Die Ankündigung eines Treffens zwischen den beiden Präsidenten Donald Trump und Wladimir Putin im US-Bundesstaat Alaska zur Beilegung des Krieges in und um die Ukraine verursachte in EU-Europa plus Großbritannien eine wahre Stresslawine. Hektische diplomatische Anstrengungen einschließlich eines Ad-hoc-Besuchs des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Berlin dominierten die Tage vor dem bilateralen Treffen. Hintergrund war die nicht unbegründete Furcht der EU-Europäer, Trump und Putin könnten über die Köpfe der Ukraine und der EU-Europäer plus Großbritannien Entscheidungen zum Schicksal der Ukraine treffen. Von Alexander Neu.
Bei der Schicksalsfrage der Ukraine spielen auch die territorialen Eroberungen Russlands eine zentrale Rolle. Diese Eroberungen werden von der Ukraine und den EU-Europäern plus Großbritannien bislang mit Verweis auf das Internationale Recht, insbesondere die Normen der „Souveränität“ und der „territorialen Integrität“ abgelehnt. Doch wie glaubwürdig, wie überzeugend ist das Argument seit der Zerschlagung des jugoslawischen Staates in den 1990er-Jahren und der handfesten Unterstützung der sezessionistischen Akteure durch Deutschland und andere führende westliche Staaten? Wie ist die völkerrechtliche Lage hierzu einzuordnen?
„In Alaska müssen grundlegende europäische und ukrainische Sicherheitsinteressen gewahrt bleiben. Das war die Botschaft, die wir heute als Europäerinnen und Europäer dem amerikanischen Präsidenten Trump mit auf den Weg gegeben haben“, so Friedrich Merz. In einer orchestrierten Erklärung unter dem Titel „Weg zum Frieden“ der Staats- und Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Polens und Finnlands sowie von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen heißt es: „Die Ukraine hat die Freiheit, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden.“
Bei dieser Aussage muss man unweigerlich an den Besuch des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson in Kiew im April 2022 denken, der die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu Beginn des Krieges erfolgreich torpedierte. Hierzu auch ein Beitrag des US-Mediums Responsible Statecraft des „Quincy Institute for Responsible Statecraft“ unter dem Titel: „Diplomacy Watch: Did Boris Johnson help to stop a peace deal in Ukraine?“.
Jedenfalls sind in der Erklärung fünf Punkte formuliert, die Donald Trump gegenüber Wladimir Putin durchzusetzen habe. Ein wesentlicher Punkt in der Erklärung lautet:
„Wir halten weiterhin an dem Grundsatz fest, dass internationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen. Der derzeitige Frontverlauf sollte der Ausgangspunkt für Verhandlungen sein.“
Der auf den ersten Blick erscheinende Widerspruch spiegelt das Dilemma zwischen völkerrechtlichem Anspruch (Unverletzbarkeit der Grenzen) und der realpolitischen Lage (Annexion fremden Staatsgebietes) wider. Mit dem Hinweis, dass eventuelle Gebietsabtretungen nicht vom Westen diplomatisch anerkannt werden würden, soll der völkerrechtliche Ansatz gestärkt werden. Und tatsächlich sind (oder vielleicht besser gesagt: waren) die internationalen Normen der „Souveränität“ und „territorialen Integrität“ zentrale Rechtsnormen im Internationalen Recht, die nochmals gesondert in der Charta der Vereinten Nationen kodifiziert und von allen UNO-Mitgliedsstaaten per Beitritt in die UNO auch als Verpflichtung akzeptiert wurden, um eine Stabilität in der modernen Staatenwelt zu befördern:
„Artikel 2
Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen:(1) Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.“ (Souveräne Gleichheit der Staaten)
„(4) Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ (Gewaltverbot)
(7) Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden;
die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.“ (Interventionsverbot)
Kurzum, die staatliche „Souveränität“ inklusive der ihr inhärenten „territorialen Integrität“ sind der Kernbestand, die Kernnormen des kodifizierten UNO-Völkerrechts.
So weit, so gut, wenn es da nicht bereits Anfang der 1990er-Jahre erste machtpolitisch basierte Änderungen dieses rechtlichen Kernbestandes des Internationalen Rechts gegeben hätte.
Weiterentwicklung des Völkerrechts
Die staatliche „Souveränität/territoriale Integrität“ wurden im Kontext der jugoslawischen Sezessionskriege vom Westen selbst geschreddert.
Kurzerhand wurden unter Führung des gerade wiedervereinigten Deutschlands die Normen der „Souveränität/territorialen Integrität“ des Völkerrechtssubjekts Jugoslawien gegen das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ auf der Grundlage einer besonderen Interpretation ausgetauscht. Die auf Sezession ausgerichteten jugoslawischen Teilrepubliken wurden vom politischen Bonn und später den führenden westlichen Staaten in ihren Sezessionsbestrebungen medial, diplomatisch, nachrichtendienstlich, mit Rüstungslieferungen (NVA-Material ging nach Kroatien) und selbst Krieg (NATO-Angriffskrieg auf Rest-Jugoslawien 1999 zur gewaltsamen Abspaltung der serbischen Provinz Kosovo) unterstützt.
Begründet wurde dies mit der Losung: „Weiterentwicklung des Völkerrechts“. Soll heißen, dass das Völkerrecht ja dynamisch und nun die Zeiten der staatlichen Souveränität – tatsächlich gemeint ist die Souveränitätsnegation nicht-westlicher Staaten – nicht mehr so wichtig sei. Vielmehr müsse nun das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker in den Vordergrund rücken – allerdings nicht für alle Völker, sondern nur für die Völker, die dem Westen genehm sind.
Diese doch eindeutig selbstherrliche Neuinterpretation des Völkerrechts wurde weder mit dem Rest der Welt abgestimmt, geschweige denn in einer Reform der UNO-Charta fixiert, sondern vom damaligen politischen Bonn, von EG-Brüssel und Washington mal eben so festgelegt. So berief die EG eine Kommission ein, die sogenannte Badinter-Kommission, die die „Weiterentwicklung des Völkerrechts“ am Beispiel Jugoslawien formulierte: Die Grenzen der aus Jugoslawien entstehenden neuen Staaten sollten identisch mit den Republiksgrenzen im alten Jugoslawien sein. Allerdings nur wieder mit einer Ausnahme, wie sich Jahre später zeigte, wenn es um die Grenzen der jugoslawischen Nachfolgerepublik Serbien ging. Dessen Grenzen konnten erneut mit dem externen Selbstbestimmungsrechtsargument der Kosovo-Albaner gewaltsam verschoben werden.
Externes versus internes Selbstbestimmungsrecht – ein wichtiger Unterschied
Zwar gibt es das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker in der UNO-Charta tatsächlich, jedoch mit einigen Einschränkungen, die in einer weiteren Resolution der UNO-Generalversammlung unter der Überschrift „Erklärung von 1970 zu den Grundsätzen des Völkerrechts über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen (GAR 2625)“ – hier Absatz „5. – 7. The principle of equal rights and self-determination of peoples“ verabschiedet wurde.
Hierbei wird das Selbstbestimmungsrecht in ein externes und ein internes differenziert. Das externe Selbstbestimmungsrecht behandelt den Aspekt der Entkolonialisierung, also der um Unabhängigkeit kämpfenden Kolonien im Globalen Süden, insbesondere in den 1950er- bis 1970er-Jahren. Das externe Selbstbestimmungsrecht und die Souveränitätsnorm fallen hier zusammen, bilden eine Einheit.
Das externe Selbstbestimmungsrecht gilt jedoch nicht für die Volksgruppen in gefestigten Staaten, sofern keine massiven ethnischen Diskriminierungen existieren. Wird es dennoch missbraucht, so entsteht automatisch ein Widerspruch zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und der „Souveränität/territorialen Integrität“ von Staaten. Dieser Widerspruch ist eigentlich im Sinne der „Souveränität/territorialen Integrität“ aufzulösen, um eine Mindeststabilität der Staatenwelt zu gewährleisten.
Denn angesichts der Tatsache, dass die meisten Staaten auch in der nördlichen Hemisphäre multiethnische Staaten sind und ein praktiziertes externes Selbstbestimmungsrecht die Staatenwelt zu einer Kleinstaatwelt zusammenschreddern und damit eine umfassende globale Instabilität befördern würde, einigte man sich auf die Kompromissformel des internen Selbstbestimmungsrechts – besser bekannt als Autonomierechte innerhalb bestehender Völkerrechtssubjekte, also Staaten. Die Föderalisierung mancher Staaten auch in Europa, wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland, trägt genauen diesem Prinzip des internen Selbstbestimmungsrechts Rechnung. Diese ist sogar im Namen drin: „Bundesrepublik“ – also ein (gesamtstaatlicher) Bund autonomer deutscher Republiken.
So war auch Jugoslawien föderal strukturiert, wobei die Autonomierechte der jugoslawischen Teilrepubliken sogar noch weitreichender als die der Bundesrepublik Deutschland gewesen sind. In der Fachliteratur wird gelegentlich von einer Überföderalisierung Jugoslawiens gesprochen. Kurzum: Es bestand keine Grundlage für eine Sezession einiger Teilrepubliken aus dem jugoslawischen Bundesstaat, der sich auf eine angebliche Unterdrückung der ethnischen Besonderheiten zurückführen ließ. Es war schlichter Ethnonationalismus, befördert durch egoistische Eliten. Und schon gar nicht bestand eine rechtliche Grundlage, diese Sezessionsbestrebungen von außen zu befördern oder gar diplomatisch anzuerkennen. Denn genau dies unterliegt dem Interventionsverbot der UNO-Charta.
Das gerade wiedervereinigte Deutschland und einige Monate später die westlichen Verbündeten taten es trotzdem. Sie taten es, weil sie es als Sieger des Kalten Krieges konnten und es wollten – und dabei bewusst die „UNO-Charta“ wie auch wenige Monate zuvor die verabschiedete „Charta von Paris“ brachen.
Macht sticht Recht
Machtpolitik dominiert über dem zivilisatorischen Ziel einer internationalen Rechtsstaatlichkeit, insbesondere dann, wenn es nur einen Machtpol in der Staatenwelt gibt: Der Kalte Krieg war gewonnen, der Irak-Krieg 1991 durch die Koalition der Willigen erfolgreich nach den Vorstellungen der USA beendet. US-Präsident Bush sen. rief die „neue Weltordnung“, die „pax americana“, aus, also die unipolare Weltordnung.
Der Grund, warum der US-geführte Westen die grundlegenden Normen der Souveränität und territorialen Integrität nicht mehr für relevant und unterstützenswert gegenüber dem Rest der Welt betrachtete, lag in der kurzsichtigen, der hybris-gesteuerten Weltsicht, man sei nun „die einzige Weltmacht“, wie der US-Sicherheits- und Geopolitiker Zbigniew Brzezinski in seinem international für Aufmerksamkeit sorgenden geopolitischen Werk mit dem gleichnamigen Titel wenige Jahre später vermerkte. Das vermeintliche „Ende der Geschichte“ wehte durch die Welt der Politikwissenschaften und der Politik.
Als einzige Weltmacht konnte man die Normen neu und zu den eigenen Vorstellungen kompromisslos formulieren, denn niemand konnte es seinerzeit verhindern. Das „Ende der Geschichte“ war vor allem das Ende des UNO-Völkerrechts. Dieser Ansatz war indessen, wie es sich nun angesichts der sich neu herausbildenden multipolaren Weltordnung zunehmend manifestiert, extrem kurzsichtig und naiv. Im Westen ging man offensichtlich von der Ewigkeit der neuen internationalen Machtstruktur unter westlicher Führung für die gesamte Welt aus. Kritische Nachfragen, wie beispielsweise, dass geschichtliche Entwicklungen nie enden – es also kein „Ende der Geschichte“ geben kann -, wurden belächelt.
Tatsächlich jedoch schuf man mit den neuen Fakten sogenannte rechtliche Präzedenzfälle, auf die sich nun angesichts der Machtverschiebungen andere Staaten, hier insbesondere die Russische Föderation, nun berufen können und dies auch umfassend tun – ganz nach dem Motto: Vom Westen lernen, heißt siegen lernen. Ob ein Rechtsbruch im Internationalen Recht einen Präzedenzfall darstellt oder nicht, entscheidet nicht unbedingt der Rechtsbrecher, sondern auch andere potente Akteure, die sich auf den Rechtsbruch beziehen wollen. Auch das hat man sich bis heute nicht vorstellen können in den politischen Debatten.
„Externes Selbstbestimmungsrecht“ versus „Souveränität/Territoriale Integrität“ – zwei Matrizen
Im Folgenden sind zwei Matrizen dargestellt, die den praktischen Umgang mit den Völkerrechtsnormen „Souveränität/territoriale Integrität“ versus „Externes Selbstbestimmungsrecht“ seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation darstellen. Die erste Matrix stellt die westliche Herangehensweise hinsichtlich der Nutzung oder Instrumentalisierung beider Rechtsnormen dar.
In der ersten Spalte wird der Gesamtstaat und dann der sezessionierende Gliedstaat genannt (Beispiel Jugoslawien – Sezession Slowenien).
In der zweiten Spalte die eigentliche primäre Norm, die „Souveränität/territoriale Integrität“ bezogen auf den Gesamtstaat (Beispiel Jugoslawien).
In der dritten Spalte die westliche „Weiterentwicklung des Völkerrechts“, mithin das „Externe Selbstbestimmungsrecht“ bezogen auf das sezessionierende Gebilde (Beispiel Slowenien).
In der zweiten Matrix die gleiche Systematik, aber aus der Perspektive der russischen Föderation.
Matrix 1 = Aus westlicher Perspektive
Souveränität / territ. Integrität Gesamtstaat |
Externes Selbstbestimmungsrecht Gliedstaat od. Volksgruppe |
|
Jugoslawien – Sezession Slowenien | – | + |
Jugoslawien – Sezession Kroatien | – | + |
Jugoslawien – Sezession Bosnien-Herzegowina | – | + |
Bosnien-Herzegowina Sezessionsinteresse Republika Srpska (Serb. Entität) | + | – |
Jugoslawien – Sezession Makedonien | – | + |
Jugoslawien – Sezession Montenegro | – | + |
Jugoslawien – Serbien bleibt übrig | – | + |
Serbien – Sezession Kosovo (Provinz in Südserbien) | – | + |
Kosovo – gewünschte Sezession /Rückführung Nordkosovo (serbisch besiedelt) | + | – |
Georgien – Sezession Süd-Ossetien | + | – |
Georgien – Sezession Abchasien | + | – |
Ukraine – Sezession Ost- und Südukraine | + | – |
Ukraine – Sezession Krim | + | – |
Spanien – versuchte Sezession Katalaniens | + | – |
Matrix 2 = Aus russischer Perspektive
Souveränität / territ. Integrität Gesamtstaat |
Externes Selbstbestimmungsrecht Gliedstaat od. Volksgruppe |
|
Jugoslawien – Sezession Slowenien | + | – |
Jugoslawien – Sezession Kroatien | + | – |
Jugoslawien – Sezession Bosnien-Herzegowina | + | – |
Bosnien-Herzegowina Sezessionsinteresse Republika Srpska (Serb. Entität) | – | + |
Jugoslawien – Sezession Makedonien | + | – |
Jugoslawien – Sezession Montenegro | + | – |
Jugoslawien – Serbien bleibt übrig | + | |
Kroatien – Sezession Krajina und West-Slawonien | + | – |
Serbien – Sezession Kosovo (Provinz in Südserbien) | + | – |
Kosovo – gewünschte Sezession /Rückführung Nordkosovo (serbisch besiedelt) | – | + |
Georgien – Sezession Süd-Ossetien | – | + |
Georgien – Sezession Abchasien | – | + |
Ukraine – Sezession Ost- und Südukraine | – | + |
Ukraine – Sezession Krim | – | + |
Spanien – versuchte Sezession Katalaniens | ? | ? |
Es ist definitiv nicht zu übersehen, dass die Frage der Priorisierung der internationalen Normen der „Souveränität/territoriale Integrität“ versus „Externes Selbstbestimmungsrecht“ im Vergleich der beiden Matrizen exakt spiegelverkehrt ist.
Der Befund legt nahe, dass die Priorisierung weniger von der überzeugten Völkerrechtstreue als vielmehr von der jeweiligen interessengeleiteten Sichtweise der beiden Machtblöcke, mithin dem Westen und Russland, abhängt.
Die dann erfolgte Priorisierung wird anschließend irgendwie völkerrechtlich „passend gemacht“. So auch die bereits oben erwähnte Erklärung der EU-Europäer plus Großbritannien, in der es unter anderem, wie bereits oben zitiert, heißt: „Wir halten weiterhin an dem Grundsatz fest, dass internationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen“ – außer, wenn es um unliebsame Staaten wie Jugoslawien ging, könnte man faktenbasiert ergänzen. Und umgekehrt Russland mit Blick auf Serbien/Kosovo, aber gegenteilig hinsichtlich der Ukraine.
Und um diese Lesart zu fundieren, liefern die öffentlich-rechtlichen Medien, konkret hier die Tagesschau auch noch die Einschätzung eines Völkerrechtlers, der selbstverständlich den Fall Jugoslawien in seinen Ausführungen und somit den daraus resultierenden völkerrechtlichen Konsequenzen ganz offensichtlich zu erwähnen vergisst:
„,Ein Deal über Gebietsabtretungen der Ukraine ohne deren Zustimmung missachte klar die territoriale Souveränität des Landes´, betont Thielbörger.
Außerdem würde ein solcher Vertrag zwischen Russland und den USA ,seinem Inhalt nach wohl auch gegen das Gewaltverbot verstoßen und wäre wohl auch deshalb völkerrechtswidrig´“, so der Völkerrechtsexperte.
Und genau diese Willkür ist das Ergebnis der vom Westen ab 1991 initiierten „Weiterentwicklung des Völkerrechts“, also des faktischen Rechtnihilismus, praktiziert an der jugoslawischen Föderation.
Hinzu kamen im Laufe der Jahre die RtP-, die unable-unwilling-, die safe-haven– sowie die Demokratie-Interventionsdoktrinen aus den USA, die alle eines gemeinsam haben: Sie (sollen) die staatliche Souveränität der Staaten in der Welt, die in sicherheits- und geopolitischen Communities gerne auch als Dschungel in Abgrenzung zum westlichen Garten bezeichnet werden (Robert Kagan, US-Neocon und Ehemann von „Fuck the EU“ V. Nuland) konditionieren bzw. schleifen.
Wer die Konditionen setzen wollte bzw. gesetzt hat, muss wohl nicht weiter expliziert werden.
Und nun, um das Chaos zu „optimieren“, formulieren auch andere Staaten jenseits des Westens, allen voran Russland, seine Konditionen für oder gegen die staatliche Souveränität.
Es wird deutlich, dass die auch von außen massiv unterstützte und somit völkerrechtswidrige Zerlegung Jugoslawiens keine Eintagsfliege gewesen ist.
Die vermeintliche „Weiterentwicklung des Völkerrechts“, die tatsächlich nur eine verkappte Machtpolitik ist, hat vielmehr das Höllentor geöffnet für das unverhohlene Recht des Stärkeren – garniert mit einem völkerrechtlichen Feigenblatt.
Und nun – ach, wer konnte das nur ahnen – wird dieses anachronistische Verständnis von Machtpolitik auch von nichtwestlichen Akteuren in der internationalen Arena genutzt.
Insofern wird Russland mit Blick auf die von ihm annektierten ukrainischen Gebiete genauso scheinheilig völkerrechtlich argumentieren, wie es die Ukraine und seine westlichen Unterstützer ebenfalls in entgegengesetzter Richtung tun. Alles ist nun möglich, dank einer verantwortungslosen Hybris.
Wenn nun die EU-Europäer plus Großbritannien einen Waffenstillstand und anschließend Friedensverhandlungen unterstützen wollen, dann können sie mit möglicherweise vielen Argumenten aufwarten. Nur ein Argument sollten sie sich und uns ersparen: das Internationale Recht.
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