In einem Offenen Brief rechnet der Bürgermeister von Hiddensee mit dem „Rüstungswahn“ einerseits und dem gefährlichen Geiz gegenüber den Kommunen andererseits ab. An Kanzler Friedrich Merz gerichtet schreibt er: „Denn während Sie und viele Abgeordnete auf Panzer und Raketen zählen, zählen wir in Städten und Gemeinden jeden Euro zweimal.“ Viele Appelle aus kaputtgesparten Kommunen sind noch zu zahm – darum sollte das Beispiel dieses Offenen Briefes Schule machen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Angesichts der überwältigenden Militarisierung der Gesellschaft und den damit einhergehenden Schäden und Gefahren wählen verschiedene Bürgermeister unterschiedliche Herangehensweisen: Der Bürgermeister der Stadt Külsheim (Main-Tauber-Kreis) beispielsweise hat gerade bestätigt, dass sich die Stadt offiziell beim Bundesverteidigungsministerium als (erneuter) Bundeswehrstandort beworben hat, wie Medien berichten.
Der Bürgermeister der Insel Hiddensee, Thomas Gens (Allianz für Hiddenseer), geht einen anderen Weg. Er hat in einem Offenen Brief in klaren Worten den perversen Gegensatz zwischen den Milliarden für die Rüstung und dem Geiz gegenüber den Kommunen angesprochen. Gens hat eine rechte politische Vergangenheit, wie Medien berichten. Für die Beurteilung des Inhalts seines Offenen Briefes ist diese Vergangenheit meiner Meinung nach nicht relevant: Es geht hier nur um das aktuell gesprochene/geschriebene Wort. Der Offene Brief im Wortlaut findet sich unter diesem Link thomasgens.de.
„Es braucht den politischen Mut, sich dem Rüstungswahn zu widersetzen“
In seiner an Bundeskanzler Friedrich Merz gerichteten „Offenen Erklärung für Frieden“ fordert Gens: „Schluss mit Milliarden für Rüstung, Krieg und Militärhilfen.“ Er fährt fort:
„Denn während Sie und viele Abgeordnete auf Panzer und Raketen zählen, zählen wir in Städten und Gemeinden jeden Euro zweimal. Während Sie Milliarden über Milliarden in Rüstung, Aufrüstung und Auslandseinsätze pumpen, kämpfen wir vor Ort ums Überleben unserer sozialen und kommunalen Infrastruktur – ja, unserer Heimat und unseres Wohlstands.“
Wenn es darum gehe, Wohnungen zu bauen oder Schulen zu sanieren, heiße es immer, es fehle das Geld. Statt „Sondervermögen“ würde es „Haushaltssperren, Bürokratie, Kürzungspläne und Prüfaufträge“ geben. Gens fragt auch, wie viel von dem angekündigten „Sondervermögen“ tatsächlich vor Ort ankommen würde. Er vergleicht das mit den geplanten exzessiven Ausgaben für Militär:
„In wenigen Jahren wird Deutschland für das Militär mehr ausgeben als für Bildung, Gesundheit oder Wohnungsbau zusammen. Und wer bezahlt das? Nicht Rheinmetall. Nicht Lockheed Martin. Nicht General Dynamics. Nicht die USA, die jüngst Patriot-Raketen versprechen und liefern. Sondern wir – die Bürgerinnen und Bürger.“
Der Brief schließt mit diesen Worten:
„Unser Land braucht keine Panzerpatenschaften – es braucht eine Sozialdividende, eine Bildungsoffensive und ein echtes Infrastrukturpaket. Und es braucht den politischen Mut, sich dem Rüstungswahn zu widersetzen. Denn Frieden wird nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen – sondern in der Schule, in bezahlbaren Wohnungen, im Miteinander unserer Gemeinden und auf dem Spielplatz.“
Kommunen drohe „historisch beispielloser Absturz“
Die Finanznot der Kommunen wächst aktuell nochmals, das Handelsblatt schrieb kürzlich von einem drohenden „historisch beispiellosen Absturz“. Eine nicht neue Entwicklung spitzt sich noch weiter zu. Dementsprechend gibt es immer wieder Appelle aus den Kommunen, die die dortige Finanznot geißeln und ein Umsteuern fordern (siehe z.B. hier oder hier).
Aber der klare Gegensatz zwischen einer extrem teuren Militarisierung einerseits und dem sozial folgenreichen Geiz bei Schulen, Schwimmbädern, Kindergärten, Infrastruktur etc. andererseits: Diese (man muss es so nennen) Perversion wird viel zu selten in klarer Sprache ausgedrückt – momentan weder von politischer, medialer noch „zivilgesellschaftlicher“ Seite in angemessener Weise (es gibt selbstverständlich Ausnahmen). Dem Deutschen Landkreistag zum Beispiel fällt zur Finanznot erwartungsgemäß nur dieses ein: Er fordert laut Medien die Bundesregierung „angesichts des großen Finanzdefizits der Kommunen zu Kürzungen bei Sozialleistungen auf“.
Inhalt und Tonfall des Offenen Briefs sind nicht nur angemessen – sie sollten unter Bürgermeistern Schule machen.
Titelbild: alexkoral / Shutterstock