Alles wieder grün. Gelb-rote Karte für Klimaschutzprojekte, die es nie gegeben hat

Alles wieder grün. Gelb-rote Karte für Klimaschutzprojekte, die es nie gegeben hat

Alles wieder grün. Gelb-rote Karte für Klimaschutzprojekte, die es nie gegeben hat

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Bundesumweltministerin Lemke setzt dem betrügerischen System zum Aufhübschen der Treibhausgasbilanz von Ölkonzernen ein Ende. Also irgendwie, aber nicht ganz, denn von gefälschten Zertifikaten dürfen die Profiteure noch ein Jahr länger profitieren. Aber danach ist dann Schluss, und bis dahin wird „lückenlos“ aufgeklärt, sofern die chinesische Obrigkeit das zulässt und der uigurische Wüstensand nicht den Blick vernebelt – wie davor jahrelang. Die Fossilindustrie bibbert bestimmt vor Angst, glaubt Ralf Wurzbacher nicht.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Steffi Lemke gibt die Sauberfrau. Am Mittwoch verkündete die Bundesumweltministerin im Bundestag den Stopp von Umweltprojekten in Fernost, die es nie gegeben hat. Ein Check mit Google Maps hätte ihr schon vor Jahren die Augen öffnen können: Dort, wo Deutschland auf Klimaschutz macht, findet sich, wenn nicht gerade ein Hühnerstall, in den meisten Fällen uigurischer Wüstensand. Den ganzen Dreck muss jetzt die Grünen-Politikerin wegfegen, obwohl sie gar nicht schuld daran ist, meint sie. Es sei der Fehler der Vorgängerregierung aus Union und SPD gewesen, dieses „betrugsanfällige System“ überhaupt einzuführen, klagte sie bei einer Sitzung des Umweltausschusses, wo sie zu den dubiosen Vorgängen Rede und Antwort stehen musste. Mit ihr, so die Message, hätte es so etwas nicht gegeben. Recht hat sie. Was sind schon Abermillionen Tonnen eingeschifftes US-Frackinggas gegen Millionen Tonnen CO2, die nur dem Schein nach eingespart wurden?

Worum es bei der Angelegenheit geht, haben die NachDenkSeiten Mitte Juni an dieser Stelle rapportiert. In Kürze: 2018 hatte die große Koalition deutschen Mineralölkonzernen die Möglichkeit eröffnet, mittels Förderung sogenannter „Upstream-Emission-Reductions“-Projekte, kurz UER, in China und anderswo weit weg von zu Hause die gesetzlich vorgegebenen Klimaschutzziele zu erfüllen. Upstream-Emissionen sind vorgelagerte Emissionen, die unmittelbar bei der Ölförderung freigesetzt werden. Sie zu reduzieren geschieht etwa, indem das Abfackeln von Begleitgasen vermieden wird. Ihren Einsatz für die gute Sache lassen sich die Fossilindustriellen mit Zertifikaten bescheinigen, die auf ihre Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) angerechnet werden. Genehmigt werden die UER-Projekte durch das Umweltbundesamt (UBA), registriert sind die UER-Zertifikate bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt), die beim UBA angesiedelt ist.

Auf beiden Augen blind

Nun gab es aber schon mindestens seit August 2023 Verdachtsmomente, dass mehrere der fraglichen Anlagen entweder gar nicht ressourcenschonend produzieren, sie also lediglich als neu und modern deklariert wurden, oder schlicht nicht existieren. Von der Kenntnis entsprechender „Unregelmäßigkeiten“ zeugt ein Bericht des UBA, aus dem jüngst die Berliner Zeitung (hinter Bezahlschranke) zitierte. Die dem Bundesumweltministerium (BMUV) unterstellte Behörde, die jetzt von der Opposition wegen ihrer zögerlichen Haltung hart angegangen wird, sagt heute, die Hinweise wären „zunächst diffus“ gewesen. Also unternahm man über Monate praktisch nichts. Dabei hätte schon der Abgleich der in den Antragsunterlagen angegebenen Geodaten mit Satellitenaufnahmen genügt, den Schwindel sehr viel früher auffliegen zu lassen. Erst nachdem sich im April dieses Jahres ein chinesischer Öl- und Gaskonzern mit der Ansage ans Ministerium wandte, auf Basis gefälschter Dokumente Opfer eines Komplotts geworden zu sein, kamen die Dinge in Bewegung und erstattete das UBA im Mai Anzeige gegen unbekannt bei der Berliner Staatsanwaltschaft.

Über das mögliche Ausmaß der Machenschaften erstattete Lemke im Umweltausschuss Bericht. Von insgesamt 69 chinesischen Projekten stünden derzeit 40 wegen Betrugsverdachts besonders im Fokus. Zwei würden „wegen Verstoßes gegen die Vorgaben“ rückabgewickelt. Das UBA nehme derzeit alle Unternehmungen in China sowie zehn weitere in anderen Ländern unter die Lupe. Dabei soll es sich um Nicaragua, Usbekistan und Aserbaidschan handeln. Verglichen mit den Erkenntnissen des „Hauptstadtbüros Bioenergie“, eines Verbändebündnisses aus dem Bereich Alternativenergie, wirkt der offizielle Ermittlungsstand noch bescheiden. Die Organisation hat nach Einschaltung von Detekteien in China 62 Fälle mit dringendem Betrugsverdacht ausgemacht. Unter allen genehmigten Projekten, die auf die deutsche THG-Quote angerechnet worden seien, hätte man „nur ein einziges gefunden, das unverdächtig ist“ – im Oman.

Schlusspfiff und Weiterprofitieren

Immerhin hat nun auch Lemke gemerkt, dass man es möglicherweise mit einem Fall von „schwerer Umweltkriminalität“ zu tun habe, und weiter: „Ich nehme diese Vorwürfe sehr ernst.“ Deshalb sei das System zum 1. Juli gestoppt worden. Aber was heißt das? Tatsächlich ist es für deutsche Ölkonzerne nicht mehr möglich, neue Projekte der Sorte Fata Morgana zu beantragen. Aber: Der Schlusspfiff gilt nicht für vor dem 1. Juli erfolgte Genehmigungen, also alle bisher bewilligten UER-Projekte. Diese könnten noch „im Höchstfall ein Jahr lang Minderungen und Zertifikate erzeugen“, heißt es seitens ihres Ministeriums. „Definitiv“ am Ende sei das System erst am 1. September 2025. Was das bedeutet, hat vor zwei Wochen das Handelsblatt überliefert. Selbst bei Zertifikaten, die sich als gefälscht herausstellen sollten, verfällt nicht die damit erzielte Anrechnung auf die THG-Quote. Trotz faktischen Schummelklimaschutzes wären die Konzerne also zumindest in dieser Hinsicht fein raus.

Ob sie am Ende strafrechtlich belangt werden, erscheint zumindest fraglich. Dabei verdichten sich die Hinweise, dass sie selbst nicht Opfer, sondern Täter sind. Das ZDF-Magazin Frontal hatte schon Ende Mai über eine mögliche Verstrickung von Industriegrößen wie „Shell, Rosneft und OMV“ in einem riesigen Betrugsgeflecht spekuliert. Im Zentrum der eingeleiteten Ermittlungen stehen offenbar zwei Prüfstellen in Bayern, die fast alle zweifelhaften Projekte validiert und verifiziert haben sollen. Und die Projekte selbst sollen zu 70 Prozent aus einer Quelle stammen. Es erscheint immer wahrscheinlicher, dass die beteiligten Ölmultis nicht auf die Fakeprojekte hereingefallen sind, sondern diese eigens initiiert, also erfunden haben.

Aufklärer im Feindesland

Aus Sicht der Gauner macht die Wahl der chinesischen Einöde durchaus Sinn. Je weiter weg, desto besser, und noch besser wird es, je abgeschotteter ein Staat ist. Nur warum war dies auch die Wahl der Bundesregierung? Das UBA zeigt heute mit dem Finger auf die beteiligten Zertifizierungsfirmen, die vor Ort für die Kontrollen zuständig seien und denen man vertrauen müsse. Man komme an die „Grenzen der Nachweisbarkeit“, befand Behördenchef Dirk Messner zuletzt gegenüber der Welt am Sonntag. „Aktuell sind wir im Austausch mit den Verifizierern und Validierern (…) und untersuchen die Beteiligung an möglichen Betrugsaktivitäten aller möglichen Akteure, zu denen auch die Projektträger zählen, unter ihnen auch große, multinationale Unternehmen“, äußerte sich am Donnerstag UBA-Pressesprecher Martin Ittershagen gegenüber den NachDenkSeiten. Dabei mache man sich ein eigenes Bild vor Ort, „das ist logistisch leider nicht trivial, da wir in China keine Hoheitsrechte haben“. Hätte man das mal früher gewusst.

Jedenfalls sei es für eine abschließende Einschätzung der Schuldfrage und der Beteiligung „noch zu früh“, zumal dies eine Entscheidung wäre, „die das UBA nicht treffen darf“, sondern Sache der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen dort liefen „mit Hochdruck und wir arbeiten sehr vertrauensvoll zusammen“. Auch beim Umweltministerium ist von Geschehnissen mit „erheblicher krimineller Energie“ die Rede. „Es ist deshalb folgerichtig, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde“, erklärte ein Sprecher auf NDS-Anfrage. „Noch wissen wir nicht, wie viele Projekte überhaupt falsch zertifiziert wurden.“ Klar sei jedoch, die kursierenden Milliardensummen „sind unzutreffend“.

Monströser Skandal

Seitens der Biokraftstoffbranche wird der Schaden mit 4,5 Milliarden Euro beziffert. Demnach bestünden Emissionsreduktionen im Umfang von 7,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid nur auf dem Papier. Multipliziert mit der im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) festgesetzten Strafzahlung in Höhe von 600 Euro je Tonne für Fälle, in denen die Pflicht zur Erfüllung der THG-Quote verfehlt wird, dann ergibt sich besagter Wert. Seitens des BMUV heißt es jedoch, die „fällige Pönale“ (Strafzahlung) stehe in „keinem Zusammenhang mit dem Sachverhalt“ und liege „mehrfach über dem am Markt tatsächlich üblichen Preis“. Daher sei die Verwendung dieser Zahlen „nicht nur fachlich falsch, sondern sie erschwert die sachliche Diskussion und die notwendige Aufklärung“.

So oder so sind die Biospriterzeuger ein Verlierer der Mauscheleien. Die THG-Quote lässt sich auch über die Beimischung von Biokraftstoffen erfüllen. Mit der Alternative, die billigeren chinesischen UER-Zertifikate anzurechnen, ist der Sparte ein Teil des Geschäfts weggebrochen. Sollte sich bewahrheiten, dass eine oder mehrere Fossilunternehmer sogar Urheber der Phantomprojekte waren und keinen Cent in den Aufbau neuer Anlagen investiert haben, wäre der Skandal monströs. Dann hätten sie ihre Klimabilanz mit null Gramm CO2-Reduktion aufgemöbelt, ihre Gewinne mit null Klimaschutzförderung noch gesteigert und sich mithin am Weiterverkauf wertloser Zertifikate bereichert.

Kein Schaden für Verbraucher?

Bezahlen müssen dafür die Natur und die Allgemeinheit, denn die Kosten für die Zertifikate schlägt die Mineralölwirtschaft selbstredend auf die Benzin-, Diesel- und Heizölpreise auf. Dass bei all den Vorgängen hiesige Autofahrer trotzdem nicht geschädigt worden seien, wie das Lemke-Ministerium verbreitet, klingt nach einer ziemlich steilen These. Die THG-Quote sei gesetzlich festgelegt und müsse erfüllt werden, erläuterte der BMUV-Sprecher. Dabei sei die UER-Option in der Regel günstiger, beim Zusatz nachhaltiger Biokraftstoffe würde es „sogar teurer“. Deshalb sei Verbrauchern „in finanzieller Hinsicht kein Schaden entstanden“. Man staunt. Zahlt man an der Tankstelle nicht für mehr Klimaschutz drauf? Und müsste Treibstoff, in dem nur Phantomklimaschutz steckt, dann nicht billiger sein? Und wenn das herauskommt, wäre dann nicht eine Entschädigung fällig? Besser nicht nachfragen – einfach schlucken!

Titelbild: Yeti studio/shutterstock.com

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