Richtung -: Wird durch die Bundesregierung die völkerrechtliche Verpflichtung anerkannt, dass Israel eigentlich die Zivilisten, die Menschen im Gazastreifen versorgen müsste? Gibt es andere Möglichkeiten, um auf die Regierung einzuwirken, sich dieser Verpflichtung auch anzunehmen?

Collatz (BMVg)
Dann fange ich einmal mit der Mandatierung an. Gern nehme ich die Frage auf und weise noch einmal auf die eindeutigen Bestimmungen dazu hin. Das Parlament ist dann gefragt, wenn die Bundeswehr einen Auftrag erhält, der im Eventualfall nur mit Waffengewalt durchzusetzen ist. Dafür ist dann auf jeden Fall ein Mandat des Bundestages erforderlich. Das ist hier nicht der Fall. Es handelt sich um einen humanitären Hilfsfall, sozusagen in Amtshilfe auch auf Anfrage des Auswärtigen Amtes in Absprache mit unseren Partnern. Wir informieren dann natürlich das Parlament, aber eine Zustimmung ist dafür nicht erforderlich.

Es gibt noch einen Sonderfall. Dazu habe ich mich auch erkundigt. Auch dann, wenn man bestimmte Mindestflughöhen über einem fremden Staatsgebiet unterschreitet, ist eine Zustimmung des Bundestags erforderlich. Aber das ist in diesem Fall nicht so. Wir halten alle Bestimmungen ein. Deswegen ist das nicht mitbestimmungspflichtig für das Parlament.

Hebestreit
Ich habe an dieser Stelle auch schon mehrfach auf unsere Mahnung an Israel verwiesen, sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten. Darin sind alle Aspekte eingeschlossen, die es dazu zu beachten gilt.

Zusatzfrage
Heißt das, dass nicht mit anderen Mitteln eingewirkt wird, sondern es bei dieser verbalen Ermahnung bleibt?

Hebestreit
Nicht nur von dieser Stelle, wir sprechen auch direkt mit unseren israelischen Freundinnen und Freunden. Die Außenministerin war mindestens viermal, vielleicht auch schon häufiger in der Region und hat dort vor Ort gesprochen. Der Bundeskanzler steht im regelmäßigen Kontakt mit dem israelischen Ministerpräsidenten, mit anderen Teilen des Kriegskabinetts und auch mit dem israelischen Präsidenten. Das sind alle unsere Gesprächspartner, mit denen wir das auch bereden.

Fischer (AA)
Wenn ich ergänzen darf: Die Außenministerin war, glaube ich, seit dem 7. Oktober mittlerweile fünf Mal in Israel.

Zu Ihrer Frage: Israel darf die Lieferung von humanitärer Hilfe in Gaza nicht willkürlich behindern, sondern ist im Rahmen des Völkerrechts tatsächlich dazu verpflichtet, die Versorgung der Zivilbevölkerung zu ermöglichen. Das ist das, was wir hier von dieser Stelle aus auch schon häufig gesagt haben, was die Außenministerin eingefordert und auch sehr klargemacht hat, dass die israelische Armee nach dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in weiten Teilen des Gazastreifens sicherstellen muss, dass die Verteilung von humanitärer Hilfe gelingen kann. Wir haben Israel mehrfach von dieser Stelle aus, aber auch die Außenministerin in ihrer Pressekonferenz, aber natürlich auch in ihren Gesprächen – – Sie war ja zuletzt vor etwas über zwei Wochen in Israel und hat dort unter anderem mit dem israelischen Ministerpräsidenten und dem Außenminister gesprochen und noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass Israel mehr humanitäre Hilfe zulässt und es ein funktionierendes System zur Koordinierung der humanitären Hilfe und auch der Sicherheit der humanitären Helfer vor Ort gibt. Daran arbeiten wir weiter.

Frage
Ich habe zwei Fragen zu Gaza. Herr Fischer, der EU-Außenbeauftragte hat Israel beschuldigt, den Hunger als eine Waffe gegen die palästinensische Zivilbevölkerung einzusetzen.

Die zweite Frage: Sie haben die Hilfsleistungen angesprochen. Wird es auch weiterhin Waffenlieferungen an Israel geben? Auf der einen Seite versucht Deutschland, das Leben der Palästinenser zu retten, aber auf der anderen Seite werden deutsche Waffen eingesetzt, um Palästinenser zu töten. Wie erklären Sie diesen zynischen Widerspruch?

Fischer (AA)
Wir nehmen die Äußerungen des Hohen Vertreters zur Kenntnis. Klar ist: Hunger darf niemals als Waffe eingesetzt werden. Sie kennen unsere Forderungen, die wir immer wieder erheben, dass mehr humanitäre Hilfe nach Gaza hineinkommen muss. Dabei bleiben wir, und das sehen wir so. Wir haben – das habe ich vorhin schon erwähnt – Israel aufgefordert, mehr zu tun, um eine sichere Versorgung der Zivilbevölkerung in Gaza zu ermöglichen, insbesondere mehr Grenzübergänge zu öffnen und die strikten Kontrollen und Vorgänge auf das Nötigste zu beschränken.

Wir sind ja mit einer Situation konfrontiert, in der immer noch zu wenige Hilfsgüter nach Gaza hineinkommen. Wir als internationale Gemeinschaft gehen davon aus, dass ungefähr 500 Lastwagenladungen pro Tag notwendig sind. Diese Menge erreichen wir derzeit bei Weitem nicht. Auch Israel hat es in der Hand, durch die Öffnung neuer Grenzübergänge und durch schnellere Kontrollen der Güter, die hineinkommen, mehr humanitäre Hilfe hineinzulassen. In der Tat hat es jetzt erstmals ein Pilotprojekt, wie Israel es nennt, gegeben, um gestern Hilfe nach Nordgaza zu bringen. Das war sicherlich ein wichtiger Schritt. Wir hoffen sehr, dass auch diese neue Route jetzt intensiver und häufiger genutzt wird. Denn es ist so, wie Steffen Hebestreit es gerade ausgeführt hat, dass das, was wir über den Seekorridor oder über den Abwurf von Hilfsgütern, woran wir uns schon länger beteiligen – das Auswärtige Amt hat zum Beispiel Abwürfe des World Food Programme finanziert und unterstützt die jordanische Luftwaffe bei ihren Abwürfen -, aufzubauen versuchen, am Ende nur die zweitbeste Lösung ist oder, wie ich in der vorigen Regierungspressekonferenz gesagt habe, letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Zusatzfrage
Herr Fischer, der Vorwurf ist sehr erheblich. Das wäre ein Kriegsverbrechen. Noch einmal meine Frage: Stimmen Sie Herrn Borrells Äußerungen zu?

Fischer (AA)
Ich habe mich dazu gerade schon geäußert.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten

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