Eskalation in Nahost – Das Versagen der Diplomatie

Eskalation in Nahost – Das Versagen der Diplomatie

Eskalation in Nahost – Das Versagen der Diplomatie

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Einhellig kritisierten deutsche Politiker am Wochenende den Drohnen- und Raketenangriff Irans auf Israel und sprachen Israel dabei ihre volle Solidarität aus. Das ist verständlich, lässt aber die Vorgeschichte der jüngsten Eskalation außer Acht. Der Angriff kam schließlich nicht überraschend, sondern war von Iran als „Vergeltungsmaßnahme“ für die israelische Bombardierung eines iranischen Konsulargebäudes in Damaskus am 1. April angekündigt worden, bei dem 16 Menschen, darunter zwei hochrangige iranische Generäle, getötet wurden – ein glasklarer Verstoß gegen das Völkerrecht, der von vielen Staaten scharf verurteilt wurde. Diplomatie hätte die iranische Reaktion auf diese Eskalation verhindern können, doch die USA, Großbritannien und Frankreich blockierten im UN-Sicherheitsrat eine gemeinsame Verurteilung des israelischen Angriffs und sorgten auch dafür, dass es zu keiner völkerrechtlichen Verurteilung, geschweige denn Sanktionen gegen Israel kam. Wie so oft in diesem Konflikt hat die Diplomatie auf ganzer Linie versagt und die Verantwortung dafür trägt der Westen. Von Jens Berger.

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Die Geschichte verkürzt zu erzählen, das ist nicht nur bei der Berichterstattung zum Ukrainekrieg eine gängige Manipulationsmethode. Auch und gerade bei den zahlreichen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten neigen deutsche Kommentatoren und Politiker gerne dann zu einer verkürzten Betrachtung, wenn es hilfreich ist, die israelische Position in diesen Konflikten einzunehmen. So ist es auch nicht mehr sonderlich verwunderlich, dass die Bombardierung eines iranischen Konsulatsgebäudes am 1. April in Damaskus durch die Israelis hierzulande nur wenig Beachtung fand und bei der Kommentierung des iranischen Vergeltungsangriffs in der Nacht zum Sonntag bestenfalls am Rande erwähnt wurde.

Was war geschehen? Dass Iran die israelfeindliche Hisbollah unterstützt, ist bekannt. Am 1. April kam es offenbar zu einem Treffen zwischen Hisbollah-Vertretern und zwei hochrangigen iranischen Generälen in den Gebäuden der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Das Treffen fand in einem Anbau der Botschaft statt, der völkerrechtlich als Konsulargebäude gilt und dadurch einen besonderen Schutz genießt. Durch die Bombardierung des Gebäudes verletzte Israel gleich mehrere völkerrechtlich bindende Konventionen – das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961, das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen von 1963 und das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen, einschließlich diplomatischer Vertretungen von 1973. Gemäß dem Völkerrecht hätten diese Völkerrechtsverstöße Israels im UN-Sicherheitsrat debattiert werden und durch dieses UN-Gremium sanktioniert werden müssen. Genau diesen Weg wollte Iran auch gehen.

Am 2. April brachte Russland in einer eigens einberufenen Sitzung den Fall vor den UN-Sicherheitsrat, doch nach Angaben von Reuters verhinderten die USA, Großbritannien und Frankreich eine Verurteilung des israelischen Angriffs durch den UN-Sicherheitsrat und blockierten damit auch jegliche Sanktionen gegen Israel. In amerikanischen Medien wurde dies – anders als in Deutschland – auch durchaus kritisch kommentiert. So bezeichnete beispielsweise die New York Times den Angriff auf das Konsulargebäude als eine große Eskalation im „unerklärten Krieg Israels gegen Iran“ und appellierte an die Diplomatie, den Konflikt zu entschärfen. Iran legte seine Beschwerde dann auch über die Schweiz, die seit Abbruch der direkten diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Iran als diplomatischer Repräsentant der USA in Iran fungiert, den USA vor, doch nichts passierte. Während nahezu die gesamte Welt – darunter auch die EU, nicht aber Deutschland – den israelischen Angriff verurteilte, stritten die USA lediglich ihre eigene Beteiligung daran ab, konnten sich aber nicht zu einer Verurteilung oder gar weiteren Schritten durchringen. Die Diplomatie war am Ende.

Noch am letzten Donnerstag meldete die iranische UN-Delegation, dass seine Verurteilung des israelischen Angriffs auf das Konsulargebäude eine Vergeltungsmaßnahme wohl erübrigt hätte. Doch dazu kam es bekanntermaßen nicht und Iran sah sich gezwungen, zur „Vergeltung“ den Drohnen- und Raketenangriff durchzuführen. Ob dies nun völkerrechtlich als angemessene Reaktion gelten kann, ist sicherlich fragwürdig. Doch wer sollte Iran von dieser weiteren Eskalation abbringen, wenn zumindest der Westen seine diplomatischen Kanäle nach Teheran gekappt hat und sich bei Konflikten zwischen Iran und Israel ohnehin stets auf die Seite Israels schlägt? Der Westen trägt somit zumindest eine Mitverantwortung für die jüngste Eskalation – sie hätte vermieden werden können.

Zurzeit arbeiten offenbar hinter den Kulissen vor allem die USA daran, die israelische Regierung von weitreichenden „Vergeltungsmaßnahmen“ auf den iranischen „Vergeltungsangriff“ abzuhalten. Das ist auch bitter nötig, da der israelische Ministerpräsident Netanjahu va banque spielt. Medienberichten zufolge hat die Abwehr des iranischen Angriffs rund eine Milliarde US-Dollar gekostet und es ist nicht nur fraglich, wie viele solche Angriffe Israel sich finanziell leisten kann – auch das Arsenal ist begrenzt. Zudem besteht die sehr reale Gefahr eines Flächenbrandes, wenn sich die Eskalationen so weit hochschaukeln, dass Iran ernsthafte „Vergeltungsmaßnahmen“ durchführt. Würden die Iraner beispielsweise die Hisbollah „von der Leine lassen“, würden Israel, aber auch der Libanon zu einem Schlachtfeld. Das muss verhindert werden. Dafür ist jedoch Diplomatie vonnöten.

Titelbild: Rajanews, CC BY 4.0

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