Der Bundesverteidigungsminister (SPD) behauptete laut einem Bericht der Tagesschau vom 11. Juni, mit Putin könne man nur aus einer Position der Stärke verhandeln. Und dann wörtlich: „Das ist im Übrigen auch die Politik Willy Brandts gewesen … Annäherung und Verhandlungen auf Augenhöhe. Aber keine Unterwerfung.“ Das ist eine nackte Geschichtsfälschung. Typisch für die charakterlosen Typen, die heute die Politik bestimmen. Ich habe die „Politik der Stärke“ Adenauers genau verfolgt und war dann ab 1968 als Mitarbeiter der Bundesregierung und ab 1969 der SPD (Willy Brandt) direkt am Geschehen beteiligt und weiß deshalb, dass Pistorius die Unwahrheit sagt. Albrecht Müller.
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Die Politik Adenauers firmierte unter dem Begriff „Politik der Stärke“. Statt schon in den fünfziger Jahren zu versuchen, sich mit der Sowjetunion zu arrangieren, hat Adenauer auf militärische Aufrüstung gesetzt. Politik der Stärke – so nannte man die damalige Politik. Dagegen stand sein eigener Innenminister (damals noch CDU) und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann auf. Die SPD entwickelte Ende der Fünfzigerjahre neue Konzepte gegen die aussichtslose und bornierte Politik der Stärke. Mit dem Bau der Berliner Mauer war auch in Steinen dokumentiert, wie aussichtslos und im Grunde borniert die Politik der Stärke war. Führende Sozialdemokraten dachten damals über neue Strategien nach.
Typisch und markant dafür und im Widerspruch zu dem, was heute Pistorius über die damalige Politik der SPD erzählt, war der Auftritt Willy Brandts und seines außenpolitischen Beraters Egon Bahr bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing. Ihre damalige Formel für die neue Politik hieß: Wandel durch Annäherung. Annäherung – das hat nun wahrlich nichts mit Abschreckung zu tun. Im Gegenteil: Die beiden SPD-Politiker versuchten also spätestens ab 1963, von der von Adenauer geprägten Politik der Stärke wegzukommen.
Diese andere Politik, die Politik der Verständigung, der Entspannung, der Versöhnung, die Friedenspolitik fand ihre erste Krönung in der Regierungserklärung vom 28. September 1969 des gerade zum Bundeskanzler gewählten Willy Brandt. Der Kernsatz lautete: Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein.
Wer das als seine politische Leitlinie verkündet, will nicht abschrecken, und er hat auch erkannt, dass die Politik der Stärke nichts gebracht hat und nichts bringt. Die damalige praktische Politik entsprach diesen Erkenntnissen. Egon Bahr verhandelte im Auftrag von Willy Brandt und seiner Regierung in Moskau, in Warschau und in Prag über Verträge zur Zusammenarbeit und friedlichen Koexistenz. Kernpunkte dieser Verträge war die Erklärung des sogenannten Gewaltverzichts. Kernpunkt war auch die Idee der Gemeinsamen Sicherheit.
All dies hat nichts gemein mit den politischen Ansichten des Herrn Pistorius. Er sollte aufhören, die Geschichte zu verfälschen. Und die Medien sollten übrigens gelegentlich mal ihr Wissen über die jüngere Geschichte Deutschlands aufbessern. Es wäre ihre Aufgabe, den oben zitierten Äußerungen des Herrn Pistorius zu widersprechen – oder jedenfalls in Hohngelächter auszubrechen. Solange sie das nicht tun, muss man annehmen, dass sie auf den Lohnzettel der Rüstungswirtschaft stehen.
P. S.: Bei diesem Thema ist es angebracht, wieder einmal wie schon des Öfteren an das Berliner Grundsatzprogramm der SPD vom 20. Dezember 1989 zu erinnern. Ich gebe hier im Folgenden eine Doppelseite mit wichtigen Aussagen zum Thema dieses Beitrags wieder:
Titelbild: © Bundesregierung / Reineke, Engelbert